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Archiv "Ambulante Versorgung: Heilmittel – Wellness für die Massen?" (25.06.2004)

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er Anstieg der Heilmittelausga- ben in 2002 um circa 16,4 Pro- zent und erneut um 4,8 Prozent in 2003 führte zu einer Überschreitung der Ausgabenvolumina für die Heil- mittelversorgung von mehr als 630 Mil- lionen Euro pro Jahr. Dafür – so sieht es

§ 84 SGB V vor – müssen die niederge- lassenen Ärzte gegebenenfalls haften.

Dieser Betrag entspricht ungefähr fünf Prozent der kassenärztlichen Gesamt- vergütung. Eine Morbiditätsverände- rung, die die qualitative und quantitati- ve Entwicklung in der Heilmittelversor- gung begründet, war in diesem Umfang nicht zu erwarten. Als ursächlich für die Mengen- und Ausgabenentwicklung wurden die Schwachstellen der im Jahr 2001 eingeführten Heilmittel-Richtlini- en erkannt. Zum Beispiel

>enthielten sie bei 53 zu berücksich- tigenden verschiedenen Diagnosegrup- pen allein für das Skelettsystem 265 verschiedene Verordnungsvorschriften für den Arzt,

>spiegelten die aufgeführten Dia- gnosegruppen die Alltagsrealität nicht wider,

>wurde die Möglichkeit der Thera- peutenempfehlung dazu genutzt, dass bei rund 80 Prozent der Patienten die Fortsetzung einer begonnenen Thera- pie seitens der Physiotherapeuten vor- geschlagen wurde – unabhängig vom Umfang der Vorrezepturen und dem Krankheitsbild.

Dies ließ nur den Schluss zu, dass Deutschland ein Volk von Schwerkran- ken ist, die Heilmittel keinen therapeu- tischen Nutzen haben und/oder die Therapeutenempfehlung nicht krank- heitsadäquat angewendet wurde. Vor diesem Hintergrund stand das Ziel,

die zur Verfügung stehenden Res- sourcen im Heilmittelbereich auf den schwer, oft chronisch Kranken zu kon- zentrieren, die Heilmittelrezepturen für den Arzt zu entbürokratisieren und zu vereinfachen sowie die Eigenver- antwortlichkeit des Patienten unter dem Leitgedanken „Hilfe zur Selbsthil- fe“ zu fördern.

Die Weiterentwicklung der Heil- mittel-Richtlinien zum 1. Juli 2004 bringt daher wesentliche Veränderun- gen mit sich:

1. Primäres Kriterium der zukünfti- gen Heilmittelrezeptur ist die Prognose des Arztes, ob eine Erkrankung mit kurzfristigem oder langfristigem Be- handlungsverlauf zu erwarten ist (Bei- spiele: übliche Rückenverspannungen oder Bandscheibenvorfall mit neurolo- gischen Ausfällen). Bei Erkrankungen

mit kurzfristigem Verlauf (Beispiel üb- liche Verspannungen in der Rücken- muskulatur) ist die Verschreibung auf einmal sechs Behandlungseinheiten re- duziert. Bei schweren Erkrankungen mit prognostisch langfristigem Ver- lauf (Beispiel Bandscheibenvorfall mit neurologischen Ausfällen) sind so ge- nannte Gesamtverordnungsmengen auf 18, 30 oder 50 Behandlungseinheiten festgelegt. Darüber hinaus bestehen umfangreich begründungspflichtige Ausnahmeregelungen für schwerst chronisch Erkrankte (zum Beispiel Apoplex, ICP, multiple Sklerose) .

2. Reduktion der Zahl der Diagnose- gruppen, allein im Skelettbereich von 53 auf sechs, mit leicht zu merkender Verschlüsselung der Leitsymptomatik.

3. Wegfall der Angaben der Leitsym- ptomatik, wenn sie aus Diagnose und Diagnoseschlüssel hervorgeht.

4. Ausdehnung des behandlungsfrei- en Intervalls zwischen zwei Regelfällen von sechs auf zwölf Wochen. Begrün- dungspflichtige Ausnahmen sind im Schwerstkrankenbereich möglich.

