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Einführung. Vom Denken in Bildern

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EINFÜHRUNG Vom Denken in Bildern Jürgen Müller

Ganz gleich mit welcher Arbeit von Gerhard Richter man sich beschäftigt: Die Grundfiguren seines Bilddenkens sind Ironie und Skepsis. Der Zweifel im um­

fassenden Sinne steht im Zentrum seiner Arbeiten. Der Rezipient findet sich am Ende seiner Betrachtung häufig in einer unentscheidbaren Situation w ieder.

Wahrheiten changieren: Das eine ist wahr, aber das andere auch. Insofern kann es kaum verwundern, dass es bei Richter kein geschlossenes System gibt. Die Gleichzeitigkeit von figürlicher und abstrakter Malerei ist in diesem Zusam­

menhang ein deutlicher Beleg. Die Entstehung von Richters Werk lässt sich nur schwerlich im Sinne einer organischen Entwicklung beschreiben. Vielmehr sind es Brüche und Unvereinbarkeiten wie eben jene von abstrakt und figürlich, die sofort ins Auge fallen. Der „Stil" seiner Arbeiten hat etwas Idiomatisches. Er wird gewählt und vorgezeigt.

Richter selbst hat sich auf Nietzsche bezogen, worauf unlängst erst Armin Zweite hingewiesen hat. Ob dieser Bezug als hinreichende Erklärung für Richters Skeptizismus erachtet werden kann, muss man bezweifeln. Schon die Frage, ob Richter ein absoluter Skeptiker ist, würde man nicht zu entscheiden wagen.

Aber ein Mensch, der zwei totalitäre Staaten aus eigener Anschauung kennt'und das familiäre Unglück erlebt hat, das daraus resultieren kann, wird Schwierig­

keiten mit der Wahrheit haben, wenn sie mit dem Absolutheitsanspruch einer Ideologie auftritt.

Zu keinem Zeitpunkt hat Richters Werk diejenige Anerkennung gefunden, die ihm augenblicklich zuteil wird. Davon erzählen nicht nur die vielen Ausstel­

lungen und die Retrospektive der zwischen 1963 und 2004 entstandenen Arbei­

ten in der Düsseldorfer Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, sondern auch die

wissenschaftlichen Magister- und Doktorarbeiten, die entstanden oder noch in

Originalveröffentlichung in: Elger, Dietmar (Hrsg.): Sechs Vorträge über Gerhard Richter :

Februar 2007, Residenzschloss Dresden, Köln 2007, S. 9-17

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Entstehung begriffen sind. Zu erklären, w a r u m Richter derart i m Z e n t r u m des Interesses steht, wäre eine lohnende A u f g a b e .

A b e r vielleicht reicht zunächst einmal der Hinweis, dass es sein G r e n z - gängertum z w i s c h e n Ost und West ist, das seine Kunst mit einer besonderen Sensibilität ausstattet und derart exemplarisch hat werden lassen. Er hat sich w i e kein anderer kontinuierlich verändert, u m sich und den kunsttheoretischen Problemen treu zu bleiben. Heute ist er es, der andere Künstler beeinflusst. So etwa A n d r e a s G u r s k y , der in gewisser Hinsicht die Richtersche Perspektive u m ­ kehrt, w e n n er im M e d i u m der Fotografie malerische Effekte einzusetzen weiß.

Vielleicht ist es die Tatsache, dass w i r es heute i m m e r häufiger mit Bildern ohne T r ä g e r m e d i u m zu tun haben, die Richters Malerei als Frage nach der „Wahrheit des B i l d e s " u m s o dringlicher werden lässt.

W i e man weiß, ist der Künstler mit gemalten Bildern nach Fotos populär geworden. Seit den 1960er Jahren hat er sich mit dieser T e c h n i k den unterschied­

lichsten Sujets gewidmet, die in dieser eher unpersönlichen Darstellungsweise präsentiert werden. Dies sei an e i n e m Beispiel gezeigt. Schaut m a n sich die Arbeit Flämische Krone aus d e m Jahre 1965 an, lässt sich eine interessante Entdeckung machen. Das dazugehörige Foto aus d e m über die Jahre h i n w e g von Richter angelegten Atlas zeigt, w i e m i n u t i ö s sich der Künstler an die Vorlage hält, die er mittels einer Diaprojektion a u f geradezu mechanische W e i s e über­

