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Archiv "THEODIZEE: Falsch gestellte Frage" (08.02.1990)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

SERBRIEFE

THEODIZEE

Zu dem Beitrag „Der Arzt und die Theodizee" von Professor Dr.

med. Dr. h. c. Rudolf Gross in Heft 51/52/1989:

Große Hoffnung

Es gereicht dem Ärzte- blatt zur Ehre, gelegentlich auch philosophische bezie- hungsweise religiöse Themen anzusprechen. Es ist richtig, daß der Arzt sich selbst die Frage stellt, weshalb Gott of- fenbar überhaupt nicht aktiv zur Verhinderung himmel- schreiender Ereignisse ein- greift.

Bei allen divergierenden Vorstellungen über das We- sen Gottes muß nach sorgfäl- tiger Betrachtung unserer Welt außer Zweifel stehen:

Es gibt einen allmächtigen Schöpfer des Kosmos, und diese Welt besteht nach sei- nen für immer gültigen Ge- setzen. Diese strenge Gesetz- mäßigkeit findet ihren Aus- druck in der Evolution, die nicht, wie von Darwin be- hauptet, eine Folge von Zu- fallsmutationen ist, sondern der Ausdruck einer Omnipo- tenz, die schon im Genom des ersten organischen Lebewe- sens angelegt ist. Dieses Ge- nom beinhaltet die Fähigkeit für eine Unzahl von Erbände- rungen und Selektionsvorgän- gen durch Anpassung an die Umweltbedingungen. Auch mathematisch läßt sich die These der Selektion als Folge von Zufallsmutationen ad ab- surdum führen: Die wenigen Milliarden Jahre der Existenz unseres Planeten hätten nie ausgereicht, um die Entste- hung höherer Lebewesen aus den primitiven Strukturen der Urlebewesen durch Zufalls- mutationen zu ermöglichen.

Gerade die von Gott ge- schaffenen ewig gültigen Ge- setze aber erlauben es dem Schöpfer nicht, von diesen Regeln abzuweichen, willkür- lich und ausnahmsweise zum Guten oder Schlechten einzu- greifen, würde er doch damit sich selbst untreu und un- glaubwürdig werden. Folge- richtig kann daher das Gebet um Hilfe oder Genesung kei-

ne Reaktion bei Gott hervor- rufen. Allerdings ist unbe- streitbar, daß die autosugge- stive Kraft des Gebetes eige- ne Kräfte mobilisiert und Lei- den erträglicher machen kann. Ebenso erzeugt jede re- ligiöse Tätigkeit des Geistes einen Zustand der Harmonie durch die Bereitschaft, den positiven Willen Gottes zu er- kennen und seine Botschaft zu hören.

Die Fähigkeit, solche Bot- schaften zu hören, haben zahlreiche maßgebende Men- schen entwickelt (Sokrates, Jesus Christus, Buddha und vielleicht auch Gorba- tschow?). Daß auch heute noch so viele Menschen auf diese Weise ansprechbar sind, bedeutet die große Hoffnung auf die Fortexi- stenz der Menschheit.

Dr. med. K. Büsscher, Rathausstraße 12, 2054 Geesthacht/Elbe

Freude am Guten verstärkt

Zur Frage, wie kann ein ebenso allmächtiger wie all- gütiger Gott zulassen, daß wir Mord und Folter fast täglich erleben, möchte ich nur dar- auf hinweisen, daß alle Lebe- wesen nur durch den Tod an- derer, der oft mit Schmerzen und Qualen verbunden ist, die notwendige Nahrung er- halten. Für große Raubtiere und Menschenfresser kom- men auch wir in Frage.

Auch der Tod, den Jesus erlitten hat, bringt Vorteile.

Laut Bibel ist dadurch jeder- mann von Gott angenommen, von jedem Menschen sind da- durch alle Versündigungen und Verschuldungen wegge- nommen, die er gegen den heiligen Gott auf sich geladen hat. Das hat Jesus mit seinem Kreuztod vollbracht. Jetzt können alle der Barmherzig- keit Gottes gewiß sein, die Je- sus für sein blutiges Sterben danken und es in ihrem gan- zen Leben mit ihm halten wollen.

