Prophylaxe erforderlich Prophylaxe nicht erforderlich
Herzklappenprothesen Status nach bakterieller Endokarditis
Kongenitale Herzvitien (ohne Vorhofseptumdefekt) Rheumatische Klappenvitien Mitraklappenprolaps
mit Mitralinsuffizienz Hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie
Isolierter Vorhofseptumdefekt (Secundum-Typ)
Herzschrittmacher
Status nach
aortokoronarem Bypass
Mitralklappenprolaps ohne Mitralinsuffizienz
Tabelle 1: Kardiale Indikationen zur Endokarditisprophylaxe*)
`) Diese Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit
Tabelle 2: Eingriffe mit erforderlicher Endokarditisprophylaxe im zahnärztlichen Bereich und im oberen Respirationstrakt
1. Alle zahnärztlichen Eingriffe mit gingivalen Blutungen 2. Tonsillektomien und Adenotomien
3. Chirurgische Eingriffe am Respirationsepithel einschließlich Pro- beexzisionen
4. Bronchoskopien, insbesondere mit starren Bronchoskopen 5. Inzisionen und Drainagen von infiziertem Gewebe
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
KURZMITTEILUNG
Geschichtlicher Rückblick Lewis und Grant berichten schon 1923, daß 62,5 Prozent aller infek- tiösen Endokarditiden von Strep- tokokken hervorgerufen werden (6)*). Unter den Streptokokken ist dabei Streptococcus viridans der vorherrschend verantwortliche Keim für die Endokarditisentste- hung. Im Erregerspektrum hat sich aber ein Wandel abgezeich- net (8, 10), wobei Staphylococcus aureus hämolyticus mehr für aku- te und Streptococcus viridans mehr für subakute Verlaufsformen verantwortlich ist.
Okell und Mitarbeiter (9) wiesen bereits 1935 auf den Zusammen- hang zwischen stattgefundenen Zahnextraktionen, Streptokokken- Bakteriämien und Endokarditis- entstehung hin. Sie wiesen bei 61 Prozent der Blutkulturen von Pa- tienten nach Zahnextraktionen vorübergehend nichthämolysie- rende Streptokokken nach. Dies gelang unmittelbar anschließend und bis zu acht Stunden nach den Extraktionen. In der vorantibioti- schen Zeit betrug die Letalität der Endokarditis 98 Prozent, und sie liegt auch heute noch bei 20 Pro- zent bis 30 Prozent (2, 5).
Aus diesem Grunde gibt es zahl- reiche Vorschläge zur Endokardi- tisprophylaxe (4, 7). Die American Heart Association veröffentlichte 1977 Richtlinien zur Antibiotika- prophylaxe (4). Diese Richtlinien sind in der deutschsprachigen Li- teratur bekannt und schon häufig zitiert worden (5, 10). Unbekannt im deutschsprachigen Schrifttum scheint die Tatsache zu sein, daß die American Heart Association ih- re Richtlinien im Dezember 1984 geändert hat (1). Die neuen Richt- linien sind erschienen in JADA, Vol. 110 (1985) 98-100.
Indikationen für eine Endokarditisprophylaxe
Obwohl eine Vorhersage unmög- lich ist, welche Patienten eine in- fektiöse Endokarditis nach chirur- gischen Eingriffen entwickeln werden, kann man dennoch Risikogruppen feststellen. Es sind dies Patienten mit kongenitalen oder erworbenen Herzklappen- fehlern. In Tabelle 1 sind die Krankheiten zusammengestellt, die eine Endokarditisprophylaxe erfordern.
Da keine kontrollierten klinischen Versuche möglich sind, basieren die neuen Richtlinien der American Heart Association auf indirekten In- formationen wie In-vitro-Studien, klinischen Erfahrungen und bakte- riologischen Erkenntnissen. Wich- tig ist, daß die Antibiotika erst kurz vor dem Eingriff und nicht mehrere Tage vorher gegeben werden, um eine vorherige Keimselektion aus- zuschließen. Die American Heart Association bevorzugt bei Patien- ten mit hohem Endokarditisrisiko (zum Beispiel Herzklappenprothe- senträger und Patienten mit Status nach bakterieller Endokarditis) die parenterale Antibioti kaprophylaxe.
Bei Antikoagulantientherapie ist ei- ne intramuskuläre Gabe kontrain- diziert und somit eine intravenöse Gabe erforderlich.
') Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis des Sonderdrucks.
Endokarditis-Prophylaxe
Neue Richtlinien der American Heart Association Jürgen Lentrodt und Fred Schubert
2158 (42) Heft 31/32 vom 1. August 1986 83. Jahrgang Ausgabe A
2 Mio. I. E.
1 Stunde vor dem Eingriff:
Penicillin V 2 g oral oder
Penicillin G i. v. (i. m.)
