Das Sichtbare und das
Kurze Bemerkungen zu einigen Porträts
der Berliner Gemäldegalerie von Hannah Baader
Unsichtbare
f 7 iner der führenden Kunsttheoretikerdes ausgehenden 17. Jahrhunderts, der Franzose M J Roger de Piles, hatfür das Vergnügen an der Betrachtungvon Porträts zwei Möglichkeiten be
nannt. Zumeinengefallensie uns, wennwir die Per son, diedargestellt ist, wiedererkennen, zum ande ren können wir aberauch dieMalweiseund dieArt derDarstellungbewundern, ohne daßuns deswegen die dargestellte Person bekannt seinmüßte. Der mo derne Betrachterwird imwesentlichenaufdiese letz te Art der Anschauung angewiesen sein.
Zweifellos zu den interessantesten Bildnissen der BerlinerSammlung dürfte dasauf den ersten Blick vielleicht etwas unscheinbare SelbstporträtNicolas Poussins von1649gehören, das alsSelbstbildnis die ästhetischen Überzeugungen und die Selbstdeutun
gen des Künstlers zu verraten verspricht. Wie wir durch eine ReiheerhaltenerBriefe wissen, entstand das Porträtfür seinen in Paris lebenden Freund Chan- telou, dernicht nurzu den wichtigstenSammlern des Künstlers,sondernzugleich zu seinen engsten Freun
dengehörte. Dem Wunsch desFreundes,einPorträt des in der Feme lebenden Malers zubesitzen, versuch
Zweifellos zu den interessantesten Bildnissen der Berliner Sammlung dürfte das auf den ersten Blick vielleicht etwas unscheinbare Selbstporträt Nicolas Poussins von 1649 gehören, das als Selbstbildnis die ästhetischen Überzeugungen und die Selbstdeutungen des Künstlers zu verraten verspricht.
te sich Poussin, der selbst nie Porträts ausführte, zunächst zu entziehen. Die Suche nach einem geeigneten Maler verlief aber so unbefriedigend,daß ersich nach langem Zögern entschloß, das gewünschte Bildnis selbst anzufertigen.Nachdemer die Arbeiten an demBerliner Gemälde abgeschlossen hatte, begann er noch imselben Jahrmit der Ausfüh rung eines zweitenSelbstbildnisses.SeinemFreund Chantelou, der inseinenBriefenungeduldig und eifer
süchtig aufdie Vollendung undÜbergabe drängte, ließ er erst dieses zweite Porträt zukommen, während er das heute inBerlin befindliche einem ebenfallsin Pa
ris lebenden,mit ChantelourivalisierendenSammler zusandte. Ineinem die Ankunft der beiden Leinwän
de ankündigenden Schreibenforderteer den Freund zum Vergleich derbeiden Porträtsauf,inzenierte also selbst einen Wettbewerb der Bildnisse undforderte da
mit das ästhetischeUrteil seines Freundes heraus.
Das zuerst entstandene BerlinerPorträtzeigt den Maler mit leicht geneigtem, über die rechte Schulter zumBetrachtergewandten Kopf. In seiner Linken hält er einenStift, währendseine Rechte sich so auf auf die obere Kante eines schmales Buches stützt, daß dessen Rücken mit derlateinischen Aufschrift „De lumine et colore“ sichtbar wird. Seinen schwarzen, glänzenden Mantelhat er nach Art einer Toga über die Schultern geworfen, sodaß nur amHals Ansätze eines weißen Kragens zuerkennen sind.Während sein Gesicht mit dem gewellten braunen Haarauf derab
gewandten Seite im Dunkelliegt,fällt von linksein Lichtschein auf die rechte Gesichtspartie und erhellt deren Stirn und Wange. Mit gesenktem Kopf blickt der Malerausdenumschatteten Augenden Betrach ter ruhig an.
