Prophylaxe
der bakteriellen Endokarditis
Dieter Horstkotte, Franz Loogen, Wolfgang Bircks und Harry Rosin Aus der Medizinischen Klinik und Poliklinik B
(Direktor: Professor Dr. med. Franz Loogen), der Chirurgischen Klinik und Poliklinik B (Direktor: Professor Dr. med. Wolfgang Bircks)
und dem Institut für Medizinische Mikrobiologie und Virologie (Direktor: Professor Dr. med. Peter Naumann)
der Universität Düsseldorf
Patienten mit angeborenen oder erworbenen Herzfehlern, herznahen Gefäßmißbildungen und prothetischen Herzklappen sind mit einem deutlich höheren Risiko belastet, an einer bakteriellen Endokarditis zu erkranken als Herzgesunde. Die abnormen Strömungsbedingungen ver- ursachen bei diesen Patienten Endokard- oder Endothelläsionen und nachfolgend thrombotisch-fibrotische Auflagerungen. Im Gefolge trans- ienter Bakteriämien, die bei einer Vielzahl diagnostischer oder thera- peutischer Eingriffe regelhaft auftreten, können diese Thromben bakte- riell infiziert werden. Die durch retrospektive Verlaufsbeobachtung von 533 Patienten ermittelte Endokarditisinzidenz nach solchen Eingriffen mit und ohne Chemoprophylaxe belegt den Nutzen der Vorbeugung.
A
ls Folge ihrer im Vergleich zu anderen Infektionskrankheiten geringen Morbidität und ihrer volkswirtschaftlich untergeordne- ten Bedeutung bleibt der bakte- riellen Endokarditis oftmals die Aufmerksamkeit versagt, die ihr als einer Erkrankung mit 14- bis 50prozentiger Letalität (1, 11)*) ge- bührt. Seit 1979 beobachten wir einen so deutlichen Anstieg der Endokarditishäufigkeit (17), daß die in den siebziger Jahren be- rechnete lnzidenz von jährlich ein bis zwei Erkrankungsfällen je 100 000 Einwohner (5, 31) heute nicht mehr repräsentativ zu sein scheint. Andere Autoren stellen zudem eine Verschiebung des Er- krankungsalters in höhere Le- bensjahre fest (4, 12). Beide Beob- achtungen können ihre Erklärung finden> in der signifikanten Lebensver- längerung, die Patienten mit ange- borenen und erworbenen Herzfeh- lern durch verbesserte herzchirur- gische Möglichkeiten erfahren ha- ben (14);
> in der Zunahme prädisponie- render degenerativer Herzklappen- fehler parallel zum Anstieg der all- gemeinen Lebenserwartung (23);
> in den bei älteren Patienten häufiger erforderlichen invasiven diagnostischen oder therapeuti- schen Maßnahmen, die zu passa- gerer Bakteriämie führen können.
Notwendigkeit der Prophylaxe Bakterielle Endokarditiden haben für den Patienten oft schwerwie- gende Folgen: Bei Infektionen na- tiver Herzklappen wird auch nach erfolgreicher Antibiotikatherapie häufig ein Klappenersatz aus hä- modynamischen Gründen not- wendig (17). Eine Prothesenendo- karditis erfordert nahezu aus- nahmslos eine baldige Reopera- tion. Aus diesen Gründen ist eine Prophylaxe dringend geboten.
*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.
Risikogruppen
Abnorme Blutströmungen, wie sie bei angeborenen oder erworbe- nen Herzfehlern und herznahen Gefäßmißbildungen auftreten, füh- ren zu Endokard- oder Endothellä- sionen, auf deren Boden sich Mi- krothromben bilden (25). Diese können bei transienter Bakteri- ämie besiedelt werden. Die in Ta- belle 1 angegebene Reihenfolge prädisponierender Herzfehler wer- tet das mit der Grundkrankheit verbundene Risiko, an einer Endo- karditis zu erkranken.
Patienten mit erworbenen Herz- klappenfehlern, insbesondere sol- che nach prothetischem Herzklap- penersatz, tragen ein besonders großes Risiko. Die kumulative Häufigkeit gesicherter Prothesen- endokarditiden ist mit 2,2 Prozent nach zehn und 3,6 Prozent nach fünfzehn Jahren unverändert hoch (15). Auch nach chemotherapeu-
tisch sanierter Endokarditis nati- ver Herzklappen bleiben mehr oder weniger ausgeprägte Verän- derungen des Endokards zurück, die ein hohes Reinfektionsrisiko bedingen.
