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Deim in den Geisteswissenschaften gibt es keine "Totalumstürze", wie sie etwa in der Physik zu Beginn dieses Jahrhunderts die Relativitäts- imd die Quantentheorie mit sich gebracht haben

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Überlegungen zur Prähistorie des Prestige der 'Arablya

Von ARNE A. Ambros, Wien

Wer das vorislamische Arabien und die Stiftung der islamischen Rehgion studiert, muß

sich notgedrungen und faute de mieux zunächst stets an dem Gerüst von Fakten und

Begriffen orientieren, das die einheimische Tradition zur Verfügung stellt. Danach

mag dann der eine oder andere - man denkt an Namen wie Karl Völlers, D. S.

Margoliouth oder John Wansbrough - einen radikalen Bildersturm versuchen, was

wissenschaftsgeschichthch aber doch bloß eine mehr oder weniger stimulierende

Eskapade bleibt. Der Mainstream der Forschung, wo dauerhafter Fortschritt erzielt

wird, geht anders vor: Hier gilt die traditionelle Sicht der Dinge als eine allererste

Näherung, die es nun immer mehr zu verfeinem gilt: durch Erschließung weiterer

Quellen und deren methodologisch immer präzisere Auswertung, durch Einbringung

von bewährten Begriffsbildungen und Argumenten aus anderen Fachgebieten wie

Allgemeiner Sprach- und Literaturwissenschaft, Psychologie, Soziologie, Ökonomie usw., ja auch durch das, was man gemeinhin den "Hausverstand" zu nennen pflegt.

Deim in den Geisteswissenschaften gibt es keine "Totalumstürze", wie sie etwa in der Physik zu Beginn dieses Jahrhunderts die Relativitäts- imd die Quantentheorie mit sich gebracht haben.

Einer vorsichtig abwägenden Gmndhaltung, die die Vorgaben der Tradition nie

einfach vom Tisch kehrt, fühlt sich auch der Autor verpflichtet. Dessen durchaus

eingedenk und demgemäß mit aller Vorsicht sollen hier nun zwei Sachverhalte betrach¬

tet werden, die im einzelnen keineswegs unbekannt sind, die aber, wenn man sie eben

zusammenhält, ein Maß an Inkonsistenz und Widersprüchlichkeit aufweisen, welches

u. E. in dieser Weise noch nicht aufgezeigt wurde und das nach Erklämng mft.

Die beiden Sachverhalte, deren Kompatibilität in Frage gestellt werden soll, sind:

Erstens: Die Tradition zeichnet die vorislamischen Araber als so etwas wie ein Volk

von Poeten, wo praktisch ein jeder, vom edelsten Sayyid bis zum ausgestoßenen

Banditen, so nicht schon selbst ein Dichter, zumindest ein Connaisseur und Aficionado der Poesie gewesen wäre. Vehikel dieser Poesie, die quasi als Nationalsport betrieben worden wäre, war dabei eine höchstentwickelte und verfeinerte, nahezu unermeßlich

reiche Hochsprache, die 'Arabiya, dialektal zwar nicht ganz einheitlich, aber doch

überall auf gleichem Niveau bekannt und verfügbar. Durch die Offenbarung des Koran

hätte dann diese Sprache gewissermaßen die letzten Weihen empfangen, um sodann,

jedem zeithchen Wandel entrückt, als die alleinige Kult- und die dominierende Hoch¬

sprache der Welt des Islam zu fungieren.

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Wenn dem in der Tat so war, dann wäre nur schwer vorstellbar, daß diese vorisla¬

mischen Araber sich des Besitzes einer so edlen Sprache nicht voll bewußt gewesen

wären, diese also nicht geschätzt, bewimdert, hochgeachtet hätten, die Sprache also bei ihren Sprechem nicht (wie die Sprachsoziologie heute sagt) ein hohes Prestige genos¬

sen hätte, vergleichbar etwa dem des Griechischen bei den Griechen seit dem Zeitalter des Hellenismus oder dem des Französischen bei den Franzosen des 18. und 19. Jh.s.