EineInschrift am oberen Rand des Porträts führtnicht nur den Namen und dasAlterdes Dargestellten an, sondernweist ihn zugleich als Mitgliedder römischen Akademie und alsersten Maler des französischen Königs aus.Sie nennt damit inkürzesterForm eine ReihebiographischerNotizen,diefürdie Selbstbe
stimmung des Künstlers entscheidend gewesen sein müssen. Nach verschiedenen längerenAufenthalten inder HeiligenStadtlebte Poussin seit 1642dauer
haft in Rom. 1640 hatte ihnLudwig XIV in seine Dienste genommen undihm denEhrentitel„Premier peintre duRoi“ verliehen,seit 1663 zählteer zu den Mitgliedern derrömischen Kunstakademie. Neben diesen Hinweisen, die primär die soziale Stellung Poussins betonen, dürfte für seine künstlerische Selbsteinschätzung aber vor allem jenes Buch von Bedeutunggewesen sein, dessen Rücken der Maler demBetrachter entgegenhält.Durchdie Inschriftals Traktat über „Licht undFarbe“ ausgewiesen, spielt es unzweifelhaftauf die AbsichtendesMalersan,die eigenen kunsttheoretischen Überzeugungen schriftlich festzuhalten und einem interessiertenPublikumzu gänglich zu machen. Auch der Stift in der Handweist ihn als Theoretikeraus, währendalles Handwerkli che, das der Malerei und damit aucheinemSelbst
bildnis notwendig verbunden ist, aus dem anschauli
chen Bestanddes Bildes femgehalten ist.
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Originalveröffentlichung in: Vernissage : die Zeitschrift zur Ausstellung 6 (1998), Nr. 5, S. 34-44
NICOLAVS P0VSS1NVS ANDE.LYENSIS ACADEMICVS ROMA NV$ PRIM VS
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Nicolas Poussin Selbstbildnis. 1649 Lw., 78,7 X 64,8 cm
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Erst ein genaues Studium des Bildhintergrundesläßt deutlich werden, daß sich die Inschrift amoberen Bildrand auf einersteinernen Tafel befindet, dievon zwei girlandentragenden Putten flankiert wird und dadurch die Assoziation an ein Grabepitaphnahelegt.
WieeinRahmen hinterfangt die sonst leereTafel den Kopfdes Malers, so daß dieserwiedas dem Epitaph zugehörigeGrabbild erscheint. Poussinseindringli
cher Blick, mit dem ersich an den Betrachter wen
det, scheint sich nun aufdie Einsichtin die Notwen digkeit des eigenen Todes zu beziehen und die von ihm angestrebte stoische Gelassenheitzum Ausdruck zu bringen, diesen Todals unabänderlichanzuneh
men. Verdankte das Bildnis seine Entstehung dem Wunsch, den in der Feme lebenden Freund im Bild zuvergegenwärtigen, sobetontder Maler durchden dezidierten Hinweis aufdenTodunddieeigene Ver gänglichkeitdie DialektikausAbsenz und Präsenz, die der Gattung des Porträts inhärent ist. Wünschte Chantelou, der Freund mögedurch das Bildnisschein- haftanwesend sein, so wird im ausgeführten Gemäl
de bei genauerem Hinsehen nicht nur dessen reale Abwesenheit, sondern auch dessenVergänglichkeit um sobewußter. Es istgeradediese eigenartigeAm bivalenz, aus dernicht nur diesesPorträt, sondern die gesamte Gattungeinenerheblichen Teilihrer Faszi
nationbeziehen dürfte. Das SelbstbildnisPoussins er
weist sichdamit als ein Gemälde, in demder Maler die Bedingungen und Absichten der Porträtmalerei durchdenkt und letztlich skeptisch beurteilt.
In der Farbpaletteähnlichzurückhaltend,vermeidet auch Tizian in seinem um 1560 entstandenen Selbst
bildnis Hinweiseaufseine handwerklicheTätigkeit.
