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Archiv "Sozialstationen ersetzen die Gemeindepflege: Klare Aufgabenabgrenzung notwendig" (01.05.1975)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen THEMEN DER ZEIT

Sozialstationen sind Einrichtungen der Krankenpflege mit zeitgerech- ten Aufgaben. So sind sie konzi- piert, und so arbeiten sie auch praktisch. Dies zeigen schon heute die noch nicht sehr umfangreichen Erfahrungen mit Sozialstationen, von denen bisher nur in wenigen Bundesländern bereits eine größe- re Anzahl in Betrieb sind, wie bei- spielsweise in Rheinland-Pfalz, Bay- ern, im Saarland, Baden-Württem- berg oder Nordrhein-Westfalen („Zentrale Sozialstationen"). In an- deren Bundesländern sind Modell- versuche angelaufen oder werden derzeit konzipiert. In manchen Bundesländern finden solche Ein- richtungen bislang noch keine Be- achtung, zumindest ist davon öf- fentlich nichts bekannt.

Sozialstationen sind Einrichtungen der Gesundheitsversorgung, wobei ihre Einordnung in das bestehende System sicherlich noch nicht abge- schlossen ist. Sie sind keine ärzt- lich geleiteten Institutionen und auch keine paramedizinischen In- stitute. Auf Grund der heute von den bestehenden Sozialstationen überwiegend erbrachten Leistun- gen zeichnet sich ihre Einordnung in das geltende Gesundheitswesen jedoch zumindest schwerpunktmä- ßig ab.

Die bisher gesammelten Erfah- rungen zeigen deutlich, daß So- zialstationen dann ihrer Aufgaben- stellung gerecht werden, wenn sie in der Lage sind, die aus vielerlei Gründen nicht mehr funktionieren- de Gemeindepflege zu ersetzen.

Konzeption und Praxis

Der Begriff „Sozialstationen" als geschlossene Einrichtung vermit- telt zunächst den Eindruck, als ob die Arbeit vorwiegend in der Sta- tion selbst erfolgt. Das ist jedoch nicht der Fall, trotz der Ausdeh- nung der angebotenen Leistungen über die üblichen Tätigkeiten der Gemeindepflege hinaus. In den Richtlinien der Landesregierung Rheinland-Pfalz vom 17. April 1974 über die Anerkennung und Förde- rung von Sozialstationen beispiels- weise werden als „Aufgaben" in erster Linie das umfassende Ange- bot in der „offenen" Kranken-, Al- ten- und Familienpflege genannt.

Daneben wird die Förderung der Nachbarschaftshilfe durch Schu- lung und Beratung ehrenamtlicher Helfer und der Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten, Kran- kenhäusern und anderen Einrich- tungen der Krankenversorgung aufgeführt. In anderen Zielvorstel- lungen werden darüber hinaus ge- nannt: „Essen auf Rädern", Gym- nastik für ältere Menschen und Schwangere, Erziehungsberatung, Mütterberatung, Beratung in Ren- tenfragen und Wohngeldbeschaf- fung durch Sozialarbeiter, Hilfs- maßnahmen auf Grund ärztlicher Anordnung, aber auch „medizi- nisch-technische Leistungen, die nicht länger zum Behandlungsmo- nopol der freipraktizierenden Ärzte gehören sollen" (so der stellvertre- tende DGB-Vorsitzende Gerd Muhr nach einer Meldung der „Rheini- schen Post" vom 24. Juli 1974).

Seit mehr als drei Jahren be- finden sich in verschiedenen Bundesländern sogenannte Sozialstationen im Aufbau.

Rheinland-Pfalz, Bayern, das Saarland, Baden-Württem- berg und Nordrhein-Westfa- len waren die ersten Bundes- länder, die mit Unterstützung staatlicher und nichtstaatli- cher Institution solche Sta- tionen errichteten, um vor al- lem die Kranken-, Alten- und Familienpflege durch nicht- ärztliches Fachpersonal zu organisieren und zu intensi- vieren. Der Beitrag informiert über die Zielsetzung und Auf- gaben dieser Sozialstationen, über die bisher gemachten Erfahrungen sowie die Ko- operationsmöglichkeiten und -notwendigkeiten zwischen den Sozialstationen und der niedergelassenen Ärzte- schaft.