trägt. S o ist es z u m einen die Projektion und z u m anderen der v e r w i s c h e n d e Farbauftrag, der Stil im Sinne v o n Handschrift zu negieren scheint. Der Künstler selbst hat von der „ R e a d y m a d e - Q u a l i t ä t " der Fotografie gesprochen, v o m Foto als dem idealen Bild. I m m e r wieder ist betont worden, dass Richter dadurch die B e d i n g u n g e n einer allmächtigen Bilderkultur z u m T h e m a mache, und in der Tat lässt diese Ä s t h e t i k an banale R e p r o d u k t i o n in Zeitungen und Zeitschriften den­

ken - so als würde der Künstler diejenigen Bilder zeigen, bei denen m a n n o r m a ­ lerweise nur flüchtig hinschaut. O d e r anders: A l s w ü r d e m a n Bilder sehen, die durch unendliche Reproduktion ihrer Identität beraubt sind. Mit dieser Technik jedenfalls ist dem Künstler ein eigenes Idiom gelungen, das ironischerweise als

..Kapitalistischer R e a l i s m u s " bezeichnet w u r d e .

N u n haben Bilder nicht nur die Fähigkeit abzubilden, sondern über sich hinauszuweisen. Sie mobilisieren unsere Vorstellungskraft und erzählen von gesellschaftlichen N o r m e n und W ü n s c h e n . Das Bild einer Studentin aus d e m Jahre 1967 berichtet von dieser W u n s c h ö k o n o m i e , die mit dem westdeutschen Bildergebrauch der 1960er Jahre einherging und i m m e r noch virulent ist. Das Richter'sche Verfahren lässt dieses Modell einer W u n s c h m a s c h i n e Bild obsolet werden. Es ist, als hätte er die Fähigkeit, die mediale Laufgeschwindigkeit

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z u verändern. A l s w ü r d e n w i r in seinen vermalten Bildern alles in Zeitlupe sehen. Zuallererst w i r d die Künstlichkeit der Bildübertragung deutlich. Unsere Vertrautheit mit der Mediengeschiehte verweist uns a u f B e s e h l e u n i g u n g s - oder Verlangsamungsverfahren, w i e W o l f g a n g Ullrich in seiner Geschichte der Unscharfe unlängst gezeigt hat. W e n n Richters Kunst also die Bilderproduktion unter heutigen B e d i n g u n g e n z u m T h e m a hat, so wird hier die Reproduzierbar­

keit einer M e d i e n k u l t u r im weitesten Sinne z u m T h e m a .

Jedes Bild steht in V e r w e r t u n g s z u s a m m e n h ä n g e n , die i h m B e d e u t u n g z u ­ weisen. Der Künstler selbst hat einmal drastische Worte für seine B i l d p r o d u k ­ tion g e f u n d e n , indem er von der A b w e s e n h e i t eines zentralen Bildes im Sinne eines verlorenen Weltbildes sprach. W i r w ü r d e n uns a u f einer Art M ü l l h a l d e ausgesetzt befinden, ohne Mitte, ohne Sinn, was d a z u führe, dass man sich alles selbst zu erarbeiten habe, eine Perspektive der I m m a n e n z unvermeidlich sei. Mit diesem Z u s t a n d einer bisher ungekannten Freiheit gelte es, z u r e c h t z u k o m m e n .

Richters Bilder sind das genaue Gegenteil zu diesem polemischen Statement, sie sind lakonisch. Und diese L a k o n i e ist in einem existenziell-dialogischen Sinne s c h m e r z h a f t . D a s Erlebnis der in den Fotobildern anwesenden s i m u ­ lierten Realität macht nur ex negativo im Sinne einer vorenthaltenen Wahrheit Sinn. D a z u Richter: ..So ungeschickt, so verzweifelt ungeschickt ich m i c h auch anstelle, m e i n W i l l e , mein Streben, mein B e m ü h e n , also das. was mich treibt, ist die Suche nach A u f k l ä r u n g (Erkenntnis der Wahrheit, der Z u s a m m e n h ä n g e , nach A n n ä h e r u n g an einen Sinn - also alles pessimistische, nihilistische Ver­

halten und Behaupten hat doch nur den Z w e c k , H o f f n u n g e n z u erschaffen bzw.

z u entdecken)."1

Im P r i n z i p ist nicht von B e d e u t u n g , ob j e m a n d einen Kronleuchter auf unscharfe Weise reproduziert und ihn dann auch noch Flämische Krone nennt.

