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Archiv "Wer besser verdient, muß zahlen" (06.06.1994)

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POLITIK LEITARTIKEL

Wer besser verdient, muß zahlen

Steuerpolitik im Defizit / Was die Parteien planen

Die Bürger werden vom näch- sten Jahr an höhere Steuern zu zah- len haben. Das gilt vor allem für jene Bürger, die politisch als die „Besser- verdienenden" diskreditiert werden.

Der Wahlausgang ändert daran nichts, denn keine der großen Partei- en hat angekündigt, den gesetzlich verankerten Solidarzuschlag von 7,5 Prozent der Einkommen- und Kör- perschaftssteuerschuld, die Verdop- pelung der Steuer auf Privatvermö- gen und die weitere Erhöhung der Versicherungssteuer rückgängig zu machen. Selbst die FDP beschränkt sich auf die Forderung, den Solidar- zuschlag nach drei Jahren zu über- prüfen. Immerhin wollen die Koaliti- onsparteien den Staatsanteil am So- zialprodukt, der inzwischen auf über 53 Prozent gestiegen ist, schrittweise wieder senken, was die Vorausset- zung dafür wäre, auch die Abgaben- quote, die ein Rekordniveau erreicht hat, wieder abzubauen.

Die SPD verspricht, die gesamt- wirtschaftliche Steuerquote nicht an- heben zu wollen. Sie läßt aber keine Zweifel daran, daß sie entschlossen ist, die Steuerlast anders zu verteilen.

Im Entwurf des SPD-Regierungspro- gramms heißt es, daß innerhalb der Steuerquote Umschichtungen vorge- nommen werden sollen, um Wachs- tum und Beschäftigung zu stärken und für mehr Gerechtigkeit zu sor- gen. Die Umverteilung über die Steu- er soll also ausgeweitet werden. Die vorgesehene Ergänzungsabgabe von zehn Prozent der Steuerschuld für die Bezieher von Bruttoeinkommen über 60 000/120 000 Mark (Alleinste- hende/Verheiratete) ist ein weiterer Schritt dahin, denn auch durch den Solidarzuschlag werden die „Besser- verdienenden" stärker belastet. Auch diese Abgabe knüpft ja an die Steu- erschuld an, deren Höhe maßgeblich vom progressiven Steuertarif be- stimmt wird.

Eine andere Verteilung der Steuerlast wird sich auch dadurch er- geben, daß nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1996

an das Existenzminimum von der Be- steuerung freigestellt werden muß.

Der programmierte Steuerausfall von etwa 40 Milliarden Mark muß ausgeglichen werden — entweder über die Verschärfung der Steuer- progression und/oder über die Erhö- hung anderer Steuern. Die Steuer- quote wird nur zu stabilisieren und auf längere Sicht wieder zu senken sein, wenn der Rezession und der nun einsetzenden Phase der kon- junkturellen Erholung im nächsten Jahr ein kräftiger Aufschwung folgt.

Daß es vorerst keine Chance für Steuersenkungen gibt, signalisiert die jüngste Steuerschätzung. Zwar erhö- hen sich danach die Steuereinnah- men von Bund, Ländern und Ge- meinden im laufenden Jahr um 2,7 Milliarden Mark; für 1995 wird aber ein Minus von 21,2 Milliarden Mark vorausgesagt, das sich in den beiden folgenden Jahren dann auf 25,8 und 33,5 Milliarden Mark erhöhen wird.

Dies hat drei Gründe:

Die Rezession hat den Ge- bietskörperschaften 1993 hohe Steu- erausfälle beschert. Dieser statisti- sche Basiseffekt ist bereits in die Haushaltsplanung dieses Jahres ein- gegangen; er schlägt nun auf die Jah- re nach 1994 voll durch.

O Die Regierung rechnet mit einem geringeren Anstieg des für die Steuereinnahmen entscheidenden Wachstums des nominalen Sozial- produkts. Für 1995 wird eine Wachs- tumsrate von 4,4 Prozent und für die Jahre von 1996 bis 1998 von jeweils 5,5 Prozent unterstellt, während im letzten Jahr noch mit Steigerungsra- ten von 5,9 und 6 Prozent gerechnet worden war.

