• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "„Mikropille„ und das Risiko für Herzinfarkt und venöse Thromboembolien" (12.04.1996)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "„Mikropille„ und das Risiko für Herzinfarkt und venöse Thromboembolien" (12.04.1996)"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

F

ür die verschiedenen Formen der diabetischen Nervenkrank- heiten sind in unterschiedli- chem Maße metabolische, vas- kuläre und mechanische Faktoren be- deutsam. Insbesondere die Mononeuro- und Radikulopa- thien haben bei Diabetikern ihr eigenes Gepräge. Ihre Pa- thogenese kann mechanische Faktoren (zum Beispiel Kar- paltunnel-Syndrom), aber auch vaskuläre Störungen des Hirn- stammes wie Okulomotori- usparese einschließen. Auch die proximale diabetische Amyotrophie wird überwie- gend als Folge lokaler Durch- blutungsstörungen am Plexus lumbalis interpretiert.

Weit über 90 Prozent der diabetischen Neuropathien sind aber den chronischen di- stalen symmetrischen senso- motorisch-vegetativen diabeti- schen Neuropathien (cdNP) zuzuordnen. Im vorliegenden Beitrag soll deshalb nur auf diese Form der diabetischen Neuropathien eingegangen werden. Eine Neuropathie bei Diabetes muß nicht eine dia- betische Neuropathie (im Sin- ne einer diabetesspezifischen Patho- genese) sein. Neben dem Diabetes sind in Europa Alkoholabusus, Mal- absorption, Neoplasmen, Periarteri- itis nodosa, hereditäre motorisch-sen- sible Polyneuropathien und neuroto-

xische Medikamente (Nitrofurantoin, Barbiturate, Zytostatika) Ursachen einer chronischen distalen Neuropa- thie. Alle anderen Ursachen machen jeweils weniger als ein Prozent aus

(6). Grundsätzlich besteht eine positi- ve Korrelation der Polyneuropa- thiehäufigkeit mit der Diabetesdauer (Grafik 1). Allerdings sind bei über 20 Prozent der über 50jährigen Diabeti- ker schon bei oder kurz nach Entdeckung des Dia- betes klinisch manife- ste Polyneuropathien fest- zustellen, ein Umstand, der die Schwierigkei- ten bei der Festlegung des Manifestationszeit- punktes eines Typ-II-Dia- betes und/oder andere im höheren Alter zunehmen- de neuropathische Ein- flüsse widerspiegelt. Mo- dulierende Faktoren wie Malabsorption und Ma- kroangiopathie geben der Polyneuropathie beim Typ- II-Diabetes ein besonde- res Gepräge, worauf wei- ter unten noch eingegan- gen wird.

Hyperglykämie als Hauptfaktor

Die Bedeutung der Hyperglykämie als Haupt- faktor für die Auslösung peripherer und viszeraler Nervenschäden wird heute nicht mehr bezweifelt. Das ha- ben auch die jüngst veröffentlichten Ergebnisse der DCCT-Studie (Diabe- tes Control and Complications Trial)

Pathogenese und Therapie der peripheren diabetischen Polyneuropathien

Gerhard Reichel

1

Bernhard Neundörfer

2

Serie: Diabetische Neuropathie

Chronische distale sensomotorisch-vegetative Polyneuropa- thien treten sowohl beim Diabetes mellitus Typ I als auch beim Typ II mit einer Häufigkeit von 20 bis 50 Prozent auf. Die ge- meinsame pathogenetische Schiene dieser Polyneuropathien ist ohne Zweifel die Hyperglykämie. Sie wird als Ursache ei- ner Aktivierung des Polyolstoffwechsels mit nachfolgender

energetischer Erschöpfung der Nervenzelle, der vermehrten Proteinglykosylierung mit resultierender endoneuraler Hypo- xie sowie des gesteigerten oxidativen Stresses angesehen.

Aus den Kenntnissen über die Pathogenese dieser Polyneuro- pathien werden therapeutische Konsequenzen abgeleitet, die bislang unterschiedliche klinische Relevanz erlangten.