Wie später Poussin, betont auch er seinensozialen Status,denn um seinen Hals geschlungen trägter jene Goldkette,die ihm Karl V. für seineVerdienste als Geschenk überreichte und die ihn als Ritterund als Maler des spanischen Hofes ausweist. DerKünstler sitzthinter einem von links indas Bildhineinragen den Tisch, aufdessenPlatte erseinerechte Hand in gespannter Haltung niedergelegt hat. Seinen leicht angehobenen Kopf mit der schwarzen Kappe hat er in einer Drehungvom Betrachter abgewendet. Durch das in derWendung des Kopfes motivierteHerabsenken seiner rechten Schulter und die kaumsichtbare Nei gungdes Oberkörpers ist seine goldene Kette etwas zurSeite gerutscht,wodurch nicht nurihr Gewicht betont,sondernauch ein Moment von Bewegungsug
geriert wird.
Bestachdas PorträtPoussins durch dieGenauigkeitin der Verteilung der Lichtes, insbesondere auf dem schwarzglänzenden Mantel des Künstlers, so über
rascht das Selbstbildnis des Venezianers durch den eigenwilligenUmgang mit den Qualitäten der Farbe und durch die unorthodoxe malerische Behandlung seines weißen, aufglänzenden Gewandes, das unter dem schweren Pelzüberwurf an Ärmeln, Brust und Kragen sichtbar wird. Diefast fragmentarische, von Lichtreflexenbestimmte Wiedergabe diesesHemdes stehtim Gegensatz zu derviel exakteren undkleintei- ligeren Ausführung derGesichtszüge des Künstlers.
Manmuß daher vermuten, daß das Bildnis in einigen Partien -wieetwaden Händen- unausgeführt blieb, wenn auch derDuktus des sichtbarenPinselstriches
Abb. S. 36:
Tiziano Vecellio, gen. Tizian Selbstbildnis. 1560 Lw., 96 x 75 cm
inder Gestaltung des Hemdes Tizianskünstlerischen Absichtenentsprochen habenmuß.
Der Vorgang des Malens selbst, dem das Porträt sei
ne Entstehung verdankt,scheint motivischdagegen aus dem Bildgetilgt zu sein. Allerdings ist derlinke Arm des Malers ungewöhnlichverzerrt, dieSchulter reicht zu weitnachvorne, der Armselbst ist von aus
ladender Breite und anatomischso verunklärt, daßdie gesamtelinke Körperhälftefast monströs erscheint.
Diese eigenartige Deformationgewinntan Bedeutung, wenn man berücksichtigt, daß es sich dabei umden rechten Arm und die rechteHanddes Malers handelt:
Durch dieVerkehrung des Spiegels, mit dessen Hilfe der Maler sein Bildnis angefertigthabenmuß, er scheintseinerechte Hand im Spie gelbild und entsprechendimBild
nis als dieLinke. Unförmig und verzerrt ist jenerArmwiedergege ben, den der Künstler beim Malen zurLeinwand hin ausgestreckt hat.
Entgegen demersten Anscheinist daher insehr indirekter Weise der Malvorgangim Bildnis selbst sicht
bar,dennder künstlerischeEntste
hungsprozeß eines Selbstporträts wirdfür den sorgfältigen Betrach
ter durch die eigenartige Verfor mungder malenden Handevoziert.
Es ist daher auch bezeichnend,daß insbesondere die rechte Hand des Malers Zügevon Unvollkommen
Meister von S. Spirito Bildnis einer jungen Frau, um 1485/90
Pappelholz, 45 x 29 cm
heit an sich trägt.
