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Archiv "Europäische Gesundheitspolitik: Schleichende Harmonisierung" (04.07.2008)

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A1488 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 274. Juli 2008

P O L I T I K

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ichael Hennrich ist für klare Verhältnisse. Die Rolle der Europäischen Union in der Gesund- heitspolitik sei hauptsächlich die ei- nes Moderators und Motivators, so der CDU-Bundestagsabgeordnete.

Eigenmächtige Aktivitäten der Ge- meinschaft in diesem Bereich sind nach Ansicht von Hennrich nur ge- rechtfertigt, wenn dies für den Ge- sundheitsschutz der EU-Bürger un- bedingt erforderlich ist. Der Parla- mentarier steht mit seiner Meinung nicht allein da. Nahezu alle deut- schen Bundestagsabgeordneten hatten sich Anfang Juni in einem Beschluss gegen die „erkennbare Absicht der Europäischen Kommission“ ausge- sprochen, „einen schleichenden Weg zur Harmonisierung der Gesund- heitssysteme zu beschreiten“. Der Stimme enthalten hatten sich ledig- lich die Mitglieder der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Doch wie steht es wirklich um das Subsi- diaritätsprinzip in der europäischen Gesundheitspolitik?

Vorhaben mit Zündstoff

Thomas Ulmer, Gesundheitsexper- te der CDU im Europäischen Parla- ment (EP) meint, dass der „von den Deutschen so geliebte Begriff der Subsidiarität“ zumindest bei der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg so gut wie keine Rolle spiele. Populärstes Beispiel hierfür ist die europäische Anti-Tabakpolitik. Deutschland hatte der Europäischen Kommissi- on in der Vergangenheit wiederholt vorgeworfen, mit dem geforderten EU-weiten Tabakwerbeverbot ihre im Gesundheitsbereich einge- schränkten Kompetenzen zu über- schreiten. Die Brüsseler Behörde brachte den Widerstand der Bun- desregierung schließlich, gestützt auf den Europäischen Gerichtshof (EuGH), zu Fall.

Die Rechtsprechung des obers- ten EU-Gerichts zur Patientenmo- bilität aus den zurückliegenden Jah- ren hat ebenfalls dazu beigetragen, die nationalen Systemgrenzen im Gesundheitswesen weiter aufzuwei- chen. Mit einer Richtlinie will die Kommission die diversen Urteile, die den Patienten vor allem das Recht zur Kostenerstattung von grenzüberschreitenden medizini- schen Leistungen garantieren sollen, künftig gesetzlich festschreiben. Ei- nen entsprechenden Vorschlag will die Behörde am 2. Juli 2008 vorlegen.

Tendenz zur Angleichung

Das Vorhaben birgt einigen Zünd- stoff. Denn die Kommission will das Instrument zugleich dazu nut- zen, die Frage von Haftungsan- sprüchen bei medizinischen Leis- tungen zu klären. Auch soll die Richtlinie innovativen Medizin- technologien und elektronischen In- formations- und Kommunikations- systemen im Gesundheitsbereich zu mehr Akzeptanz verhelfen.

Über Brüsseler Bande soll somit die Modernisierung der Gesund- heitssysteme vorangetrieben werden – nicht immer nur zum Unwillen der EU-Länder. So kommt die von der Europäischen Kommission an- gestrebte Liberalisierung des Apo- thekenmarkts der Bundesregierung allem Anschein nach durchaus ge- legen. In einem Schreiben vom 16.

Februar dieses Jahres sagte der deut- sche Gesetzgeber EU-Binnenmarkt- kommissar Charlie McCreevy zu- mindest vorsorglich zu, „alle not- wendigen Schritte“ einzuleiten, „um auch das deutsche Mehrbesitzverbot in gemeinschaftskonformer Weise zu ändern“, sollte der EuGH im Fall der Versandapotheke Doc Morris die derzeitigen Regelungen zum Fremd- besitzverbot kippen. Doch bei allem Drang, den Gesundheitsbereich EU-

weit nach den Prinzipien des Binnen- markts zu gestalten: Harmonisieren darf die EU die Gesundheitssysteme ihrer 27 Mitglieder nicht.