5. Wegfall der Verordnungsmodalitä- ten Erstverordnung, erste Folgeverord- nung, zweite Folgeverordnung, Lang- fristverordnung, Langfristverordnung außerhalb des Regelfalls. Zukünftig gibt es nur noch die Erstverordnung, die Fol- geverordnung und die Verordnung außerhalb des Regelfalls.

6. Maximale Verschreibungsmenge:

Im Regelfall pro Rezept sechsmal bis zum Erreichen der Gesamtverord- nungsmenge. Ausnahmen bilden bei- spielsweise Erkrankungen des zentra- len Nervensystems, Ergotherapie, Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie, Dysmelien, und schwersterkrankte Kleinkinder.

7. Maximal zwei verschiedene Heil- mittel pro Rezept.

8. Wegfall der Therapieempfehlung des Therapeuten.

Die Revision der Heilmittel-Richtli- nien war notwendig, um bei begrenzten Ressourcen eine ausreichende, zweck- mäßige und wirtschaftliche Versorgung mit Heilmitteln zu sichern und somit einen weiteren Anstieg der Heilmittel- ausgaben zu verhindern. Zwar sind evidenzbasierte Grundlagen zur Wirk- samkeit von Heilmitteln im Allge- meinen nur rudimentär in der Litera- P O L I T I K

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A1864 Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2625. Juni 2004

Ambulante Versorgung

Heilmittel – Wellness für die Massen?

Zum 1. Juli dieses Jahres treten neue Heilmittel-Richtlinien in Kraft. Der Autor des Beitrags ist Vorsitzender des zuständigen Unterausschusses im Gemeinsamen Bundesausschuss.

Dr. med. Norbert Metke ist Vorsit- zender des Unterausschusses Heil- und Hilfsmittel des Gemeinsamen Bundesausschusses.

Foto:KN Nord-Württemberg

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tur vorhanden, sehr wohl aber evidenz- basierte Daten, wann Heilmittel gegen- über Spontanverläufen keine Vorteile zeigen.

Daher sahen die Vorentwürfe der jetzt verabschiedeten Heilmittel-Richt- linien mit dem vorrangigen Ziel der Konzentration der vorhandenen Mittel auf den Schwerkrankenbereich eine wesentlich drastischere Reduktion von Art, Menge und Kombinationsmöglich- keiten der Heilmittel vor. Unter dem massiven Einfluss einzelner Interes- senverbände, die eine „Wellnessierung“

der Bevölkerung einer adäquaten Ein- zelversorgung wirklich Kranker vor- zuziehen scheinen, mussten die Heil- mittel-Richtlinien auf Wunsch des auf- sichtsführenden Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Siche- rung in die vorliegende Form ge- bracht werden. Wer aber in Regie- rungsverantwortung von den Ärzten eine schlanke Evidenzbasierte Medi- zin und Richtlinien einfordert, diese unter dem Eindruck von Landtags- wahlergebnissen per Anordnung aber aufweicht, um den Ärzten anschlie- ßend erneut eine unwirtschaftliche Verordnungstätigkeit vorzuwerfen, trägt zu dem bei, was in der Bundesrepu- blik als politische Vertrauenskrise dis- kutiert wird.

Die Novellierung der Heilmittel- Richtlinien ist gleichwohl ein Vorteil für

>den Arzt, weil die neuen Richtlini- en einfacher zu handhaben und weniger bürokratisch sind;

>den Patienten, weil die Konzentra- tion der Mittel auf den schwer und chronisch Kranken liegt;

>die Versicherten, weil die Ausgaben aufgrund eines sinnvolleren Umgangs mit den Ressourcen sinken können.