Währendsich Tizian absichtsvoll vom Betrachterab wendet, wird in einer Vielzahlvon Porträtdarstellun gen der Blickkontakt mitdem Betrachter gezielt als Mittel der Verlebendigungdes Bildes genutzt. Diese direkteAnsprache an den Betrachter findet sich etwa ineinem kleinformatigen Porträt einer unbekannten jungenFrau,dessen Entstehung in die Jahre um 1485 datiert werden kann und das injüngerer Zeit dem Meister vonSantoSpirito zugeschrieben wurde.Es zeigt einefast mädchenhafteFraumit anden Seiten gelocktenblondem Haarund kleinem Haarsack, die in ehereinfachem Gewandvor einer Landschaft po
Abb. S. 39:
Andonio del Pollaiuolo Profilbildnis einer jungen Frau, um 1465 Pappelholz, 52,5 x 36,5 cm
siert. Während ihr Blick den des Betrachters zu fi xieren scheint, finden sich amunteren Bildrand an stelle einer Brüstung die überraschenden Schriftzü
ge eingetragen: „Noli metangere“ - „Berühre mich
nicht“. DieDarstellung gewinntdahernichtnur durch den Blick, der in kaum merklicher Untersicht be
stimmt und fast streng auf den Betrachter fällt, an prä- sentischem Charakter, sondern dieser wird noch ge steigert,weil sich diePorträtierte durch dieInschrift in direkter Redean den Betrachterzu wenden scheint.
Indem sie mitden Worten Christi an die ungläubige Maria Magdalenavor jedem taktilen Kontakt warnt, weist sie einerseitsauf ihre Unberührbarkeit und Keuschheit hin. Sie hältden Betrachter aber auch des wegen von jeder Berührungab, weil diese den Trug des Bildes, es handle sich bei der Dargestellten um eine körperhaftanwesende Person,zerstören undden fiktionalen Charakter des Bildes aufdecken würde.
Unabhängig davon, ob die Inschrift der ursprüngli chen Konzeption des Bildnisses zuzurechnen oder als eine spätere Hinzufügung anzusehen ist, kann das kleinformatige Bild alsaufschlußreich für die gesamte Gattung und die mit ihr verbundene Rezeptionshal
tung gelten, denn sie zeugt ganz offensichtlichvom Wunschnachdemkörperlichen Kontakt mit dem Bild
niseinerschönenFrau.Auchweist sie in ungewöhn licher Form erneut auf jeneDialektik von Präsenz und Absenzhin, die sich fürdie Gattung Porträtinsge
samtals konstituierend erwies.
Anders als bei dem genanntenPorträt, bei dem das Mädchenin doppelterWeise aktiv auf den Blick des Betrachters zureagieren scheint,istdieFiktion einer Reaktion auf den Blickdes Rezipienten in anderen Fällenbewußtausgeschlossen worden. Insbesondere in den in Florenz gebräuchlichen weiblichen Bildnis
senbleibt die strenge Profilansicht, die den Blick auf den Betrachter nicht zuläßt und die das Gesicht der Frauin einemklar umrissenenRahmenverankert, die gebräuchliche Darstellungskonvention. Zu diesem Ty pus ist auch das Profilbildniseiner jungen Dame zu rechnen, das zu den beliebsteten BildernderBerliner Gemäldegalerie gehört. Das Bild,das nach allgemei ner Ansicht dem Antoniodel Pollaiuolo zuzuschrei
benist, konnte von Wilhelm vonBode für dasBerli
ner Museum erworbenwerden.Es zeigt vor einer mit Intarsien kunstvoll verzierten Marmorbrüstung das Gesichteinerjungenund schönen Dame, derenwei
ße, fastmarmorne Haut sich eindrucksvollvondem leuchtenden Blau des Himmels abhebt. Gekleidet ist die Unbekannte in ein kostbares Brokatgewand,des sen Ornamentiksich in der klaren Linie desProfils zu wiederholenscheint. Der im Rücken etwastiefere Haisauschnitterlaubtes, dem Profilvom Nacken über diezusammengebundenen Haare unddenweit nach
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hinten gezogenenHaaransatz bis zudem kleinenKinn als einerschönen Linie zu folgen. In dieser wahrhaft schönen, fast vollendeten Stilisierung erscheint die Dargestellteeher als eine Vertreterin jener„schönen Monstren“,bei denen derweibliche Körper unddas weiblicheGesicht zur Materie des Künstlersgewor
den sind, die dieser nach den Regeln der Kunstge staltet, denn als individuellePerson. Was dieSchön heitdieser jungen Frau zeigt, ist die Schönheit der Kunst.