Zur Frage, warum das Bö- se weiterhin besteht, möchte ich meinen, daß es die Freude

am Guten verstärkt. Wir sind gewohnt, in Freiheit zu leben, und empfinden nichts Beson- deres dabei. Wie unglaublich groß und überschäumend war aber die Begeisterung unse- rer Landsleute aus der DDR darüber, die lange Zeit Un- freiheit ertragen mußten.

Wenn wir Schlechtes, Haß, Kälte, Trauer, Feindschaft oder Krankheit erlebt haben, freuen wir uns um so intensi- ver, wenn wir mal das Gegen- teil kennenlernen. Durch das Böse wird das Gute aufgewer- tet! Die Hölle verstärkt den Wunsch und die Bemühun- gen, in den Himmel zu kom- men.

Dr. med. Karl Wana, Vord. Kirchberg 13/1, 7080 Aalen-Unterkochen

Falsch gestellte Frage

. . . Theodizee — Rechtfer- tigung Gottes laut Lexikon (dies als Nachtrag zum ersten Absatz). Was wollen Sie da für Recht fertigen? Was für ein Recht ist da denn zu ferti- gen? Daß es so, wie es ist, recht ist — oder daß es so, wie es geschieht, dem Recht ent- spricht? Und dann: welchem Recht?

In dem Beitrag ist die Fra- ge der Theodizee falsch ge- stellt! Aber sie ist typisch menschlich gestellt, thoma- sisch . . . Sie fragen wie derje- nige, der den Rhein von Basel nach Amsterdam fließen sieht und frägt, ob das real so ist, einfacher gesagt: ob das so stimmt Es ist nun wirklich so, und es ist sogar real so!

„Nichts spricht dafür, daß es in absehbarer Zeit eine po- sitive Erklärung einer Theo- dizee geben wird" sagen Sie und demonstrieren mit dieser Aussage lediglich Ihre eigene Unfähigkeit der Ein-Sicht durch die Tatsache, daß es Ihnen offenbar unmöglich ist zu begreifen, daß Dinge, die schon so sind, wie sie sind, nicht bewiesen werden müs- sen, sondern lediglich be- greiflich gemacht werden können, und das wiederum nur demjenigen, der sie nicht so hinnehmen kann, wie sie

sind und der sie einsichtig ge- macht haben möchte (unter- stellt, er möchte es tatsächlich begreifen, und nicht nur dar- über deklamiert, er wolle es).

Es handelt sich eigentlich also gar nicht um Theodizee, son- dem um Anthropodizee!

Wenn Sie von einem Got- tesbegriff eines alten Mannes mit weißem Bart und allen Fäden dieser Welt in seinen Händen ablassen könnten, wäre Ihr Beitrag so nicht er- schienen, denn dann bestün- de Ihr Problem nicht. Hätten Sie diesen unreifen Gottesbe- griff abgelegt, spürten Sie nämlich anstelle dessen zum Beispiel aus dem Wissen(!) um die Bewegung der Elek- tronen auch im letzten Staub- korn, im letzten Atom, die Nähe jener Energie, die eben dieses Bewegen der Elektro- nen bewirkte und bis dato be- wirkt als Energie in allem, und Sie hätten einen „Be- griff" (gedanklich, gefühlsmä- ßig) von dem, was Gott ist, und Sie wüßten sogar, daß die Mißachtung und Demutlosig- keit vor dieser Kraft eben das bewirkt, was Sie und alle glei- chen Denker vor Ihnen und um sie herum, die Ihre Schwierigkeiten mit dieser Kraft haben, das Problem der Theodizee erst hervorruft (nämlich als das Nein, oder zumindest die Infragestellung dieser Kraft).

Es ist die Anthropodizee, daß der areligiöse, das heißt seiner Rückbindung entfrem- dete Mensch irr-sinniger-wei- se der Erfüllung eines Wun- sches nach Erklärung des Vorhanden-Seins von Vor- handenem sucht und dabei das „Problem der Theodizee"

erst in die Welt setzt in der Verleugnung oder im Unwis- sen oder im Unglauben an diese real und wirklich exi- stierende Kraft — auch im letzten Atom Ihrer Persön- lichkeit selbst!