Aufschlussreich ist j e d o c h die Tatsache, w a s dieses Bild gleichsam negativ spie­

gelt, die Tradition einer Malerei n ä m l i c h , die sich als eine a u f der Suche nach der Wahrheit befindliche begriffen hat, w a s uns a u f den D i s k u r s klassischer Malerei z u r ü c k v e r w e i s t . K e i n e geringeren Bilder als Jan V a n E y c k s Arnolfinihochzeit und Jan V e r m e e r s Ruhm der Malkunst enthalten das Detail eines solchen K r o n ­ leuchters. A r m i n Z w e i t e hat im Düsseldorfer K a t a l o g treffend formuliert, dass Richter gelegentlich auch Trauerarbeit über die verlorengegangenen M ö g l i c h ­ keiten der Malerei leisten würde. Und Richter selbst hat den A n s p r u c h f o r m u ­ liert, der durch die Kunstgeschichte unabweisbar an den Künstler herantritt.

V i e l e Interpreten haben an Richters K u n s t i m m e r w i e d e r den K o m m e n t a r ­ charakter in Bezug a u f die moderne Kunst hervorgehoben. Er male nicht nur Bil­

der, sondern perspektiviere zugleich die Geschichte der Kunst im 20. Jahrhundert.

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Seine Serie r h o m b e n fö r m i g e r Eiilder aus d e m Jahre 1998 ist hierfür ein gutes Beispiel. Es handelt sich u m sechs A r b e i t e n , die allesamt als Abstraktes Bild bezeichnet sind und nahezu identische B i l d f o r m a t e aufweisen. D i e genannten Werke schreiben sich in die klassische Tradition abstrakter Malerei des ver­

gangenen Jahrhunderts ein. D a s Format lässt an bestimmte A r b e i t e n Piet M o n d r i a n s denken, die in A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit T h e o van Doesburgs Kontra- Kompositionen entstanden sind. M o n d r i a n glaubte, mit seiner Form abstrakter Kunst den K u b i s m u s ü b e r w u n d e n z u haben und die G r u n d l a g e aller Malerei im Ausgleich von Horizontalität und Vertikalität sichtbar gemacht z u haben. Er meinte, damit die Transzendentalien der Welt erwiesen z u haben. Van Doesburgs diagonal organisierte Bilder hingegen stellten die G e l t u n g dieses B i l d s y s t e m s in Frage.

Den D i a m a n t f o r m a t e n , a u f die Spitze gestellten quadratischen Bildern, k a m in diesem Streit eine besondere A u f g a b e zu. Sie sollten gegenüber van D o e s b u r g die Gültigkeit von horizontal und vertikal als Universalien unabhängig v o m quer­

rechteckigen B i l d f o r m a t erweisen. Richter nutzt stattdessen diese F o r m , u m ihr eine pulsierende Farbigkeit einzuschreiben, w i e w i r sie etwa aus der Farbfeld­

malerei eines Mark R o t h k o kennen. A u f den zweiten Blick erkennt m a n , dass es sich nicht wirklich u m ein D i a m a n t f o r m a t , sondern u m einen R h o m b u s handelt, also die Bilder j e w e i l s etwas breiter als höher sind. W o m i t ein weiteres Problem abstrakter Malerei angesprochen ist, nämlich das des sogenannten shapedcanvas und die Frage nach dem Verhältnis von B i n n e n - und R a h m e n f o r m des Bildes.

O h n e dies weiter vertiefen zu w o l l e n , sei hier a u f die Überblendung unterschied­

licher Traditionen verwiesen, die Richters Bilder v o r n e h m e n , indem sie scheinbar Gegensätzliches z u s a m m e n f ü h r e n . M a n kann sich nun für eine kunsttheoretisch- ironische Synthese des Unvereinbaren und eine das Farberlebnis des Betrachters ins Z e n t r u m rückende Lesart entscheiden. Erstere spielt mit der naheliegenden V e r w e c h s l u n g von D i a m a n t f o r m a t und R h o m b u s , die z w e i t e mit der Macht der Farbe, die das äußere Format des Bildes zu verändern und zu verbreitern scheint.

Metadiskurs und authentisches Erleben existieren nebeneinander, o h n e eigens vermittelt z u werden.