Soweit das eine. Zweitens aber: Die schriftliche Dokumentation dieser Sprache vor dem Islam ist überaus dürftig.

Bevor wir hier fortfahren, muß freilich zunächst noch definiert werden, was denn in vorislamischer Zeit unter "Arabisch" eigentlich genau verstanden werden soll. Von der

Arabischen Halbinsel sind aus jener Epoche ja zahkeiche wohl nahe verwandte, aber

doch distinkte Idiome (ganz abgesehen vom Altsüdarabischen in seinen unterschiedli¬

chen dialektalen Ausprägungen wie Sabäisch, Minäisch oder Qatabanisch auch, was -

wie Tamüdisch, Safä'itisch oder Lihyänitisch - unter "Protoarabisch", "Frühnord¬

arabiseh" o. a. subsumiert wird) epigraphisch dokumentiert. Uns erscheint es am ein¬

fachsten und zweckmäßigsten, in Anlehnung an A. F. L. Beeston' die Präsenz eines

Determinativartikels mit / (mit oder ohne vorausgehendes hamza) - zum Unterschied von Präfigiemng von h bzw. hn oder noch anderen Möglichkeiten - als die differentia specifica anzusehen. Im folgenden soll also für die vorislamische Zeit unter "Arabisch"

in engem Sinne jenes südsemitische Idiom, das den /-Artikel verwendet, verstanden

werden; dieses hat als Ausgangsbasis nicht nur der klassischen Sprache, sondem auch

aller modemarabischen Dialekte (bestimmte Sonderformen in Südarabien ausgeklam¬

mert) fungiert.

Nun kann selbstredend - Beispiele sind Legion - eine Sprache das Medium einer

hoch- und reichentwickelten (oralen) Literatur sein und sich als solches hohen Anse¬

hens erfreuen, dabei aber jeder Schrifthchkeit entbehren. Darin allein wäre gewiß noch

kein Widerspmch zu erbhcken. Sonderbar wird es aber im gegenständlichen Falle des

vorislamischen Arabien, das wir - und zwar auch in den Regionen, in denen die

'Arabiya vital im Einsatz gestanden sein müßte - geradezu übersät finden mit epigra¬

phischen Denkmälem, wobei jedoch das Arabische (in dem von uns eben definierten

Sinne) nur ganz sporadisch begegnet.

Dabei hat dieses Arabische mit /-Artikel eine sicher dokumentierte Zeittiefe von gut

einem halben Jahrtausend vor dem Islam, setzt es ja für uns ein mit der (erst 1979

entdeckten und 1986 pubhzierten) Inschrift von 'En-'Avdat^, die um 100 n. Chr.

entstanden sein muß (enthält Umwt "der Tod"; ob das folgende w - etwa als

Nominativindikator - hinzugehört, ist ungewiß). Aber alle diese Dokumente (nach

' A. F. L. Beeston: Languages of Pre-Islamic Arabia. Arabica 28 (1981), S. 178-186; dort findet sich S. 185 die "tentative suggestion" zu unterscheiden "... (b) ancient north-east (?) Arabian, with artiele (')lalso in der Region, die das Kemland der 'Arablya gebildet hat.

- Zuletzt bearbeitet in: Manfred Kropp: A Puzzle ofOld Arabic Tenses and Syntax: The Inscription of 'En 'Avdat. Proceedings of the Seminar for Arabian Studies 24 (1994), S. 165-174.

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'En-'Avdat insbesondere die Raqos-Inschritf von al-Higr aus dem Jahre 267 [enthält fy 'Ihgrw "in al-Higr"], die berühmte Nemara-hischrift" von 328 [enthält mehrfach den

/-Artikel, z.B. in mlk U 'rb "König der Araber"], die undatierte, aber wohl dem zweiten Viertel des Jahrtausends angehörende Grabinschrift des 'I|l ibn Hafam aus Qaryat al- Fa'w' [enthält z.B. wPrd "und die Erde"] und schließlich die wenigen bereits in arabischer Schrift abgefaßten Inschriften aus dem Syrien des 6. Jh.s) füllen, wenn man

sie in Transkription zusammenschreibt, kaum mehr als eine normale Druckseite.