Richtlinien, Zielvorstellungen und Aufgabenkataloge bieten bei den pflegerischen Aufgaben der So- zialstationen ein verhältnismäßig einheitliches Bild, weichen jedoch hinsichtlich ihres Umfanges und der Vielfalt der anderen Aufgaben voneinander ab. Dadurch besteht die Gefahr, sie fachlich und organi- satorisch durch eine Fülle hetero- gener Dienstleistungsangebote zu überlasten. ,Einige Planer konnten offensichtlich der Vielzahl gegen- wärtig diskutierter Vorstellungen über neuzeitliche Hilfeleistungen im Gesundheitswesen nicht wider- stehen, und so sind die Pflegedien- ste in manchen Zielvorstellungen in den Hintergrund getreten. Es ist bei eingeschränkten personellen und finanziellen Möglichkeiten, wie sie auch für die Sozialstationen be- stehen, sinnvoll, sich auf die Aufga- ben zu beschränken, nach denen eine große Nachfrage besteht.

Ob eine Sozialstation zuständig sein sollte, beispielsweise Beratun- gen im Sinne allgemeiner Lebens-

Sozialstationen

ersetzen die Gemeindepflege

Klare Aufgabenabgrenzung notwendig

Hanns J. Wirzbach

1294 Heft 18 vom 1. Mai 1975 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Sozialstationen

beratung oder Ehe- und Familien- beratung durchzuführen; ob über das Kernangebot hinaus Dienstlei- stungsangebote wie fahrbarer Mit- tagstisch, Einsatz von Putzhilfen, Fußpflege, Näh- und Wäschedienst, Einkaufshilfe, Reparaturhilfe, Bera- tung in Diätfragen usw. zählen soll- ten, muß verneint werden. Dies hat auch der Deutsche Caritasverband in seiner Schrift „Neuordnung der ambulanten GesUndheits- und so- zialpflegerischen Dienste" deutlich ausgesprochen. Vieles davon wird heute mit gutem Erfolg von ande- ren Einrichtungen getan.

Welche Aufgaben Sozialstationen übernehmen sollten, wird im Detail kaum einheitlich festgelegt werden können. Das ergibt sich schon aus den unterschiedlichen Ausgangsla- gen für diese Arbeit, die sicherlich in ländlichen Gebieten anders aus- sehen muß als in Großstädten.

Warum die bereits arbeitenden So- zialstationen vorwiegend in ländli- chen Bereichen und Kleinstädten eingerichtet sind, ist schwer zu er- klären. Die Aufgaben für Sozialsta- tionen in Großstädten und in Indu- strieballungsgebieten sind minde- stens so umfangreich, wenn auch möglicherweise mit anderen Ak- zentsetzungen.

Interessant, daß theoretische Über- legungen über die Kernaufgaben der Sozialstationen durch die Praxis bestätigt werden. Die Unter- lagen von 1974 der Sozialstation in Koblenz weisen aus, daß der Schwerpunkt der Arbeit mit 70 Pro- zent der Gesamttätigkeit bei den Pflegemaßnahmen liegt. Ambulante Versorgung von Besuchern macht nur fünf bis zehn Prozent der Ge- samtleistung aus. Die zwölf Schwe- stern, die 1974 in der Koblenzer Sozialstation tätig waren, sind ständig zu Hausbesuchen unter- wegs. Jede hat einen bestimmten Bereich des Gesamteinzugsgebiets dieser Station mit rund 35 000 Men- schen. Daraus ergibt sich die Not- wendigkeit, alle Schwestern zu

„motorisieren" und entsprechende Unterlagen darüber zu führen, wer wann besucht werden muß und welche Pflegemaßnahmen durch-

zuführen sind, damit auch im Falle der Notwendigkeit einer Vertretung die Arbeit ohne Verzögerung fort- gesetzt werden kann. Dabei kommt auf die Krankenschwester mit be- sonderer Erfahrung in der Betreu- ung alter Menschen oder auf die Altenpflegerin ein besonderes Ar- beitspensum zu. Im Jahre 1974 hat es sich nämlich gezeigt, daß in 30 rheinland-pfälzischen Sozialstatio- nen 60 bis 70 Prozent der betreu- ten Menschen zur alten Generation gehörten. Der Wunsch, alten Men- schen ihre Selbständigkeit mög- lichst lange in gewohnter Umge- bung zu erhalten, wird auch bei der Errichtung neuer Sozialstatio- nen eine wichtige Rolle spielen.