Die Baustruktur der Welt ist und bleibt polar, und der Auftrag an die Welt ist: zu werden. Die Physik hat die Gesetze dieser Welt nachge- wiesen (Pythagoras, die Nichtexistenz einer Linie, Einstein, die Unschärferela- A-342 (6) Dt. Ärztebl. 87, Heft 6, 8. Februar 1990

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tion usw.), es dreht sich nur darum, dieses Wissen von al- lem in allem in polarer Rea- lität endlich zu akzeptieren und damit das Prinzip der

„erst-Bewirkung, dann-Ursa- che" in sauberer gedanklicher Einordnung zu realisieren.

Dann ist zu erkennen, daß es einer Theodizee nicht bedarf und die Anthropodizee Ihr Problem, sehr verehrter Herr Professor Gross, erst bewirk- te. Denn niemand zwingt den Menschen, das Unrechte zu tun! Tut er das Rechte, läßt er das Böse und bewirkt es nicht!

Dr. Richard Barabasch, Friedenstraße 26, 7533 Mug- gensturm

Nüchtern und sachlich

Es drängt mich, dem Philosophen unter den deut- schen Arzten, Rudolf Gross, meinen Dank für seine in ge- wissen Zeitabständen er- scheinenden philosophischen Essays abzustatten. Der Reiz dieser Beiträge liegt unter an- derem darin, daß Gross nicht moralisiert, sondern nüchtern und sachlich auf gewisse Pro- bleme hinweist und sie in Be- ziehung setzt zu medizini- schen oder ärztlichen Fragen.

So gewinnen sie an Legitimi- tät und Gewicht in „unserem"

Blatt. Aussage und Diktion sind kurz und präzis und zwingen zu konzentrierter Lektüre und weiterer Be- schäftigung mit der Materie.

Diese, den Autor betref- fenden, Gedanken hätte ich ihm selbst mitteilen können.

Es liegt mir aber daran, den Lesern eine Argumentation von David Hume über Gott und das Böse in der Welt nicht vorzuenthalten. Gross erwähnt ja, daß sich überra- schenderweise die englischen Empiristen mit Fragen der Theodizee befaßt haben (warum denn „überraschen- derweise"? Ich meine, gerade sie hätten Grund dazu ge- habt). Paul Davies („Gott und die moderne Physik".

Deutsch, München 1986) faßt Humes „wahrhaft vernichten- des Argument" wie folgt zu-

sammen: „Sofern das Böse in der Welt zu Gottes Plan ge- hört, ist er nicht gut, läuft es aber seinem Plan zuwider, ist er nicht allmächtig. Er kann nicht (wie die meisten Reli- gionen behaupten) zugleich allmächtig und gut sein" (Hu- me, D., Essays Concerning Natural Religion, Hafner 1969, Teil X und XI. — Nach Paul Davies — Verf.). Der

„Fromme" (Lübbe, Gross) hat es zumindest leichter als der Agnostiker, mit dem Pro- blem fertigzuwerden.

Es soll hier auch kein per- sönliches Credo dargelegt, sondern eher darauf hinge- wiesen werden, daß die Frage nach Gott und dem Sinn des Lebens zwar gestellt werden darf, aber nicht „für alle überzeugend und abschlie- ßend" beantwortet werden kann. Gross hat zweifellos recht, wenn er erkennt, daß in Fragen der Theodizee kein weiter Weg zum Existenzialis- mus ist. Letztlich muß jeder selber sehen, wie er mit sei- nen Problemen fertig wird.

Der Arzt aber ist gehalten, therapeutisch — in diesen Dingen — weniger die eigenen Ansichten und Überzeugun- gen als die des Patienten zu berücksichtigen. Andernfalls mißversteht er seinen Auf- trag.

Dr. med. Hugo Schneider, Hanweilerstraße 46, 7054 Korb i. R.

Ergänzung

Ich möchte die Leser des Deutschen Ärzteblattes auf ein kleines Buch aufmerksam machen, das von A. R. Bo- denheimer herausgegeben wurde: „Freud's Gegenwär- tigkeit", Reclam 1989.

In diesem Buch finden sich sehr klärende Essays von Autoren aus unterschied- lichen Disziplinen zu diesem Thema.

D Traugott Koch (evang.

Theol.): „Freud's Entdek- kung und ihre Bedeutung für die gegenwärtige Theologie".