Welch ein Kontrast zu den Tausenden und Abertausenden anderen Inschriften und

Graffiti, mit denen seit vorislamischer Zeit die Felswände Arabiens bedeckt sind!

Bei dieser Gelegenheit darf an eine bekannte Tatsache erinnert werden. Die gerade angesprochenen Felswände haben in vorislamischer Zeit so etwas wie das Schlachtfeld zweier konkurrierender Schriftkreise abgegeben: zum einen des südarabischen, der den

gesamten Süden dominiert, aber auch weit in den Norden (als Safä'itisch bis nach

Syrien) hinaufreicht, und zum anderen des aramäischen, der als die nabatäische Schrift von Nordwesten her vordringt. Diese nabatäische Schrift sollte dann ja schließlich triumphieren, denn was seit dem 6. Jh. als "Arabische Schrift" entgegentritt, ist nichts anderes als eine ziemlich geradlinige Fortentwicklung der spätnabatäisehen Kursive.'

Man wird es äußerst bemerkenswert finden, daß diese nabatäische Schrift, die ja

ursprünghch für den aramäischen Konsonantenbestand geschaffen wurde und sich für

das Arabische nur sehr unvollkommen eignet (für nicht weniger als sechs - h, t, d, d, z, g - , also fast ein Viertel der 28 arabischen Konsonanten, standen zunächst keine

Buchstaben zur Verfügung!), die südarabische Schrift völlig verdrängen konnte,

welche diesen arabischen Konsonantenbestand getreu und adäquat wiederzugeben

gestattet, trotz all der Probleme, die dies für das Funktionieren der Schrift bis in die

Gegenwart hinein mit sich bringen mußte. In dieser Verdrängung - quasi gegen die

besten Interessen der Sprache und ihrer Träger - wird man ein besonders augenfälliges

Beispiel dafür sehen, daß in Sprache und Schrift extralinguistische Momente des

kulturellen Prestiges zumindest ebensoviel zählen wie Funktionalität und Nützlichkeit.

Die Nabatäer waren bekannthch Araber,' und ihre Sprache muß Arabisch in unse¬

rem engen Sinne gewesen sein, denn z. B. ihr Gottesname §ay' al-Qawm bietet den

/-Artikel. Daß sie dann während der rund 500 Jahre ihrer Schriftlichkeit (die jüngste datierte nabatäische Inschrift ist ja von 356) praktisch ausschließlich in einem aramäi-

' Zuletzt bearbeitet in: J. F. HEALEY and G. REX SMrrH: Jaussen-Savignac 17 - The Earliest Dated Arabic Document (A. D. 267). AÜal 12/3 (1989), S. 77-84 + pl. 46.

■*Zuletzt bearbeitet in: Manfred Kropp: Grande re degli Arabi e vassallo di nes.wno: Mar' al-Qays ibn 'Amr e Viscrizione ad en-Nemara. Quaderni di Studi Arabi 9 (1991), S. 3-28.

' Zuletzt bearbeitet in: Manfred Kropp: Pioggia di sangue o pioggia incessante nell' Arabia antica?

Una iscrizione proto-araba ritrovata a Qaryat al-Fäw. Quaderni di Studi Arabi 8 (1990), S. 13-24.

' Zur früher umstrittenen Ableitung der arabischen aus der nabatäischen Schrift vgl. zuletzt ausführlich:

John F. Healey: The Nabataean Contribution to the Development ofthe Arabic Script. Aram 2/1&2 (1990), S. 93-98 und ders.: Nabataean to Arabic: Calligraphy and script development among the pre- lslamic Arabs. Manuscripts of the Middle East 5 (1990-91), S. 41-52.

