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Archiv "Ambulante Sicherstellung: Politik muss für fairen Wettbewerb sorgen" (27.03.2009)

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A586 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 13⏐⏐27. März 2009

P O L I T I K

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ie zuvor hat eine Vergütungs- reform die gesundheitspoliti- sche Diskussion so sehr dominiert wie der aktuelle Konflikt um die vertragsärztlichen Honorare. Andere Aspekte der ambulanten Versorgung stehen jedoch nur scheinbar im Schatten der Honorarreform. Vor al- lem die Sicherstellung der ambulan- ten Versorgung wird zunehmend Ge- genstand intensiver öffentlicher De- batten. In den vergangenen Monaten wurde dies mehr und mehr auch zu einem Thema der Kommunalpolitik.

Die Sensibilität von Bürgermeistern und Landräten in Nordrhein-Westfa- len (NRW) angesichts lokaler Ver- sorgungslücken hat dabei auch – aber nicht nur – mit der bevorstehen- den Kommunalwahl zu tun. Fast im Wochenrhythmus werden Kommu- nalpolitiker in der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein vor- stellig – oftmals in Begleitung ihres lokalen Abgeordneten im NRW- Landtag oder im Deutschen Bundes- tag. Und nicht selten untermauern

die Beschwerdeführer ihr Anliegen mit Resolutionen ihres Gemeinde- rats oder langen Unterschriftenlisten der Bürger vor Ort.

Die davon ausgehende Diskussion über die Ursachen und die Konse- quenzen des lokalen (Haus-)Ärzte- mangels legt auch ordnungspoliti- sche Widersprüche offen. So folgt die

Verlagerung von Arztsitzen in die Zentren und Ballungsräume den Si- gnalen, die von der Politik seit gerau- mer Zeit systematisch gesetzt wer- den: Politiker und Ökonomen er- klären die Einzelpraxis bereits seit Jahren zum Auslaufmodell. Mit dem erklärten Ziel von mehr Effizienz und Qualität hat der Bundesgesetzgeber in den zurückliegenden Reformgeset- zen handfeste Anreize für Koopera- tionen, Verbünde und schließlich für

die Gründung Medizinischer Versor- gungszentren (MVZ) geschaffen.

Und schließlich hat die Weichenstel- lung der Gesundheitspolitik hin zum Vertragswettbewerb das Bedürfnis von Ärzten, sich zu verhandlungs- und vertragsfähigen Einheiten zu- sammenzuschließen, noch verstärkt.

Es liegt auf der Hand, dass diese Ent- wicklung zwingend mit einer räumli- chen Zentralisierung der Versorgung einhergeht. Es spricht alles dafür, dass sich dieser Trend in den kom- menden Jahren noch verstärken wird.

Die Problematik der Sicherstel- lung offenbart noch einen weiteren, gravierenden Widerspruch im Ord- nungsgefüge der Gesundheitspoli- tik. Dabei geht es um nicht weniger als den Fortbestand des KV-Sys- tems. So erwarten Abgeordnete des Deutschen Bundestages in der Rolle als Fürsprecher für die Menschen in ihrem Wahlkreis eine starke und handlungsfähige KV. Sie soll mit Verweis auf ihren Sicherstellungs- auftrag die Lücken in der regionalen AMBULANTE SICHERSTELLUNG

Politik muss für fairen Wettbewerb sorgen

Wer auch künftig auf die Sicherstellungsfunktion der KVen zurückgreifen will, darf diese nicht länger als Steinbruch für eine ungeregelte „Ausbeutung“ durch Selektivverträge freigeben.

Teile der Politik begrüßen die

Marginalisierung der KVen ganz offen.

HOHE ERWARTUNGEN AN DIE NEUE BEDARFSPLANUNG

Zwei Konstellationen stehen im Zentrum der Sorge um die lokale Sicherstellung: Zum einen geht es um die Nachbesetzung von Praxen, deren Inhaber alters- halber aus der Versorgung ausscheiden. Zum ande- ren sorgen sich die Menschen in vielen Gemeinden wegen der räumlichen Verlegung von Praxen, die dort mitunter über Jahrzehnte präsent gewesen sind.