Das gleiche gilt aber auch für viele noch junge Pflegebedürftige, die lieber zu Hause eine Besserung ih- res Zustandes erwarten als in ei- nem Krankenhaus oder Pflege- heim.

Einzugsgebiet

und Leistungskapazität

Die Größe des Einzugsgebietes ei- ner Sozialstation hängt im wesent- lichen von der erwarteten Lei- stungskapazität der Mitarbeiter ab.

Nach den Richtlinien des Landes Rheinland-Pfalz soll der Betreu- ungsbereich je nach örtlichen Ge- gebenheiten zwischen 20 000 und, 50 000 Einwohnern liegen. Bei der Bestimmung von Betreuungsberei- chen sind soziologische und geo- graphische Verhältnisse ebenso wie die Grenzen von Verbandsge- meinden, Städten und verbands- freien Gemeinden zu beachten. Der Deutsche Caritasverband gibt als Anhaltspunkt für den Betreuungs- bereich in ländlichen Gebieten zwi- schen 15 000 und 25 000 Einwoh- ner an. Je nach Verkehrserschlie- ßung sollte man von einem Durch- messer von 20 bis 40 km ausgehen.

In Nordrhein-Westfalen werden 30 000 bis 50 000 Einwohner als Versorgungsbereich für eine So- zialstation genannt, in Bayern sind es 25 000 bis 60 000 Einwohner, die den Einzugsbereich dieser Einrich- tung bilden sollen. Nach den bishe- rigen Erfahrungen scheint jeden-

falls festzustehen, daß es nicht sinnvoll ist, Sozialstationen mit ei- nem Versorgungsgebiet unter 15 000 Einwohnern einzurichten.

Die sich bei einer geringeren Zahl von Einwohnern ergebenden perso- nellen Probleme behindern die rei- bungslose Arbeit der Station er- heblich.

Personelle Besetzung

Nach Modellvorstellungen sollen sich in Sozialstationen hauptberuf- liche, nebenberufliche und ehren- amtliche Tätigkeiten ergänzen. Wie auch hinsichtlich der Größe des Einzugsbereichs ist die personelle Zusammensetzung des Mitarbeiter- stabs von Umfang und Vielfalt der Nachfrage der hier Hilfe suchenden Menschen abhängig. In einer Mo- dellsozialstation in Saarbrücken, die einige Stadtteile mit rund 30 000 Einwohnern betreut, waren 1974 drei Krankenschwestern, eine Altenpflegerin und zwei Familien- pflegerinnen tätig. Das Koblenzer Modell mit einem Einzugsgebiet von etwa 35 000 Menschen hatte 1974 zwölf ständig fest angestellte Schwestern. In beiden Fällen han- delt es sich um neuentwickelte Mo- delleinrichtungen, so daß die per- sonelle Besetzung sich mit Sicher- heit ändern wird bzw. sich bis heu- te geändert hat. Der Deutsche Ca- ritasverband nimmt eine Mindest- besetzung bei sechs bis acht hauptberuflichen Fachkräften an, wozu Krankenschwestern bzw.

Krankenpfleger, Krankenpflegehel- ferinnen, Alten- und Familienpflege- rinnen sowie Dorfhelferinnen gehö- ren. Nach den Richtlinien der Lan- desregierung Rheinland-Pfalz sol- len Sozialstationen möglichst zehn bis zwölf Fachkräfte für die Berei- che Kranken- und Altenhilfe be- schäftigten. Die personelle Mindest- ausstattung umfaßt sechs Kran- kenschwestern bzw. Altenpflegerin- nen, im Rahmen deren Tätigkeit auch Krankenpflegehelferinnen be- schäftigt werden können.