Auch ist mit niedrigeren An- nahmen über Löhne/Preise und Zin- sen zu rechnen; das mindert die Steu- ereinnahmen.

Wie die Steuerpolitik nach der Wahl aussehen wird, läßt sich den Programmen der Parteien entneh- men. Allerdings bevorzugen die Par- teien sehr allgemein gehaltene An- kündigungen. Konkrete Angaben

sind Mangelware. Dennoch lassen sich Tendenzen und Präferenzen er- kennen. Die Bundesregierung hat angekündigt, noch vor der Sommer- pause „Eckpunkte" für die nächste Stufe der Unternehmensteuerre- form, die für 1996 anvisiert wird, vor- zulegen. Ziel ist die Entlastung der im internationalen Vergleich noch immer hochbelasteten deutschen Un- ternehmen. Da die Steuerquote nicht sinken soll, müssen die entlastenden Maßnahmen entweder durch Sub- ventionsabbau bei den Unternehmen selbst oder durch eine Verlagerung der Steuerlast auf private Einkom- men oder den Verbrauch ausgegli- chen werden.

Wenn die Belastung der Unter- nehmen gesenkt wird, muß die ande- rer Steuerzahler zwangsläufig stei- gen. Vor diesem Dilemma stehen so- wohl Koalition als auch SPD, denn auch eine Mehrbelastung der priva- ten Leistungseinkommen oder der Verbraucher hätte negative ökono- mische Konsequenzen. Eine solche Steuerpolitik würde zu Wachstums- verlusten führen, die Gewerkschaf- ten könnten versuchen, die Mehrbe- lastung der Arbeitnehmer über die Tarifpolitik zu kompensieren.

Parteiprogramme

CDU und CSU: Die Vorstellun- gen der beiden Parteien sind nicht deckungsgleich. Sie stimmen darin überein, daß die Staatsquote von dem Rekordniveau schrittweise wie- der auf etwa 45 Prozent gedrückt werden muß, um Spielraum für allge- meine Steuersenkungen zu schaffen.

Diese Perspektive reicht freilich über das Jahr 2000 hinaus. Zunächst geht es der Union darum, die Gewerbeka- pitalsteuer und die Vermögensteuer der Betriebe aufzuheben. Auch wird daran gedacht, die Gewerbesteuer zu senken. Die Gemeinden sollen dafür an der Umsatzsteuer beteiligt wer- den. Den zweiten Schwerpunkt legt die Union auf die Verbesserung des Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 22/23, 6. Juni 1994 (19) A-1583

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Durchschnittsbelastung mit Steuern u. Sozialabgaben in Prozent des Bruttolohns

4 0%

1 0 %

e

IS Grafik 1994 - 389

1970

1960 1980 1990 1994 1997

POLITIK

Familienlastenausgleichs. Die CSU befürwortet, daß das Existenzmini- mum der Kinder über Festbeträge abgedeckt wird. Die Bezieher klei- nerer Einkommen sollen nach sozia- len Kriterien zusätzlich Kindergeld erhalten. Der CDU-Parteitag hat sich für die Einführung eines Familien- Splitting ausgesprochen. Den Kin- dern würden also Teile des Einkom- mens steuerlich zugeordnet, das Ehe- gatten-Splitting würde einge- schränkt. Der Vorschlag ist nicht nur kompliziert, er entbehrt auch der Lo-

gik. Kinder haben gegen ihre Eltern keinen Anspruch auf Teilhabe am Einkommen, sondern einen An- spruch auf Unterhalt. Der Splitting- vorteil hoher Einkommen wäre weit größer als heute bei der Begrenzung auf Ehepaare. Das Finanzministeri- um ist strikt gegen diese Lösung. Die Union will Arbeitsplätze in Haushal- ten generell steuerlich anerkennen.