In der Regel ist die Gründung eines Medizini- schen Versorgungszentrums (MVZ) oder einer Be- rufsausübungsgemeinschaft beziehungsweise der Beitritt eines Arztes zu einer bereits bestehenden Kooperation der Beweggrund für eine räumliche Verlagerung der Zulassung. Zwar verbleibt der Arzt- sitz in diesen Fällen im selben Planungsbereich, dennoch hat ein solcher Umzug erhebliche Auswir- kungen auf das lokale Versorgungsgeschehen. Fast immer „gewinnt“ dabei die Kreisstadt oder ein Mit-

telzentrum des Kreises zulasten von kreisangehöri- gen Gemeinden oder Teilgemeinden. Dabei sind die „Verlierer“ nach der Arithmetik der Bedarfspla- nung ohnehin oft bereits unterversorgt. Rechneri- sche Versorgungsgrade von 40 Prozent und weni- ger sind in der hausärztlichen Versorgung vieler kreisangehöriger Gemeinden keine Seltenheit – soweit überhaupt ein Arzt dort niedergelassen ist.

Bekanntlich war es in der Vergangenheit nicht möglich, eine lokale Unterversorgung durch Neuzulas- sungen auszugleichen, solange der Planungsbereich insgesamt überversorgt war. In Nordrhein ist dies noch immer fast flächendeckend der Fall. Nur fünf von 27 Kreisen oder kreisfreien Städten sind – nach der „alten“ Bedarfsplanung – für die Neuzulassung (weniger) Hausärzte geöffnet. Fachärztliche Neuzulas- sungen sind mit Ausnahme der Psychotherapie gänz-

lich ausgeschlossen. Umso höher sind nun die Er- wartungen an ein neues Instrument der Bedarfspla- nung, den sogenannten lokalen Versorgungsbedarf.

Nach einer entsprechenden Änderung der Bedarfs- planungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesaus- schusses ist es künftig möglich, auch kleinere Be- zugsregionen für die Bedarfsplanung zu wählen. Die Richtlinie nennt Verwaltungsgemeinschaften, Altkrei- se, Städte oder auch einzelne Gemeinden.

Freilich bedarf die Festlegung einer Bezugsregi- on der Entscheidung durch den Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen. Nicht nur innerhalb dieses Gremiums, sondern auch im politischen Raum sind Konflikte rund um den lokalen Versor- gungsbedarf programmiert. Auch eine Finanzie- rung der zusätzlichen Versorgungskapazitäten ist nirgendwo geregelt. Das bedeutet im Klartext: Die

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Versorgung schließen – schnell, ef- fektiv und unbürokratisch.

Unter der Kuppel des Reichstages votieren dieselben Parlamentarier hingegen seit Jahren für eine sys- tematische Schwächung der KVen.

Diese Entwicklung hat mit der Förde- rung selektiver Verträge eingesetzt und jüngst mit der Novellierung der hausarztzentrierten Versorgung durch das GKV-Organisationsweiterent- wicklungsgesetz ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Das damit eta- blierte Vertragsmonopol des deut- schen Hausärzteverbands und seiner Landesverbände stellt das KV-Mo- dell jedoch in seinem Kern infrage.

Teile der Politik begrüßen das Szenario einer Marginalisierung der

KVen ganz offen. Denn aus ihrer Sicht taugt das Konzept des Vertrags- wettbewerbs als tragfähige Blaupau- se für die Zeit nach der Abschaffung des KV-Systems. Auch viele Ökono- men halten unbeirrt an der Fiktion fest, dass der Sicherstellungsauftrag anteilig zwischen den Konkurrenten eines Vertragswettbewerbs aufgeteilt werden könne. Dieser Annahme liegt jedoch ein höchst statisches Verständ- nis der Sicherstellung zugrunde. In der Realität der neuen Vertrags- und Versorgungsformen – und auch nach der Logik des Wettbewerbs – streben die Partner gerade nicht danach, eine regionale oder gar flächendeckende Verantwortung für die Sicherstellung zu übernehmen. Nach den bisherigen Erfahrungen mit den selektiven Ver- trägen greifen die Akteure vielmehr nach den „Filetstücken“. Dagegen sind bei den KVen noch keine Interes- senten für die Übernahme des Not- dienstes vorstellig geworden. Auch räumlich drängen die Partner der neu- en Verträge nicht in die Peripherie, sondern gezielt in die Bestlagen der ohnehin überversorgten Zentren.