30-60 Minuten vor Eingriff
50 mg/kg KG pro Dosis Ampicillin:
2 mg/kg KG pro Dosis Gentamycin:
präoperativ postoperativ Erythromycin: 20 mg/kg KG
10 mg/kg KG
Vancomycin: 20 mg/kg KG pro Dosis
Tabelle 3: Richtlinien zur
Endokarditisprophylaxe für zahnärztliche Maßnahmen und Eingriffe im oberen Respirationstrakt
Mäßiges Risiko Hohes Risiko
30 Minuten vor dem Eingriff:
Ampicillin 2 g i. v. (i. m.) plus
Gentamycin 1,5 mg/kg i.v.
(i.m.)
6 Stunden nach dem Eingriff:
Penicillin V 1 g oral oder
Penicillin G 1 Mio. I. E.
i. v. (i. m.)
6 Stunden nach dem Eingriff:
Penicillin V 1 g oral oder
8 Stunden nach dem Eingriff:
Wiederholung der obenge- nannten Ampicillin/Gentamycin- Kombination
Bei Penicillinallergie 1 Stunde vor dem Eingriff:
Erythromycin 1 g oral 6 Stunden nach dem Eingriff:
Erythromycin 500 mg oral
Vancomycin 1 g i. v.
langsam über 1 Stunde verteilt, 1 Stunde vor dem Eingriff begin- nend (keine Wiederholung nötig)
Tabelle 4: Pädiatrische Dosierungen der
American Heart Association zur Endokarditisprophylaxe
Penicillin V: volle Erwachsenendosis ab 27 kg KGhalbe Erwachsenendosis unter 27 kg KG Penicillin G: 50 000 Einheiten/kg KG präoperativ
25 000 Einheiten/kg KG postoperativ
Die Gesamtdosen sollen nicht größer als die Erwachsenendosen sein.
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Endokarditis-Prophylaxe
Die Eingriffe im zahnärztlichen Bereich und im oberen Respira- tionstrakt mit erforderlicher Endo- karditisprophylaxe sind nach den neuen Richtlinien der American Heart Association in Tabelle 2 zu- sammengestellt. Das Risiko mit flexiblen Bronchoskopen ist ge- ring, aber nicht exakt einschätz- bar. Einfache endotracheale Intu- bationen sind keine Indikation für eine antibiotische Prophylaxe.
Therapeutische Richtlinien
Die American Heart Association gibt detaillierte Richtlinien zur En- dokarditisprophylaxe bei Patien- ten mit mäßigem und hohem Risi- ko. Zur Gruppe mit hohem Risiko gehören in erster Linie alle Patien- ten mit Herzklappenprothesen.Die genauen Anweisungen sind in Tabelle 3 aufgeführt.
Bei verzögerter Heilung oder er- heblich reduziertem Allgemeinbe- finden können zusätzliche Anti- biotikagaben postoperativ nötig werden, obwohl nur selten länger als 15 Minuten nach zahnärzt- lichen Eingriffen Bakterien im Blut nachgewiesen werden konnten.
Bei mäßigem Endokarditisrisiko wird Penicillin V als orales Penicil- lin wegen der guten Magensäure- beständigkeit empfohlen. Die von der American Heart Association festgelegten pädiatrischen Dosie- rungen entnehme man Tabelle 4.
Es ist insgesamt nicht möglich, für alle klinischen Situationen Richtli- nien festzulegen. Die American Heart Association weist insbeson- dere darauf hin, daß Ärzte und Zahnärzte trotz Antibiotikaprophy- laxe bei ungewöhnlichem post- operativem Heilungsverlauf an ei- ne Endokarditis denken müssen.
Nach Kirch (5) ist ein Unterlassen der Antibiotikaprophylaxe bei Pa- tienten mit relevantem Risiko mit Sicherheit ein ärztlicher Kunstfeh- ler und als solcher auch foren- sisch von Bedeutung.
Wie wichtig eine antibiotische Prophylaxe sein kann, wird von
Germer (2) anhand eines Extrem- beispiels erläutert: Einer jungen Frau mit Herzklappenfehler war ohne antibiotischen Schutz eine Spirale eingesetzt worden. Darauf- hin entwickelte sich eine Endokar- ditis, der die Patientin erlag.
Literatur im Sonderdruck, zu beziehen über die Verfasser.
Anschrift für die Verfasser:
Professor Dr. med.
Dr. med. dent. Jürgen Lentrodt Direktor der Klinik für Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie
— Westdeutsche Kieferklinik — der
Universität Düsseldorf Moorenstraße 5
4000 Düsseldorf 1
Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 31/32 vom 1. August 1986 (43) 2159