Archiv "„Portraits“" (04.09.1985)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

BUCHBESPRECHUNGEN

Antike Mysterien

in christlicher Deutung

Die große seelische Not unserer Zeit hat in christ- lichen wie in nichtchrist- lichen Kreisen ein ehrwür- diges Mittel zur Sammlung und Heilung in Erinnerung gerufen: Die Meditation.

Es handelt sich bei fast al- len heute im Abendland bekannten Formen der Meditation um solche der Wortmeditation. Es ist das Verdienst des Autors die- ser Neuerscheinung zu- sammen mit Alfred Rosen- berg, der ihr ein Geleit- und Schlüsselwort voraus- schickt, schon vor drei Jahrzehnten auf die längst vergessene Bildmeditation als vorbegrifflichen Zu- gang zur Wahrheit hinge- wiesen zu haben.

Hugo Rahner verbindet in diesem neuen Buch seine Exegese griechischer My- then mit vorchristlicher Weisheit gleichsam als Modell der heutigen Be- gegnung des Christentums mit den asiatischen Weltre- ligionen. Es ist nicht so sehr sein Anliegen, „Hellas zu taufen", sondern in der von ihm wiederentdeckten

Symboltheologie die Weis- heit und Gotteserkenntnis der Antike auf Christus hin aufzuschließen.

Der Autor macht den Leser mit der Mystik und dem Bilddenken der frühen Kir- chenväter bekannt und vertraut. Der Leser lernt heidnische Mysterien der hellenistischen Umwelt ei- nes eben entstehenden Christentums ebenso ken- nen wie die konkrete Aus- einandersetzung von anti- ken Mysterien mit dem Christentum als Mysterium der Offenbarung, der sitt- lichen Forderung und der Gnadenerlösung.

Hugo Rahners Buch bietet nach einer gründlichen, wissenschaftlichen Analy- se antiker Mysterien in ih- rer Wirkung auf das Chri- stentum die These von der

„Heimholung Hellas" in die Kirche an. Clemens von Alexandrien sieht im Bilde des greisen griechi- schen Sehers Teiresias das Holz, auf das dieser sich stützt, als Kreuz und das Lichtmysterium, das

.. Er hielt den Kopf leicht er- hoben und leicht abgewandt und bot dem Wind ein wohlge- ordnetes Durcheinander von rotem und schwarzem Haar, das sich in einem schütteren Keil zu dem vorgestreckten Kinn steil herunterzog". Dju- na Barnes porträtiert James Joyce präzise, einfühlsam und distanziert. In „Portraits" bil- det sie mit treffenden Worten viele Größen der 20er Jahre ab, oft solche aus dem Show- geschäft. Ein Mosaik der Zeit.

Barnes schreibt fabelhaft, eine Meisterin der Metapher, eine Entdeckung wert. (206 Seiten, reich und angemessen illu- striert, erschien 1985 bei Wa- genbach, Berlin, 24,80 DM) ihm seine blinden Augen öffnet, als Taufe. Der zwei- te Teil des Buches be- handelt die Symbolkraft der „seelenheilenden Blu- men" Moly und Mandrago- re in antiker und christ- licher Ausdeutung, die ur- alten Wahrheiten auf der Spur ist, und mit der sich die moderne Tiefenpsy- chologie wieder beschäf- tigt. Ein dritter Teil, „ewi- ger Homer", vollendet schließlich die Psychago- gie und führt den Geist zu den Höhen, nach dem sich der antike Mensch gesehnt hat, und die der Christ in seiner „himmlischen Got- tesschau" freudig voraus- hofft.

Ein großartiges, in vielen Abschnitten sogar aufre- gendes Buch als Summa der Beiträge zu Eranos-Ta- gungen 1938-1945, denen Hugo Rahner als Jesuit und Ordinarius für Alte Kir- chengeschichte sowie Alt- christliche Literatur einen besonderen Rang verlie- hen hat. Ein Buch von Bil- dern, Mythen und Myste- rien in ihrer Projektion auf die eine Wahrheit.

Hannes Sauter-Servaes

Hugo Rahner: Griechische Mythen in christlicher Deu- tung, Edition: Überlieferung und Weisheit, Verlag Herder, Freiburg/Basel/Wien, 1984, 396 Seiten, gebunden, 46 DM

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82. Jahrgang Heft 36 vom 4. September 1985 (87) 2585 Ausgabe A