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Archiv "Mit der Droge leben" (28.05.1981)

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Academic year: 2022

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen THEMEN DER ZEIT

M

ein Thema: Methadon für lang- jährig Drogenabhängige? Mei- ne (Wunsch-)Vorstellung: eine Art

„Geheimabkommen" unter den Ärz- ten, den „Junkies", die niemals mehr im Leben die Droge aus dem Kopf bekommen werden, bei Bedarf Methadon, hierzulande als L Polami- don C bezeichnet, ausschreiben zu dürfen. Mit einem solchen „Geheim- abkommen" kann niemand L miß- brauchen, denn kein „Junkie" wüßte davon, und wem das Glück zuteil wird, der wird sich hüten, etwas da- von verlauten zu lassen.

Man kann einen Junkie (Drogenab- hängigen) nicht mit einem Alki (Al- koholiker) vergleichen. 0. k. — der darf auch niemals mehr ein Glas trinken; aber ich glaube, ihnen fällt es auf Dauer leichter, damit fertig zu werden.

Alkohol ist etwas Schweres, Trübes, das umnebelt, Hemmungen nimmt, den Menschen verändert. Nachher braucht er es, um nicht verändert zu sein, sondern normal. Im letzten Punkt sind Junkies und Alkis sich gleich.

Junk ist etwas Leichtes, Klares, an- fangs Euphorisierendes, doch nur in einigen Fällen den Menschen verän- dernd. In den ersten Jahren der Ab- hängigkeit bist du nicht mehr du selbst, du glaubst es aber; und das bißchen, was du noch bist — viel Kör- per und Droge und wenig Persön- lichkeit — kann nur sein mit der Dro- ge und dafür tust du alles. Alles Un- bedingt entfernt von allen menschli- chen Werten wie Gut und Böse.

Doch nach einigen Jahren, die Ge- fängnis, Nachdenken, Reiferwer- den, Zwangsaufenthalte, Entzüge, (Schmerzen, Schmerzen, Schmer- zen) und seelisches Leid, Selbst- mordversuche (viele glücken, viele nicht und sind dennoch Selbstmor- de, denn nach jedem Tod bist du, wenn du intelligent bist, ein wenig weiter), verliert die Droge diese Macht. Das Menschliche, deine Per- sönlichkeit ist da — und lebt mit der Droge. Aber du tust nicht mehr alles für sie. Lieber ein paarmal mehr Ent- zug, was soll's.

Wenn du dich zum Leben entschlos- sen hast, wie ich vor genau 14 Mona- ten, in jener Nacht saß ich nach zwei Tagen stillen Abschiednehmens von allem, Stunden vor der tödlichen Do- sis und wußte auf einmal, daß ich leben will, und seitdem gibt es die- ses Selbstzerstörerische nicht mehr

Mit der Droge leben

Die Verfasserin, Mitte Zwan- zig, seit über zwölf Jahren drogenabhängig, macht der- zeit im europäischen Ausland den Versuch, Heroin durch Methadon zu ersetzen. Die Re- daktion veröffentlicht ihren Text, um auch einmal eine Auffassung von seiten einer Betroffenen zu dokumentie- ren. Die Veröffentlichung be- deutet keine Stellungnahme der Redaktion zugunsten der Methadon-Therapie. Diese ist bekanntlich wissenschaftlich umstritten und in der Bundes- republik Deutschland im Un- terschied zu einigen anderen westlichen Ländern mit einem strafrechtlichen Risiko ver- bunden. NJ

in meinem Tun — wenn du dich also zum Leben entschlossen hast, wirst du nach all diesen Höhen und Tiefen wieder Mensch, versuchst aufzuhö- ren, unterläßt es, Freunde zu verra- ten, Eltern zu verraten, zu lügen.

Man glaubt dir zwar nicht mehr, aber es ist egal, weil du um dich selbst weißt. Mit der Zeit sehen es auch die anderen — du bist kein Fixer mehr, sondern ein Mensch der mitder Dro- ge lebt (immer, auch wenn er sie Monate nicht nimmt) und nicht mehr unter der Droge.

Dann kommt sie wieder, die Sehn- sucht, in Träumen, nachts und tags, und es gibt keine Alternative, denn die Sehnsucht ist da. Immer wieder.

Sie ist ein Schmerz, du kennst alles, das Glück und die Trauer. Du weißt, du lebst intensiver ohne Droge, und doch kommt da diese alles zerfres- sende Sehnsucht nach dem Schuß wieder — diese Liebe, die du haßt (ich hasse sie nicht mehr, ich hasse das System, das mich dazu ver- dammt, dann kriminell zu werden, weil ich keine Sehnsucht nach Alko- hol oder sonst was verspüre, son- dern danach). Du mußt wieder auf den Schwarzmarkt, um Heroin zu kaufen.

Nach all den Jahren hat dein Körper nach zwei Schüssen wieder Ent- zugssymptome, egal, wie lange du aufgehört hast. Wenn du statt des- sen zum Arzt gehen könntest, dir Polamidon holen könntest, vielleicht einen Monat lang, vielleicht weniger lang — bis du seiner wieder über- drüssig bist, die Sehnsucht wegge- schossen ist und du wieder Monate leben kannst ohne alles (bis zum nächsten . ..), dann wäre alles gut.

So rutschst du jedesmal ab in die Kriminalität, bekommst wieder Ver- folgungswahn und verlierst Stellun- gen, Wohnungen. Alles nur, weil das Gesetz nichts von dieser Sehnsucht wissen will (die nun mal immer da- sein wird), das Gesetz den Ärzten, die doch oft jahrelang einen Junkie betreuen, nicht zutraut, selbst zu be- urteilen, wann jemand soweit ist, daß man ihn weder mit Knast noch Therapie noch sonstwas heilen kann, weil er längst MIT der Droge lebt und nun mal zeitweilig nicht an- ders KANN. Solange also das Gesetz dem Arzt nicht erlaubt, nach eige- nem Urteil Polamidon zu verschrei- ben, um nicht das sozial Aufgebau- te, das Geschaffene des Menschen- Junkie wieder zu zerstören — solan- ge wird es immer Selbstmorde ge- ben von verzweifelten, in die Krimi- nalität gejagten Junkies geben, die an dem Nichtverstehen der Gesell- schaft scheitern, die unter anderen Umständen ordentliche, hinge- bungsvolle Arbeiter und Staatsbür- ger und Mitmenschen wären.

Isabella Michels DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 22 vom 28. Mai 1981 1111

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