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Ein Teufelskreis

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146 DIE PTA IN DER APOTHEKE | November 2015 | www.pta-aktuell.de

Medikamente, die chronische Kopfschmerzen bekämpfen sollen, können selbst welche auslösen. Für die Betroffenen eine hoffnungslose Spirale, die ihre Lebensqualität stark einschränkt.

PRAXIS MIKS

Ein Teufelskreis

W

er starke Schmer-

zen hat, will nur eins: sie so schnell wie möglich los- werden. Schmerzmittel versprechen schnelle Hilfe, doch wendet man sie über einen zu langen Zeitraum an, können sie eine unerwünschte Nebenwirkung haben – den medi- kamenteninduzierten Kopfschmerz (MIKS).

Zu viele Tabletten sind gefähr- lich Meist kommt es bei Menschen mit chronischen Kopfschmerzen zu einem MIKS. Betroffen sind haupt-

sächlich Patienten mit Migräne- oder Spannungskopfschmerzen, da sie die immer wiederkehrenden Anfälle ohne Medikation kaum aus- halten können und die Medikamente daher über lange Zeiträume, manch- mal über Jahrzehnte, einnehmen.

Die Kopfschmerzmedikamente wie herkömmliche Analgetika, Triptane oder Mutterkornalkaloide (z. B. Er- gotamin) beeinflussen dabei auf Dauer die Funktionsfähigkeit zen- traler Rezeptoren wie etwa Seroto- ninrezeptoren. Dadurch sinkt die Schmerzschwelle und eigentlich harmlose Reize werden bereits als

Schmerz registriert. Erstaunlicher- weise entwickeln nur Migräne-, Spannungs- und Traumakopf- schmerzpatienten einen MIKS, Men- schen mit Clusterkopfschmerzen, die ebenfalls langfristig und häufig starke Schmerzmittel einnehmen müssen, sind davon nicht betroffen.

Vorsicht vor Kombipräpara- ten! Der medikamenteninduzierte Dauerkopfschmerz ist dumpfdrü- ckend oder pulsierend und ähnelt damit dem herkömmlichen Span- nungskopfschmerz oder der Mi- gräneattacke. Dies macht es den Betroffenen häufig sehr schwer, ihren primären Kopfschmerz von einem MIKS zu unterscheiden.

Werden aber gegen den chronischen Kopfschmerz an mehr als 12 bis 15 Tagen im Monat Arzneimittel ein- genommen, kann man von einem bereits aufgesattelten MIKS ausge- hen, der neben dem ursprunglichen Kopfschmerz auftritt. Diese eigen- ständige Kopfschmerzform vereint die Symptomatik von Migräne- und Spannnungskopfschmerzen, sie kann sogar innerhalb eines Tages zwischen diesen beiden Ausprägun- gen hin und her wechseln. Ein reiner Spannungskopfschmerz ist meist nicht medikamenteninduziert, er kann aber bereits bestanden und sich durch zu häufige Medikamentenein- nahme chronifiziert haben. Beson- ders gefährlich sind Analgetika mit Koffein- oder Codeinzusatz. Diese Suchtstoffe erhöhen das Risiko eines MIKS beträchtlich.

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DIE PTA IN DER APOTHEKE | November 2015 | www.pta-aktuell.de

Gefangen im Teufelskreis Ein MIKS funktioniert genau wie eine Suchterkrankung. Die Betroffenen benötigen immer höhere Dosen des Wirkstoffs, um überhaupt noch einen Effekt zu erzielen, wobei die Schmerzen in immer kürzeren Abständen auftreten. Werden die Substanzen abgesetzt, kommt es zu Entzugserscheinungen, die – zu- mindest kurzfristig – nur durch eine erneute Zufuhr der Substanz gelindert werden können. Für die Betroffenen ist das sehr schwer zu ertragen, denn schon ihre Grunder- krankung lässt sich kaum aushalten.

Kommt noch ein MIKS hinzu, sind sie endgültig in einem Teufelskreis aus Schmerzen und Medikamenten gefangen. Aus eigener Kraft können die meisten ihn nicht mehr durch- brechen.