Sozialstationen arbeiten heute vorwiegend nach dem Prinzip der zentralen Leitung bei dezentraler

DEUTSCHES ARZTEBLAIT Heft 18 vom 1. Mai 1975 1295

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Spektrum der Woche Aufsätze ·Notizen Sozialstationen

Arbeitsweise. Dies bedeutet: Die Mitarbeiter betreuen individuell ih- ren festumrissenen Kreis pflege- bedürftiger Menschen, behalten je- doch ständigen Kontakt zur Zentra- le und haben in der Sozialstation ihren Platz für Erfahrungsaus- tausch, Absprachen über Hilfen und Ergänzung ihrer Arbeit durch andere Fachkräfte. Unterstützt wird ihre Arbeit vielfach durch freiwilli- ge Mitarbeiter, so beispielsweise bei der Hauspflege durch die Nachbarschaftshilfe. Aber auch hierzu muß der Anstoß meist von der Mitarbeiterin der Sozialstation erst gegeben werden. Geleitet wer- den Sozialstationen meist durch eine Krankenschwester. in Bayern obliegt die Leitung der Station und der Einsatz der Mitarbeiter häufig einem graduierten Sozialarbeiter.

Dort haben auch einige Modelle ih- ren Betrieb aufgenommen, bei dem zunächst nur drei hauptberufliche Fachpflegekräfte tätig sind. Wichtig bei der personellen Besetzung ist es,. daß in jedem Fall eine Vertre- tung möglich ist. Darüber hinaus sollte die einzelne Mitarbeiterin das Gefühl haben, in einer Gruppe zu arbeiten und nicht allein zu ste- hen.

Meist freie Trägerschaft

Die Trägerschaft bisher errichteter Sozialstationen liegt vorwiegend bei freigemeinnützigen Einrichtun- gen in enger Zusammenarbeit mit Kommunen und dem Land. Hier besteht jedoch ein buntes Bild, das neben konfessionell gebundenen Trägerschatten wie dem Caritas- verband oder dem Diakonischen Werk auch ökumenische Träger- schaften zeigt. Daneben sind das Rote Kreuz, der Deutsche Paritäti- sche Wohlfahrtsverband und die Arbeiterwohlfahrt Träger von So- zialstationen. Es gibt aber auch Kuratorien, in denen alle Beteilig- ten zusammengefaßt sind: Vertre- ter des Landkreises, der politi- schen Gemeinde, des Gesundheits- amtes, der Caritas, des Diakoni- schen Werkes und der niedergelas- senen Ärzte. Nach den Richtlinien des Landes Rheinland-Pfalz kön-

nen kommunale Gebietskörper- schaften die Trägerschaft dann übernehmen, wenn geeignete freie Träger zur Führung von Sozialsta- tionen nicht bereit oder nicht in der Lage sind. Mischformen zwischen freien und öffentlichen Trägern sol- len im Interesse einer klaren För- derungszuständigkeit auf Ausnah- men beschränkt bleiben. ·Diese Meinung ist nicht unumstritten, da die Vorzüge von "Verbundträger- schaften" in der Praxis deutlich ge- worden sind.

Finanzierung

aus mehreren Quellen

Die Finanzierung der Sozialstatio- nen erfolgt heute aus mehreren Quellen. Meist werden Landesför- derungen in Form von Zuwendun- gen zu den Investitions- und Be- triebskosten gewährt; daneben ha- ben die Sozialstationen Dienstlei- stungen den Benutzern in Rech- nung zu stellen und erzielen so ei- gene Einnahmen. Auf Zuschüsse der öffentlichen Hand werden So- zialstationen auch nach Beendi- gung des "Modellcharakterstatus"

nicht verzichten können, wobei sich neben den lnvestitionskosten, an denen sich vorwiegend das Land beteiligen wird, Zuschüsse zu Betriebskosten durch die Landkrei- se und kreisfreien Städte aufgrund ihrer Verpflichtung als Träger der Sozialhilfe rechtfertigen lassen.

..,.. ln Rheinland-Pfalz beispielswei- se beteiligt sich das Land mit etwa der Hälfte der Investitionskosten an der Einrichtung von Sozialstatio- nen und darüber hinaus an der Beschaffung der für die Station notwendigen Fahrzeuge. Daneben gibt es Zuweisungen der öffentli- chen Hand, der Stadt- und Land- kreise sowie Gemeinden für die laufenden Betriebskosten.

