ÜBERSICHTSAUFSATZ
Die akute Virushepatitis Typ B (so- genannte Serumhepatitis) gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die Zahl der Erkrankten hat in den letzten Jahren deutlich zugenom- men, während die akute Virushepa- titis Typ A (Hepatitis infectiosa) zu- rückgegangen ist. Die Hepatitis B ist heute durch den Nachweis des von Blumberg 1964 entdeckten Australia-Antigens klar von den an- deren Hepatitisformen abgrenzbar, während die gesicherte Diagnose der Hepatitis A nur durch Aus- schluß der übrigen Hepatitiden ge- lingt. Die Kenntnis des Australia- Antigens hat fundierte Aussagen zur Ätiologie, Epidemiologie und zum Verlauf der Hepatitis B erst möglich gemacht. Deswegen soll in der vorliegenden Arbeit das Haupt- gewicht auf die Beschreibung der bei Hepatitis B nachweisbaren An- tigene gelegt werden.
Australia-Antigennachweis
Das Australia-Antigen unterteilt man in die Subtypen adw, adr, ayw und ayr. Es ist ein Lipoproteid von 20 nm Größe (Abbildung 1), das wahrscheinlich bei der Synthese des Hepatitis-B-Virus im Über- schuß gebildet wird. Es bildet die Hülle um einen 27 nm großen Kör- per, bei dem es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um das Hepati- tis-B-Virus handelt. Hülle und Core stellen zusammen ein Partikel von 40 nm Größe (Dane-Partikel) dar, haben aber unterschiedliche Anti- genstrukturen. Man spricht deswe- gen vom Australia-Antigen als dem Oberflächenantigen (HBsAg, HB — Hepatitis B, s = surface, Ag = An- tigen) und von dem Core-Antigen
(HBcAg, core = Kern). In der Le- berzelle läßt sich das HBsAg im endoplastischen Retikulum und das
HBcAg im Zellkern lokalisieren.
Der Nachweis der Dane-Partikel besitzt zur Zeit geringe diagnosti- sche Bedeutung, da es nur elek- tronenmikroskopisch nachzuweisen ist. Dagegen ist die Untersuchung des HBsAg bei der Diagnostik von Lebererkrankungen unerläßlich und erfolgt heute routinemäßig mit der Überwanderungs-Elektrophorese oder seltener mit der Elektroim- mundiffusion nach Laurell, mit der das Antigen auch quantitativ erfaßt werden kann (Abbildung 2). Die moderne Diagnostik kommt jedoch nicht ohne den Hämagglutinations- test und die allerdings weit auf- wendigeren Radioimmunmethoden aus, die neuesten Ergebnissen zu- folge bis 1000mal empfindlicher sind als die Überwanderungselek- trophorese. Der Nachweis des Core-Antigens bleibt vorerst nur wissenschaftlichen Laboratorien vorbehalten, da es viel schwieriger als das HBsAg zu identifizieren ist.
Seit kurzem kennt man ein e-Anti- gen, das mit der Hepatitis B assozi- iert ist. Seine Natur ist noch un- bekannt.
Bestimmung des Australia- Antigen-Antikörpers (Anti-HBs) Die Bestimmung der Antikörper ge- gen das Australia-Antigen (Anti- HBs) mit der Überwanderungselek- trophorese gilt als überholt. Da die Antikörpertiter im allgemeinen sehr niedrig sind, müssen hochempfind- liche Testsysteme wie der Hämag- glutinationstest und die Radioim- munoassays herangezogen wer- den. Der Nachweis des Anti-HBs gibt uns darüber Auskunft, daß ir- gendwann eine Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus stattgefunden hat.