1 Neurologische Abteilung (Chefarzt: Prof.

Dr. Gerhard Reichel) der Paracelsus Klinik Zwickau

2 Neurologische Klinik und Poliklinik (Direk- tor: Prof. Dr. med. Bernhard Neundörfer) der Universität Erlangen-Nürnberg

Relative PNP-Häufigkeit (%) 60

40

20

0

≥ 50

40 - 49 30 - 39

≤ 29 ≤ 4 5 - 14

Lebensalter ≥ 15 in Jahren

Diabetesdauer in Jahren Grafik 1

Die Häufigkeit klinisch manifester cdPNP bei 789 Diabetikern, bezogen auf Lebensalter und Diabetesdauer (aus Reichel G: Diabetes und Nerv, Jena 1989)

(2)

(2) bewiesen. In der Studie wurde der Einfluß der intensivierten Insulin- Therapie (ICT) in der Primär- und Se- kundärprävention untersucht. Ge- genüber der konventionell behandel- ten Gruppe wurden durch ICT das Auftreten einer Neuropathie nach fünf Jahren um 69 Prozent, das Fort- schreiten um 57 Prozent vermindert.

Manche Fragen der Pathogenese der cdNP sind aber noch offen, wohl auch deshalb, weil nach wie vor keines der verfügbaren Tiermodelle voll die beim Diabetiker auftretenden Nervenver- änderungen reproduziert. Dies trifft insbesondere für die Neuropathie bei Typ-II-Diabetes zu.

Die im folgenden beschriebenen pathogenetischen Hypothesen sind als Einzelschritte in der Herausbil- dung der cdNP in der Diskussion.

Zum einen sind es biochemische Be- funde, die eine Sorbitol-Myoinositol- Na1/K1-ATPase-Hypothese begrün- det haben. Zum anderen werden axo- nale Strukturveränderungen als Fol- ge komplexer Prozesse mit nichtenzy-

matischer Proteinglykosylierung, en- doneuraler Hypoxie, freien Radika- len und Axontransportstörungen ver- mutet. Darüber hinaus werden immu- nologische Störungen für das Entste- hen der cdNP verantwortlich ge- macht. Antikörper gegen Glutamat- Decarboxlase und gegen sympatische Ganglien wurden nachgewiesen.

Sorbitol-Myoinositol-

Na

1

/K

1

-ATPase-Hypothese

Die Hyperglykämie führt zur Aktivierung des Polyolstoffwechsels als alternativem Weg der Glukosever-

stoffwechselung. Die Aktivität der Aldosereduktase ist erhöht. Es resul- tiert eine intraneurale Sorbitolakku- mulation. Die erhöhte Sorbitolkon- zentration im Nerv führt sekundär zur Myoinositoldepletion. Myoinositol ist Bestandteil der für die Nervenfunkti- on entscheidenden membranständi- gen Na1/K1-ATPase. Die resultieren- de Funktionsstörung der Na1/K1-

ATPase zieht eine zunehmende ener- getische Erschöpfung der Nervenzel- len nach sich.

Erstes Zeichen dafür ist die Störung der elektrischen Erregungs- leitung, die sich klinisch in der Ampli- tuden-/Flächenreduktion der Nerven- und Muskelsummenpotentiale nach elektrischer Stimulation und in der Minderung der Nervenleitgeschwin- digkeiten zeigt. Einen gleichsinnigen negativen Effekt auf die ATPase-Ak- tivität haben die beim Diabetes ver- mehrt vorliegenden Ketonkörper, die Schlüsselenzyme (Pyruvat- und Keto- glutarat-Dehydrogenase) der aero- ben Glykolyse in den Mitochondrien

hemmen. Die energetische Erschöp- fung verstärkt sich schließlich im Sin- ne eines Circulus vitiosus selbst. Die Myoinositoldepletion mindert die Na1/K1-ATPase-Aktivität, wodurch wiederum eine weitere Abnahme der nervalen Myoinositolaufnahme indu- ziert wird.

Nach wie vor ist es schwierig, die beschriebenen Störungen mit den

A-964

M E D I Z I N AKTUELL

(42) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 15, 12. April 1996 Abnahme des

Myoinositolgehaltes

Geminderte Na/K-ATPase

Störung der Erregungsleitung

Erhöhte Aktivität des Polyol Pathway

Aldose-Reduktase- Hemmer

Endoneurale Hypoxie

Kapillarpathologie Makroangiopathie Aminoguanidin

Thioctsäure

Geminderter

Abtransport Freie O2-Radikale

Axonale Strukturveränderungen Insulinmangel

Hyperglykämie

Stoffwechselführung

Proteinglykierung Insulinresistenz

Gamma-Linolensäure

Thioctsäure Myoinositol

Grafik 2

Die Pathogenese der cdPNP und die therapeutischen Einflußmöglichkeiten (verändert nach Low PA et al.: Nerve microenvironment in diabetic neuropathy 1987)

