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Archiv "Suizidprävention: 11 000 Tote sind zu viel" (22.09.2006)

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A2444 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 38⏐⏐22. September 2006

P O L I T I K

S

elbst bei Trauerfeiern wird meist nicht darüber gespro- chen, wenn der Verstorbene Suizid verübt hat“, weiß die Pfarrerin der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächt- niskirche Dr. Cornelia Kulawik.

Dieses Tabu zu brechen ist den Kirchen ein wichtiges seelsorgeri- sches Anliegen. Einerseits um An- sprechpartner für Suizidgefährdete zu sein, andererseits um den trau- ernden Angehörigen nach einer solchen meist unverständlichen Tat beizustehen.

Die Bedeutung des Suizids für Angehörige war der Schwerpunkt des dritten internationalen Welt- tages zur Suizidprävention am 10.

September, den die International Association for Suicide Prevention (IASP) gemeinsam mit der Welt- gesundheitsorganisation (WHO) veranstaltet hat. Rund 11 000 Men- schen begehen jedes Jahr in Deutschland Suizid (weltweit sind es 1,5 Millionen), so die Zahlen der WHO, unmittelbar betroffen sind davon im Durchschnitt sechs nahe stehende Personen. „Für An- gehörige ist es fast unmöglich, Hil- fe zu finden – die Angebote feh- len“, bemängelte Georg Fiedler,

Dipl.-Psych., nationaler Repräsen- tant der IASP.

Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist der Suizid die zweithäufigste Todesursache nach Verkehrsunfällen und sonstigem

„High-Risk“-Verhalten. Fast drei- mal so viele Männer wie Frauen sind betroffen. Die Suizidgefähr-

dung steigt mit dem Alter überpro- portional an. Besonders bei den über 75-jährigen Männern, aber auch bei den Frauen, die im Altersdurch- schnitt deutlich weniger betroffen sind (Suizide 2004: 7 939 Männer, 2 794 Frauen): Jede zweite Frau, die sich tötet, ist älter als 60. An der traurigen Spitze der Suizidraten ste- hen EU-weit mit großem Abstand die Männer in Litauen, gefolgt von Estland und Lettland. Ein Thema, das erst in letzter Zeit in den Focus komme, seien die deutlich höheren Suizidraten bei homosexuellen und bisexuellen Männern sowie bei les- bischen Frauen, betonte Prof. Dr.

med. Armin Schmidtke, Vorsitzen- der des nationalen Präventionspro- gramms für Deutschland: „Beson- ders gefährdet sind diejenigen, die zusätzlich zu einer sexuellen De- viation noch einer ethnischen Min- derheit angehören.“ Auffällig seien auch die zunehmenden Selbsttö- tungen junger türkischer Frauen.

Schmidtke vermutet, dass diese mit- unter von ihren Familien „der Ehre wegen“ dazu gedrängt werden.

Während sich in den USA die meisten mit Schusswaffen töten, steht in Deutschland der Tod durch Erhängen an der Spitze der Suizid-

methoden. Bei den Suizidversuchs- methoden stehen Medikamente an erster Stelle. „Hier kann ein er- schwerter Zugang schon helfen“, erklärte Schmidtke: Antidepressi- va in kleineren Verpackungen an- zubieten und Paracetamol nicht in Tankstellen zu verkaufen senke auch die Suizidraten deutlich. In den neuen Bundesländern habe die Detoxifizierung von Haushaltsgas die Suizidrate insgesamt senken können.

Suizidversuche und Suizide ver- ursachen nicht nur enormes Leid, sondern auch hohe Kosten: Bei ge- ring geschätzten 100 000 Suizid- versuchen jährlich belaufen sich die direkten Kosten durch Polizei, Not- arzt- und Feuerwehr- einsätze sowie Kran- kenhausaufenthalte auf 178 Millionen Euro. Viele Suizid- überlebende werden zu Pflegefällen, des- halb müssen zusätz- liche Ausgaben wie fortlaufende Therapien und Lohnfortzahlungen hinzugerechnet werden, sodass mit einem Minimum von 250 bis 300 Millionen gerechnet wird.

Zur Suizidprävention gehört ne- ben dem Aufbrechen des gesell- schaftlichen Tabus auch die Frage, was Ärzte tun können, um Suizidge- fährdete zu erkennen und ihnen zu helfen. 70 Prozent der Suizidgefähr- deten suchen noch vier Wochen vor dem Suizid ihren Hausarzt auf. Er- kennt der Hausarzt die oftmals zu- grunde liegende Depression und be- handelt sie richtig oder überweist an einen Experten, könnten viele Suizi- de verhindert werden. Fiedler wies darauf hin, dass Depressionen insbe- sondere bei Männern häufig nicht erkannt werden, weil diese eher zu aggressivem Verhalten neigen. Das Deutsche Bündnis gegen Depressi- on e.V. bietet Fortbildungen und Ma- terialien für Hausärzte an (Kasten).

Mit einem ökumenischen Gottes- dienst und Gästen anderer Konfes- sionen beteiligte sich die Gedächt- niskirche am Weltsuizidpräventi- onstag: 11 000 Kerzen rund um das Gebäude – für jeden an Suizid Ver-

storbenen eine. I

Petra Bühring

SUIZIDPRÄVENTION

11 000 Tote sind zu viel

Der dritte internationale Welttag der Suizidprävention versucht, durch Gedenkfeiern und Aufklärung das gesellschaftliche Tabu zu brechen.

ERFOLGREICHES PROJEKT

Das Deutsche Bündnis gegen Depression e.V. infor- miert über Depressionen, um Suizide zu verhindern.

Das im Rahmen des Kompetenznetzes Depression ent- standene Projekt startete 2001 in Nürnberg als „Nürnber- ger Bündnis gegen Depression“. Ziel ist die Fortbildung von Hausärzten sowie die Aufklärung von Betroffenen, Apothe- kern, Lehrern und Altenpflegekräften und der Öffentlich- keit. Nach zwei Jahren konnten die Suizide und Suizidver- suche in Nürnberg fast um ein Viertel gesenkt werden. Der Erfolg führte zur Ausweitung des Projekts: Inzwischen sind zwischen Flensburg und Memmingen mehr als 35 lokale Bündnisse gegen Depression entstanden. Informationen unter: www.buendnis-depression.de

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