[100] Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 105⏐⏐Heft 44⏐⏐31. Oktober 2008
S C H L U S S P U N K T
D
er Mut und das Geschick des Helden beziehungs- weise des Königs entscheiden in vielen mytholo- gischen Erzählungen den Ausgang der Schlacht. Nun ist unzweifelhaft auch das nahezu 2 000 Jahre alte Schach- spiel, das „königliche Spiel“ (Schah bedeutet König), ein Abbild des Krieges, bei dem zwei Heeresreihen auf- einanderstoßen. Mit den Bauern (Infanterie), den Tür- men (Kriegselefanten), den Springern (Kavallerie), den Läufern (Boten), der Dame (vor ihrer Umwandlung nach dem Vorbild der Schach spielenden spanischen Königin Isabella im 15. Jahrhundert war sie der [männ- liche] Wesir, der Berater des Königs) und natürlich an der Spitze dem König selbst. Aber gerade durch die Me- tamorphose und den damit verbundenen Machtzuwachs der Dame – auf einmal war sie die weitaus mächtigste Schachfigur – ist es für den König ratsam, sich vor die- ser mächtigen Gegnerin in Acht zu nehmen und mög- lichst im eigenen Lager zu verschanzen. Voltaire spotte- te über den schwedischen König Karl XII., dass dieser meist deshalb verloren habe, weil er seinem Wesen ent- sprechend auch beim Schach mit dem König vorneweg marschiert sei. Vorsicht und Zurückhaltung sind also ei- nes Königs erste Pflicht! Und ein Gebot der Klugheit.Doch gelegentlich wird dieses eherne Gesetz umge- stoßen. In den Annalen der Schachgeschichte wird man immer vom Magnetmatt Eduard Laskers gegen Sir G.
Thomas künden, als dessen König nach einem Damen- opfer tief im feindlichen Lager auf der gegnerischen Grundreihe zu Tode kam, oder von der fantastischen Opferpartie Kasparows, als er den König Topalows auch an dieser Stelle zur Strecke brachte. Aber für den Betrachter ebenso schön und für den nolens volens wan- dernden König selbst natürlich noch ungleich befriedi- gender ist es, wenn er nach einem tollkühnen Marsch ins feindliche Lager, möglichst im unmittelbaren Vis-à-vis mit dem gegnerischen Monarchen, nicht untergeht, son- dern sogar die Partie entscheidet. Wie es einmal Welt- meister Aljechin oder dem englischen Großmeister Nigel Short gegen den Holländer Jan Timman gelang.
Womit wir in bester Gesellschaft wären und den Neu- rologieprofessor Dr. med. Peter Krauseneck aus dem wunderschönen Bamberg ins Spiel bringen können. Ein Hasardeur, der schon einmal alle Vorsichtsneuronen ab- schalten kann. Selbstredend nur beim Schach. In seiner
Partie der letzten Runde gegen Dr. med. Stefan Mü- schenich war er mit seinem (schwarzen) König tief in die weißen Eingeweide eingedrungen, wo dieser sich paradoxerweise sogar im Schutz der gegnerischen Bau- ern versteckte, vor allem aber seinem weißen Antipoden einen unfreundlichen Gruß zuwarf. Materiell steht Weiß mit fünf Bauern gegen den Springer recht gut da, aber sein König soll sich als noch gefährdeter als der einge- klemmte schwarze erweisen. Wie gewann Prof. Krau- seneck als Schwarzer am Zug und sicherte sich damit den dritten Platz?
ÄRZTESCHACH
Tollkühner König
Dr. med. Helmut Pfleger
Foto:Dagobert Kohlmeyer
1.
..
.Dc5!
mit der schrecklichen Drohung 2..
..
Dxc2+
zwang den c-Bauern nach vorn: 2.c4 (auch 2.c3 Sxb3 [drohend
3..
..
Dg1+]3.
De1 De3! 4.Dxe3 fxe3 5.
Kc2 e2 mit neuer
Dame im nächsten Zug rettet nicht) Db4 3.Kc1! Hier sah
Schwarz nach 3.
..
.S xb 3+
und nun dem überraschenden
4.Kb1!
in hoher Zeitnot zu Recht nichts unmittelbar Entschei-
dendes,entschied sich für eine andere Fortsetzung und setzte schließlich auch matt.
Ein möglicher Gewinnweg war:
4.
..
.Sd4+ 5.
Kc1 Db2+ 6.Kd1 Dxg2 und W
eiß ist hilflos ge- gen die diversen Mattdrohungen beziehungsweise die Umwand-
lung des schwarzen Freibauern, z.
B.
7.De4 Df1+ 8.
Kd2
(8.De1 Dxd3+ 9.
Dd2 Df3+ 10.Ke1 Dh1+ 11.
Kf2 Dxh2+
12.Ke1 Dg1 matt) Sb3+ 9.Kc3 Dc1
matt.
Lösung: