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Archiv "Rumänien: Kampf dem bösen Geist aus der Flasche" (01.02.2002)

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T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 5½½½½1. Februar 2002 AA273

D

ie Schafe im Stall blöken, weil sie noch nichts zu fressen bekommen haben. In dem kleinen Schuppen nebenan wischt sich ein junger Mann, der Pflastersteine in einem großen Ofen brennt, den Schweiß von der Stirn, und draußen auf dem Hof zerlegen zwei Männer mit ölverschmierten Händen ein altes Mofa in seine Einzelteile. Wer im früheren evangelischen Pfarrhaus des kleinen rumänischen Dorfes Sura Mica (Kleinscheuern) in der Nähe von Sibiu (Hermannstadt) lebt, muss zupacken und kämpfen können: gegen den Alko- hol und für das Überleben der einzigen stationären Langzeittherapie für Alko- holiker in Rumänien.

In dem osteuropäischen Land sind Alkohol und Armut eine besonders teuflische Allianz eingegangen: Wie in den meisten osteuropäischen Ländern ist der Alkohol in Rumänien ein ernst- haftes Problem, doch das Geld fehlt, um die Folgen zu bekämpfen. Das Haus

„Nazareth“ in Sura Mica ist nach Anga- ben seines Leiters, Dr. Holger Lux (35), die einzige Einrichtung in Rumänien, die eine Langzeittherapie für Alkoholi- ker nach westlichem Vorbild anbietet.

16 Plätze für Männer und fünf für Frau- en in einem Nachbardorf – mehr hat Dr.

Lux der Sucht seiner Landsleute nicht entgegenzusetzen.

Der Grat zwischen toleriertem Alkoholkonsum und gesellschaftlicher Isolation sei im Ar-

menhaus Europas schmal, erklärt der Deutsch-Rumäne.

„Viel Alkohol an- zubieten und auch

zu trinken gehört bei uns zu den traditio- nellen Bildern von Gastfreundschaft und männlicher Stärke. Doch wer süchtig ge- worden ist, wird ganz schnell als charak- terlos und unmoralisch verurteilt.“

Tuica, ein doppelt gebrannter Schnaps, ist das Nationalgetränk der

Rumänen und wird bei jeder Gelegen- heit, oft schon am frühen Morgen, ge- reicht. In einer Armutsgesellschaft, die sich auch elf Jahre nach dem blutigen Putsch gegen den verhassten Diktator Nicolae Ceaucescu noch immer nicht ganz von der sozialistischen Herrschaft erholt hat, zählt der Anbau von Wein im eigenen Garten ebenso zu den Über- lebensstrategien der armen Leute wie das schwarze Brennen von Hoch- prozentigem. Wie groß das Problem wirklich ist, kann niemand genau sagen. Der rumä- nische Staat und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geben den Alkoholkonsum der Rumä- nen mit zwölf Litern reinem Alkohol pro Kopf und Jahr an. Der tatsächliche Ver- brauch dürfte durch schwarz gebrannte Alkoholika jedoch mindestens um die Hälfte höher liegen. Im europäischen

Rumänien

Kampf dem bösen Geist aus der Flasche

In Rumänien gehen Alkohol und Armut eine teuflische Allianz ein:

Gerade einmal eine Einrichtung mit 21 Plätzen bietet eine Langzeittherapie an.

Ungewöhnliche Therapiemethode: Dr. Holger Lux (rechts) bei einer Gruppensitzung, in der mithilfe von Holzfiguren eine Familienaufstellung vorgenommen wird.

„Der Staat übt sich bei der Suchtbekämpfung vor

allem im Wegsehen.“

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Durchschnitt werden sieben Liter pro Jahr konsumiert. Dr. Lux vermutet, dass von seinen 22 Millionen Landsleuten mindestens eine Million alkoholkrank sind – ein europäischer Spitzenwert.

Etwa 200 von ihnen konnte der Arzt seit der Gründung der kleinen Thera- pieeinrichtung im Jahr 1993 wenigstens ein Stückchen weiterhelfen. Nach west- lichem Vorbild bietet er zusammen mit einem Psychologen und einem Ergo- therapeuten den Alkoholkranken eine drei bis sechs Monate dauernde Be- handlung an, die vor allem auf Einzel-, Gruppengesprächs- und Beschäfti- gungstherapie setzt.

Die Gesichter der Patienten spre- chen Bände: Die gerötete Haut berich- tet von jahrelangem Alkoholmiss- brauch, die schwachen, hinter dicken Brillen verborgenen Augen vom Raub- bau an der Gesundheit, der wirre Bart vom sozialen Abstieg. Ungelenk schiebt ein etwa 45 Jahre alter Mann während der Gruppentherapie einige Holzfiguren auf dem Tisch umher, die in seinen großen Händen

beinahe verschwinden.

