DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Lebererkrankungen und Diabetes
erhöht. Anders, als bei den akuten Lebererkrankungen, handelt es sich hier um eine echte Insulinre- sistenz gegenüber endogen se- zerniertem und exogen zugeführ- tem Insulin im gesamten Organis- mus.
Die Pathogenese dieser Gluko- seutilisationsstörung und Insulin- resistenz ist komplex und nur teil- weise aufgeklärt. Entgegen frühe- ren Vermutungen spielen die bei Zirrhose häufig erhöht gefunde- nen Glukagon- und Wachstums- hormonspiegel sowie eine spon- tane oder medikamentös indu- zier;te Hypokaliämie, wenn über- haupt, nur eine sehr untergeord- nete Rolle. Die Bedeutung der er- höhten Konzentrationen Freier Fettsäuren für die gestörte peri- phere Glukoseutilisation wird von verschiedenen Autoren unter- schiedlich eingeschätzt.
Untersuchungen beim Menschen konnten zeigen, daß die Insulinre- sistenz bei der Leberzirrhose so- wohl durch einen Rezeptor-De- fekt (= numerische Reduzierung insulinbindender Rezeptoren) wie auch durch Post-Rezeptor-Defek- te (= Reduktion der Insulinwir- kung/Antwort im Zielgewebe) ver- ursacht ist. Überlegungen zur Pa- thogenese dieser Insulinresistenz haben bislang nur hypothetischen Charakter:
Initial könnte ein Leberzellscha- den-bedingter Post-Rezeptor-De- fekt auftreten, so daß die Insulin- effekte auf den Leberstoffwechsel wie Hemmung der hepatischen Glukoneogenese und Stimulation der Glukoseaufnahme aus dem Portalblut nur vermindert wirksam werden könnten. Die Folgen wä- ren eine gesteigerte endogene Glukoseproduktion sowie eine Überflutung des peripheren Kreis- laufs mit nichtextrahierter exoge- ner Glukose aus dem Portalge- biet Ständig erhöhte Blutzucker- spiegel könnten als nächster Schritt zu einem Hyperinsulinis- mus führen, der wiederum (ver- gleichbar den Verhältnissen bei der Fettsucht) in den peripheren
Geweben zunächst einen primä- ren Rezeptor-Defekt, späterhin vielleicht dann auch zusätzlich ei- nen Post-Rezeptor-Defekt verur- sachen könnte. Diese pathogene- tisehe Sequenz würde alle Verän- derungen im Glukosestoffwech- sel bei Zirrhosekranken erklären:
Pathologische Glukosetoleranz, Hyperinsulinämie, Verminderung der Anzahl insulinbindender Re- zeptoren sowie Post-Rezeptor- Defekte mit herabgesetzter lnsu- linresponse.
Daß diese schwerwiegenden Ver- änderungen prinzipiell reversibel sind, konnte bei Zirrhosepatien- ten mit M. Wilson bzw. primärer Hämochromatose eindrucksvoll belegt werden: Zuvor patho- logische Glukoseteleranzen mit Hyperinsulinämie normalisierten sich nach konsequenter Therapie mit D-Penicillamin bzw. Aderlaß- behandlung.
Bei allen anderen chronischen, vor allem progredienten Leber- krankheiten bleiben die Stoff- wechselstörungen bestehen; die Glukosetoleranz verschlechtert sich fortschreitend im Laufe der Jahre.
..". Fazit: Wird bei chronischen Lebererkrankungen in der Folge ein Diabetes mellitus klinisch ma- nifest, so kann er zumeist durch Diät und orale Antidiabetika unter Kontrolle gebracht werden. Be-
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erkrankung ein Diabetes mellitus, so tritt im allgemeinen eine derar- tige Verschlechterung der Stoff- wechselsituation ein, daß eine Einstellung mit Insulin erforder- lich wird.
Literatur im Sonderdruck, zu be- ziehen über die Verfasser.
Anschrift der Verfasser:
Privatdozent
Dr. med. Jürgen Ohlen
Professor Dr. med. Hans Seimair Klinik Wartenberg
8059 Wartenberg/Obb.
1182 (78) Heft 15 vom 13. April1984 81. Jahrgang Ausgabe A
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Blutdruckmessung wirkt auf Blutdruck und Herzfrequenz
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Mancia, G., et al.: Effects of Blood-Pressure Measurement by the Doctor on Patient's Blood Pressure and Heart Rate, The Lancet II (1983) 695-697, Dr. Giuseppe Mancia, Clinica Medica IV, Policlinico, Via F. Sforza, 20122 Milano, Ita- lien