Von der Mehrzahl der Autoren wird anti-HBs-haltiges Blut als nicht in- fektiös angesehen und darf deswe- gen ohne erhöhtes Hepatitis-B- Risiko transfundiert werden. Im Gegensatz dazu deutet der Nach- weis der Core-Antikörper (Anti- HBc) ebenfalls wie der Nachweis des HBsAg auf das Vorliegen einer Virämie. Die Core-Antikörper blei- ben länger im Blut nachweisbar als das HBsAg und erweisen sich als
Die akute Virushepatitis:
Diagnostische Abgrenzung des Typs B
Wolf Dieter Strohm und Johannes Christian Felix Schubert
Aus dem Zentrum der Inneren Medizin,
Abteilung für Gastroenterologie (Direktor: Professor Dr. Siede) und Abteilung für Hämatologie (Direktor: Professor Dr. Martin),
der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main
Die Bestimmung des sogenannten Australia-Antigens (HBsAg) ist für die Diagnostik der akuten Hepatitis unerläßlich geworden. Der Nachweis von Antikörpern gegen HBsAg (Anti-HBs) und gegen das Core-Antigen (Anti-HBc) ist weniger bedeutsam. Die Abgrenzung der Hepatitis B von der Hepatitis A ist deswegen von wesentlicher Bedeutung, weil die Hepatitis B einen schwereren und längeren kli- nischen Verlauf als die Hepatitis A hat, häufiger zum Tode führt und im Gegensatz zur Hepatitis A in eine chronische Hepatitis überge- hen kann.
I> Erreger Name Kern Hülle
komplettes Virus Inaktivierung Antikörper Immunität
> Infektion Jahreszeit Auftreten
Übertragung Prophylaxe Altersverteilung Inkubationszeit
> Initialstadium Fieber
Diarrhoe
> Verlauf Beginn
Aktivitäten der SGOT u.
SGPT
GOT/GPT-Quotient Bilirubin
BSG
Gamma-Globuline IgM
Krankheitsdauer
Letalität
Übergang in chroni- sche Hepatitis oder Zirrhose
Hepatitis-A-Virus (HAV) vorhanden
Cubic-Virus-ähnlich 40 bis 45 nm 100 ° C über 5 min.
ja
lebenslang
Herbst u. Winter gehäuft
epidemisch: Reise, Trinkwasserver- seuchung, Kontakt, Muschelgenuß u. a.
fäkal-oral, selten parenteral Gamma-Globuline
Kinder und Jugendliche kurz: 20 bis 30
(seltener 15 bis 50) Tage
akut
steiler Anstieg u. rascher Abfall inner- halb 3 bis 5 Wochen. Transaminasen- rezidiv in 20 0/0 der Fälle
in ca. 85 0/0 der Fälle kleiner als 1,0 mäßig bis stark erhöht, selten über 20 mg/100 ml
mittelgradig beschleunigt mäßig bis stark erhöht mäßig bis stark erhöht
3 bis 5 Wochen, verlängert bis 10 Wochen oder länger
bei Transaminasenrezidiv unter 1 0/0
fraglich
Hepatitis-B-Virus (HBV) Core (HBcAg), 27 nm Surface (HBsAg), 20 nm Dane-Partikel, 40 nm 100° über 5 min.
Anti-HBs, Anti-HBc
abhängig von Anti-HBs-Konzentration
keine
sporadisch, Mikroepidemien bei kör- perlichem Kontakt (Familie, Intimkon- takt), Behandlung mit Blutprodukten, Verwendung von unzureichend sterili- sierten Instrumenten
fäkal-oral (niedrige Infektionsrate) und parenteral (hohe Infektionsrate) in Abhängigkeit von Anti-HBs-Gehalt, Standard-Immunglobuline fraglich alle Altersgruppen
lang: 50 bis 90
(seltener 30 bis 240) Tage
häufig protrahiert
langsamer Anstieg, oft langsamer Ab- fall. In 40 0/0 initiales Transaminasen- plateau von 2 bis 4 Wochen
in ca. 35 a/c, der Fälle größer als 1,0 häufig stark erhöht
in 20 °A über 20 mg/100 ml normal oder leicht beschleunigt normal bis mäßig erhöht normal bis mäßig erhöht 1 bis 6 Monate, auch länger
2 bis 5 0/0 5 bis 10°/o
50 0/0 10 0/0
30 0/0 10 0/0
Abbildung 1: Elektronenoptische Darstellung des HBsAg (kleine runde Körper und tubuläre Formen) und des Dane-Partikels (große runde Körper mit Hülle und Kern).
Vergrößerung 1:200 000, 0,1 ,u eingezeichnet. Die Abbildung verdanken wir Prof.