Bei operierten angeborenen Vitien ist das Risiko davon abhängig, in- wieweit die Strömungsdynamik normalisiert werden konnte. Pal- liative Operationen wie zum Bei- spiel die Bändelung der Pulmonal- arterie oder Shuntoperationen zwischen Arterien des System- kreislaufs und der Pulmonalarterie erhöhen die Endokarditisgefahr beträchtlich. Dagegen besteht bei Patienten mit koronarer Revasku- larisierungs-Operation (29) oder Schrittmacherimplantation kein gesteigertes Infektionsrisiko.
Alle Patienten, bei denen ein herz- chirurgischer Eingriff weniger als sechs Wochen zurückliegt, sollten bei zu erwartender Bakteriämie ei-
Tabelle I:
Zur infektiösen Endokarditis prädisponierende Herzfehler und postoperative Befunde gewichtet nach dem vermutlichen Erkrankungsrisiko. Situationen, die keiner Prophylaxe bedürfen da kein erhöhtes Endokarditisrisiko angenommen werden muß, sind im unteren Te I der Tabelle erwähnt
Zustand nach biologischem oder mechanischem Herzklappenersatz Zustand nach infektiöser Endokarditis
Verkalkte Aortenklappenstenose
Angeborene, nicht-verkalkte Aortenklappenstenose
Zustand nach palliativer Operation angeborener Herzfehler Nicht operierte angeborene Herzfehler
Inkomplett korrigierte angeborene Herzfehler Rheumatisch bedingte Herzklappenfehler
Weniger als 6 Wochen zurückliegender kardiochirurgischer Eingriff Aorteninsuffizienz
Mitralinsuffizienz Ductus Botalli apertus Ventri kelseptu mdefekt
Sub- oder supravalvuläre Aortenstenose Aortenisthmusstenose
Angeborene Mitralstenose Vorhofseptumdefekt (Primumtyp)
Hypertrophisch-obstruktive Kardiomyopathie
Vorhofseptumdefekt (Sekundumtyp) und Mitralklappenprolaps Trikuspidalklappenfehler
Pulmonalklappenfehler
Mitralklappenprolaps mit systolischem Geräusch Bikuspidaler Aortenklappenapparat
Periphere Pulmonalstenose
Weniger als 6 Monate zurückliegender kardiochirurgischer Eingriff
Vorhofseptumdefekt (Sekundumtyp)
Mitralklappenprolaps ohne systolisches Geräusch Morbus Ebstein
Aortensklerose
Koronare Herzerkrankung
Zustand nach Schrittmacherimplantation
Zustand nach Verschluß eines Ventrikelseptumdefektes Zustand nach Verschluß eines Vorhofseptumdefektes Zustand nach Ligatur eines Ductus Botalli apertus Zustand nach koronarer Bypassoperation
Tabelle 3:
Bakteriämiehäufigkeit während diagnostischer und therapeuti- scher Eingriffe — Gastrointestinal-, Urogenitaltrakt u. a. —
• Urogenitale Operationen
• Ösophagusdilatation
• Zystoskopie I> Leberbiopsie
• Gastroduodenoskopie I> Kontrasteinlauf
> Starre Sigmoidoskopie
• Hämorrhoidektomie
• Blasenkatheterisierung
• ERCP
• Koloskopie
I> obere gastrointestinale Endoskopie
• Unkomplizierte Geburt I> Flexible Sigmoidoskopie
• Intrauterinpessar-Wechsel
> Herzkatheteruntersuchung
7-82%
ca. 53%
13-43%
6-14%
4-13%
5-11 % 5-10%
ca. 8%
ca. 7%
ca. 5%
2-5%
ca. 4%
<1%
0 0 0 ne Prophylaxe erhalten. Sicher
verschlossene Vorhof- oder Ven- tri kelseptu mdefekte bedürfen nach allgemeiner Überzeugung ei- ner Vorbeugung während der er- sten sechs postoperativen Monate (26). Während für den isolierten Ostium-Sekundum-Defekt der Vorhofscheidewand in der Mehr- zahl der Empfehlungen eine Pro- phylaxe nicht vorgeschlagen wird (7, 22, 29), ist die Notwendigkeit ei- ner Endokarditisprophylaxe beim
Mitralklappenprolapssyndrom (MVP) umstritten (2, 5, 8, 13). Da die lnzidenz der Endokarditis ins- gesamt niedrig, die des MVP hoch ist, wird er als prädisponierender Faktor wahrscheinlich über- schätzt. Das Verhältnis von Nutzen zu Nebenwirkungen und Kosten spricht gegen eine Endokarditis- prophylaxe bei Patienten mit MVP ohne begleitende Mitralinsuffi- zienz (16, 29).