Umgekehrt w i r d bei der A r b e i t Wand aus d e m Jahre 1994 zunächst eine W a h r n e h m u n g aktiviert, die uns an Mark R o t h k o denken lässt. D o c h nach einer W e i l e erkennt man die gleichmäßigen vertikalen Segmente beziehungsweise innerbildlichen K a n t e n des Bildes, die den Farbraum geradezu „disziplinieren"

und i m m e r wieder in die Fläche z u r ü c k binden, w o d u r c h eine kontemplative W a h r n e h m u n g v e r u n m ö g l i c h t wird. A u c h diese Bildidee könnte man als ironisch bezeichnen, weil sich die zunächst v o r g e n o m m e n e Identifikation in ihr Gegenteil verkehrt. A l s ironisch sei j e d o c h nicht Richters Verhältnis zur vorhergehenden

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Kunst bezeichnet, sondern die Art und Weise, wie wir im Prozess der Anschau­

ung Erkenntnisse über die abstrakte Malerei gewinnen. Mehr noch, Ironie ist eine der interessantesten Möglichkeiten, uns zugleich mit Irrtum und Erkennt­

nis zu konfrontieren und dafür zu sensibilisieren, wie trügerisch Oberflächen sind und wie schnell unser Sehen mit Identifikationen bei der Hand ist. Irrtum und Erkenntnis sind in Richters Kunst nicht selten zwei Seiten einer Medaille.

Das Sehen ist ebenso intelligibel wie unser Denken sinnlich ist.

Im Wesentlichen lassen sich in Bezug auf die Kunst Gerhard Richters zwei Forschungspositionen unterscheiden, von denen man die eine als politisch-ideo­

logiekritisch erachten könnte, eine Position, die besonders von Benjamin Buch- loh für Richter reklamiert wird. Zum anderen könnte man von einer erkennt- nis- oder wahrnehmungstheoretischen Position sprechen, die vor allem in den Interpretationen von Robert Storr vertreten wird und der ich mich anschließen würde. So ist für mich das wichtigste Leitmotiv die Frage nach dem Verhältnis von Bildlichkeit und Denkbarkeit. Richters Bilder stehen unter dem Anspruch einer Wahrheitsproblematik, sie befinden sich immer schon jenseits formalistischer Probleme und Experimente. Dies gilt ebenso für figürliche wie abstrakte Kunst.

Das aus 625 Farben bestehende Glasfenster aus dem Jahre 1989 mag auch an Ellsworth Kellys Ölgemälde Colors for a Large Wall aus dem Jahre 1951 erinnern, aber es ist zunächst einmal eine Überforderung des Rezipienten.

Es existiert kein System, das im Sinne eines logischen Plans den Zusammen­

hang einzelner Farbsegmente erklären könnte. Immer wieder schauen wir auf dieses Bild, das allerdings immer anders zurückblickt. Je länger man die Arbeit betrachtet, desto deutlicher wird, dass wir in einen unabschließbaren Wahrneh­

mungsakt verwickelt worden sind. Mal wird unser Auge von den roten Flächen angezogen, dann von den grünen. Mal vollzieht sich in der Anschauung eine Aufwärtsbewegung, mal eine Bewegung in der Horizontalen. So zufällig diese Arbeit auch aufgebaut sein mag, so effizient ist ihre Wirkung. Hat man sich ein­

mal auf die Vielfalt des Glasfensters eingelassen, macht man eine Erfahrung der Unbeherrschbarkeit - und dies bei gerade einmal 625 Farben.

Dass es uns überfordert, die Unendlichkeit zu denken, liegt auf der Hand, dass es schon eine begrenzte Menge von Farben vermag, vielleicht nicht. Die Schwierigkeit besteht darin, dass unsere Anschauung permanent dissoziiert wird. Mögen wir uns auch vornehmen, immer nur einen bestimmten Aspekt zur Kenntnis zu nehmen, in der konkreten Anschauung werden wir wieder und wieder durch neue Sensationen abgelenkt.

