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Archiv "Gynäkologie und Nationalsozialismus: Verleugnung, Verdrängung, Verharmlosung" (26.11.1993)

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POLITIK TAGUNGSBERICHT

Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Geburtshilfe und Gynäkologie

Ende Februar fand im Berliner Klinikum CharitO die 22. Jah- restagung der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Geburtshilfe und Gynäkologie statt. Einen Schwerpunkt der Veranstaltung stellte die Auseinandersetzung mit der Verstrik- kung von Frauenärzten mit der nationalsozialistischen Dikta- tur dar. Damit sollte versucht werden, einen Beitrag zur bis- lang unzureichenden Aufarbeitung dieses Themas zu leisten.

Gynäkologie und

Nationalsozialismus:

Verleugnung, Verdrängung, Verharmlosung

N

ficht Schuldzuweisung an den einzelnen, sondern exempla- rische Darstellung des Ver- haltens einer bestimmten Berufsgruppe deutscher Ärzte, der Gynäkologen, war Inhalt des Vortra- ges von Rolf Winau, Berlin. Eröff- nungsreden der Vorsitzenden der Gynäkologenkongresse während des Nationalsozialismus dienten als Bei- spiele der Verstrickung deutscher Gynäkologen. Ein so prominenter Vertreter seines Fachs wie Walter Stoeckel beispielsweise hielt Hitler

„für einen Mann, dessen Vaterlands- liebe von ungeheurem Idealismus und bestem Willen getragen wurde".

Den reibungslosen Ablauf des von ihm geleiteten Kongresses im Jahr 1933 garantierte auch der „freiwilli- ge" Rücktritt zweier (nach Stoeckel selbst) „sehr angesehener" jüdischer Vorstandsmitglieder. Aber auch das Auditorium zollte, so berichtete Wi- nau, dem Gynäkologen Zustimmung zu seinen Feststellungen über die notwendige stählerne Härte der Füh- rung: „Sie zerbricht rücksichtslos das staatlich nicht Gewollte und sie geht mit festem Blick auf Deutschlands national-völkische Gestaltung schick- salhaft über Einzelschicksale hin- weg." „Schwer getroffene", „hochge- schätzte" Kollegen werden bedauert, aber, so heißt es in der Eröffnungsre- de Stoeckels: „Wir können ihr Ge- schick nicht wenden, sie sind die Op- fer einer Härte geworden, die für die Gesundung des deutschen Volkes notwendig geworden war." Winau sieht in Stoeckel (ähnlich wie in Sau- erbruch) den „kalkulierenden Befür- worter", der durch Mitmachen Schlimmeres verhindern wollte.

Anders der Vorsitzende des nächsten Kongresses, August Mayer,

der als begeisterter Anhänger des Nationalsozialismus bereits 1935 eine judenfreie Tagung konstatieren und

„unserem Führer" zurufen konnte:

„Hier stehen wir, wenn man uns braucht, wir sind bereit." Von ihm stammt auch das Wort vom „Helden- tod auf dem Schlachtfeld der Fort- pflanzung". Denn ab einem gewissen Zeitpunkt wurde nicht mehr darüber diskutiert, ob eine (Zwangs-)Sterili- sation durchgeführt werden dürfe, sondern welches die effektivsten Me- thoden dafür seien (worüber mehr als 80 Dissertationen an deutschen Universitäten geschrieben wurden!).

Partiellen Widerstand äußerte Mayer allerdings gegen die Propagierung der Hausgeburt und die Aufwertung der Hebamme (auch als Vermittlerin nationalsozialistischer Ideologie) ge- genüber dem Geburtshelfer.

Unzureichende Aufarbeitung

Daß wissenschaftlicher Drang über ethische Bedenken triumphie- ren konnte, zeigte Winau am Beispiel der Untersuchungen des Anatomen Hermann Stieve an jungen weibli- chen Gefangenen vor und nach de- ren Hinrichtung in den Jahren 1942 und 1943. Der — ebenfalls wissen- schaftlich ausgewiesene — Carl Clau- berg führte unmenschliche Versuche zur massenhaften Sterilisation weib- licher KZ-Häftlinge durch Verätzung der Tuben mittels Formalin durch und berichtete davon stolz dem

„Reichsführer SS".