Elf Zuschauer sehen ge- spannt zu, wie vor ihnen aus einer Ansammlung von Holzmännchen das Abbild einer Familie ent- steht, deren Strukturen vielleicht für die Alkohol- abhängigkeit des Mannes verantwortlich sind. Sol- che „Familienaufstellun- gen“ sind in Rumänien bislang noch gänzlich un- bekannte Therapieme- thoden, doch der Erfolg gibt Dr. Lux Recht: 80

Prozent seiner Patienten hätten die Therapie bislang regulär abgeschlos- sen, etwa die Hälfte von ihnen lebe nach wie vor abstinent. Dem Arzt ist klar, dass seine Zahlen weniger als der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein bedeuten, denn der rumänische Staat übe sich, heute wie damals unter Ceaucescu, bei der Suchtbekämpfung vor allem im Wegsehen. Die Definition der WHO, nach der Alkoholismus eine Krankheit ist, wird zwar auch in dem osteuropäischen Land anerkannt, doch praktische Konsequenzen hatte das bis- lang kaum.

Einen Einkommensausgleich oder Krankengeld für die Patienten, die in die monatelange Therapie im Haus „Naza- reth“ kommen, gibt es nicht. Viele ver- lieren deshalb ihre Arbeitsstelle und ihre Wohnung. „Während der Entgiftung in der Psychiatrie habe ich genauso weiter gesoffen wie vorher“, beschreibt Nelu Niamtu die halbherzigen Bemühungen der staatlichen Kliniken, dem Problem Herr zu werden. Mit Bestechung, dem Prinzip, nach dem ein Großteil des rumänischen Alltags organisiert ist, sei auch in den Krankenhäusern an Alkohol heranzukommen, und oft greife der Arzt

mit seinen Patienten gemeinsam zur Fla- sche. Heute kann Nelu Niamtu über die- se Vorkommnisse lachen, denn mithilfe von Dr. Lux schaffte es der 36-Jährige vor vier Jahren, von seiner Sucht loszu- kommen. Er kann inzwischen wieder ei- ner geregelten Arbeit nachgehen und tut dies mit großem Engagement in einem kleinen Schuppen im Hof des alten Pfarrhauses. Vor der Holzhütte beginnt er, zusammen mit einem Patienten, ein altes Mofa in seine Einzelteile zu zerle- gen, um es nach einer gründlichen Repa- ratur verkaufen zu können. Kreativität ist gefragt, um die chronisch schlechte

Finanzlage der Therapieeinrichtung zu verbessern, und so gehört das Geschäf- temachen im Haus „Nazareth“ zum All- tag.

Etwa 150 Akostet ein Therapieplatz im Monat – für deutsche Verhältnisse ein lächerlicher Betrag. Doch bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 75 Aist diese Summe für die meisten Rumänen ein kleines Vermögen. Eine Krankenversicherung wird erst noch ent- wickelt, und die 15 bis 20 Prozent, die der Staat seit kurzem zu den Therapiekosten zuschießt, reichen bei weitem nicht aus.

Weitere zehn Prozent steuern die Patien- ten bei, der Rest des Haushalts muss aus ande- ren Quellen ge- deckt werden.

Die Beschäf- tigungstherapie hat daher weit mehr als nur hei- lenden Charak- ter. Vieles, was in der Therapie hergestellt wird, muss anschlie- ßend verkauft werden, um Geld für den Betrieb der Einrichtung zu bekommen. So gießen die Patienten Pflastersteine, ziehen Lämmer groß, arbeiten im Obstgarten des Pfarrhauses, um aus den Äpfeln später Saft zu machen, oder basteln mit Nelu Niamtu an ge- brauchten, aus Deutschland und der Schweiz gespendeten Fahrrädern herum. Immerhin etwa 260 Räder kann Niamtu jährlich verkaufen und damit 20 Prozent des Haushaltes ab- decken.

Neben seinen ärztlichen Tätigkeiten versucht Dr. Lux zudem Selbsthilfe- gruppen aufzubauen, die Therapiewilli- ge durch die oft monatelange Wartezeit begleiten und ehemalige Patienten nach ihrer Entlassung betreuen. Vier solcher Gruppen existieren bereits, und in einer von ihnen findet auch Nelu Niamtu Halt. Er habe eine Mauer um sich herum gebaut, die ihn vor seiner Sucht schützt, sagt er: „Ich weiß jetzt, dass ich alle Probleme meistern kann, denn mein einziges wirkliches Problem ist der Alkohol.“ Armin Jelenik T H E M E N D E R Z E I T

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A274 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 5½½½½1. Februar 2002

Fotos: Armin Jelenik

Oben: Beschäftigungsthera- pie und Geldquelle: Nelu Niamtu repariert im Hof des Hauses „Nazarath“ ein Mofa, das später zur Finanzierung der Therapie verkauft werden soll.

Links: Mithilfe gefragt. Ein Pa- tient bereitet zusammen mit einer Köchin Waffeln für den Nachmittagskaffee vor.

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