Man bewältigt dieses Wahrnehmungschaos nur dann, wenn man es als

Bild negiert und als Fenster zur Kenntnis nimmt, um hindurchzuschauen. Dann

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allerdings hat man es mit einer w i l l kü r l i c h e n E i n f ä r b u n g der hinter d e m Fenster befindlichen W i r k l i c h k e i t zu tun, die sich kurioserweise mit unserem H i n a u f ­ oder Herabschreiten der Treppe verändert und in der farbigen W a h r n e h m u n g ihre O b j e k t k o n s t a n z verliert. D i e Pointe dieser Arbeit besteht doch w o h l darin, dass gleich in mehrfacher Hinsicht Identität als problematisch erscheint. W e n n ich weiter entfernt von diesem Fenster stehe, w i e es das Foto nahelegt, dann sehe ich das Fenster als vielteiliges Bild. W e n n ich unmittelbar daran entlang­

gehe, sehe ich kein Fenster mehr, sondern die farbige W i r k l i c h k e i t dahinter. D e r Rezipient befindet sich in einem unaufhebbaren D i l e m m a . Fragt m a n sich, ob ein solches Werk auch eine didaktische A b s i c h t verfolgt, dann doch w o h l im Sinne einer E r m a h n u n g z u r Selbstbescheidung. W e n n schon eine vermeintlich simple A n o r d n u n g von farbigen Gläsern uns derart irritieren kann, u m w i e viel komplizierter m a g es da erst u m unser D e n k e n bestellt sein.

Dieser Z u s a m m e n h a n g von Sehen und D e n k e n ist zentral. A u c h o h n e dass m a n eigens d a r a u f h i n g e w i e s e n werden müsste, fällt sofort auf, w i e sehr unsere D e n k a k t e durch Metaphern aus d e m Bereich des Sehens und des Sichtbaren b e s t i m m t werden. W i r „sehen" oder uns „leuchtet" etwas „ein". O d e r w i r sind im B e g r i f f , etwas z u „reflektieren" oder zu „durchschauen". Etwas erscheint uns noch als z u „ d u n k e l " oder schon als „klar". D i e gebräuchlichsten Erkenntnis­

metaphern, die w i r nutzen, sind A n a l o g i e n , die d e m Bereich des Sehens entstam­

men. D i e s ist insofern problematisch, als w i r den Bildcharakter unserer Sprache gar nicht mehr bemerken. A u s heißen sind längst kalte Metaphern geworden, die wir nicht mehr w a h r n e h m e n . W o r u m es geht, ist daran zu erinnern, w i e sehr unser D e n k e n Bilder gebraucht, u m überhaupt funktionieren z u k ö n n e n , diese aber schleunigst vergessen muss, u m nicht die denkerische Leistung in Frage z u stellen.

Die Arbeit Elf Glasscheiben aus dem Jahre 2 0 0 4 besticht durch ihre G r ö ß e und ihren damit einhergehenden Objektstatus. U n s allen fallt natürlich sofort der B e g r i f f des R e a d y m a d e ein, und vielleicht fühlt m a n sich sogar an D u c h a m p s Großes Glas erinnert. In dem Interview, das Jan T h o r n - P r i k k e r in d e m von d e r G a l e r i e Neue Meister in Dresden herausgegebenen K a t a l o g Gerhard Richter geführt hat, finden sich diesbezüglich einige interessante Passagen.

„ G l a s " , so stellt T h o r n - P r i k k e r hier fest, „ist i m Laufe der Zeit bei Ihnen i m m e r wichtiger geworden. 1967 entstand ihr erstes G l a s o b j e k t , die .Vier Scheiben'.

W o r u m geht es in ihrer A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit Glas? [...] W a s sehen sie im S p i e g e l ? " D a r a u f antwortet Richter: „ M i c h . - aber danach gleich das, dass er w i e ein B i l d funktioniert. Nur perfekter. Und genau wie ein Bild zeigt er etwas, w a s gar nicht da ist, wenigstens nicht da, w o w i r es sehen." A u f die Frage nun, ob

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dann nicht der Spiegel der perfekte Kü n s t l e r wäre, antwortet Richter lakonisch:

„ S o sieht es aus."