Das Fazit Winaus zu der Ver- strickung von Gynäkologie und Na- tionalsozialismus lautete: „Offizielle Zustimmung zu den Zielen der Na-

tionalsozialisten, wenig öffentlicher Widerstand und Wissenschaftler, die sich mehr oder weniger schuldig ge- macht haben — eine Situation, nicht wesentlich unterschieden von der in anderen medizinischen Fächern."

Auch Manfred Stauber, Mün- chen, bekannte sich zur „Verur- teilungsabstinenz". Unzureichende Aufarbeitung und Verleugnung, Ver- drängung, Unterdrückung und Ver- harmlosung stellte er in der Universi- tätsfrauenklinik München und bei seiner Befragung der Direktoren deutscher Universitätsfrauenkliniken in West und Ost fest. In etwa der Hälfte dieser Kliniken seien inhuma- ne Praktiken zwischen 1933 und 1945 bekannt. Acht Klinikdirektoren aus dieser Zeit seien als im nationalsozia- listischen Sinne besonders aktiv zu bezeichnen, kein Arzt sei dort durch Widerstand besonders bekannt ge- worden.

Nach Angaben verschieder Au- toren erfolgten zirka 300 000 Zwangssterilisationen, davon zirka 5 000 mit Todesfolge, rund 100 000 wurden durch medizinische Versu- che gefoltert und getötet. Dabei sei das „Gesetz zur Verhütung erbkran- ken Nachwuchses" nicht selten über- interpretiert worden. Schon für im Gesetz genannte Diagnosen hätte die Erblichkeit nicht nachgewiesen wer- den können. In der Universitätsfrau- enklinik München erfolgte aber in zirka 16 Prozent die Zwangssterilisa- tion überhaupt ohne Angabe einer genauen Diagnose, hier wie in Ham- burg bis zur 28. Woche.

Die Tagungsteilnehmer wiesen darauf hin, daß, abgesehen von den Nürnberger Ärzteprozessen, der weitaus größte Teil betroffener Ärzte ohne Bestrafung davonkam. Prof.

Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 47, 26. November 1993 (27) A1-3119

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POLITIK

TAGUNGSBERICHT / BLICK INS AUSLAND

Eymer, seinerzeit Direktor der I.

Universitätsfrauenklinik München, verfaßte seinerzeit einen wissen- schaftlichen Begleitartikel zum oben genannten Gesetz und vertrat — wie ein Schriftwechsel mit dem Reichsin- nenministerium beweist — auch sonst völlig die Rassenideologie der Natio- nalsozialisten. Durch Gerichtsbe- schluß wurde er nach Kriegsende le- diglich für zwei Jahre seiner universi- tären Ämter enthoben, danach war er bis 1954 wieder in seiner Funktion tätig. Seine nationalsozialistische Vergangenheit verhinderte nicht sei- ne Ehrenmitgliedschaft in der Baye-

Handel mit Blut

Von den rund 22 000 Blutern in den zwölf Ländern der Europäischen Gemeinschaft sind heute 5 000 HIV- infiziert, weil sie mit kontaminierten Blutkonserven behandelt wurden. In mehreren Ländern, darunter in der Bundesrepublik und in Frankreich, sind bereits mehrere hundert Bluter an den Folgen von AIDS gestorben.

Alarmierende Zahlen über die Infek- tionen von Blutern nannte die italie- nische Abgeordnete Adriana Ceci vor dem Europa-Parlament in Straß- burg. Einig waren sich die EG-Volks- vertreter in einem: Die Kontrolle der Blutkonserven und -derivate muß er- heblich verstärkt werden.

Zwar gibt es bereits seit Juli 1989 eine entsprechende Richtlinie der EG, die auf eine Harmonisierung der Herstellung und des Handels mit menschlichem Blut oder Blutplasma abzielt. Danach müssen die zwölf Mitgliedstaaten durch wirksame Qualitätskontrollen sicherstellen, daß Arzneimittel aus Blut oder Plas- ma keine „pathogenen Viren, die übertragen werden können" enthal- ten. Die Spender und Spendezentren müßten immer „eindeutig festgestellt werden können", heißt es in der Richtlinie weiter. Dies müsse auch für den Import von Blut und Plasma