FDP: Die Pläne sind konkreter als bei der Union, aber auch unreali- stischer — so die Forderung, den Spit- zensatz mittel- und langfristig allge- mein unter 45 Prozent zu senken und den Arbeitnehmerpauschalbetrag von derzeit 2 000 auf 3 000 Mark zu erhöhen. Die FDP will den Grund- freibetrag für alle so anheben, daß das Existenzminimum freigestellt

LEITARTIKEL

wird. Am linear-progressiv steigen- den Tarif soll festgehalten werden.

Die FDP will des weiteren die Gewerbekapital- und die betriebliche Vermögensteuer abschaffen, die Ge- werbesteuer schrittweise abbauen, das Ehegatten-Splitting aufkom- mensneutral in ein „modifiziertes"

Familien-Splitting umwandeln, Un- terhaltsleistungen steuerlich be- grenzt abzugsfähig gestalten, jedoch beim Empfänger versteuern und Haushalte generell als Arbeitgeber anerkennen.

SPD: Die vorgesehene Ergän- zungsabgabe soll offensichtlich dau- erhaft erhoben werden. Steuer- schlupflöcher sollen geschlossen, Spekulationsgewinne besser erfaßt, auf die allgemeine Anrechnung aus- ländischer Steuern verzichtet und au- ßerordentliche Einkünfte höher be- lastet werden. Auch werden Steuer- erleichterungen für Zukunftsinvesti- tionen und den Mittelstand zugesi- chert. Das Kindergeld soll 250 Mark im Monat betragen; vom vierten Kind an werden Familien mit zusätz- lich 100 Mark unterstützt. Das Kin- dergeld soll entweder von der Steuer- schuld abgezogen oder ausgezahlt werden. Die SPD will die Kinderfrei- beträge streichen und das Ehegatten- Splitting nach oben begrenzen.

Die Koalition will die Steuersät- ze für gewerbliche Einkünfte nicht weiter senken, sondern auf weitere Sicht die Steuersätze wieder verein- heitlichen. Das ist für Freiberufler wichtig. Sollte es zu einer Senkung der Gewerbesteuer kommen, wäre die Begünstigung der gewerblichen Einkommen gegenüber jenen der Freiberufler nicht mehr zu halten.

Das Verfassungsgericht wird wohl noch 1994 über die Verfas- sungsmäßigkeit der geltenden Ein- heitswerte entscheiden. Viel spricht dafür, daß das Gericht die eigenge- nutzten Grundvermögen schonen wird. Vor der Wahl versichern alle, daß die Grundstückeigentümer und auch die Mieter nicht mit höheren Belastungen zu rechnen hätten. Das wird sich aber kaum durchhalten las- sen, vor allem wenn es um die Bewer- tung im Erbfall geht. Richtig wäre es, die Vermögensteuer ganz zu strei- chen und der Erbschaftsteuer Ver- kehrswerte zugrunde zu legen. Das würde aber eine massive Erhöhung der längst überholten Freibeträge voraussetzen. Auf die Einheitsbewer- tung könnte dann verzichtet werden, was eine enorme Steuervereinfa- chung bedeuten würde.

Den „Besserverdienenden"

droht Gefahr durch die steuerliche Freistellung des Existenzminimums.

Der Gesetzgeber könnte versucht sein, die Steuerausfälle durch eine Verschärfung der Progression zu be- grenzen. Auch gibt es den Vorschlag, den Grundfreibetrag bei steigenden Einkommen abzuschmelzen, was die höheren Einkommen zusätzlich bela- sten müßte.

Über Steuervereinfachung reden alle. Dabei wird an typisierende und pauschalierende Regelungen ge- dacht. Tatsächlich ist das Steuerrecht kaum noch anzuwenden. Vorausset- zung für eine Vereinfachung des Steuerrechts ist eine maßvollere Be- steuerung. Überhöhte Steuern verlei- ten die Steuerzahler zur Steuerumge- hung und den Gesetzgeber, mit Son- derregelungen auf tatsächliche oder vermeintliche Härten zu reagieren.

Ökonomisch vernünftig und gerecht kann nur eine Politik der Steuerent- lastung und des Sparens sein. Aber diese Perspektive bleibt auf Jahre verbaut. Walter Kannengießer

A-1584 (20) Deutsches Ärzteblatt 91, Heft 22/23, 6. Juni 1994

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