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Archiv "„Genuß beim Hinkommen“" (23.01.1975)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen FORUM

Für die Mengenlehre eine Lanze zu brechen ist in einer ärztlichen Zeitschrift eine heikle Sache. Denn unter den Gegnern befinden sich nicht wenige Ärzte. Vor 50 Jahren war das anders. Zwei Ärzte, Maria Montessori und 0. Decroly, traten dafür ein, daß für die Entwicklung des Denkens ein bloßer Anschau- ungsunterricht nicht genügt. Die Beziehung von „Anschauung—

Denken" soll abgelöst werden zu- gunsten der Beziehung „Handeln—

Denken". Anschauung ist ein passi- ver Vorgang. Erst in der Betäti- gung, im aktiven Verändern eröff- nen sich dem Schüler die Zusam- menhänge.

Auch die Zahl ist kein Abbild von Mengen. Sie ist reine Abstrakt- heit.

Nicht wenige Abiturienten, die die Schule verlassen und kritisch ihre mathematischen Fertigkeiten über- prüfen, werden feststellen müssen, daß der immense Aufwand des Un- terrichtes über ein Jahrzehnt hin- aus ein blamables Ergebnis brach- te.

Keine Lehrstätte der Industrie würde die übliche Methode des Mathematikschulunterrichtes über- nehmen, die so wenig Fachwissen bei der Mehrzahl der Lernenden hinterläßt. Es gilt, die Kluft zwi- schen psychologischer Forschung und der Anwendung des Mathema- tikunterrichtes auszufüllen.

Aber es ist eine leidige Sache für die Psychologie, daß jedermann sich selbst für einen Psychologen hält. Nüchterner, wahrscheinlich

*) Dorothee Schäfer: ABC der Logik, Keine Angst vor der Neuen Mathematik, Band 481 der Herderbücherei, Herder Verlag, Freiburg/Basel/Wien, 1974, 128 Seiten, kartoniert, 4,90 DM

auch exakter hat sich ein Institut für Verhaltungsforschung des Pro- blems angenommen, wie man den heranzubildenden Intellekt mit dem Stufe für Stufe komplexer und ab- strakter werdenden Stoff erfolgrei- cher vertraut macht. Das Institut stellte fest, daß es für die Entwick- lung des Denkens unerläßlich ist, das Kind durch Handeln an einem Material das Verständnis für struk- turelle Zusammenhänge selbsttätig entdecken zu lassen.

Das Institut teilt also die Erkennt- nis der beiden oben erwähnten Ärzte. Spielend gelangt allmählich das Kind durch diese Handlungen zu der Fähigkeit des formalen Den- kens. Wie beim Kartenspiel, z. B.

Skat, kommt das Kind zu formalen Operationen, die von den verschie- denen Möglichkeiten eine „optima- le" aussuchen. Dieses kombinatori- sche Denken befähigt den Schüler zur Bildung von Hypothesen, die durchaus nicht immer zur richtigen Lösung führen müssen.

Das stört manchen Lehrer, der nicht einsehen kann, daß nicht al- les Verhalten, das in eine Sackgas- se führt, unintelligent sein muß.

Das Denkvermögen des Schülers soll ja wachsen. Es ist unvermeid- lich, daß er sich anfänglich unzu- reichender Denkschemata bedient, die zu unrichtigen Ergebnissen führen. Die Hauptsache aber bleibt, ob er das „Fehlerhafte" logisch eingesetzt hat. Das zentrale Pro- blem der Mengenlehre ist die Pro- portionalität; dessen Wichtigkeit kann von niemanden bestritten werden.

Den Gegnern muß zugestanden werden, daß die neue Methode noch kein gesichertes Wissensgut ist. Zumindest ist sie einer von

vielen möglichen Wegen, um aus der Misere der Schulmathematik herauszukommen. Erschwerend kommt hinzu, daß diese Lehre selbst von der Lehrerschaft nicht allseitig befürwortet wird. Bei die- ser Zwiespältigkeit (oder Unsicher- heit), die durch das mangelnde Verständnis des Elternhauses noch potenziert wird, ist es nicht ver- wundellich, daß der Unterricht in der Mengenlehre nicht allerorten mit der erwarteten spielerischen Fröhlichkeit vor sich geht. Tatsa- che aber ist, daß pädagogisch be- gabte Lehrer, die von der Lehre überzeugt sind, eklatante Erfolge haben. Niemals stellten sie die Überlastung der Schüler fest, die von den Gegnern ins Feld geführt wird. Es kommt also darauf an, wie schmackhaft die Lehre serviert wird.

Die Verfasserin des vorliegenden Buches*) vermied klugerweise das ominöse Wort „Mengenlehre", das mit so vielen Emotionen belastet ist.

Sie nennt es die „Neue Mathema- tik". Wer das Büchlein vorurteils- frei zu lesen vermag, auch wenn er noch zu den Gegnern gehört, wird den Schrecken vor dieser Lehre verlieren. Im logischen Denken kann man sich nicht früh genug üben.

Um Irrtümer zu vermeiden, sei fest- gestellt: Die „alte" Mathematik be- hält ihre Daseinsberechtigung mit- samt ihren Beschwerlichkeiten. Die

„neue" Mathematik, zu welcher auch die Mengenlehre gehört, soll dahin führen, was Carl Friedrich Gauss (1777-1855) so aussprach:

„Merkwürdig ist es immer, daß alle diejenigen, die diese Wissenschaft studieren, eine Art von Leiden- schaft dafür fassen. Wahrlich, es ist nicht das Wissen, sondern das Erwerben, nicht das Da-Sein, sondern das Hinkommen, was den größten Genuß gewährt."

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Bernhard Fleiß 6901 Neckarhäuserhof Post Neckarsteinach

„Genuß beim Hinkommen"

Eine Verteidigung der „Neuen Mathematik"

224 Heft 4 vom 23. Januar 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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