Folgeschäden vorprogram- miert Bei mindestens zwei Mi- gräneanfällen pro Monat sieht die Leitlinie der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft eine Migräneprophylaxe vor. Diese kann aus einer medikamentösen (Beta- blocker oder Antidepressiva in Ta- bletten- oder Spritzenform) oder nicht-medikamentösen (Magne- sium, Coenzym Q 10 und Vitamin B2) Vorbeugung bestehen. Medika- mentöse und nicht-medikamentöse Prophylaxe kann man auch kombi- nieren. Was hilft, muss individuell ausprobiert werden. Eine wirksame Prophylaxe kann die Häufigkeit der Attacken mindern und damit auch die Anzahl der Analgetika-Einhei- ten. Doch auch hier zeigt sich der MIKS heimtückisch: Haben die Be- troffenen erst einmal einen medi- kamenteninduzierten Kopfschmerz entwickelt, greift die Prophy-laxe nicht mehr. Schmerzattacken kön- nen somit nicht mehr im Vorfeld abgewendet werden, was den Lei- densdruck zusätzlich erhöht. Ohne Schmerzmittel geht nichts mehr, dadurch steigt auch die Gefahr or- ganischer Folgeschäden. Allein 15 bis 20 Prozent aller Niereninsuffi- zienzen, die eine Dialyse notwen-

dig machen, sind auf einen solchen Arzneimittelabusus zurückzuführen.

Häufig bringt erst diese Erkenntnis die Betroffenen dazu, gegen einen MIKS vorzugehen und eine Therapie anzustreben.

Am besten stationär Während einer Therapie wird der Körper zu- nächst von den Substanzen entgiftet.

Dazu ist es nötig, die Medikamente komplett abzusetzen, was die Symp- tome verschlimmert. Daher schaffen es nur sehr wenige, eine Therapie ambulant durchzuführen. Die meis- ten absolvieren sie stationär, was ungefähr 10 bis 14 Tage in Anspruch nimmt. Neben der Durchführung der Entgiftung werden Atem- und Entspannungstechniken gelehrt sowie andere Möglichkeiten der Schmerzprophylaxe. Darüber hinaus findet eine psychologische Betreuung statt. Manchen Kopfschmerzpatien- ten hilft auch eine Basen-Fastenkur.

Wird dann weiterhin überwiegend basisch gekocht, kann sich die Zahl der Schmerzattacken mindern.

Lebensqualität für immer ein- geschränkt Eine kleine Schweizer Studie zeigt jedoch, dass die Lebens- qualität vieler Betroffener selbst nach einer erfolgreichen Entgiftung und

Therapie noch stark eingeschränkt ist. Die Wissenschaftler befragten 51 Teilnehmer einige Monate bis Jahre nach ihrer Therapie zu ihrem Gesundheitszustand. Obwohl sie ihre körperlichen Funktionen als

normal empfanden, schätzten sie im Vergleich zum Durchschnitt der Bevölkerung ihren allgemeinen Ge- sundheitszustand, ihr Schmerzemp- finden und ihre Vitalität schlechter ein. Besonders auffällig war das Ge- fühl, ein nur noch eingeschränktes Sozialleben führen zu können. Dieses Ergebnis ist zum einen verständlich, weil selbst nach einer erfolgreichen Therapie des MIKS der primäre Kopfschmerz bestehen bleibt. Of- fensichtlich scheinen aber auch die Angst vor einer erneuten Attacke sowie die langfristige Erfahrung, den Alltag mit Dauerschmerzen organi- sieren zu müssen, die Betroffenen nachhaltig zu belasten. ■

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist WORAN ERKENNE ICH EINEN MIKS?

MIKS bei primären Spannungskopfschmerzen:

, Kopfschmerz tritt häufig, mitunter täglich auf , Intensität bleibt den Tag über bestehen

, morgens aufgrund des gesunkenen Wirkstoffspiegels meist stärkere Beschwerden

, Kopfschmerzmuster verändert und verschlechtert sich unter Einnahme der Medikamente

MIKS bei primärer Migräne:

, Migräneprophylaxe greift nicht mehr

, Zunahme von Häufigkeit und Dauer der Attacken, Kopfschmerzmus- ter verändert sich unter Ein-nahme der Medikamente

, Schmerz meist beidseitig drückend (bei Ergotaminübergebrauch) , Schmerz meist einseitig pulsierend (bei Triptanübergebrauch) , Betroffene haben manchmal das Gefühl, die eigentliche Migräneatta-

cke wird von einem weiteren Kopfschmerz „überlagert“

Referenzen

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