Terror von Innen? Radikalisierung junger
Emre Berk
Migranten in Deutschland
Ursachenanalyse und sicherheitspolitische Lösungsansätze einer wehrhaften Demokratie
Politik
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Emre Berk
Terror von Innen? Radikalisierung junger Migranten in Deutschland
Ursachenanalyse und sicherheitspolitische Lösungsansätze einer wehrhaf- ten Demokratie
GRIN Verlag
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Terror von Innen? Radikalisierung junger Migranten in Deutschland
Ursachenanalyse und sicherheitspolitische Lösungsansätze einer wehrhaften Demokratie
Emre Berk
Fachbereich Gesellschaftswissenschaften Johann Wolfgang von Goethe Universität
Frankfurt am Main
2008
Terror von Innen? Radikalisierung junger Migranten in Deutschland
Inhaltsverzeichnis
1. Einführung ... 2
2. Begriffserläuterungen ... 9
2.1 Islamismus und Islam ... 9
2.2 Islamismus und Jihadismus ... 10
2.3 Radikal und extremistisch ... 11
2.4 Zum Begriff der Migration ... 11
2.5 Die wehrhafte Demokratie ... 11
3. Migranten in der Bundesrepublik Deutschland ... 13
3.1 Historische Entwicklung der Migration ... 13
3.2 Sozioökonomische Lebensverhältnisse von Migranten in der BRD ... 19
3.3 Migranten in der Mehrheitsgesellschaft ... 27
4. Prozesse der Radikalisierung ... 32
4.1 Bildungsdefizite und mangelnde Integration ... 32
4.2 Zur Problematik von Parallelgesellschaften ... 36
4.3 Öffentlich agierende islamische Gruppierungen ... 42
4.3.1. Islamische und islamistische Verbände in Deutschland ... 42
4.3.2 Hamas (Harakat al-Muqawama al-Islamiya)... 45
4.3.3 Hizb Allah (Partei Gottes) ... 46
4.3.4 Islamische Befreiungspartei (Hizb ut-Tahrir - HuT) ... 46
4.3.5 Islamische Gemeinschaft Milli Görus (IGMG) ... 47
4.3.6 Muslimbruderschaft ... 49
4.3.7 Tabligh-i Jama'at (TJ) ... 53
4.4 Jugendarbeit islamistischer Vereine ... 53
4.5 Der Faktor „religiöse Motivation“ ... 57
4.6. Wege in die Radikalisierung ... 61
4.7. Das Bedrohungspotenzial des islamistischen Terrorismus ... 62
5. Maßnahmen einer wehrhaften Demokratie ... 67
5. 1 Gesetzliche Grundlagen zur Abwehr extremistischer Bestrebungen ... 67
5.2 Gesellschaftspolitische Lösungsansätze ... 72
6. Schlussbetrachtung ... 79
7. Anhang ... 83
7.1 Abkürzungsverzeichnis ... 83
7.2 Abbildungsverzeichnis ... 84
7.3. Literaturverzeichnis ... 84
1
Terror von Innen? Radikalisierung junger Migranten in Deutschland
1. Einführung
In der Diskussion über Integration von Zuwanderern in Deutschland steht die Gruppe der Muslime, die etwa drei Millionen Menschen umfasst, in einem besonderen Fokus,
1wobei nicht allein die hohe Anzahl dieser Bevölkerungsgruppe für diesen Umstand entscheidend ist.
Nachdem sich die Problematik zunächst vorwiegend als Benachteiligung einer Bevölkerungsgruppe hinsichtlich Bildungs- und Berufschancen darstellte und nur mäßiges öffentliches Interesse hervorrief, hat sich dies durch die Entwicklungen der letzten Jahre drastisch geändert. Die Terroranschläge des 11. September 2001 führten zu einer deutlich gestiegenen Aufmerksamkeit der sozialwissenschaftlichen Forschung für Prozesse der Radikalisierung, welche der Religion entspringen, wobei besonders der Islam als Bedrohung wahrgenommen wurde. Es bestand die Gefahr einer pauschalisierenden negativen Bewertung des Islam bishin zur Dämonisierung.