Gefährdende Situationen
Durch Auswertung der Anamne- sen von Endokarditispatienten, durch Untersuchungen der Bakte- riämieinzidenz bei invasiven dia- gnostischen oder therapeutischen Eingriffen und der dabei häufig nachgewiesenen Bakteriengattun- gen lassen sich besondere Risiko- situationen definieren (20, 21). Wir fanden in der jüngeren Anamnese von 142 Endokarditispatienten in 71,8 Prozent eine Infektion oder einen diagnostischen bzw. thera- peutischen Eingriff mit wahr- scheinlicher Bakteriämie.
Transiente Bakteriämien können mannigfaltigen Manövern folgen, die Haut oder Schleimhäute verlet- zen. Bei diagnostischen oder the- rapeutischen Eingriffen im Zahn- Mund-Kieferbereich und am Re- spirationstrakt kommt es häufig zu Streptokokken-Bakteriämien (3, 9, 20). Im Zusammenhang mit Zahn- extraktionen werden, wenn Ent- zündungszeichen bestehen, in Dreiviertel der Fälle, ohne Entzün- dungszeichen bei immerhin einem Drittel der Patienten, die Blutkul- turen positiv. Zahnärztliche Ein-
griffe dieser Art sollten bei gefähr- deten Patienten nur unter dem Schutz einer Endokarditisprophy- laxe erfolgen (18) (Tabelle 2).
Bei abdominellen oder urogenita- len Operationen, Gastroduode- noskopien, beim Kontrasteinlauf, der Blasenspiegelung und -kathe- terisierung und bei Leberbiopsien ist die nachgewiesene Bakteri- ämiehäufigkeit durch Streptokok- ken der serologischen Gruppe D (Enterokokken) ebenfalls so hoch, daß eine Prophylaxe notwendig ist (3, 8, 9, 20, 27, 30, 32). Bei der fle- xiblen Sigmoidoskopie (8), bei un- kompliziert verlaufenden Gebur- ten (30, 32), Wechsel von Intraute- rinpessaren und der Kürettage wird, falls keine Infektionen vorlie-
gen, eine Prophylaxe dagegen nicht für erforderlich gehalten (29) (Tabelle 3).
Antibiotikawahl
Obwohl in den zurückliegenden Jahren gramnegative Stäbchen- bakterien als Sepsiserreger vor- herrschten, dominieren als Endo- karditiserreger unverändert gram- positive Keime. Dieses augenfälli- ge Mißverhältnis weist darauf hin, daß bestimmte Bakterien eine be- sondere Affinität zum geschädig- ten Endokard haben (24, 28). Die Chemoprophylaxe von Endokardi- tiden muß sich deshalb vor allem gegen grampositive Bakterien richten.
Tabelle 2:
Bakteriämiehäufigkeit während diagnostischer und therapeuti- scher Eingriffe — Oropharynx und Respirationstrakt —
I> Zahnextraktionen
(bei Vorliegen von Entzündungszeichen) 70-85%
I> Zahnextraktionen (ohne Entzündungszeichen) 18-34%
• Tonsillektomie 28-38%
• Nasotracheale Intubation ca. 16%
I> Starre Bronchoskopie ca. 15%
• Fiberbronchoskopie <1%
Tabelle 6:
Häufigkeit von Prothesen-Endokarditiden nach diagnostischen oder therapeutischen Eingriffen bei Patienten mit prothetischen Herzklappen mit und ohne Endokarditisprophylaxe
Endokarditisprophylaxe*) Patienten
Zahnärztliche Eingriffe Oropharynx-Chirurgie
Eingriffe am Respirationstrakt Gastrointestinale Diagnostik Abdominalchirurgie
Urologische Eingriffe Gynäkologische Eingriffe Verletzungen/Wundinfektionen
mit 229
93 (0) 21 (0) 16 (0) 46 (0) 44 (0) 23 (0) 31 (0) 13 (0)
ohne 304 117 (2)
39 (1) 27 (0) 59 (0) 37 (0) 39 (2) 46 (1) 26 (0)
Manöver insgesamt 287 (0) 390 (6)
lnzidenz/100 Manöver 0 1,54
*) in Klammern = gesicherte Prothesen-Endokarditiden innerhalb 14 Tagen nach dem Eingriff
Tabelle 4:
Prophylaxe der Endokarditis durch Streptokokken aus dem Oro- pharynx
30 bis 60 Minuten vor dem Eingriff 2 ME Penicillin G i. v.
plus 1,0 g Streptomycin i. m.*) evtl. nach 6, 12, 18 und 24 Stunden 1 ME Oral-Penicillin bei Penicillin-Unverträglichkeit:
90 Minuten vor dem Eingriff 1,0-1,5 g Erythromycin p. o.
evtl. nach 6, 12, 18 und 24 Stunden 0,5 g Erythromycin p. o.