Ähnlich stilisiert,aberdennoch dem Betrachter zu
gewandt, bietet sich auch das in den Niederlanden enstandene Bildnisdesin Brügge tätigenPetrus Chri stus dar (sieheTitelbild), dasmöglicherweise eine der Töchter des Ersten Earl of Shrewsbury, John Lord Talbot zeigt, die sichvermutlich 1468 anläßlichder Hochzeit Margaretes von YorkmitKarldem Kühnen inBrügge aufhielt. Auchdiemodische,eher franzö
sische und kostbareKleidung der jungen Frau mit dem weißen Hermelinbesatz amblauen Kleid, dem hauch zarten Brustschleierund der perlenbesetzten schwar
zen Haube sprichtfür eineDatierung desBildes in die Jahreum 1470. Jedes Detail, wie diezurückge kämmten Haare, die glänzenden Perlen des Hals
schmuckes bishin zu der kleinenStecknadel, mitder der kaum sichtbare Brustschleier am Gewand befe
stigt ist, lädthier zu genauester Beobachtung ein.
Die Differenz zwischen männlichen undweiblichen Porträtkonventionen wird deutlich, wenn man den ge-
nanntenBildnissen weiblicherSchönheiteneine Grup
pe ähnlich kleinformatiger, männlicher Porträtsent
gegenhält. Sie sind einigeJahrzehnte früher entstan den als die weiblichenBildnisse und dürften zu den größten Kostbarkeiten desMuseumsbestandes gehö ren. Insbesondere von der Hand van Eycksstammen einige der wegen ihreszumTeil ungeschönten Rea
lismusüberraschenden Beispiele, wie etwa dasPor
trät des Baudouin de Lannoy oder dasder Nachfolge van Eyckszuzurechnende Bildnis des „Mannesmit der Nelke“. In sorgfältigem Studium und präzisester Feinmalerei ist hier jede einzelne Gesichtsfalte, jede Runzel und fastjedesHärchen genauso wiedergeben wiedie Knorpeln dergroßen, abstehenden Ohren.
Ähnliche Genauigkeitin der Wiedergabe noch der kleinsten Bartstoppeln findet sich auch in dem frühe sten der hier genannten Beispiele, dem auf Robert Campinzurückgehenden, in zwei Versionen überlie ferten Porträtdes Robert de Masmines,das noch vor 1430 entstanden sein muß. Hier istder Malerauch vor derDarstellung des speckigen Halses und der tie
fen Furchender Stirn nicht zurückgeschreckt.
Von noch geringeren Ausmaßen alsdiesebereits sehr kleinformatigen Bilder ist das nuretwa schulheftgro ße Täfelchen mit dem Bildniseines jungenMannes von der Hand Antonellos da Messina, das den Darge
stellten,einen jungen Mann in schwarzer Kleidung und traditioneller italienischerKopfbedeckung,hin
ter einer Brüstungzeigt.Vermittelt durch den arago
nesischenHofin Neapel, an dem Antonellotätig war, an dem aber auch Jan van Eyck undRogier vander Weyden sich der höchsten Wertschätzungerfreuten, sind in seiner Porträtkunstdie niederländischen Ein
flüsse deutlich sichtbar. Das Bildnis ist aufdie Jahre um 1478 zu datieren,wenn auchdie letzteZahl der Jahresangabe des kleinen Zettels, der an dieBrüstung geheftet ist, unleserlichgeworden ist. Dieses Zettel chen trägt in winzigenBuchstabendie Inschrift: „An- tonellus Messaneusme pinxit - Antonello aus Messi na hat mich gemalt". DasBild istauch deswegenbe merkenswert, weil es als einziges der BildnisseAn
tonellosgelten muß, auf dem ein Landschaftshinter grund miteinemdunkelblauen, trotz der starkenSchä