Dr. May, Zentrum der Hygiene der Universität Frankfurt am Main
Abbildung 2: Präzipitationslinien des HBsAg in der Elektroimmundiffusion nach May und Gerlich 1972. Loch 1-4: Standardserum (45 7/ml) in den Verdünnungen 1,0-0,5-0,1-0,04. Loch 5-9: Patientenseren mit den HBsAg-Konzentrationen 2,4 y/m1 — 38,9 7/m1 — 5,0 7/ml — negativ — 44,2 y/m1
Akute Virushepatitis Typ B
wichtiger Parameter zur Erkennung der Infektiosität der Hepatitis B.
Anti-HBc-haltiges Blut stellt eben- so wie HBsAg-haltiges Blut eine strenge Kontraindikation für eine Transfusion dar. Leider ist der Nachweis von Anti-HBc noch nicht routinemäßig möglich.
Im Gegensatz zu den serologi- schen Erkennungsmöglichkeiten der Hepatitis B muß sich der Nach- weis des Hepatitis-A-Virus vorläu- fig auf Übertragungsversuche mit Marmoset-Affen und immun-elek- tronenmikroskopische Untersu- chungen beschränken und ist der Routine nicht zugänglich.
Übertragung
des Hepatitis-B-Virus
Eine Ansteckung mit dem Hepati- tis-B-Virus ist oral und parenteral möglich. Der häufigste Übertra- gungsmodus ist der orale Infek- tionsgang. Das HBsAg kommt außer im Stuhl in nahezu allen Körperflüssigkeiten vor. Diese können bei Kontakt zu Anstek- kungen führen. In Deutschland liegt die Durchseuchungsrate durch das Hepatitis-B-Virus bei 6 bis 8,7 Prozent. Bei einer stärkeren Exposition steigt der Nachweis ei- ner Infektion zum Beispiel beim Klinikpersonal bis auf 65 Prozent.
Ein Großteil der Infizierten macht die Hepatitis B abortiv durch. Oft kommt es nur zu einem kurzen Anstieg der Serumaktivität der Transaminasen, der meist unbe- merkt bleibt. Bei Übertragungsver- suchen bedarf die orale Infektion im Vergleich zur parenteralen In- fektion höherer Viruskonzentratio- nen. Sie hat eine längere Inkuba- tionszeit und führt auch seltener zu einer manifesten Erkrankung. Au- ßerdem ist der Krankheitsverlauf in der Regel leichter. Nach einer par- enteralen Übertragung (zum Bei- spiel durch Injektionen, Bluttrans- fusionen) kommt es in etwa 60 Pro- zent der Fälle zur manifesten He- patitis B, in etwa 30 Prozent zum ikterischen Verlauf. Die HBsAg- Konzentration kann bei Ausbruch der Erkrankung bis 100 gamma/ml
700 - 800 -
n = 22
600 -
500 -
400 -
300 -
200 -
100 -
10 20 30 40 50 60 Tage
10 20 30 40 50 Tage n-16
800 -
700 -
600 -
500 -
400 -
300 -
200 -
100 -
0 0
20 OFT mU
1000
500
200
100
50
10
10 20 30 G0 50 50 70 TAGE
Abbildungen 3 a bis 3 d: Verschiedene typische Verlaufsformen der SGPT-Aktivität bei akuter Virushepatitis: a) Kurventyp mit sofort einsetzendem Abfall der Serum-Glutamin-Pyruvat-Transaminase (31 Prozent bei H13); b) Kurven- typ mit initialer Plateaubildung von zwei bis vier Wochen (42 Prozent bei HB), c) Kurventyp mit zwischenzeitlichem Plateau (Beispiel), 0 bedeutet Elimination des HBsAg (15 Prozent bei HB), d) Beispiel eines biochemischen Rezidivs ohne Bilirubinerhöhung, hauptsächlich nur bei HA (20 Prozent der HA-Fälle)
Abbildung 4: Zeitlicher Zusammenhang zwischen klinischem Bild, dem Auf- treten des HBsAg, des Anti-HBc und des Anti-HBs bei Hepatitis B (nach Hoofnagle et al. 1974)
Ikterus HBsAg +
• • • • Anti - HBc
/ Anti - HBs
5 6 7 12 24
Monate
0
•
•
1 64 1 : 32 1 : 16 1 : 8
An tikörp e rtite r
1•
Akute Virushepatitis Typ B
und mehr betragen, sinkt dann aber bald ab. Das HBsAg bleibt im allgemeinen nur zwei bis drei Mo- nate im Serum nachweisbar. Im Stuhl läßt es sich noch weitere drei bis vier Monate nachweisen. Der zeitliche Zusammenhang zwischen klinischem Verlauf und dem Auftre- ten von HBsAg, Anti-HBc und Anti- HBs geht aus Abbildung 3 hervor.