(3)

strukturellen Veränderungen bei der Neuropathie in Zusammenhang zu bringen. Im Tierexperiment ist eine Korrelation pathologischer elektro- neurographischer Befunde mit einer Ablösung der terminalen Myelin- schleifen vom Axon am Ranvier- schen Schnürring nachgewiesen wor- den. Diese Entkopplung hat eine Re- duktion der nodalen Natriumper- meabilität zur Folge, wodurch die Er- regungsleitungsstörungen er- klärt sind. Möglicherweise stellt diese Entkopplung eine Vorstu- fe zur paranodalen und schließ- lich segmentalen Entmarkung dar.

Nichtenzymatische Proteinglykosylierung

Bei hohen Glukosekonzen- trationen entstehen durch nicht- enzymatische Glykosylierung an den Aminogruppen körpereige- ner Proteine reversible Verbin- dungen, aus denen durch oxida- tive Prozesse irreversible „ad- vanced glycosylated endprod- ucts“ (AGE) entstehen. Die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Proteine ver- ändern sich entscheidend, wo- durch sowohl Enzyme als auch Strukturproteine in ihren Funk- tionen gestört werden.

Die Proteinglykosylierung soll ein wichtiger Schritt bei der Herausbildung der Mikroangio- pathie und über diesen Weg so- wie auch unabhängig davon, zum Beispiel über eine Phagozytose von AGE der Myelinproteine, zur segmentalen Entmarkung führen. Eine endoneurale Hypo- xie kann offensichtlich über den Weg der Mikroangiopathie, aber auch durch funktionelle Störun- gen entstehen. Tierexperimen- tell kann eine Abnahme der endoneu- ralen Sauerstoffspannung durch er- niedrigte Perfusion bei erhöhtem Ge- fäßwiderstand nachgewiesen werden.

Morphologische Untersuchun- gen am N. suralis ergaben bei Diabe- tikern eine erhöhte Zahl von Kapil- larverschlüssen.

Im höheren Lebensalter können die peripheren neurogenen Verände-

rungen auch schon bei oder kurz nach Manifestation des Diabetes auftre- ten, und zwar nicht nur als elektroneurophysiologische Abwei- chungen, sondern als klinisch manife- ste, vorwiegend somatische Neuropa- thie. Elektroneurographisch zeigen sich dabei eine Betonung der Nerven- leitgeschwindigkeitsminderung an den motorischen Fasern sowie Ver- änderungen der Form und Amplitu-

de der evozierten Muskelsummen- potentiale. Häufig sind pathologi- sche Befunde nur an den Beinnerven anzutreffen. Im höheren Alter be- steht auch eine statistische Bezie- hung zwischen Polyneuropathie und Makroangiopathie. 78,7 Prozent der Diabetiker mit Makroangiopathie haben erniedrigte Nervenleitge- schwindigkeiten, dagegen nur 38,8

Prozent der Diabetiker ohne Makro- angiopathie (7). Es ist daher denk- bar, daß ein Teil der Neuropathien bei Typ-II-Diabetes pathogenetisch auch mit der Makroangiopathie ver- knüpft ist. Im Zusammenhang mit Veränderungen der endoneuralen Kapillaren werden auch Störungen des Metabolismus essentieller Fettsäuren diskutiert. Eine Förde- rung der Thrombozytenaggregation und der Vasokonstriktion soll die Folge sein.

Neurotrophie-Defizit und axonaler Transport

Die axonalen Strukturver- änderungen, die sich tierexperi- mentell und in Suralisbioptaten bei cdNP zeigen, werden als Fol- ge einer Axontransportstörung und eines Defizits an neurotro- phen Faktoren angesehen. Ins- besondere soll der Nerven- wachstumsfaktor (NGF) bei dia- betischen Tieren verringert sein und somit das Regenerationspo- tential eines geschädigten Neu- rons negativ beeinflussen. Der axonale Transport, der sowohl anterograde als auch retrograde Komponenten einschließt, hält die Funktion und Struktur der Nervenzelle und ihrer Fasern aufrecht. Tierexperimentell wur- den verschiedene Störungen des axonalen Transports beim Dia- betes nachgewiesen, die wesent- lich zur axonalen Degeneration beitragen sollen.