den noch leuchtendenHimmelzusehenist. Die In
schrift in goldenen Lettern am unteren Bildrand, bei der es sichähnlich wie bei demPorträt desMeisters von Santo Spirito um eine spätere Hinzufügung han
deln dürfte, lautet: “Prosperans modestusesto infor- tunatus vero prudens“ - „im Glück sei bescheiden, im Unglück aberklug.“
Mit ihrermoralisierenden Absicht weist sie indirekt auf einenweiteren der Grundwidersprüche der Por
trätmalerei hin. Denn sie macht deutlich, daß das Äußere eines Menschen möglicherweise eine opake Oberflächeist, die keine derRegungen des Inneren preisgibt. Die Differenz von
Äußerem und Innerem gehört damit zu einer der Haupt schwierigkeiten der europäi schenPorträtmalerei. Einer der exquisitesten und faszinierend
sten Versuche,aufdiesen Wi derspruch hinzuweisen und daraus eine Bildstrategie zu entwickeln, dürfte mitBronzi- nos Porträt des UgolinoMar- telli vorliegen. Die komplexe Struktur dieses Bildnisses konnte erst jüngstweitgehend entschlüsselt werden. In ele
gantes Schwarzgekleidet, zeigt sich der junge Dichter Ugolino
Robert Campin Robert de Masmines Eichenholz, 28,5 X 17,7 cm
in dem steinernen Innenhofei
nes Florentiner Stadtpalastes.
Während sein Gesichtsaus druck vollkommenunbeweg lich undmaskenhaft ist, weist er mit Hand und ausgestreck tem Zeigefinger auf eineZeile in einem aufgeschlagenen Buch,das indeutlichlesbaren griechischen Buchstaben be
schriebenist. Nur der gebilde te Betrachter konnte und kann entziffern, daß es sich um ei nen epischen Vers aus dem neunten Gesang derIlias des Homerhandelt,in dem dertie fe Schmerz und dieüberquel lenden Tränen des Agamem
non beschrieben und einer schwarzen Quelle verglichen werden. DeranschaulicheGe
gensatz zwischen der glatten und unbewegten Oberfläche
Antonello da Messina
Bildnis eines jungen Mannes, 1478 Nußbaumholz, 20,4 x 14,5 cm
desGesichtes des Porträtiertenund dem imText be
schriebenenAusdruck äußersten Schmerzes legtüber deutlich die Differenz zwischen dem Äußeren des Menschen und seinem Inneren offen. Wenn auch die sesInnerein derMalereinicht unmittelbar darstellbar
Abb. S. 40: Jan van Eyck
Bildnis des Baudouin de Lannoy, um 1436 Eichenholz, 26 x 19,5 cm
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sein mag,sogelingt es demliterarisch gebildetenMa
ler Bronzino mit Hilfe der Schriftundunter Hinweis auf die literarischeMetapher Homers, dieTiefen die
ses Inneren zwarnicht sichtbar werden zu lassen,aber dennoch zuevozieren. Dabeidientihm das tiefschwar
ze Gewand des Dichters dazu, jeneeiner schwarzen
Die Differenz von Äußerem und Innerem gehört damit zu einer der Hauptschwierig
keiten der europäischen Porträtmalerei. Einer der exquisitesten und faszinierendsten Versuche, auf diesen Widerspruch hinzuweisen und daraus eine Bildstrategie zu entwickeln, dürfte mit Bronzinos Porträt des Ugolino Martelli vorliegen.
Agnolo di Cosimo di Bronzino Ugolino Martelli, 1540 Pappelholz, 102 x 85 cm
Quelle ähnelndeTraurigkeit des Dichters zum Ausdruck zu bringen. Zugleichwird eine Skepsis gegenüber dem Porträt sichtbar, die dem Besucher der Berliner Gemäl
degalerie schonbei Poussin begegnete.