Zu den Einnahmen der Sozialstatio- nen gehören ferner die bereits erwähnten Gebühren für Dienstlei- stungen, im Einzelfall aber auch Pauscha/abgeltungen der örtlich errichteten Krankenpflegevereine, deren Mitglieder aufgrund ihrer monatlichen Beitragsleistungen die

1296 Heft 18 vom 1. Mai 1975 DEUTSCHES ARZTEBLATT

Versorgung durch Sozialstationen ohne Vergütung erhalten. In Rhein- land-Pfalz zahlen die Krankenkas- sen wegen ihrer Leistungspflicht nach § 185 Reichsversicherungs- ordnung (RVO) ebenfalls Pauscha- len an die Sozialstationen.

Der Finanzierungsmodus ist jedoch nicht einheitlich und bisher bei den einzelnen bereits arbeitenden So- zialstationen von einer Reihe von unterschiedlichen Voraussetzun- gen abhängig. Sicherlich wird in Richtlinien der Länder bzw. in ei- ner möglichen Rahmenvorschrift des Bundes die Frage der Finan- zierung näher geregelt werden müssen. Sie macht bis heute keine Schwierigkeiten; es muß jedoch bei dieser Feststellung daran ge- dacht werden, daß es sich bei der Tätigkeit dieser neuen Einrichtun- gen immer noch um Modellversu- che handelt.

Arzt-Sozialstationen

In der Zeitschrift "Der praktische

Arzt", Heft 4/1975, hat Dr. med. Hans

Hugo Wrede in einem Beitrag

"Wird Entlastung zur Belastung?"

festgestellt: "Die Sozialstationen sind eine Realität, mit der sich die Ärzteschaft auseinandersetzen

muß." Schon diese Aussage macht

deutlich, und die Diskussionen, ins- besondere in Rheinland-Pfalz un- terstreichen dies, daß die Zusam- menarbeit Ärzte/Sozialstationen ihre richtige Form noch finden muß. Es wäre falsch, wenn sich der Arzt um die Sozialstation über- haupt nicht kümmern würde. Die beratende Tätigkeit und die Auf- sicht des Arztes ist für eine gut funktionierende Sozialstation not- wendig. In einigen Kuratorien und Beiräten von Sozialstationen sind heute Ärzte vertreten, die mit ihrem Rat und ihrer Entscheidungshilfe die Leistungen dieser Stationen entscheidend fördern.

..,.. ln Sozialstationen sollten aber keine spezifisch ärztliche Leistun- gen erbracht werden. Daraus er- gibt sich die Konsequenz für den Arzt, in der Sozialstation weder

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen

Das gesundheitspolitische Pro- gramm der Jungsozialisten, das deren Delegiertenversammlung im Februar ohne sonderliche Diskus- sion absegnete, verzichtet auf Um- schreibungen, wie sie die älteren Parteigenossen in der ASG noch anzubringen für nötig hielten. Die Präambel ist knalltrocken über- schrieben: „Ziel sozialistischer Ge- sundheitspolitik". In ihr heißt es:

„Ziel einer sozialistischen Gesundheits- politik ist die umfassende Gesundheits- vorsorge und Gesundheitssicherung für alle. Die Forderung nach körperlichem, seelischem und sozialen Wohlbefinden als existenziellem Grundrecht eines Menschen darf nicht länger vorherr- schenden Kapitalinteressen und dem Dünkel von ständischen Ärzte- und Apothekerorganisationen zum Opfer fal- len. Die — auf Grund des erreichten wissenschaftlichen und technischen Standards in der Medizin — bestmögli- che Versorgung der Bevölkerung muß unabhängig vom jeweiligen Einkommen durchgesetzt werden. Dies kann nur ein vergesellschaftetes und integriertes Sy- stem medizinischer und sozialer Ge- sundheitsvorsorge leisten.