*) Bei Patienten unter Antikoagulantientherapie sind i. m. Injektionen relativ kontraindi- ziert, so daß die Applikation intravenös erfolgen sollte.
Tabelle 5: Prophylaxe der Endokarditis durch Enterokokken 30 bis 60 Minuten vor dem Eingriff 1,0-2,0 g Ampicillin i. v.
plus 80 mg Gentamicin i. v.
evtl. nach 8 und 16 Stunden erneute Injektionen bei Penicillin-Unverträglichkeit:
30 bis 60 Minuten vor dem Eingriff ca. 1,0 g Cefalosporin i. m.*) plus 80 mg Gentamicin i. v.
evtl. nach 8 und 16 Stunden erneute Injektionen
*) Bei Patienten unter Antikoagulantientherapie sind i. m. Injektionen relativ kontraindi- ziert, so daß die Applikation intravenös erfolgen sollte.
Zur Zeit bestehen zahlreiche, zum Teil komplizierte und deshalb ver- wirrende Richtlinien zur Che- moprophylaxe der bakteriellen En- dokarditis. Die frühesten Empfeh- lungen waren die der American Heart Association aus dem Jahre 1972, die 1977 und 1984 (29) modi- fiziert wurden. Sie postulierten die wiederholte und kombinierte Ga- be potentiell bakterizid wirksamer Antibiotika.
Das von uns bisher angewandte Schema ist an die Empfehlungen der American Heart Association angelehnt (19). Wurde eine Bakte- riämie durch Streptokokken der Mundflora erwartet (vergleiche Ta- belle 2), so führten wir eine Pro- phylaxe mit zwei Mega-Einheiten Penicillin in Kombination mit Streptomycin parenteral durch.
Lag eine Penicillinunverträglich- keit vor, erfolgte die Prophylaxe durch orale Gabe von Erythromy- cin (Tabelle 4).
Obwohl bei Eingriffen im Zahn- Mund-Kieferbereich oder am Re- spirationstrakt eine Bakteriämie selten länger als 15 Minuten nach Beendigung der Manipulation nachgewiesen werden kann, wur- de die Prophylaxe bis zu 24 Stun- den (maximal 48 Stunden) nach dem Eingriff mit einem Oralpeni- cillin fortgeführt.
Bei einer erwarteten Bakteriämie im Rahmen von Eingriffen am Uro- genital- oder Gastrointestinaltrakt (vgl. Tabelle 3) führten wir, falls keine Penicillinunverträglichkeit vorlag, die Prophylaxe mit einer Kombination von Ampicillin und Gentamicin parenteral durch (Ta- belle 5). Bei Penicillinunverträg- lichkeit wurde statt Ampicillin auf ein Cefalosporin (zum Beispiel Ce- fazolin) ausgewichen.
Eine parenterale Endokarditispro- phylaxe ist bei stationären Patien- ten ohne Schwierigkeiten durch- führbar, findet aber bei ambulan- ter Behandlung im allgemeinen nur geringe Akzeptanz und unter- bleibt daher häufig. In jüngerer Zeit sind deshalb
von verschiede-
nen Gremien vereinfachte Prophy- laxeschemata vorgeschlagen wor- den, die eine einmalige orale Ap- plikation von drei Gramm Amoxy- cillin propagieren (6, 10, 22, 33).
Allerdings sehen auch diese Sche- mata für besonders gefährdete Pa- tienten die parenterale, kombinier- te und wiederholte Antibiotikaga- be vor. Da zudem die hohe Amoxy- cillindosis gastrointestinale Un- verträglichkeiten erwarten läßt, ist ungewiß, welches der Prophylaxe- schemata in der täglichen Anwen- dung überlegen ist.
(Tabelle 6). Alle sechs Patienten mußten reoperiert werden; ein Pa- tient verstarb perioperativ. Ur- sächliche Erreger waren vergrü- nend wachsende Streptokokken beziehungsweise Enterokokken.
Bei der bakteriologischen Resi- stenzbestimmung erwiesen sie sich als sensibel gegen die Anti- biotika, die wir bei den jeweiligen Eingriffen zur Prophylaxe einge- setzt hätten. Auch wenn zur Zeit kein in jeder Hinsicht optimales Prophylaxeschema angeboten
werden kann, mahnt die steigende Zahl von Endokarditiserkrankun- gen, der Problematik der Endokar- ditisvorbeugung größere Aufmerk- samkeit zu widmen.