rischen und der Deutschen Gesell- schaft für Gynäkologie und Geburts- hilfe (deren Präsident er sogar wur- de) und seine Auszeichnung mit dem Großen Bundesverdienstkreuz. Stau- ber nennt dies als Beispiel der Wah- rung der Kontinuität — nicht der Fortsetzung der inhumanen Prakti- ken, aber der Übernahme bestimm- ter Wertvorstellungen. „Die Erinne- rungsarbeit könnte uns empfindlich stimmen für die eigenen Schattensei- ten . ." Denn „die Gnade der späten Geburt" gebe nicht für alle Zeit eine Garantie, daß sich Ähnliches nicht wiederhole. Dr. Gerhard di Pol

gelten. Doch bisher wird diese Richt- linie, so die Erkenntnis des Europa- Parlaments, bei weitem noch nicht in allen zwölf Mitgliedsländern ange- wandt. Somit werde in der EG nach wie vor mit Bluterzeugnissen unbe- kannter Herkunft gehandelt, was für die Patienten ein erhebliches Risiko bedeute, kritisierten die Abgeordne- ten. Außerdem würden die in der EG verwendeten Derivate weitgehend aus Plasma erzeugt, das von Spen- dern aus Drittländern stammt. Die Hersteller müßten endlich EG-weit verpflichtet werden, genaue Anga- ben über Herkunft und Art der Blu- tentnahme zu machen, lautet daher die Hauptforderung des EG-Parla- ments. Empfehlungen zur Bluttrans- fusion hat auch der in Straßburg an- sässige Europarat erarbeitet. Der Länderbund appelliert an seine 31 Mitgliedsstaaten, auf eine weiterrei- chende Selbstversorgung hinzuarbei- ten. Ziel müsse es sein, daß jedes Land, wenn möglich sogar jede Regi- on den Eigenbedarf an Blut deckt und auf Importe verzichtet, die oft unzureichend kontrolliert seien. Ei- nem Bericht des Europarats zufolge fehlen derzeit in Europa jährlich rund drei Millionen Liter Blutplas- ma. Dieses Defizit werde durch Im-

porte ausgeglichen, auch aus Län- dern der Dritten Welt und aus Ost- europa. Hauptimporteure seien die Bundesrepublik, Spanien, Italien und Österreich, heißt es in der vom Leiter der niederländischen Blutspendezen- trale, Pim van Aken, erstellten Stu- die. Das in Drittländern gegen Be- zahlung eingesammelte Blut werde von privaten Firmen — etwa in den USA, Deutschland oder Österreich

— vermarktet und dann wieder ex- portiert. Dieser internationale Han- del mit Blut könne, so warnt van Aken, dazu führen, daß neue Infekti- onskrankheiten nach Europa impor- tiert werden.

Ferner spricht sich der Europa- rat — aus „ethischen und medizini- schen Gründen" — grundsätzlich ge- gen bezahlte Blutspenden aus, wie sie beispielsweise in der Bundesrepu- blik üblich sind. Dieser Auffassung hat sich nun auch das Parlament der EG angeschlossen. Der moralische Grundsatz der Unveräußerlichkeit und das Verbot der Vermarktung des menschlichen Körpers zu Profitzwek- ken müsse auch für die Bluttransfusi- on gelten, stellten die Abgeordneten in einer Resolution fest. Entgeltliche Spenden seien auch wegen des er- höhten Transfusionsrisikos abzuleh- nen.

Kritische Lage in Mittel- und Osteuropa Besonders kritisch ist die Ver- sorgung mit Blutprodukten in Mittel- und Osteuropa, betonte Hans-Jörg Heiniger, Leiter der Blutspendezen- trale des Schweizer Roten Kreuzes.

In diesen Ländern gebe es bisher praktisch noch kein Blutspendenetz, so daß die Gesundheitsbehörden weitgehend auf Importe angewiesen seien. Gleichzeitig heuerten in eini- gen Ländern, beispielsweise in Polen, westliche Firmen bezahlte Blutspen- der an, deren Blut dann exportiert werde. „Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage, in der sich dort viele Leute befinden, könnte sich da rasch ein lukrativer Handel entwickeln", betonte Heiniger. Auch bestehe hier die Gefahr, daß das ge- sammelte Blut nicht ausreichend kontrolliert werde. Elisabeth Braun

Hersteller sollen zu genauen Angaben verpflichtet werden

A1 -3120 (28) Deutsches Ärzteblatt 90, Heft 47, 26. November 1993

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