Oxidations- und Radikalstreß

Bei der Umwandlung von Monosacchariden zu Endiol- Anionen werden unter Einwir- kung von Metallionen H2O2und OH+ freigesetzt. Peroxide und freie Radi- kale sind chemisch hochaktiv und rea- gieren bevorzugt mit ungesättigten Verbindungen, wie sie in Proteinen und Phospholipiden vorkommen.

Diese Reaktionen führen zu Funktionseinbußen an Enzymprotei- nen, Membranlipiden und an der DNA. Normalerweise entgiftet der Therapieschema

1. Optimierung der Stoffwechselführung – kontinuierliche subkutane

Insulininfusion?

– intensivierte konventionelle Insulintherapie?

– Insulin bei bisher mit Antidiabetika geführten Diabetikern?

– Antidiabetika bei bisher diätetisch geführten Diabetikern?

2. Beseitigung von neurotoxischen

Einflüssen und von Begleiterkrankungen – Alkohol?

– neurotoxische Medikamente?

(Nitrofurane, Zytostatika, Chloroquin, Gold, INH, ...)

– Lösungsmittel, Schwermetalle, Acrylamid, Insektizide, Fungizide?

– Störungen der Schilddrüse, Niere, intestinalen Resorption?

– kardiale Insuffizienz?

3. Thioctsäure 600 mg i.v. mindestens 14 Tage lang, danach oral

4. B-Vitamine (möglichst nur parenteral) bei nachgewiesenem Mangel

5. Symptomatische Behandlung sensibler Reizerscheinungen und vegetativer Störungen

6. Psycho- und physiotherapeutische Betreuung

(4)

Organismus die Peroxide und Radi- kale enzymatisch (Katalase, Peroxi- dase und Superoxid-Dismutase) oder durch Radikalfänger. Substanzen wie Vitamin E, Glutathion und a-Li- ponsäure werden beim Reagieren mit freien Radikalen selbst oxidiert und können anschließend wieder in ihre reduzierte Form zurückgeführt wer- den. Es ist tierexperimentell nachge- wiesen, daß die antioxidativen Schutzsysteme beim Diabetes in ihrer Aktivität reduziert sind. Der daraus resultierende vermehrte oxidative Streß wird als eine Ursache der axo- nalen Degeneration angesehen.

Kausale Therapie der cdPN

Aus den beschriebenen pathoge- netischen Konzepten lassen sich ver- schiedene Therapieansätze ableiten (Grafik 2). Als Basis einer Kausalthe- rapie gilt die Minimierung des ätiolo- gischen Hauptfaktors Hyperglyk- ämie. Obwohl die Wirkung einer opti- malen Stoffwechselführung bei fort- geschrittener cdNP im Einzelfall nicht immer überzeugend ist, hat die Mehr- zahl der zu diesem Thema durchge- führten Untersuchungen bestätigt, daß dadurch funktionelle Störungen und Reizerscheinungen relativ rasch gebessert werden können. Es kommt auch zu einer langsamen Besserung von Parametern, die wahrscheinlich strukturellen Veränderungen anzula- sten sind, und im Gegensatz zu Kon- trollgruppen tritt keine weitere Ver- schlechterung ein (5).

Ausgehend von der Hypothese der erhöhten Aktivität des Polyol- Stoffwechsels wurde die Anwendung von Aldose-Reduktase-Inhibitoren vorgeschlagen. Entsprechende Präpa- rate sind in einigen Ländern zugelas- sen. In den vorliegenden Doppel- blindstudien wurden aber nur mini- male Effekte nachgewiesen, so daß ei- ne breite Anwendung der Aldose-Re- duktase-Hemmer derzeit nicht ge- rechtfertigt ist. Myoinositol-Mangel ist bei experimentellen diabetischen Nervenstörungen nachgewiesen. Der Nutzen einer Substitution wurde aber noch nicht erwiesen.

Gamma-Linolensäure kompen- siert den Delta-6-Desaturasemangel

im Nerven und kann dadurch den ge- störten Metabolismus der essentiellen Fettsäuren korregieren. Sie ist Vor- läufer des Prostazyklins und führt auf diesem Wege zur Erweiterung der ter- minalen Strombahn, Verbesserung der nutritiven Mikrozirkulation und Vermeidung der neuronalen Hypo- xie. Die bislang vorliegenden klini- schen Studien lassen vielversprechen- de therapeutische Effekte erkennen.

