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Archiv "Ein letztes Aufbegehren: Grüne versammelten Experten gegen „Gesundheits-Reform“" (08.12.1988)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

KIIRZBERICHTE

Gut zwei Wochen vor dem Bun- destagsbeschluß vom 25. November, bei dem mit den Stimmen der Koali- tion das Gesundheits-Reformgesetz (GRG) die Parlamentshürde pas- sierte, haben die Grünen im Bun- destag noch einmal mit einem Ex- perten-Hearing Stimmung gegen das ungeliebte Reformwerk zu machen und — über den Tag hinaus — grüne Positionen in der Gesundheitspolitik zu präzisieren versucht. Unter dem Motto „Grüne Gesundheitspolitik statt Kranken-Ausgrenzungspoli- tik" entwarfen Mediziner, Soziolo- gen und Informatiker das Szenario eines verdateten, unsozialen Ge- sundheitswesens mit fast 60 Millio- nen „gläsernen Patienten" als Folge des GRG-Beschlusses. Rolf Kegel, Grünen-Koordinator für Fragen der Gesundheits-Reform, beschwor als Alternative eine grüne „Demokrati- sierung des Gesundheitswesens", die für das „Recht auf Gesundheit"

einstehe, aber auch das „Recht auf Krankheit" biete.

Kegel rief seine vom Flügel- kampf geschwächten Parteifreunde zu mehr Selbstbewußtsein in der Ge- sundheitspolitik auf: „Die Bevölke- rung und sogar die Verbände neh- men uns viel, viel ernster als wir uns selbst." Der Experten-Anhörung war im Juni bereits ein Bürger- Hearing zum Gesundheits-Reform- gesetz vorausgegangen.

Im Zentrum der Kritik standen bei der Veranstaltung einmal mehr die geplanten Bestimmungen zur Selbstbeteiligung der Patienten und.

zum Datenschutz. Der Bremer In- formatiker Prof. Dr. Wilhelm Stein- müller bemängelte zur Daten-Frage unter anderem „das durch das GRG aufgehobene Verbot von Zentralda- teien". Auch mit der im Reformge- setz vorgesehenen maschinenlesba- ren Krankenversicherungs-Karte werde angesichts von „Billionen Daten" statt Vereinfachung „Com- puterisierung mit allen Nebenfol- gen" betrieben.

Für gläserne Patienten sorge auch die Zulassung von AIDS-Da- teien über den legislativen Umweg eines Forschungsvorhabens. Nur ei- ne gesellschaftliche Gruppe, die Ärzte, konnte laut Steinmüller in den Beratungen über den Gesetz- entwurf ihr informationelles Selbst- bestimmungsrecht durchsetzen:

„Die Drohung von Teilen der Ärz- teschaft mit dem Bundesverfas- sungsgericht wirkte."

Der Informatiker erkannte aber auch „guten Willen" der Bundesre- gierung in Sachen Datenschutz: So sei immerhin die Rentenversiche- rungsnummer auf dem maschinen- lesbaren Krankenschein wieder ge- strichen worden. Im ganzen sei die Verdatung des Sozialbereichs nur dann verfassungsrechtlich tolerier- bar, wenn gleichfalls eine Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes mit strengeren Vorschriften erfolge. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Heike Wilms-Kegel, faßte in einer Erklärung zum Ergebnis der Konferenz zusammen: „Patienten- Ausschnüffelei" sei kein Mittel, ein- zelnen schwarzen Schafen unter den Ärzten auf die Spur zu kommen.

Ärzte wiederum würden als „Daten- Dealer" mißbraucht. In dieser An- sicht hätten die Experten die Grü- nen bestätigt.

Deppe: „Reizthema Selbstbeteiligung"

Mit dem Reizthema „Selbstbe- teiligung der Patienten" beschäftig- te sich der Frankfurter Medizin-So- ziologe Prof. Dr. Hans-Ulrich Dep- pe. Die Leitüberschrift „Solidarität und Eigenverantwortung" in Para- graph 1 GRG beschreibe in Wahr- heit nur die Kostenverlagerung zu Lasten der Versicherten in einem bisher nicht gekannten Ausmaß, sagte Deppe. Es handle sich um ei- nen „Großangriff auf das Solidar-

und Sachleistungsprinzip der GKV mit dem Ziel, diese auf eine Mini- malversicherung zurückzustutzen".

Deppe kritisierte auch die ideologi- sche Bedeutung des Begriffs

„Selbstbeteiligung": Es habe sich wohl inzwischen herumgesprochen,

„daß die Versicherten in Form der Kassenbeiträge regelmäßig selbst bezahlen".

In der Kostenverschiebung auf die Versicherten wollte Deppe eine allgemeine Tendenz der letzten Jah- re erkennen: Der jahresdurch- schnittliche Anstieg der Gesund- heits-Ausgaben habe zwischen 1980 und 1986 bei den Arbeitgebern nur 0,9 Prozent, bei den öffentlichen Haushalten 4,5 Prozent, in der GKV 5,4 Prozent, bei den privaten Haus- halten aber 7,9 Prozent betragen.

Als gesellschaftliche Auswir- kungen des GRG kritisierte Deppe eine Zunahme der Belastung spe- ziell in den einkommensschwachen Schichten, die gleichzeitig die höch- sten Krankheitsraten aufwiesen.

Auch sei damit zu rechnen, daß durch die zukünftige Vermeidung von Arztbesuchen Krankheiten zu spät diagnostiziert und verschleppt würden. Die Selbstbeteiligung, so Deppe, sei daher ein unsoziales In- strument.

Eberhard Wenzel, ein Berater der Weltgesundheitsorganisation, unterschied in seinem Referat zur Frage, wessen Aufgabe die Gesund- heitsförderung sei, zwischen gesell- schaftlicher Steuerung und den Ent- scheidungen des einzelnen: Politiker hätten gesunde Lebens- und Ar- beitsbedingungen für die Bürger zu schaffen; der einzelne aber müsse beispielsweise selbst entscheiden dürfen, ob er rauchen wolle oder nicht.

Bei der heutigen Arbeitsmarkt- lage, so Wenzel, sei es jedoch auch verständlich, daß sich jemand an ei- nem ungesunden Arbeitsplatz nicht krankmelde, um seine Stelle nicht zu gefährden. Hier müsse Gesundheits- förderung ansetzen.

Die Grünen im Bundestag pla- nen eine breitangelegte Informa- tions-Kampagne über die Auswir- kungen des neuen „gläsernen Ge- sundheitssystems" auf die Versi- cherten. Peter Tuch

Ein letztes Aufbegehren

Grüne versammelten Experten gegen „Gesundheits-Reform"

A-3498 (28) Dt. Ärztebl. 85, Heft 49, 8. Dezember 1988

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