Es liegt damit im elementaren Inter- esse der Vertragsärzte, die neuen Heil- mittel-Richtlinien so, wie sie jetzt gefasst sind, umzusetzen. Nur so können die Vertragsärzte der erneuten politischen Verunglimpfung entgehen, Regresse vermeiden und letztendlich die Kran- ken mit den Heilmitteln versorgen, die sie benötigen. Dr. med. Norbert Metke

P O L I T I K

Deutsches ÄrzteblattJg. 101Heft 2625. Juni 2004 AA1865

Die Heilmittel-Richtlinien können im Internet abgeru- fen werden: www.kbv.de/themen/5766.htm oder www.

aerzteblatt.de/heilmittelrichtlinien

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eder Kranke weiß sie zu schätzen, die Flut an gut gemeinten Ratschlägen, entgegen gebracht von höchst besorgter Verwandtschaft und Bekannt- schaft. Auch der schwerkranke Patient „Medizinische Versorgung“ er- stickt förmlich in mehr oder weniger aussichtsreichen Therapieempfehlun- gen. Durch die Praxisgebühr zum umsichtigen und wirtschaftlichen Verhalten ermahnt, beteiligen sich auch meine Patienten ausgiebig an dieser Diskussion.

„Dass mein Nierentumor rechtzeitig entdeckt und entfernt worden ist, dafür bin ich schon irgendwie dankbar, aber . . .“, zwei dunkle Augenbrauen ziehen sich zusammen, die Augen darunter werfen einen gewittrigen Blick auf mich, „. . . aber diese immense Ressourcenverschwendung im Vorfeld, das ist ein Skandal, Herr Doktor!“ Prophylaktisch schrumpfe ich auf die Hälfte meiner Körperoberfläche zusammen und verschanze mich hinter meinem Schreibtisch. Wir leben schließlich in Zeiten, in denen gewohn- heitsmäßig wir Ärzte erst mal die Prügel einstecken. „Zuerst kamen Sie . . .“, erläutert mein Gegenüber, „und haben diesen Knoten in der rech- ten Niere im Ultraschall gesehen. Ich will gar nicht genau wissen, welche Unsummen Sie von meiner Krankenkasse dafür erhalten, auch wenn die

Untersuchung nur fünf Minuten dauerte.“ Ich versuche vergeblich, in seinen Redefluss die Bemerkung einzustreuen, dass mir die Ziffer 378 schon lange nicht mehr vergütet wird. „Der Radiologe, der dann das CT durchführte, hat sich deutlich mehr Zeit genommen, das war schließlich auch eine schwierige Diagnose, weil man ja nicht eindeutig wusste, ob es sich um eine eingeblute- te Zyste oder doch um ein Karzinom handelte. Dass er aber nochmals eine Sonographie durchführte, schreit zum Himmel!“ Leider kann ich meinen Einwand, dass mein Radiologe aus purer Sorgfalt bei zweideutigen Befun- den die ergänzende Sonographie durchführt, aber ebenfalls keinen Cent für diese Leistung erstattet bekommt, meinem echauffierten Gegenüber nicht zu Gehör bringen. „Dass es sich tatsächlich um einen Tumor handelt, hat man schließlich im NMR festgestellt, das im Krankenhaus durchgeführt wurde. Aber nicht genung damit, nein, ich bin wieder geschallt worden, und das auch noch von verschiedenen Ärzten, das schreit zum Himmel! Ein und derselbe Tumor, von sechs unterschiedlichen Ärzten in zwei Wochen sono- graphiert! Das ist SKAN – DA – LÖS!“ Auch die punktierte Sprechstunde meines Schutzbefohlenen bietet nicht genug Gelegenheit, darauf hinzuwei- sen, dass seiner Krankenkasse dadurch keinerlei Mehrkosten entstanden sei, weil diese Leistungen sowieso im Pflegesatz enthalten sind.

Mein Gegenüber schaut mich prüfend an: „Nun, Sie sind ja kein schlech- ter Arzt, daher will ich nochmal Gnade vor Recht ergehen lassen und es nicht an die allzu große Glocke hängen!“ Erleichtert krieche ich hinter meinem Schreibtisch hervor. „Aber nur unter einer Bedingung: Verprassen Sie nie wieder meine Krankenkassengelder! Verschwenden Sie nie wieder durch Wiederholungsuntersuchungen meine Solidarbeiträge! Ich zerre Sie an den Pranger, wenn Sie noch einmal unnütze Doppeluntersuchungen ma- chen wollen!“ Er lehnt sich genüsslich zurück. „Außer natürlich bei mir!“ Dr. med. Thomas Böhmeke

Doppeluntersuchung

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