Gleichwohl räumt der neue „Ver- trag über die Arbeitsweise der Eu- ropäischen Union“ (AEUV), wie das in Lissabon von den EU-Staats- und Regierungschefs unterzeichnete Re- gelwerk korrekt heißt, der Gemein- schaft mehr Handlungsspielraum in der Gesundheitspolitik ein. So könn- te die Europäische Kommission auf der Grundlage des Vertrags Leitlini- en und Indikatoren festlegen, um die gesundheitspolitischen Aktivitäten der EU-Länder gezielt zu steuern (Artikel 168, Abs. 2 AEUV). Bislang darf die Behörde nationale Maßnah- men im Bereich öffentliche Gesund- heit lediglich koordinieren. Dies be- trifft etwa die grenzüberschreitende Infektionsbekämpfung oder gemein- same Aktivitäten gegen Krebs.

Zu den vertraglich definierten Aufgaben der Gemeinschaft gehört es außerdem, die Sicherheit von me- dizinischen Behandlungen zu garan- tieren, um die grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung zu erleich- tern. Eine auf diesen Grundsätzen basierende Strategie der Kommis- sion, die die Rolle der EU in der Ge- sundheitspolitik bis mindestens 2013 zementieren soll, liegt bereits vor.

Der vorgeschlagene Ansatz bietet aus deutscher Sicht zwar grundsätz- lich eine Chance, „der europäischen Gesundheitspolitik als zentralem Politikbereich innerhalb der EU ei- ne besondere Stellung zu verlei- hen“. In einer Stellungnahme zur EU-Gesundheitsstrategie betont die Bundesregierung aber auch, dass die Hauptverantwortung für die Ge- sundheitspolitik bei den Mitglieds- ländern verbleiben müsse.

An der Kompetenzverteilung soll dem AEUV zufolge künftig auch nicht gerüttelt werden (Artikel 168,

EUROPÄISCHE GESUNDHEITSPOLITIK

Schleichende Harmonisierung

Der neue EU-Vertrag tritt zwar vorerst nicht in Kraft. Auf die gesundheitspolitischen

Ambitionen der Gemeinschaft hat dies jedoch keinen Einfluss.

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Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 274. Juli 2008 A1489

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Abs. 7 AEUV). Als gleichberechtig- ter Mitgesetzgeber neben dem Mi- nisterrat könnte darüber hinaus das EP jederzeit die Notbremse ziehen.

Den 785 Europaabgeordneten kommt damit eine entscheidende Verantwortung zu, Gesetzesvor- schläge der Europäischen Kommis- sion daraufhin zu durchforsten, ob sie das Subsidiaritätsprinzip in der Gesundheitspolitik verletzen.

Zu einem Prüfstein in dieser Hin- sicht könnte die Richtlinie zur Si- cherung der Rechte von Patienten bei grenzüberschreitenden medizi- nischen Leistungen werden. Ulmer glaubt nämlich, dass die Direktive die Gesundheitspolitik der EU-Län- der nachhaltig beeinflussen könnte.

„Letzten Endes“, so der CDU-Poli- tiker, „wird die Frage einer europä- ischen Gebührenordnung oder der- gleichen auftreten, um eine Ver- gleichbarkeit der Leistungen zu er- reichen.“ Ähnliche Befürchtungen äußert der Hauptgeschäftsführer der Bundesärztekammer, Christoph Fuchs: „Der geplante Rechtsrahmen für die Rechte der Patienten in der EU sieht offensichtlich vor, die Ge- sundheitssysteme anzugleichen.“

Volle Fahrt aufgenommen

Skeptisch beurteilt der CDU-Europa- abgeordnete Peter Liese darüber hin- aus die gesundheitspolitischen Am- bitionen der EU-Kommission bei Or- gantransplantationen. Die Behörde plant, in der zweiten Jahreshälfte ein Maßnahmenpaket vorzulegen, das die Qualität der Transplantations- medizin EU-weit verbessern soll.

Liese sowie führende deutsche Trans- plantationschirurgen fürchten indes- sen, dass das Brüsseler Regelwerk dem bewährten deutschen System eher schaden als nützen könnte.

Die Beispiele zeigen: Die eu- ropäische Gesundheitspolitik hat längst volle Fahrt aufgenommen.