2Im öffentlichen Diskurs wurde hierbei ein Prozess der Radikalisierung unter der muslimischen Bevölkerung hin zum Islamismus angenommen, auch wenn dies von den zuständigen Behörden nicht in dieser Form bestätigt werden kann. Die Zahl der Islamisten stagnierte vielmehr während des letzten Jahrzehnts, wie die folgende Abbildung verdeutlicht.
1 Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.), Integration als Extremismus- und Terrorismusprävention. Zur Typologie islamischer Radikalisierung und Rekrutierung. Köln 2007, hier: S. 3.
2 Vgl. Brettfeld, Katrin/Wetzels, Peter, Junge Muslime in Deutschland: Eine kriminologische Analyse zur Alltagsrelevanz von Religion und Zusammenhängen von individueller Religiosität mit Gewalterfahrungen, -einstellungen und -handeln. in: BMI (Hrsg.), Islamismus, 5. Aufl., Berlin 2006, S. 254-372, hier: S. 256.
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Terror von Innen? Radikalisierung junger Migranten in Deutschland
Abb.: 1. Islamistisches Potential in Deutschland3
Nur ungefähr 1 % der in Deutschland lebenden Muslime sind Anhänger islamistischer Organisationen.
4Trotzdem kann nicht per se davon ausgegangen werden, dass keine Radikalisierung stattgefunden hätte, gleichwohl wie eine Verschärfung der Auseinandersetzung oder zumindest eine intensivere öffentliche Wahrnehmung dieser.
Die vorliegende Diplomarbeit befasst sich mit den Hintergründen und den Abläufen, die zu einer Radikalisierung von muslimischen Migranten in der demokratischen Mehrheitsgesellschaft der Bundesrepublik Deutschland führen, sowie den sicherheits- und gesellschaftspolitischen Konsequenzen, welche im Hinblick auf eine drohende „demokratiefeindliche“ Extremisierung einzelner muslimischer Migranten als notwendig erachtet werden.
Trotz umfassender staatlicher Maßnahmen als Reaktion auf die geänderte Sicherheitslage ist dabei nicht realisierbar, die sich in einer ständig
3 Aus Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg, Verfassungsschutzbericht 2006, Hamburg 2007, hier: S. 27.
4 Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz, Integration, S. 3.
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entwickelnden und somit auch verändernden Gesellschaft entstehenden Konflikte völlig beseitigen zu wollen. Wulf betont dazu richtig:
„Es geht nicht um die Vermeidung oder Verhinderung von Konflikten, sondern um die Vermeidung ihrer gewaltsamen Austragung.“
5Es geht um die friedliche Lösung von Konflikten im Sinne eines erweiterten Begriffs von Sicherheit, der sich mittlerweile etabliert hat. Auch die Bundesregierung benutzt so beispielsweise in ihrem Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ vom 12. Mai 2004
6diesen erweiterten Sicherheitsbegriff. Wolfgang Schäuble plädiert für die Herstellung der Sicherheit, möchte sich hierfür einer „neuen Abschreckung“ bedienen, die gegen die „neuen Gefahren“ wirksam werden soll.
7Diese neuen Gefahren erwachsen nicht zuletzt aus jenem Teil der Migranten, die mit den Zuständen in Deutschland und Europa unzufrieden ist.
Eine Befragung in den Jahren 2006 und 2007 ermittelte zwar für Deutschland bei 65 % der erfassten Migranten die Ansicht, dass die eigene Siedlungsregion ein guter Platz für rassische bzw. ethnische Minderheiten sei, 17 % aber waren nicht dieser Ansicht.
8Der Vergleich zwischen jungen Muslimen und Nicht-Muslimen in Nürnberg ergab für Muslime eine leicht höhere Unzufriedenheit. Sie waren zu 10,3 % (sehr) unzufrieden, während dies nur 6,1 % der Nicht-Muslime bekundeten, (sehr) zufrieden dagegen
5 Vgl. Wulf, Herbert, Krisenprävention und die Ökonomie der Gewalt, in: Stanley, Ruth (Hrsg.), Gewalt und Konflikt in einer globalisierten Welt, Wiesbaden 2001, S. 51-70, hier: S. 56.