DieseSkepsis, diesichauf die Undarstellbarkeit der Moralitätdes Porträtiertenbezieht, spricht auch aus den Zeilen, die ein bekannter niederländischer Dich
terim 17. Jahrhundert über Rembrandts Porträt des Amsterdamer Minoritenpredigers Anslo verfaßte:
„Rembrandt, male Cornelis' Stimme/ Das Sichtbare
ist der unwichtigste Teil von ihm / DasUnsichtbare erfährt man nur durch die Ohren/ Wer Anslo sehen will, muß ihn hören.“ DaßdiesebildskeptischenVer
se von einem Dichter verfaßt wurden, der seine Kunst gegen die des Malers Rembrandt zu verteidigen wünscht,macht die Kritik naheliegend.Aberauch in dem Bild selbstscheint die Sprache des Predigers zum Bildthema geworden zu sein. Dennvonder Bibel, die aufgeschlagen auf dem Tisch liegt, wendetsich der bekannte Prediger miteiner sprechenden Gebärde und geöffnetem Mund seinerFrau zu,dieihmsitzend, mit geneigtem Kopf undim Schoßniedergelegten Hän
den,zuzuhören scheint. Schrift, gesprochenes Wort und Bild werden auch hier in komplexerForm auf einander bezogen, um damit die Grenzen des Dar
stellbaren zu erweitern. Denn anders als Bronzino versucht Rembrandt auch die Kommunikationzwei er Menschen, d.h.ihr Sprechen und Hören,im Bild
nis festzuhalten und tritt damitinParagone zu jenem Dichter, der vermeinte, ihm überlegenzu sein.
Die hieranhand einigerBeispiele angedeuteten Para doxien derPorträtmalerei. diezwischen Absenz und Präsenz, Innerem und ÄußeremsowieÄhnlichkeit und Stilisierung angesiedelt werden können, sind bezeich
nenderweise fürdas Bild desHerrschers außerKraft gesetzt. Hier besteht die Aufgabe desMalers darin, im Bild den unsterblichen politischen Körper des Königs sichtbarwerden zu lassen, nicht aber dessen Inneres. Beispielhaft für die Gruppe der Herrscher porträts sei hier abschließend auf das Bildnis des spa nischen KönigsKarls II. verwiesen, dasder Spanier Juan Carreno de Miranda 1673 anfertigte. In monu mentalemFormat und in prachtvoller,düstererFarb
wahl zeigt es den jungen zwölfjährigen König ste
hend, in dunklem Samtanzugund mit dem Degen be waffnet. Daslange, an derSeitegescheitelte Haar fällt weich über seineSchultern herab und umrahmt sein blasses Gesicht mit dentiefen Augenringen. Dersich auf der rechten Bildseitebauschende violette Vorhang erinnert an daszeremonielle Erscheinen des Königs in der „apparitioregis“.Überdeutlicheimperiale Züge zeigt auch dasLöwenpaar,das in seinen Tatzen jeeine Weltkugel hält. Der herrscherlichen Ikonographie entsprechen auch die beiden Adler,die einander ihre Köpfe zuwenden unddiein ihren Fängen zwei groß
formatige Spiegel halten. In den dortreflektierten Bil dern werden die gegenüberliegenden Wände des Saa lessichtbar, andenen sich zahlreiche Gemälde befin den müssen, die jetzt alsgespiegelte Bilderim Por trät erscheinen. Sieerlauben es, den Raum als den
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Juan Carreno König Karl II. von Spanien
als Knabe, 1673 Lw., 205 x 142 cm
„Salon delos Espejos" in derspanischen Residenz zu identifizieren. Im Spiegelerscheintaber auch das Bild des jungenKönigs. DasPorträt Carrenos erweist sich damitals ein Reflexauf Veläzquez monumenta
les Gruppenportät „Las Meninas“, wo ebenfallsim Bildhintergrund ineinem Spiegel dasBild des Herr
scherpaares erscheint. Wenn auch tiefsinniger und rätselhafter als das prominente Vorbild,gehörtCar
renos Bildnis Karls II. sicherlich zu einem der Por
träts,die verdienen, in der neueröffneten Gemälde galerie wiederentdeckt und mitneuen Augen betrach
tetzu werden. ■
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