A-652 (16) Deutsches Ärzteblatt 93,Heft 11, 15. März 1996
P O L I T I K KOMMENTAR
A
m 31. Januar 1996 verkündete die SPD-Bundestagsfraktion in einer Pressemitteilung:„Der letzte Zug nach Lahn- stein geht in 24 Stunden.“ Gemeint war, daß die SPD einen Gesetzent- wurf für die dritte Stufe der Gesund- heitsreform eingebracht hatte und nun mit den Koalitionsfraktionen CDU und FDP über die Weiterent- wicklung im Gesundheitswesen spre- chen wollte. Sie signalisierte damit, daß sie auf ein Gesprächsangebot von Minister Seehofer eingehen wollte.
Hoffentlich kommt dieser Zug in Lahnstein niean! Denn die SPD-Vor- stellungen stellen den Patienten aufs Abstellgleis und entziehen den nie- dergelassenen Ärzten – insbesondere den Gebietsärzten – sozusagen die Fahrerlaubnis. Kein „feiner Zug“!
SPD setzt die falschen Signale
Angestrebt wird mit dem SPD- Gesetzentwurf unter anderem, die Krankenhäuser uneingeschränkt für die ambulante Versorgung zu öffnen.
Was das für die medizinische Versor- gung bedeutet, ist klar:
1 Die wohnortnahe flächendecken- de fachärztliche Betreuung ist dann nicht mehr gesichert. Das Nachsehen hat der Patient.
1 200 000 Arbeitsplätze in freiberuf- lichen Praxen sind gefährdet.
1 Dieser Verdrängungswettbewerb der öffentlich geförderten Kranken- häuser mit den freiberuflich tätigen Ärzten ist verfassungsrechtlich gar nicht zulässig.
1Zu einer Kostenersparnis trägt die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung auch nicht bei.
Denn wer hat schon einmal erlebt, daß die Übergabe der Versorgungsverant- wortung in den öffentlichen Dienst ko- stengünstiger ist als die Versorgung durch Freiberufler? Ich nicht!
Die SPD setzt mit ihrer Forde- rung ein politisch falsches Signal. Es
wird suggeriert, die Krankenhäuser könnten sparen, während niederge- lassene Ärzte dies angeblich nicht vermögen. Dabei zeigt selbst ein flüchtiger Blick auf die Gesundheits- ausgaben der letzten Jahre, daß das Gegenteil der Fall ist:
l Der Anteil der Krankenhäuser an den Gesamtausgaben der gesetzli- chen Krankenkassen ist trotz Ge- sundheitsstrukturgesetz (GSG) von 32,5 Prozent im Jahre 1992 weiter auf 34,5 Prozent im Jahre 1995 gestiegen.
l Im gleichen Zeitraum sind die Ausgaben der Krankenkassen für am- bulante Versorgung von 33,5 auf 30,5 Prozent zurückgegangen. Die Kas- senärzte haben es durch ihr wirt- schaftliches Verhalten erst ermög- licht, daß 1993 und 1994 im Rahmen des GSG sechs Milliarden Mark ein- gespart werden konnten.
Die SPD fordert weiterhin die Fortführung der Budgetierung. Be- gründet wird dies von Rudolf Dreßler damit, daß die Ärzte nach Ablauf der Budgetierung erst einmal einen „kräf- tigen Schluck aus der Pulle“ nehmen, sprich sich die Taschen mit dem Geld der Krankenversicherungen vollstop- fen würden. Dreßler übersieht hier, daß dies überhaupt nicht möglich ist, denn die Gesamtsumme, die zur Ent- lohnung der Vertragsärzte zur Verfü- gung steht, ist gemäß den Empfehlun- gen des Sachverständigenrats der Konzertierten Aktion längst ausge- handelt und liegt bis Mitte 1997 fest.
Alle GSG-Vorgaben sind erfüllt
Die SPD schiebt außerdem vor, daß das Gesundheitsstrukturgesetz in seinen wesentlichen Punkten noch gar nicht umgesetzt ist. Dieses Argu- ment, von der SPD gebetsmühlenar- tig wiederholt, ist mir unverständlich.
Schließlich sind mit Ausnahme der schon rechtlich nicht realisierbaren Großgeräteplanung alle Vorgaben des GSG erfüllt worden. Die SPD will
von der Verantwortung für das von ihr mitverschuldete Kassendefizit ab- lenken. Minister Seehofer hat hinge- gen die politischen Fehler der letzten Jahre eingestanden.
Doch damit nicht genug. Es gibt noch weitere unsinnige Vorstellungen im SPD-Gesetzentwurf: so die Auf- teilung der Kassenärztlichen Vereini- gungen in Sektionen für Hausärzte, Fachärzte, Zahnärzte und Psychothe- rapeuten und die Einführung von Einkaufsmodellen. Auch für die Zu- lassung von Eigeneinrichtungen der Krankenkassen macht die SPD sich stark. Den Kassenärztlichen Vereini- gungen würde damit de facto der Si- cherstellungsauftrag entzogen. Der Versorgungsauftrag ginge auf die Krankenkassen über – mit allen nega- tiven Konsequenzen eines Zuwachses an einseitiger Monopol- und Gestal- tungsmacht.
Kassenärzte müssen die Weichen stellen
Um die Versorgung der Patienten nicht zu gefährden, darf es zu all dem nicht kommen. Wir Kassenärzte müs- sen deshalb die Weichen stellen. Wir müssen jetzt, bevor Koalition und Op- position sich anschicken, nach gemein- sam tragfähigen Kompromissen zu su- chen, alle Möglichkeiten nutzen, die Auffassung der Ärzteschaft zur Ge- sundheitsreform deutlich zur Geltung zu bringen. Starten werden wir auf dem 2. Deutschen Kassenärztetag am 16. März 1996 ab 13 Uhr im Bonner Maritim. Zu dieser Veranstaltung ist jeder Kassenarzt herzlich eingeladen.Wir wollen nicht, daß das gesamte Ge- sundheitswesen mit dem Schnellzug in den Sackbahnhof rauscht!
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Winfried Schorre Erster Vorsitzender der Kassen- ärztlichen Bundesvereinigung Herbert-Lewin-Straße 3 50931 Köln