M a n schaue sich d a r a u f h i n die Arbeit Elf Glasscheiben genauer an, die 2,92 Meter in der Höhe und 2 Meter in der Breite misst und a u f eigens präparierten H o l z k l ö t z e n steht. Schon die G r ö ß e dieses O b j e k t e s bindet unsere A u f m e r k s a m ­ keit - aber auch die Tatsache, dass sich der R a u m und das Licht, das sich a u f den Glasscheiben spiegelt, mit unserem Standort verändern. Der Status des O b j e k t e s ist ambivalent. G l a s könnte m a n als Negation der Malerei und als V e r w e i g e r u n g von Handschriftlichkeit und künstlerischer Identität verstehen. Zugleich hat Richter eine kuriose B i l d e r m a s c h i n e hergestellt, die ihre Fähigkeit zur Irritation erst dann offenbart, w e n n ich m i c h ihr annähere. D a n n nämlich verändert sich mein Spiegelbild a u f unvorhersehbare Weise. Trete ich näher heran, vervielfältigt sich die äußere K o n t u r m e i n e s Körpers und wird unscharf. Trete ich d a r a u f h i n w i e ­ der z u r ü c k , n e h m e ich m i c h wieder als k o m p a k t e , geschlossene Einheit wahr.

A b e r nicht nur m e i n Spiegelbild bietet unterschiedliche Sensationen, auch das O b j e k t verändert sich mit meiner B e w e g u n g . Befinde ich mich unmittel­

bar davor, so entdecke ich an den Rändern die e l f hintereinander gestapelten Scheiben, die durchsichtig erscheinen. Blicke ich in die Mitte des O b j e k t e s , wird dieses z u m Spiegel und zugleich undurchsichtig. Wollten w i r diese B i l d e r m a ­ schine näher qualifizieren, müssten w i r zunächst die Relativität der mit ihr ein­

hergehenden Erscheinungen hervorheben. D a s eigentliche F a s z i n o s u m besteht in der Einfachheit des O b j e k t e s im Verhältnis z u den unterschiedlichen optischen Sensationen, die es bereithält.

Nichts ist zugleich so banal und so mysteriös w i e Glas. Es verbirgt sich in seiner Durchsichtigkeit. Und w e n n ich durch es hindurchschauen w i l l , stoße ich mir unter U m s t ä n d e n sogar den K o p f daran. Es spiegelt die Welt, w e n n es in einem b e s t i m m t e n E i n f a l l s w i n k e l z u m Licht und den O b j e k t e n steht. G l a s eignet sich als interessante Metapher, und w e n n w i r in die Kunstgeschichte z u ­ rückblicken, bemerken wir, dass Richter beileibe nicht der Erste ist, der sich diesem Material w i d m e t . Schauen w i r uns holländische Stillleben des 17. Jahr­

hunderts an, so k ö n n e n w i r feststellen, dass die Maler ein w a h r e s Vergnügen daran hatten, G l a s o b j e k t e z u malen, da sie vor d u n k l e m Hintergrund dargestellt fast unsichtbar waren und die Künstler deshalb nur die Lichtrefiexe wiederga­

ben, die sich a u f ihrer Oberfläche brechen. In B e z u g a u f das Sehen ist G l a s ein trügerisches Material, weil es i m m e r seine Durchsichtigkeit behauptet und seine verzerrenden W i r k u n g e n demonstriert. Plötzlich, w e n n der Lichteinfall in einem b e s t i m m t e n W i n k e l auf das G l a s fällt, kann es uns blenden und a u f geradezu aggressive W e i s e a u f sich a u f m e r k s a m machen. I n d e m das G l a s Bilder

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hervorbringt, sei es nun im Sinne des Spiegels oder der Durchsicht, m u s s es sich selbst vergessen machen. Es verbirgt sich in den entstehenden Bildern.

U n d so geht es in der A r b e i t Elf Glasscheiben u m nichts Geringeres als das Problem der Sichtbarkeit i m Sinne der unsichtbaren Voraussetzungen unserer W a h r n e h m u n g . M a n d a r f sogar behaupten, die von Richter thematisierte Spie­

g e l f u n k t i o n des G l a s e s könnte auch eine Metapher für unser D e n k e n sein. In d e m W e r k spiegelt sich n ä m l i c h nicht nur der j e w e i l i g e Betrachter, sondern auch der dahinter befindliche R a u m , a u f den ich indirekt hingewiesen werde, zugleich mit m e i n e m eigenen Spiegelbild. W i e der Spiegel i m m e r ein B i l d zeigt, so ist auch das D e n k e n i m m e r e i n D e n k e n v o n „etwas".