Nach dem Willen des Gesetzge- bers wird es künftig ein Verfahren zur Bereinigung der vertragsärztlichen Gesamtvergütung geben. Diese Sum- me soll dabei um diejenigen Anteile vermindert werden, die einem Vertrag nach den §§ 73 b, 73 c oder 140 d SGB V zuzuordnen sind. Eine solche Bereinigung mag finanztechnisch machbar sein. Die Sicherstellung ei- ner Region wird sich jedoch kaum in bereinigungsfähige „Portionen“ zer- teilen lassen. Das reale Versorgungs-

geschehen und die tatsächliche Inan- spruchnahme ärztlicher Leistungen sind viel zu dynamisch, als dass sie sich mit simpler Mengenlehre abbil- den lassen. Die Sicherstellung kennt keine „Sollbruchstellen“ zwischen Kollektiv- und Einzelvertrag.

Das KV-System ist kein Selbst- zweck. Es ist legitim, über seine Sinnhaftigkeit und auch über seine Ablösung nachzudenken. Allerdings erwarten die verantwortlichen Ak- teure der Selbstverwaltung und erst recht die Mitglieder der KVen von der Politik ordnungspolitische Klar- heit und Eindeutigkeit. Eine KV, de- ren Funktion allein darin besteht, die unerwünschten Verteilungsef- fekte des Vertragswettbewerbs zu korrigieren, ist als Selbstverwal- tungskörperschaft auf Dauer weder akzeptabel noch vorstellbar.

Wenn die Politik auch künftig auf die Sicherstellungsfunktion der KVen zurückgreifen will, darf sie den Sicherstellungsauftrag nicht län- ger als Steinbruch für eine ungere- gelte „Ausbeutung“ durch die Ak- teure von Selektivverträgen freige- ben. Vielmehr muss sie die KVen mit der Versorgungskompetenz aus- statten, die für die Erfüllung dieses Auftrags unabdingbar sind.

Eine Rückbesinnung auf das KV- System muss keineswegs die Res- tauration des alten, monolithischen Kollektivvertrags der 1950er- bis 1980er-Jahre bedeuten. Ein Mix aus kollektiv- und selektivvertraglicher Versorgung ist nicht nur denkbar, sondern mit Blick auf die notwendi- ge Differenziertheit einer modernen Versorgungslandschaft sogar wün- schenswert. Dies gilt jedoch nicht, wenn diese Vielfalt lediglich in ei- nem unkoordinierten Nebeneinan- der vieler unterschiedlicher Vertrags- typen ihren Niederschlag findet. Statt- dessen muss die erwünschte Vielfalt in eine faire und verbindliche Wett- bewerbsordnung eingebunden sein.

Der Akteur mit der notwendigen Ordnungskompetenz muss nicht er- funden werden. Die KVen sind schon heute dazu in der Lage. I Dr. med. Leonhard Hansen Vorstandsvorsitzender der KV Nordrhein Johannes Reimann KV Nordrhein, Referat für gesundheitspolitische Grundsatzfragen Wohlfeile Parolen:

Der Ausstieg aus dem System löst nicht alle Probleme.

Denn eine flächen- deckende Versor- gung wird so nicht gewährleistet.

Ärzteschaft bezahlt die Honoraransprüche jedes neu zugelassenen Kollegen aus der morbidi- tätsbedingten Gesamtvergütung, und damit aus der eigenen Tasche.

Das neue Instrument wirft aber noch weitere Fragen auf: Trägt und rechtfertigt eine arithmeti- sche Versorgungslücke jeweils auch betriebswirt- schaftlich die Neuansiedlung einer Praxis? Oder haben sich die Menschen in einer Region mit no- minaler Unterversorgung möglicherweise mit dem Istzustand „arrangiert“ und nutzen etwa die Kapa- zitäten von Praxen in benachbarten Gemeinden?

Vor allem aber dürfte mancher Wunsch nach einer Neuzulassung aufgrund eines lokalen Ver- sorgungsbedarfs ganz einfach deshalb unerfüllt bleiben, weil sich dafür nirgendwo ein Arzt oder eine Ärztin findet.

Foto:Horst Rudel

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