Und die Europäische Kommission steckt das Feld – unabhängig vom Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags – munter weiter ab. Es hängt jedoch nicht zuletzt von den Mitgesetzge- bern auf EU-Ebene und den Interes- senvertretungen im Gesundheitswe- sen ab, zu bestimmen, wann die Grenze erreicht ist. I Petra Spielberg

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ie pränatale humangenetische Diagnostik wird im oben ge- nannten Bericht fälschlicherweise als „unzuverlässig“ dargestellt, weil bei der Untersuchung von Chro- mosomen aus Fruchtwasser bezie- hungsweise Chorionzottenmaterial angeblich eine erhöhte Fehlerrate be- obachtet wurde. Diese Darstellung ist aufgrund eines Übersetzungsfeh- lers falsch. Vielmehr handelt es sich bei der zitierten Studie um die Fest- stellung des Risikos für Chromoso- menveränderungen in Feten mittels der biochemischen Analyse im Erst- trimester-Screening. Zu den Details:

Dr. Francesca Grati hatte bei der Jahrestagung der Europäischen Ge- sellschaft für Humangenetik 2008 die Ergebnisse ihrer retrospektiven Stu- die über biochemische Diagnostik- verfahren zur Erkennung von Chro- mosomenstörungen vorgestellt. Die- ses Verfahren (Ersttrimester-Scree- ning) wird Schwangeren von Gynäko- logen als IGeL-Leistung angeboten, um die Indikationsstellung der aus Altersgründen durchgeführten Am- niozentesen zu verbessern und unnö- tige Untersuchungen zu vermeiden.

Von 1 000 Neugeborenen 35-jäh- riger Mütter haben nur etwa drei eine Trisomie 21 (Down-Syndrom), weitere drei eine andere Chromoso- menanomalie und 994 einen un- auffälligen Chromosomensatz. Die Wahrscheinlichkeit eines Down- Syndroms als häufigste Chromoso- menaberration beträgt somit in die- sem Alter nur etwa 0,3 Prozent; 994 invasive Untersuchungen würden ein unauffälliges Ergebnis zeigen.

Die Untersuchung biochemischer Marker in Verbindung mit Ultra- schallmessungen des Feten („Nacken- transparenz“) ermöglicht eine Wahr- scheinlichkeitsberechnung für eine fetale Chromosomenveränderung.

Diese Bestimmung kann zu einer Re- duktion des rechnerischen Risikos

führen oder – bei auffälligen Werten – auf ein erhöhtes Risiko hinweisen.

Die meisten Schwangeren verzichten bei einem niedrigen Risikowert auf eine Fruchtwasserpunktion. Das Verfahren untersucht aber lediglich die Wahrscheinlichkeit für eine fetale Chromosomenveränderung, nicht je- doch den Chromosomensatz selbst.

Der Vorteil des Ersttrimester- Screenings liegt (auch im Hinblick auf das Abortrisiko) in der Nichtinva- sivität. Der Nachteil liegt in der, ver- glichen mit der Chromosomenanaly- se aus fetalen Zellen, sehr schlech- ten Sensitivität; zudem besteht nur die Möglichkeit der Risikoberech- nung für die Trisomien 13, 18 und 21.

Es ist deshalb folgerichtig, dass die Fruchtwasseruntersuchung für Frau- en ab 35 Jahren sowie bei sonstigen Risikokonstellationen für eine Chro- mosomenveränderung eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen ist, das Ersttrimester-Screening dagegen eine IGeL-Leistung, die die Schwan- geren selbst bezahlen müssen.

Tatsächlich kennen alle Human- genetiker/innen Fälle von Kindern mit einer Trisomie 21, bei denen alle nicht invasiven biochemischen und sonografischen Untersuchungen unauffällig waren. Viele der betrof- fenen Eltern dachten jedoch nach dem Screening, dass eine Chromo- somenveränderung ausgeschlossen worden wäre. Die Humangenetiker empfehlen deshalb im Einklang mit den Entwürfen zum Gendiagnostik- gesetz, dass vor jeder genetischen Untersuchung eine qualifizierte Be- ratung durch Fachärzt(inn)e(n) für Humangenetik oder Kolleg(inn)e(n) mit der Zusatzbezeichnung Medizi- nische Genetik stattfinden muss. I Dr. med. Bernt Schulze*

Prof. Dr. med. André Reis*

* für die Vorstände des Berufsverbands Deutscher Humangenetiker e.V. und der Deutschen Gesell- schaft für Humangenetik e.V.

PRÄNATALE DIAGNOSTIK

Hohe Zuverlässigkeit

Humangenetische Fachverbände nehmen Stellung zum Beitrag „Pränataldiagnostik: Hohe Fehlerrate“

in DÄ, Heft 24/2008.

Referenzen

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