Aminoguanidin inhibiert die Bil- dung von AGE. Unter Aminogua- nidin normalisiert sich bei diabeti- schen Ratten die Nervenleitgeschwin- digkeit, und paranodale Demyelini- sierung und axonale Atrophie treten geringer auf. Klinische Erfahrungen liegen mit diesem Präparat noch nicht vor. Letzteres gilt auch für Uridin und Acetyl-L-Carnitin.

a-Liponsäure wurde bereits vor 35 Jahren in die Therapie der cdNP eingeführt. Tierexperimentell wurde die Wirkung der Thioctsäure als Ra- dikalfänger bei

der Verhinderung der AGE-Bildung und – als Koen- zym des Pyruvat- und Ketoglutarat- Dehydrogenase- Komplexes – bei der Verminderung der Ketonkörper- bildung nachge- wiesen. Thioct- säure verbessert die Glukoseuti- lisation und min- dert dadurch die Hyperglyk-

ämie. Eine klinische, doppelblind durchgeführte Studie mit a-Li- ponsäure hat die Verbesserung neuro- pathischer Beschwerden belegt (9). In einer weiteren, placebokontrollierten Studie wurde gezeigt, daß sich durch mehrmonatige orale a-Liponsäu- retherapie auch eine positive Wir- kung auf gestörte vegetative Funktio- nen erzielen läßt. Weitere Untersu- chungen sind notwendig

Vitamine der B-Gruppe wurden nur in wenigen Studien – und dann mit unterschiedlichem Erfolg – auf ih- re Wirkung bei der cdNP geprüft. Da als Begleit- oder Folgeerscheinung ein Vitaminmangel bei bestimmten Konstellationen auch beim Diabeti-

ker auftreten kann, ist bei einem sol- chen Nachweis die Vitamingabe indi- ziert. Vitamine müssen dann mög- lichst parenteral appliziert werden.

Gangliosid-Gemische aus Rin- derhirn verbessern im Tierexperi- ment bei parenteraler Gabe die Rege- neration geschädigter Nervenfasern.

Ein entsprechendes Präparat wurde in Deutschland 1989 nach dem Auf- treten von sechs Guillain-Barré- Strohl-Syndromen während der Be- handlung vom Markt genommen. Al- le Untersuchungen zur kausalen me- dikamentösen Behandlung der cdNP sind wegen des chronischen, nicht vorhersagbaren Verlaufs der Erkran- kung erschwert. Nebenerkrankun- gen, neurotoxische Einflüsse und se- kundäre Nervenschäden (zum Bei- spiel urämische Neuropathie bei dia- betischer Nephropathie, Malassimila- tion bei diabetischer Enteropathie) variieren das klinische Bild und las- sen im Einzelfall das Bedingungs- gefüge für Entste- hen, Fortschrei- ten oder Unter- halten einer Neu- ropathie undurch- schaubar werden.

Darüber hinaus ist nach wie vor nicht entschie- den, welche Ziel- symptome für die Bewertung ei- nes Therapie- effektes heranzu- ziehen sind. Sensi- ble Reizerschei- nungen können sich zum Beispiel „bessern“, wenn die Nervenfaser ihre Erregungsleitung vollständig einstellt. Das Taubheits- gefühl wird vom Patienten eher tole- riert als die Parästhesien. Das oft ge- nutzte elektroneurographische Krite- rium „Nervenleitgeschwindigkeit“ te- stet nur die Geschwindigkeit der Er- regungsleitung der schnellsten, dick- bemarkten Fasern. Es ist wegen mög- licher aktueller Stoffwechseleinflüsse störanfällig und versagt bei Läsionen dünner Fasern und bei axonalen Ner- venschäden (3). In letzteren Fällen sind eher Fläche und Amplitude der Muskel- oder Nervensummenpoten- tiale nach elektrischer Reizung zur Bewertung der Erregungsfunktion

A-966

M E D I Z I N AKTUELL

(46) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 15, 12. April 1996

In der Serie

„Diabetische Neuropathien“

sind bisher erschienen:

(1)Editorial „Diabetische Neuropa- thie – Einführung in die Thematik der Serie“, Gries F A: Dt. Ärztebl 1996; 93: A-678 [Heft 11]

(2)Ziegler D, Gries F A: “Klassifikati- on, Epidemiologie, Prognose und sozialmedizinische Bedeu- tung“. Dt. Ärztebl 1996; 93: A- 680–684 [Heft 11]