> Christof Schulte (Phi- losophie, Judaistik, Theologie und Publizistik): „An Infidel

jew — Bemerkungen zu Freud's Psychoanalyse der Religion."

R. Lempp (em. Ord.

der Kinder- und Jugend- psychiatrie aus Tübingen):

„Der Odipuskomplex nach 90 Jahren".

Der Vorteil dieses Buches:

Es oktroyiert keine definiti- ven Aussagen, sondern es gibt Hinweise, die diesem existen- tiellen Thema gemäß sind.

Prof. Dr. med. E. Petzold, Klinikum der Universität Hei- delberg, Bergheimer Straße 58, 6900 Heidelberg 1

Homer lesen

Ihren Beitrag habe ich mit großem Interesse gelesen.

Schon als junger Student ha- be ich die Theodizee als für mitfühlende Menschen sehr entscheidendes Argument empfunden, das für einen agnostischen Atheismus spricht.

Interessanterweise lernten wir die Theodizee als Schüler eines humanistischen Gymna- siums erstmals bei Homer kennen. Wir mußten damals die ersten 95 Verse der Odys- see auswendig lernen. Ich nehme an, daß Sie irgendwo den Original-Text der Odys- see oder eine Übersetzung besitzen. Schauen Sie doch einmal den Ersten Gesang, Zeile 32 folgende an. In der Übersetzung von Wolfgang Schadewaldt heißt es: „Nein!

wie die Sterblichen doch die Götter beschulden! Denn von uns her, sagen sie, sei das Schlimme! und schaffen doch auch selbst durch eigene Fre- veltaten, über ihr Teil hinaus, sich Schmerzen! . ."

Eine Frage, die Sie in Ih- rem Artikel nicht erwähnt ha- ben, hat meines Wissens die Alt-Philologen entzweit: Wie kommen Gedanken der Theodizee in den ersten Teil der Odyssee? Es scheint sich ja um Gedanken zu handeln, die nicht zu einem Dichter Homer passen.

Mit anderen Worten: Die Frage der Theodizee hat nicht nur für den Arzt Inter- esse. Sollte Ihnen Homer in

diesem Zusammenhang noch nicht aufgefallen sein oder in Vergessenheit geraten sein:

Lesen Sie doch mal wieder Homer!

Dr. med. Peter-Jürgen Hänisch, Max-Eyth-Straße 24, 1000 Berlin 33

Freiheit

der Unterscheidung

Das Böse wird von Gott nicht zugelassen, sondern ist Ausdruck der Erkenntnis. Er- kennen heißt: Unterscheiden.

Unterscheidung und Verbin- dung sind die Urphänomene des Weltalls. Das gilt nicht nur für die Planeten, sondern auch für den Menschen. Was gut ist, entscheidet die Welt- anschauung. Die Weltan- schauung wird durch Macht gestützt.

Während Macht die Po- tenzierung der Unterschei- dung von Gut und Böse be- wirkt, ist die Liebe die Ver- bindung. Der Liebende ist da- her kein Objekt der Macht- ausübung, der Liebende ist nie böse.

Gott ist der Allmächtige, der Allgütige, der das Böse zugelassen hat, als er nicht verhinderte, daß vom Baume der Erkenntnis gegessen wur- de. Er hat dem Menschen da- mit die Freiheit der Unter- scheidung gegeben und gleichzeitig die Hoffnung auf die Liebe, auf die Verbin- dung. Was daraus in dieser Welt resultierte, ist ein Paral- lelogramm der Kräfte. Sicher ist, daß der Liebende der Stärkere ist, weil er zum Ur- zustand des Paradieses hin tendiert, auch dann, wenn er auf seinem Weg scheitert und als Märtyrer sein Leben ver- liert.

Diese Grundeinstellung bestimmt auch mein ärzt- liches Handeln, das sich ja auf die Unterbrechung von circuli vitiosi und die Anregung von circuli benigni spezialisiert.

Hier wird nur unterschieden, was sich gegenseitig zum Un- tergang des reagierenden Sub- strats steigert, beziehungswei- se die Wiederherstellung för- dert (circulus benignus). Die- A-344 (8) Dt. Ärztebl. 87, Heft 6, 8. Februar 1990

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