Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 46|
16. November 2012 A 2319E
ine informative und berühren- de Ausstellung vervollstän- digt seit kurzem die Gedenkstätte für die Opfer der NS-„Euthanasie“in Brandenburg/Havel. Sie erinnert an die Opfer der Aktion T4 (be- nannt nach der Berliner Tiergarten- straße, wo das Mordprogramm ver- waltet wurde), die in Brandenburg begann. Hauptaufgabe der Gedenk- stätte sei es, sagte Helmuth Markov (Die Linke), der stellvertretende Ministerpräsident des Landes Bran- denburg, die Information über die Geschehnisse an die nächste Gene - ra tion weiterzugeben. Die Ausein - andersetzung mit der Vergangenheit sei eine Grundvoraussetzung für die Ausgestaltung der Demokratie.
Mobile Krematorien
Die Ausstellung gibt eine Übersicht über die Aktion T4, bei der in sechs Tötungsanstalten mehr als 70 000 Menschen umgebracht wurden, und informiert speziell über die Mordan- stalt in Brandenburg. Zwischen Ja- nuar und Oktober 1940 wurden hier nahezu 9 000 Menschen mit Gas ge- tötet und in mobilen Krematorien verbrannt. Mitten in der Stadt, in ei- ner Scheune auf dem Gelände des alten Gefängnisses. Mehr als 8 000 Namen von Opfern konnten gesi- chert werden; sie stehen in einem Gedenkbuch. Die Identifizierung ist der Kuratorin, Dr. Astrid Ley, und zwei weiteren Medizinhistorikern, Dr. Anette Hinz-Wessels und Dr.
Dietmar Schulze, zu verdanken. Das
sei Pionierarbeit gewesen, lobte der Direktor der Stiftung Brandenburgi- sche Gedenkstätten, Prof. Dr. Günter Morsch.
Die Ausstellungsmacher scheuten sich nicht, auch die Täter beim Na- men zu nennen. Brandenburg kam bei T4 eine makabere Pionierrolle zu: Im Januar 1940 erprobte eine aus Berlin angereiste Delegation, wel- che Tötungsmethode am praktischs- ten sei. Man entschied sich für Koh- lenstoffmonoxid. An diesem auch als Probetötung bekannten Experi- ment nahmen unter anderem der
„Reichsärzteführer“, Dr. med. Leo- nardo Conti, teil sowie die beiden T4-Beauftragten Adolf Hitlers, nämlich sein Kanzleichef („Reichs- leiter“) Philipp Bouhler und sein Be- gleitarzt Prof. Dr. med. Karl Brandt.
Mit dabei war auch Dr. med. Irm- fried Eberl, der später Leiter der
Tötungsanstalt Brandenburg wurde und persönlich den Gashahn auf- drehte. Nach dem Ende von T4 brachten Eberl wie auch viele andere
„T4-Experten“ ihre Erfahrungen in die Vernichtungslager im Osten ein.
Gedenktafel in Brandenburg
Allgemein wurde bei der Ausstel- lungseröffnung am 17. August be- dauert, dass die Gedenkstätte erst so spät komme. Weshalb, das ver- mochte niemand recht zu erklä- ren, nicht einmal die Oberbürger- meisterin der Stadt Brandenburg, Dietlind Tiemann (CDU). Doch im- merhin wurde in Brandenburg eine Gedenktafel platziert. Dazu wurde 1997 ein Erinnerungsort auf den freigeräumten Fundamenten der zur Gaskammer umfunktionierten Scheu-ne errichtet.
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Norbert Jachertz
Eine Gedenkstätte in Brandenburg/Havel erinnert an die Euthanasieopfer der T4-Aktion.
BRANDENBURG
9 000 Opfer, 8 000 Namen
Im Gedenkort „Anstaltsscheune“
liegt ein Buch mit den Namen der Opfer aus.
Foto: Georg Neuhold
Blick in die Ausstellung, die über die Mordanstalt in Brandenburg informiert
Fotos: Friedhelm Hoffmann