(5)

der Nervenfasern geeignet. Die „Peri- pheral Nerve Society“ empfiehlt, zur Beurteilung einer therapeutischen Wirkung in kontrollierten Studien drei Merkmale heranzuziehen: Die Abnahme von Symptomen (zum Beispiel verminderte Sensibilität, Schmerz, orthostatische Hypotonie, erektile Impotenz), die Besserung neurologischer Defizite (zum Beispiel quantitative sensorische Tests, auto- nome Funktionstests, Nervenlei- tungsgeschwindigkeit) und die Ab- nahme von Komplikationen (wie ein- geschränkte Lebenserwartung, diabe- tisches Fußulkus, kardiale Komplika- tionen), wobei einschränkend das letztgenannte Kriterium große Ver- suchsgruppen und lange Studiendau- er erfordert.

Die kausale Therapie der cdNP hat zum Ziel, mögliche Schädigungs- faktoren zu eliminieren; dazu gehört nicht nur die Behandlung der Grund- krankheit, sondern auch die Beseiti- gung zusätzlicher neurotoxischer Faktoren. So wird man dem Patienten dringend Alkoholabstinenz nahele- gen. Potentiell neurotoxische Medi-

kamente dürfen nicht verordnet werden (zum Beispiel Nitrofurantoin bei Niereninsuffizienz). Gelegentlich bringt auch die Behandlung einer Be- gleiterkrankung, die keinen unmittel- baren Zusammenhang mit der PNP zu haben scheint, eine Besserung des Beschwerdebildes (zum Beispiel Be- hebung einer kardialen Insuffizienz) (siehe Textkasten Therapieschema).

Da bislang noch kein überzeugend und rasch wirksames Therapieprinzip für die cdNP etabliert wurde, verwen- den wir das in der Tabelle dargestellte Schema. Wir sind uns bewußt, daß es in manchem Punkt einen Kompromiß darstellt zwischen bewiesener Wir- kung und Empirie.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1996; 93: A-963–968 [Heft 15]

Literatur

1. Baumgarten HG und Blottner D: Diabeti- sche Polyneuropathie – Pathobiochemie und Pathophysiologie. In: Althoff Ulrich (Hrsg.): Der diabetische Problempatient unter besonderer Berücksichtigung der diabetischen Polyneuropathie. Frankfurt am Main 1990, pmi, 14–27

2. DCCT Research Group: The effect of in- tensive treatment of Diabetes on the deve- lopment and progression of long-term complications in Insulin-dependent Diabe- tes mellitus. N Engl J Med 1993; 329:

977–86

3. Dyck PJ: Detection characterization and staging of polyneuropathy: assessed in dia- betics. Muscle Nerve 1988; 11: 21–32 4. Low PA, Tuck RR, Takeuchi M: Nerve

microenvironment in diabetic neuropathy.

In: Diabetic neuropathy. Dyck PJ (Ed.), W B Saunders Company. Philadelphia 1987, 266–278

5. Luft D: Medikamentöse Behandlung der diabetischen Neuropathie. Möglichkeiten und Grenzen. Internist. Prax. 1993; 33:

637–44

6. Neundörfer B: Die diabetische Polyneuro- pathie aus neurologischer Sicht. Internist 1984; 25: 613–19

7. Reichel G: Diabetes und Nerv. In: Diabe- tes mellitus. Bibergeil H (Hrsg.), Gustav Fischer, Jena 1989, 513–36

8. Schmidt KH: Die Pathobiochemie der dia- betischen Neuropathie – therapeutische Ansätze. Vortrag auf Thioctsäure-Sympo- sium. München, 1.–3. Juli 1994

9. Ziegler D, Gries FA: Diabetische Neuro- pathie: Pathogenetische Konzepte und po- tentiell therapeutische Konsequenzen.

Nervenheilkunde 1993; 12: 405–10 Anschrift für die Verfasser:

Prof. Dr. med. Gerhard Reichel Paracelsus Klinik

Werdauer Straße 68 08008 Zwickau

Benutzerinnen von Kontrazepti- va der dritten Generation haben ein geringeres Herzinfarktrisiko, vergli- chen mit Frauen, die orale Kontra- zeptiva der zweiten Generation ein- nehmen. Ihr Risiko, ein venöses thromboembolisches Ereignis zu er- leben, ist jedoch erhöht.