Strategie, Reformschritte und Aktionen müssen deshalb darauf gerichtet sein,

die aufgezeigten Mißstände im bundes- deutschen Gesundheitssystem auf die Profitlogik des kapitalistischen Systems zurückzuführen, um die Reformen im Gesundheitsbereich in den Gesamtzu- sammenhang des Kampfes für den de- mokratischen Sozialismus zu stellen,

Entscheidendes Element einer soziali- stischen Strategie im Gesundheitsbe- reich ist es, die vom derzeitigen schlechten Gesundheitssystem Betrof- fenen, also die Sozialversicherten und damit 90 Prozent der gesamten Bevöl- kerung, nicht zu Objekten von Verände- rungen zu machen, sondern zu Trägern des gesellschaftlichen Fortschritts in der medizinischen Versorgung..."

Im nächsten Absatz „Demokratie in das Gesundheitswesen" wird eine

„umfassende Demokratisierung des Gesundheitswesens" gefor- dert. Das wird so definiert:

„So notwendig es ist, die staatliche Verantwortung auszuweiten, so notwen- dig ist auch eine gesamtgesellschaftli- che Kontrolle, die Mitwirkung und Mit- entscheidung aller Betroffenen und der Auf- und Ausbau von Selbstverwal- tungssystemen der medizinischen Ver- sorgung." j>

hauptberuflich noch nebenberuf- lich ärztlich tätig zu werden. Es gibt jedoch Aufgaben, die neben den eigenverantwortlich durch Krankenschwestern wahrgenom- menen Pflegediensten die Frage nach der ärztlichen Verantwortung aufwerfen. Das betrifft insbesonde- re diejenigen Leistungen der So- zialstationen, die üblicherweise un- ter dem Begriff Behandlungspflege zusammengefaßt werden. Das, was unter Behandlungspflege zu verste- hen ist, beispielsweise Massagen, Krankengymnastik, Verbandswech- sel, die Pflege von versorgten Wun- den oder auch intramuskuläre In- jektionen, kann in Sozialstationen nur dann durchgeführt werden, wenn sie vom Arzt im Einzelfall ausdrücklich verordnet ist und der Arzt diese Leistungen beim einzel- nen Patienten kontrolliert. Das be- deutet auch, daß der Arzt sich über den entsprechenden Ausbildungs- und Wissensstand der Schwester informieren muß, die diese Tätig- keiten ausübt. Hier spielt das Pro- blem der ärztlichen Aufsicht und Haftung eine wichtige Rolle, wobei sich jeder Arzt überlegen wird, ob er das hier entstehende Risiko auf sich nehmen kann.

Keinesfalls sollten solche Tätigkei- ten in den Sozialstationen ihren ne- bengeordneten Charakter verlie- ren. Die bisherige Praxis hat ge- zeigt, daß eine solche Gefahr auch nicht besteht. Die Kernaufgaben ei- ner Sozialstation ergeben sich ganz offensichtlich aus der drin- genden Nachfrage Hilfsbedürftiger nach Hauspflege. Es wäre schade um die gute Idee, wenn sie in der Praxis entgegen den Wünschen der hilfesuchenden Menschen ver- fälscht und aus Sozialstationen In- stitutionen ambulanter Behandlung würden.

Anschrift des Verfassers:

Hanns J. Wirzbach Kassenärztliche Bundesvereinigung 5 Köln 41

Haedenkampstraße 3

DOKUMENTATION

Planbestimmung ‚Vorsorgezwang und Klassenkampf

Aus dem gesundheitspolitischen Programmentwurf der Jungsozialisten

Mit den Programmentwürfen der Jungsozialisten und der Jungde- mokraten zum Gesundheitswesen wird hier die Dokumentationsrei- he über die neuesten Elaborate aus den bundesdeutschen Gesund- heitsprogrammwerkstätten fortgesetzt und vorerst abgeschlossen.

In Heft 16, Seite 1095, waren diese Programme im Ganzen darge- stellt, in Heft 16, Seite 1099 ff., und Heft 17, Seite 1185 ff., war das Programm der „Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokraten im Ge- sundheitswesen'', der früheren ASÄ, dokumentiert und kommen- tiert worden. Auch bei den beiden hier folgenden Programmentwür- fen konzentriert sich die Darstellung auf diejenigen Abschnitte, die mit der ärztlichen Versorgung in Praxis und Krankenhaus sowie mit der Organisation und Finanzierung der vorgeschlagenen Systeme zusammenhängen.

Sozialstationen

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 18 vom 1. Mai 1975 1297

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