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Ein Jahr im Zeichen der Ökonomisierung

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Bayerisches Ärzteblatt 12/2004 735

Leitartikel

„It was a very good year“, sang Frank Sinatra einst in einem seiner schönsten Klassiker. Ger- ne würden auch wir heute an dieser Stelle schreiben, dass ein sehr gutes Jahr 2004 hinter uns liegt. Doch so ganz ungetrübt positiv kann unser Fazit nach diesem Jahr, das zumindest an Veränderungen und Ereignissen reich war, nicht ausfallen.

2004 war das Jahr, das eine bislang nicht ge- kannte Ökonomisierung in die Heilberufe brachte. Um dies an einem Datum festzuma- chen, kann man gleich den 1. Januar 2004 mit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Moder- nisierung der gesetzlichen Krankenversiche- rung (GMG) nehmen. Für die Medien wurde die Einführung der umstrittenen Praxisge- bühr zu dem sichtbaren Symbol für das in ei- nem großen Kompromiss zwischen Regierung und Opposition erarbeitete GMG. Das Jahr war erst wenige Tage alt und dennoch war in vielen Praxen und Klinikambulanzen bereits die besinnliche Feiertagsstimmung verflogen.

Wo verstaut man die zehn Euro Praxisge- bühr? Wie geht man mit zahlungsunwilligen Patienten um? Wer kann Überweisungen wo- hin ausstellen? Das waren nur einige von un- zähligen Fragen, die zum Teil sogar öffentlich in Zeitungen und Fernsehsendungen disku- tiert wurden.

Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt. In Bayern zahlen 99,7 Prozent der Patienten mehr oder minder anstandslos die Gebühr. Ih- nen ist bewusst, dass dieses Geld nicht etwa ein Zusatzhonorar für die ärztliche Tätigkeit darstellt, sondern quasi als Durchlaufposten an die Krankenkassen weiterfließt. Die 0,3 Prozent Nicht-Zahler, die ja in einem großen Bundesland wie Bayern pro Quartal auch über 30 000 Menschen ausmachen, haben in- zwischen die ersten Mahnschreiben der KVB erhalten. Dass im Hintergrund auch hier wie- der – wie schon in den Praxen und Ambulan- zen – erhebliche bürokratische Tätigkeiten zu

bewältigen sind, wird von den verantwort- lichen Politikern gar nicht zur Kenntnis ge- nommen, die die Praxisgebühr ob sinkender Patientenzahlen als großen Erfolg feiern.

Stichwort Patientenzahlen: Ob es nun die Praxisgebühr war, die allgemeine Verunsiche- rung oder ein in Zeiten wirtschaftlicher Re- zession erfahrungsgemäß geringerer Kranken- stand, die Zahlen der Patienten in den Praxen sind in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr deutlich zurückgegangen. Einzelne Facharzt- gruppen wie die Dermatologen oder die Augen- ärzte hatten Rückgänge von über 15 Prozent zu verzeichnen. Bei solchen Einbußen gab es dann auch immer mal wieder Stimmen aus der Politik zu hören, die eine entsprechende Absenkung der Kopfpauschalen der Kranken- kassen forderten. Das ist natürlich Unsinn, denn zum einen sind es eher die weniger zeit- aufwändigen Bagatellfälle, die nun wegfallen, und zum anderen werden nach wie vor auf- grund verschiedener Budgetvorgaben zahlrei- che Leistungen nicht oder zumindest nicht an- gemessen honoriert. Bevor man Kürzungen fordert, sollte man erst für Gerechtigkeit sorgen.

„Geld regiert die Welt – auch die Medizin?“, so lautete die Frage, die als Leitgedanke über der Eröffnungsveranstaltung des Bayerischen Ärztetages in Memmingen stand. Wenn man die Diskussionen dort verfolgt hat und die sonstigen Entwicklungen dieses Jahres mit einbezieht, dann muss man diese Frage eigent- lich mit einem Ja beantworten. „Die Ökonomie wird zur Begrenzung des medizinisch Mach- baren“, so eine der provokanten Thesen, die Professor Dr. Günter Neubauer beim Ärztetag vortrug. Die Zeiten, in denen man als Patient zum Arzt ging und dort die notwendige Hilfe erhalten hat, gehören wohl bald der Vergangen- heit an. Der Patient wird zum „Health Care Consumer“, der sein Begehr erst durch einen

„Controller“ prüfen lässt, bevor er in eine Ge- schäftsbeziehung mit einem der zahlreichen

„Leistungsanbieter“ eintritt. Ein schrecklicher Gedanke! Um es ganz deutlich zu sagen: Es ist klar, dass die Zeiten sich ändern und dass die wirtschaftlichen Hochphasen in diesem Land längst vorbei sind. Selbstverständlich müssen alle Gruppen im Gesundheitswesen – Patien- ten, Ärzte, Psychotherapeuten, Apotheker, Pharmaunternehmen – zu einem Umdenken und einem verantwortungsvolleren Umgang mit den knappen Ressourcen bereit sein. Doch gibt es einige Werte in unserem Gesundheits- system, die ebenso wie die Solidarität, unan- tastbar sind. Dazu gehört die freie Arztwahl ebenso wie der Verzicht auf Wartelisten in Praxen und Krankenhäusern.

Das Thema Ökonomisierung hat so viele Fa- cetten, dass der Platz hier leider nicht ausreicht, um sie auch nur annähernd erschöpfend dar- zustellen. Nur ein kleiner Ausschnitt: Die Ver- gütung nach Fallpauschalen ist in diesem Jahr endgültig in den meisten Krankenhäusern an- gekommen. Schon jetzt deutet sich an, dass insbesondere viele kleinere, kommunale Häu- ser dem Kostendruck nicht standhalten kön- nen. Auch im niedergelassenen Bereich wird der Trend zu größeren Zusammenschlüssen wie den durch das GMG in besonderem Maße favorisierten Medizinischen Versorgungszen- tren (MVZ) deutlich zunehmen. Auch wenn in Bayern bislang nicht einmal zwei Dutzend Anträge zur Gründung eines MVZ vorliegen, so bahnen sich mittelfristig doch erhebliche strukturelle Änderungen an. Hier gilt es, den Wert einer wohnortnahen Versorgung stets hervorzuheben. Weitere Schlaglichter aus 2004: Ein Pharmaunternehmen sorgte für Schlagzeilen durch eine den Patienten Furcht einflößende Anzeigenkampagne. Eine der Transparenz allerorten verpflichtete Organi- sation überraschte negativ durch wagemutig aus anderen Staaten übernommene Hochrech- nungen bezüglich der Korruption im deut- schen Gesundheitswesen. Und ein großer Pri- vatfernsehsender machte Quote mit der Live- Übertragung einer Schönheitsoperation. Für alle drei gilt: Fortsetzung nicht erwünscht.

Trotz allem möchten wir Ihnen abschließend ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Start in das Jahr 2005 wünschen. Als passende musikalische Untermalung empfehlen wir Ih- nen „Christmas Memories“ von - Sie ahnen es bereits – Frank Sinatra.

Ein Jahr im Zeichen der Ökonomisierung

Dr. Axel Munte, Vorsitzender des Vorstands der KVB Dr. H. Hellmut Koch,

Präsident der BLÄK

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