Anschrift für die Verfasser:
Dr. med. Dieter Horstkotte Medizinische Klinik und Poliklinik B
der Universität Düsseldorf Moorenstraße 5
4000 Düsseldorf
AUSSPRACHE Kosten und Nutzen
der Endokarditisprophylaxe Die Arzneikosten betragen für die von uns bei Eingriffen im Oropha- rynx eingesetzte Prophylaxe etwa 11 DM und für die bei gastrointe- stinalen und urologisch-gynäkolo- gischen Eingriffen gewählten Anti- biotika etwa 19 DM.
Unser Prophylaxeschema kam zwischen 1983 und 1984 bei 229 Patienten mit prothetischen Herz- klappen, also hohem Endokardi- tisrisiko, zur Anwendung. Bei die- sen Patienten wurden 287 Eingriffe durchgeführt, ohne daß eine Pro- thesenendokarditis auftrat. Wäh- rend des gleichen Zeitraums haben wir 1898 Patienten retrospektiv be- fragt, ob an ihnen einer der von uns als prophylaxepflichtig beur- teilten Eingriffe erfolgt war. Bei 304 Patienten war ohne irgendei- ne Prophylaxe ein solcher Eingriff durchgeführt worden. Innerhalb von vierzehn Tagen nach dem Ein- griff traten in dieser Gruppe sechs, im späteren Verlauf zwei weitere Prothesenendokarditiden auf (19).
Dies entspricht einer lnzidenz von 1,5 Infektionen innerhalb von zwei Wochen, bezogen auf 100 Ein- griffe.
Die Endokarditisrate lag bei urolo- gischen Eingriffen am höchsten (5,1 Prozent), gefolgt von chirurgi- schen Eingriffen im Bereich des Oropharynx (2,6 Prozent), gynäko- logischen (2,2 Prozent) und zahn- ärztlichen Eingriffen (1,7 Prozent)
Prophylaxe
der Endokarditis
Zu der Kurzmitteilung Neue Richtlinien der
American Heart Association von Professor Dr.med.
Dr. med. dent. Jürgen Lentrodt in Heft 31/32, 1986,
Seiten 2158 und 2159
Stellungnahme
In diesem Artikel schreiben die Au- toren: „Im Erregerspektrum hat sich aber ein Wandel abgezeich- net, wobei Staphylococcus aureus hämolyticus mehr für akute ...".
Diese Species Staphylococcus au- reus hämolyticus gibt es nicht. Es muß entweder heißen: Staphylo- coccus aureus oder Staphylococ- cus haemolyticus, wobei diese beiden Species sich grundsätzlich unterscheiden:
S. aureus — diese Art ist wohl in dem Artikel angesprochen — gilt allgemein als pathogen und ist als einzige humanpathogene Staphy- lokokkenart koagulasepositiv, das heißt S. aureus besitzt eine soge- nannte Plasmakoagulase, ein En- zym mit Thrombinfunktion.
S. haemolyticus gehört im Gegen- satz hierzu zur großen Gruppe der koagulasenegativen Staphylokok-
ken, deren häufigster Vertreter S.
epidermidis ist. Obwohl früher als apathogen gewertet, weiß man heute, daß die koagulasenegati- ven Staphylokokken bei entspre- chender Disposition des Wirtsor- ganismus ebenfalls zu Infektionen führen können, zum Beispiel Sep- sis oder auch Endokarditis.
Zum Problem der falschen No- menklatur: Die Namen einzelner Bakterienarten bestehen generell aus zwei Teilen, der erste Teil ist der Genus-Name (hier: Staphylo- coccus), der zweite Teil ist das so- genannte spezifische Epitheton, das aus einem latinisierten Adjek- tiv besteht (hier: aureus, bzw.
haemolyticus), einem lateinischen Wort im Genitiv oder gelegentlich aus einem Substantiv in Apposi- tion (nach 1). Diese Art der No- menklatur wird allgemein als bino- minale Benennung bezeichnet und ist die Grundlage einer welt- weit sinnvollen Verständigung auf dem Gebiet der Mikrobiologie und Infektionslehre.
(1) Bergey's Manual of Systematic Bacteriolo- gy Vol 1, N. R. Krieg, J. G. Holt (Hrsg.), Wil- liamse & Wilkins, Baltimore, 1984.
Dr. med. Heiko K. Geiss Hygiene-Institut der Universität Heidelberg Im Neuenheimer Feld 324 6900 Heidelberg 1
Professor Lentrodt hat auf ein Schlußwort verzichtet.