Die Persistenz von HBsAg und Anti- HBc weist auf den Übergang der akuten Hepatitis in chronische For- men hin.
Ungefähr 0,1 bis 0,5 Prozent der Normalbevölkerung sind Antigen- träger mit Persistenz des HBsAg während des ganzen Lebens, ohne einen nachweisbaren Leberscha- den davonzutragen. Sie sind Virus- träger und bilden oft Anti-HBc.
Zur Erklärung dieses Phänomens nimmt man eine Immuntoleranz für das HBsAg an. Bis zu 13 Prozent der Familienangehörigen der HBsAg-Träger sind ebenfalls HBsAg-positiv.
Klinik der Hepatitis
Die Klinik der Hepatitis B wird im Gegensatz zur Hepatitis A durch ei- nen symptomenarmen Beginn cha- rakterisiert, wobei ein Prodromal- stadium völlig fehlen kann (Tabel- le). Die klinisch manifeste Erkran- kung mit Ikterus bietet ein schwere- res Symptomenbild als bei Hepatitis A. So hatten 20 Prozent von 52 vor- her gesunden Patienten unserer Kli- nik mit Hepatitis B eine Serumbili- rubinkonzentration von 20 mg/100 ml und mehr, was in einem Kollek- tiv von 52 Patienten mit Hepatitis A nur in zwei Prozent der Fälle vor- kam. Auch die maximalen Aktivitä- ten der GPT und der Quotient GOT/
GPT nach de Ritis lagen bei der Hepatitis B signifikant höher als bei der Hepatitis A. Durchschnittlich dauert die Hepatitis B bei kompli- kationslosen Fällen zehn Tage län- ger als die Hepatitis A. Außerdem entwickeln sich die Aktivitäten der Transaminasen bei der Hepatitis B in typischer Weise. Häufig sieht man ein anfängliches, bis zu vier
Wochen dauerndes Transamina- senplateau, woran sich ein rascher Abfall der Aktivitäten anschließt. In anderen Fällen beobachtet man ein zwischenzeitliches Plateau von einer Woche Dauer (Sesselform).
Die Plateauformen kommen bei der Hepatitis A kaum vor. (Der Trans- aminasenabfall nach dem Plateau wird mit dem Auftreten von Lym- phozyten mit membrangebunde- nem HBsAg in Zusammenhang ge- bracht). Das sogenannte biochemi- sche Rezidiv ohne Bilirubinerhö- hung wird dagegen fast nur bei der Hepatitis A beobachtet (Abbildun- gen 3 a bis d). Echte Rezidive kom- men bei beiden Formen bis zu fünf Prozent vor. Die Abgrenzung der Hepatitis B von der Hepatitis A bzw. von anderen Hepatitisformen ist heute von großer Bedeutung. An Hepatitis B sterben in der akuten Phase zwei bis fünf Prozent der Patienten, während die Hepatitis A im allgemeinen ein harmloses Krankheitsbild mit kürzerer Dauer und völliger Ausheilung darstellt.
Die Letalität der Hepatitis A liegt unter ein Prozent. Darüber hinaus entwickelt sich aus einer Hepati-
tis B relativ häufig (fünf bis zehn Prozent der Fälle) eine chronische Leberentzündung und nicht selten eine chronisch aggressive Hepati- tis mit Übergang in eine Leberzir- rhose. Über 50 Prozent der Patien- ten mit Leberzirrhose sind Austra- lia-Antigen(HBsAg)-positiv. In die- sen Fällen ist die Leberzirrhose als Folge einer Hepatitis-B-Virusinfek- tion anzusehen. Es ist deshalb dringend notwendig, beide Hepa- titistypen streng voneinander zu trennen und die Hepatitis B als ei- ne ernste Erkrankung von großer medizinischer und sozialhygieni- scher Bedeutung zu betrachten.
Literatur bei den Verfassern
Anschrift der Verfasser:
Dr. med. W. D. Strohm Professor
Dr. med. J. C. F. Schubert Zentrum der Inneren Medizin der Universität Frankfurt a. Main 6 Frankfurt am Main 70
Theodor-Stern-Kai 7