W e n n Richter den Spiegel als den besten Maler bezeichnet, so steht er damit in einer alten Tradition, die mit Leonardo da V i n c i ihren Ursprung n i m m t . I m m e r wieder ermahnt der italienische Künstler die j u n g e n Maler, sich a m Spiegel ein Vorbild zu n e h m e n , und preist die Malerei als AbbiIdlichkeit. Illusion sei das Ziel aller K u n s t , Ü b e r e i n s t i m m u n g mit der W i r k l i c h k e i t die Wahrheit der Malerei. Es ist ungewiss, ob Richter an diese wohl berühmteste Definition des Spiegels als Maler dachte, als er T h o r n - P r i k k e r antwortete. D i e Bilder des Spie­

gels j e d e n f a l l s sind abhängig von den O b j e k t e n , die sich davor befinden. A u s sich kann der Spiegel keine Wahrheit garantieren, sondern nur in B e z u g a u f ein Gegenüber, das er wiederholt und doch zugleich transformiert.

In seinem Text Gemischte Gefühle hat Gerhard Storck eine wichtige T a g e ­ buchnotiz v o m 27.1.1983 zitiert, weil sich der Künstler hier ausdrücklich v o n e i n e m falschen F o r m a l i s m u s distanziert und über das Verhältnis von Form und Inhalt nachdenkt: „ K u n s t hat i m m e r i m wesentlichen mit Not, V e r z w e i f l u n g und O h n m a c h t z u tun (ich denke an die K r e u z i g u n g s g e s c h i c h t e v o m M i t t e l ­ alter bis z u G r ü n e w a l d , aber auch an R e n a i s s a n c e - B i l d n i s s e , an M o n d r i a n und Rembrandt oder Donatello und Pollock) - und diesen Inhalt vernachlässigen w i r oft, indem wir die formale, ästhetische Seite zu isoliert wichtig nehmen. D a n n sehen w i r in der Form nicht mehr den Inhalt, sondern die Form als das den Inhalt Fassende und Zusätzliche, w a s sich lohnt z u untersuchen. Dabei hat der Inhalt keine Form, sondern ist Form."2

Unter den Gegenwartskünstlern gibt es wahrscheinlich keinen zweiten, der sich so intensiv mit d e m Spiegel auseinandergesetzt hat. Für das abendländische B i l d d e n k e n spielt dieser von A n f a n g an eine wichtige Rolle, steht er doch auch im Z e n t r u m einer malereikritischen Tradition, die von keinem geringeren als Piaton begründet wurde. Dieser verurteilt in der Politeia alle n a c h a h m e n d e n K ü n s t e , da sie eben nicht an den Ideen teilhätten, sondern nur die ephemere Erscheinungswelt wiedergeben könnten. In diesem Z u s a m m e n h a n g identifiziert

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der Philosoph die n a c h a h m e n d e n Künstler als Lügner und Taschenspieler und denunziert die von ihnen hergestellten Wahrheiten als relativ. Bekanntlich er­

findet er das H ö h l e n g l e i c h n i s , das den Bildern eine fatale Rolle zuweist. Anstatt ihre d u n k l e B e h a u s u n g z u verlassen und das Licht der S o n n e zu schauen, starren die H ö h l e n b e w o h n e r a u f die trügerischen Schattenbilder an der H ö h l e n w a n d und halten diese für die einzige Wirklichkeit. D i e s ist eine grandiose Metapher, weil es eben m e h r als nur eine erkenntnistheoretische Hilfestellung darstellt. Es ist die G e b u r t der Ideologiekritik: D i e M e n s c h e n halten die projizierten Bilder für die W i r k l i c h k e i t u n d verkennen ihre Situation. N o c h Susan Sontag hat ihre kritische A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit der Fotografie mit In Plato's Cave bezeichnet.

Gerhard Richter v e r m a g uns vielleicht nicht aus der Höhle herauszuführen, doch n i m m t er uns den naiven Glauben an die Wahrheit der medialen Spie­

gelungen im Höhleninneren der gesellschaftlichen Welt. U n d auch w e n n m a n dies nicht als heroische Befreiungstat, sondern eher als A k t skeptischer Ironie verstehen m u s s , so ist dies doch A u f k l ä r u n g in Bildern.

Jürgen Müller ist Professor für Kunstgeschichte an der Technischen Universität Dresden.

1. Gerhard Richter: „Notizen 1989", in: Gerhard Richter: Text. Schriften und Interviews, hrsg. von Hans Ulrich Obrist, Frankfurt am Main/Leipzig 1993, S. 167.

2. Gerhard Richter: „Notizen 1983", in: Text 1993 (siehe A n m . 1). S. 95.

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