6 Vgl. Bundesregierung, „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und
Friedenskonsolidierung“. Berlin 12.5.2004. http://www.auswaertiges-
amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Themen/Krisenpraevention/Aktionsplan-Volltext.pdf Internet: (Zugriff: 5.4.2008).
7 Vgl. Schäuble, Wolfgang, Herausforderungen für Deutsche und Europäische
Sicherheitspolitik, Internet: http://www.kas.de/wf/de/33.4017/ (Zugriff: 10.3.2008).
8 Vgl. Nyiri, Zsolt/English, Cynthia, Is Europe a Good Place for Racial and Ethnic
Minorities? O. O. 14.12.2007. Internet: http://www.gallup.com/poll/103258/Europe- Good-Place-Racial-Ethnic-Minorities.aspx (Zugriff: 12.4.2008).
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Terror von Innen? Radikalisierung junger Migranten in Deutschland
waren 66,9 % der Muslime und 71,2 % der Nicht-Muslime.
9Auch die Jugendstudie der Deutschen Shell hatte für junge christliche Migranten sowohl eine bessere soziale Lage als auch eine höhere Zufriedenheit sowie eine längerfristige Zukunftsorientierung ermittelt, während muslimische Jugendliche eher kurzfristige Planungen vornahmen.
10Bei einer vergleichenden Untersuchung zeigte sich, dass junge muslimische Ausländer eine deutlich höhere Gewaltaffinität aufwiesen als christliche Ausländer, christliche Aussiedler oder christliche Einheimische. Dies gilt für beide Geschlechter, auch wenn das Niveau der Gewaltaffinität bei Mädchen in allen Gruppen signifikant unter dem der Jungen lag.
11Ursächlich sind dafür offenbar nicht zuletzt Erfahrungen der Ausgrenzung seitens der Mehrheitsgesellschaft. Die Konstruktion des „Türkischen“ bzw.
„Arabischen“ an sich vollzieht sich in den Köpfen deutscher Betrachter entsprechend einem seit Urzeiten überlieferten Moslembild, wie es sich z.B.
in der Debatte um das Tragen des Kopftuches im französischen und deutschen Bildungswesen gezeigt hat.
12„Nicht zuletzt muss das religiöse Wertesystem des Islam oft genug die scheinbare Erklärung für viele den türkischen Migrantinnen unterstellte Verhaltensstereotype liefern“.
13Irfan Ergi fasst die Hauptergebnisse der Heitmeyer-Studie,
14bei der überwiegend türkische Rechtsextremisten und islamische Fundamentalisten befragt wurden,
15dagegen so zusammen:
9 Vgl. Worbs, Susanne/Heckmann, Friedrich, Islam in Deutschland: Aufarbeitung des gegenwärtigen Forschungsstandes und Auswertung eines Datensatzes zur zweiten Migrantengeneration, in: BMI (Hrsg.), Islamismus, 5. Aufl., Berlin 2006, S. 153-253, hier: S. 184.
10 Vgl. Deutsche Shell (Hrsg.), Jugend 2000, 13. Shell-Jugendstudie, Opladen 2000, hier:
S. 159.
11 Vgl. Brettfeld/Wetzels, Junge Muslime, S. 336.
12 Vgl. Große, Ernst Ulrich/Lüger, Heinz-Helmut, Frankreich verstehen, Darmstadt 1997, hier: S. 175ff.; o. V., Das Kreuz mit dem Kopftuch, in Der Spiegel 20. Juli 1998.
13 Vgl. Otyakmaz, Berrin Ö., Auf allen Stühlen, Das Selbstverständnis junger türkischer Migrantinnen in Deutschland, Wissenschaft und Forschung 8, Dipl. Univ. Bochum 1994, Köln 1995, hier: S. 44.