Zur Fbrtbildung Aktuelle Medizin NOTFALL IM BEREITSCHAFTSDIENST
Verätzungen des Auges
Bei Säureverätzungen wird durch Eiweißkoagulation oft eine chemische Einwirkung auf das tiefere Auge verhindert. Kalk- und Laugenverätzungen dagegen sind gefährlicher, denn sie führen zu Kol- liquationsnekrosen mit schneller Ausbreitung des schädigenden Agens. Die Schwere hängt ab von Art, Menge, Konzentration und vom pH der Chemikalie, ferner vom Druck, mit dem sie das Auge trifft. Bei frischen Verätzungen ist die Verletzung zunächst oft nicht genau zu beurteilen, die Pro- gnose hängt aber immer entscheidend von der Erstversorgung ab. Schnelles und richtiges Vor- gehen, möglichst schon am Unfallort, ist ausschlaggebend. Bei festeren Substanzen sollte zu- nächst eine mechanische Reinigung des Auges erfolgen, damit nicht zusätzliche Schäden durch Verteilen der Chemikalie am Beginn der Spülung auftreten, und um eine zusätzliche Traumatisie- rung durch die entstehende Lösungswärme zu verhindern.
Symptomatik
Sofort nach dem Unfall
"" stärkste Schmerzen, Angst vor Erblindung,
"" starkes Tränen, Licht- scheu,
"" Blepharospasmus, .,... Abwehrhaltung.
Diagnose
ln der Regel ist die Diagnose leicht aus den Angaben des Verletzten beziehungsweise der Begleitperson zu stellen.
Der Patient ist meist beunru- higt, gelegentlich tobt er vor Schmerzen. Auch bei gutem Willen kann er die Augen oft aktiv nicht öffnen.
Einteilung nach Schweregra- den:
1. Grad
.,... Lidhaut: Rötung und Schwellung
"" Bindehaut: diffuse oder umschriebene Schwellung (Chemosis), Rötung.
"" Hornhaut: leichtere Ab- schürfungen (Erosionen) mit oberflächlicher Trübung.
2. Grad
"" Lidhaut: Blasenbildung, Lidödem, Ptosis: Das Auge kann nur passiv geöffnet werden.
.,.. Bindehaut: massive Che- mosis, umschriebene Isch- ämie (fehlende Rötung durch Verschluß der Gefäße).
Therapie
Wegen der oft sehr starken Schmerzen Analgetika i. v.
(zum Beispiel Paralgin). Ent- scheidend ist die Entfernung beziehungsweise Verdün- nung des schädigenden Agens.
Bei Verätzungen mit festen Stoffen oder hochkonzen- trierten, oft dickflüssigen Laugen gründliche, aber vor- sichtige mechanische Reini- gung von Lidern, Bindehaut- sack und Hornhautoberflä- che. Der widerstrebende Pa- tient muß eventuell von Hilfs- personen festgehalten wer- den, damit das Auge passiv geöffnet werden kann. Mit ei- nem Watteträger oder ähnli- chem wischt man den Binde- hautsack aus und revidiert besonders die obere Um- schlagfalte und die Conjunc- tiva tarsi. Ein Watteträger oder eine mit Watte umwik- kelte Sonde kann eigentlich keine Schäden setzen, auch Blutungen aus eventuell ero- dierten Arealen dürfen nicht von gründlichem Vorgehen abhalten.
Zur Darstellung der tarsalen Bindehaut und des oberen Fornix conjunctivae muß man das Oberlid ektropionieren:
Mit der linken Hand faßt man
DEUTSCHES ARZTEBLATT
Heft 33 vom 12. August 19762117
Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Verätzungen des Auges
Symptomatik Diagnose
~ Hornhaut: Trübung und Verdickung durch Ödem, ausgedehnte Erosionen.
3. Grad
..,... Lidhaut: Ulzeration und Nekrose.
~ Bindehaut: ausgedehnte oder völlige Ischämie, Nekro- se.
~ Hornhaut: totale, weißli- che Trübung ("gekochtes Fischauge").
Bei schweren Verätzungen, besonders Laugen- oder Kalkschädigungen, werden die oberflächlichen Rezepto- ren zerstört, so daß die an- fänglich starken Schmerzen bald nachlassen. Dies ist als ungünstiges Zeichen zu wer- ten und darf nicht zur Unter- schätzung des Traumas füh- ren.
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Therapie
die Zilien und zieht das Lid ab. Mit einem Stäbchen drückt man ein Zentimeter oberhalb der Lidkante, so daß sich der Tarsus nach au- ßen wendet (Abbildung). Wie bei Verätzungen mit dünn- flüssigen Chemikalien muß dann das Auge ausgiebig mit physiologischer Kochsalzlö- sung oder Wasser gespült werden. Geeignet sind Pla- stikflaschen mit Spritzdüsen.
Man kann auch das offenge- haltene Auge des Patienten direkt unter fließendes Was- ser halten.
Danach in jedem Fall rasche Überweisung zum Augenarzt.
Auf dem Transport sollten unter Umständen weitere Au- genspülungen erfolgen.
Dozent Dr. med. R. Turß Oberarzt der
Universitätsaugenklinik (Direktor: Professor Dr. med. Dr. h. c. Wolfgang Straub) Robert-Koch-Straße 4 3550 Marburg an der Lahn
Abbildung 1: Ektropionleren des Oberlides über einem Glasstab zur Revision der Conjunctiva tarsl