Dies sind die Ergebnisse von zwei internationalen Fall-Kontroll- Studien, die aus fünf europäischen Ländern zusammengetragen wur- den. Das um das 1,5fache erhöhte Risiko für venöse Thromboembolien bei Frauen, deren Kontrazeptiva die künstlichen Progesteronabkömmlin- ge Gestoden und Desogestrel ent- halten, verglichen mit dem der Be- nutzerinnen von Mikropillen der zweiten Generation, führte vor kur- zer Zeit zu einer heftigen Diskussion in der Fach- und Laienpresse über die Verabreichung der entsprechen- den Verhütungsmittel. Aufgrund

dieser Ergebnisse wurde in Deutsch- land die Verschreibung einge- schränkt: Frauen unter 30 Jahren, die sich zum ersten Mal die „Pille“

rezeptieren lassen, sollen nun keine Präparate der dritten Generation mehr erhalten.

Frauen, die gar keine hormonel- len Verhütungsmittel einnehmen, ha- ben ein vierfach geringeres Throm- boembolierisiko im generellen Ver- gleich zu Benutzerinnen von hormo- nellen Kontrazeptiva.

Beim Herzinfarkt schneiden die

„Pillen“ der dritten Generation je- doch besser ab:

Das Risiko ihrer Benutzerinnen ist etwa identisch mit dem von Frau- en, die nicht hormonell verhüten.

Mit der Einnahme von Kontrazepti- va der zweiten Generation erhöht sich das Herzinfarktrisiko jedoch um das Zwei- bis Dreifache. Diese Er- gebnisse zeigen, daß Risiken und

Nutzen verschiedener Typen von oralen Kontrazeptiva nach Meinung der Autoren gründlich abgewogen werden müssen, damit Frauen sich entsprechend informiert für eine be- stimmte Verhütungsmethode ent- scheiden können.

Die Autoren geben jedoch auch zu bedenken, daß Teile der Ergebnis- se aus Zwischenanalysen gewonnen wurden und daher mit Vorsicht inter- pretiert werden sollten. silk Spitzer WO, Lewis MA et al (on behalf of the Transnational Research Group on Oral Contraceptives and the Health of Young Women): Third generation oral contraceptives and risk of venous throm- boembolic disorders: an international case-control study. BMJ 1996, 312:

83–88.

Lewis MA, Spitzer WO et al (on behalf of the Transnational Research Group on Oral Contraceptives and the Health of Young Women): Third generation oral Contraceptives and risk of myocardial infarction: an international case-control- study. BMJ 1996, 312: 88–91.

Prof W O Spitzer, Potsdam Institute of Pharmacoepidemiology and Technolo- gy Assessment (PIPTA), Otto-Erich- Straße 7, 14482 Potsdam

„Mikropille“ und das Risiko für Herzinfarkt

und venöse Thromboembolien

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Zuvor hatte eine bundesweite Befragung von Chefärzten und lei- tenden Pflegekräften ergeben, dass jede Klinikstation durchschnittlich zwei Patienten mit einer Neben -

Die Autoren führen aus, dass es Hinweise auf eine Modifikation des Risikos für venöse Thromboembolien durch die Gestagenkomponente gebe und sich bei Kombination mit

Die zeitabhängige Regressionsana- lyse ergab für Patienten mit Entlas- sung innerhalb von 30 Tagen nach Infarkt unter Clopidogrel und PPI ein erhöhtes Risiko für den primä-

Aus der Patho- genese von Spritzenlähmungen peripherer Nerven (27) folgt, daß jede Injektion in Nervennähe auch die Möglichkeit einer Schädigung dieser Nerven in sich birgt..

Bis zu 95 Prozent der Augenverletzungen sind leicht und können meist ambulant behandelt werden, die restlichen fünf Prozent führen häufig zu einer lebenslangen Behinderung..

Nachdem zunächst eine Koppelung zwischen einer autosomal dominan- ten HMSN 1 und dem Chromosom 1 (HMSN 1B) nachgewiesen wurde, sind als Ursache inzwischen Punkt- mutationen im

Der Autor geht im letzten Teil seiner Ausführungen auf die sozial- medizinische Bedeutung diabeti- scher Neuropathien ein und wagt ab- schließend die Aussicht, daß

Die Funktionsstörungen von Speiseröhre, Magen, Dünn- und Dickdarm sowie des anorektalen Kontinenzapparates bei Diabetes mellitus sind nicht spezi- fisch für das Vorhandensein