DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
FÜR SIE GELESEN AUSSPRACHE
Stellungnahme
In dem Editorial weist K. H. Kimbel erneut und zu Recht darauf hin, daß sich auch unter Arzneimitteln kanzerogene Stoffe befinden kön- nen. Durch den Hinweis im Bei- packzettel „... löst bei Versuchs- tieren (Ratte) Krebs aus!" ist nicht viel gewonnen.
Aus diesem Hinweis ist doch nur abzuleiten, daß die von der Zulas- sungsbehörde hinzugezogenen Experten zwar nicht glauben, aber auch nicht wissen, daß, ob und nach welcher Zeit die therapeu- tisch angewendeten Dosen beim Menschen Krebs induzieren oder promovieren. Der Anwender kann es auch nicht wissen, aber die Be- hörde hat ihr Gewissen entlastet.
Selbstverständlich ist es notwen- dig, die Grundlagenforschung über Krebsentstehung zu fördern, aber wer weiß schon, welche We- ge der Forschung zu baldigen ent- scheidenden Resultaten führen, so daß Vorhersagen möglich wä- ren? Bis dahin dürfte man die Hände nicht in den Schoß legen.
Epidemiologische Erhebungen am Menschen selbst haben sich als durchführbar erwiesen und zu brauchbaren Resultaten geführt.
Selbstverständlich dürfen davon keine Patentlösungen erwartet werden.
Dennoch sollte man endlich mit Erhebungen am Menschen anfan- gen, je früher, um so besser. Erfol- ge sind nur in kleinen Schritten zu erzielen.
Schon die Feststellung, daß ein verdächtiges Mittel in der Ana-
mnese von Krebskranken nicht oder nur sehr selten vorkommt, würde den Verdacht einer kanze- rogenen Wirkung beim Menschen erheblich einschränken.
So könnte man Schritt für Schritt Erfahrungen sammeln und für Aussagen über kanzerogene Wir- kungen von Arzneimitteln beim Menschen vielleicht doch etwas mehr Sicherheit gewinnen.
Professor Dr. med.
Helmut Kewitz Leiter des Instituts
für Klinische Pharmakologie Universitätsklinikum Steglitz der Freien Universität Berlin Hindenburgdamm 30 1000 Berlin 45
Schlußwort
Professor Kewitz rennt mit seinem sehr vernünftigen Vorschlag offe- ne Türen ein. Sagte ich doch: „Der Gesetzgeber sollte . . . die Voraus- setzungen schaffen, um die aus der therapeutischen Anwendung möglichen Schlüsse auf eine Kar- zinogenität so früh wie möglich ziehen zu können."
Solange aber Datenschutzerwä- gungen einer Arzneimittelanam- nese bei Krebskranken im Wege stehen können und nicht die erfor- derlichen Mittel vom Hersteller be- reitgestellt werden, wird auch ein neuer Anlauf scheitern müssen.
Dr. med. Karl Heinz Kimbel Herbert-Lewin-Straße 5 5000 Köln 41
Verteidigungsstrategie der Zelle:
Hypoxie nach Hypothermie
Da die aeroben Stoffwechselraten der Hypoxie-sensitiven Zellen un- ter 0 2-Mangel sinken, kann der Glukose- oder Glykogenbedarf zum Ausgleich für den Energieab- fall drastisch steigen. Das Ion- und Elektropotential jedoch kann auf- grund des Energiedefizits und der hohen Membranpermeabilität nicht aufrechterhalten werden, da- her werden die Stoffwechsel- und Membranfunktionen entkoppelt.
Bei Hypoxie-toleranten Tieren konnte dieses Problem durch eine Anzahl von biochemischen und physiologischen Mechanismen gelöst werden, wobei Hemmung des Stoffwechsels und Stabilisie- rung der Membranfunktionen die wirkungsvollsten Strategien der Toleranzerhöhung gegen eine Hypoxie darstellen. Eine Stoff- wechselhemmung wird mittels des umgekehrten oder negativen Pa- steur-Effekts erreicht (reduzierter oder gleichbleibender glykolyti- scher Fluß bei reduzierter 0 2-Ver- fügbarkeit); eine Koppelung der Stoffwechsel- und Membranfunk- tion wird trotz der niedrigen Ener- gieumsatzraten durch Aufrechter- haltung der Membranen mit gerin- ger Permeabilität (möglicherweise über Reduktion der Dichte der Ionen-spezifischen Kanäle) er- reicht. Die Möglichkeit der Kombi- nation der Stoffwechselhemmung mit einer Kanalunterbrechung in der Zellmembran wurde als eine Interventionsstrategie erkannt.
Der Erfolg dieser Strategie war je- doch bislang minimal, hauptsäch- lich aufgrund der Tatsache, daß die Herabsetzung des Stoffwech- sels durch Kälte den gewöhnlich angewandten Mechanismus dar- stellt, und die Hypothermie die kontrollierte Zeltfunktion bei den meisten Endothermen stört. Lng
Hochachka, P. W.: Defense Strategies Against Hypoxia and Hypothermia, Science Vol. 231 (1986) 234-241 — Dr. P. W. Hochach ka, Depart- ment of Zoology, University of British Colum- bia, Vancouver, Kanada V6T 2A9.
Rattenkrebs = Menschenkrebs?
Zu dem Editorial von Dr. med. Karl Heinz Kimbel in Heft 6/1986, Seiten 326 bis 327
2448 (48) Heft 37 vom 10. September 1986 83. Jahrgang Ausgabe A