' Vgl. dazu zuletzt: JOHN F. Healey: 'Were the Nabataeans Arabs? Aram 1/1 (1989), S. 38-44.

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schen Dialekt schrieben, ist sonderbar, selbst wenn man ihre vergleichsweise periphere Position im Nordwesten der Halbinsel in Rechnung stellt.

Hier stellt sich uns nun drängend die Frage: Werm überhaupt Arabisch geschrieben

wurde (wie ja in den Inschriften von 'En-'Avdat oder Nemara), warum dann nicht

mehrll Warum ist das nördliche und westliche wie auch das zentrale Arabien übersät

mit Graffiti (des sogenannten Tamüdischen), die praktisch alle, so sie überhaupt

Artikel exemphfizieren, den /i-Artikel bieten? Wieso findet sich sogar in Ostarabien, der Tradition nach ja die Hochburg der 'Arabiya, in den sog. hasä'itischen Inschriften kein Arabisch in unserem Sinne?

Zur Begründung dafür, daß das vorislamische Arabisch so überaus spärlich doku¬

mentiert ist, könnte natürlich zunächst dreierlei ins Treffen geführt werden: einmal, daß

vieles in dem archäologisch ja noch keineswegs ausreichend explorierten Arabien bis

heute der Entdeckimg harrt; zum anderen, daß vieles auf unbeständigem Beschreibstoff (wie Pergament oder Papyrus) festgehalten wurde und dadurch zugrunde ging; endlich,

daß manches epigraphische Zeugnis wohl eng mit der vorislamischen Rehgion verbun¬

den war und nach dem Triumph des Islam (so insbesondere im Ridda-Krieg von 633)

vorsätzhch und systematisch zerstört wurde. Das mag schon alles zutreffen, aber es ist nicht gut vorstellbar, daß das quantitative Verhältnis von arabischem zu nicht-arabi¬

schem Material dadurch wesentlich verschoben werden könnte, denn auch Nicht-

Arabisches ist ja sicherhch noch unentdeckt, zugrunde gegangen bzw. zerstört worden.

Vor dem Hintergrund dieser Sachverhalte sei nun, mit aller gebührenden Vorsicht, die Arbeitshypothese formuliert, daß das Arabische eben nicht ein ausreichendes kulturelles Prestige genoß, welches es würdig erscheinen ließ, auf Dauer festgehalten

zu werden. Die Prestigesprachen waren vielmehr Aramäisch-Nabatäisch, Tamüdisch

(mit den ihm nahe verwandten anderen "frühnordarabischen" Idiomen), Altsüdarabisch (insbesondere als Minäisch) sowie vielleicht in bestimmten Fällen auch Griechisch und Pahlevi.

Dies würde aber involvieren, daß von der Vorstellung, die 'Arabiya bzw. ihre

unmittelbare Vorläuferin in vorislamischer Zeit habe ein zentrales, im kollektiven

Bewußtsein dominierendes Kulturgut gebildet, nicht unwesenthche Abstriche zu

machen wären. Und dem wiederum würde entsprechen, daß die vorislamische Poesie

vielleicht doch nicht den kulturellen Stellenwert innehatte, den spätere Zeit ihr zu¬

geschrieben hat.

Eine Hypothese, die nicht exakt quantifizierbare Phänomene wie das Prestige einer

Sprache betrifft, läßt sich auch nicht exakt beweisen. Es können nur Umstände bei¬

gebracht werden, die das Hypothetisierte mehr oder weniger plausibel erscheinen

lassen. In unserem Falle sind wir mit einer besonders prekären Quellenlage konfron¬

tiert. Direkte Zeugnisse, wie die Araber vor dem Islam über ihre Sprache dachten,

besitzen wir nicht. Insbesondere findet sich - jedenfalls soweit wir abzusehen ver¬

mögen (pertinente Hinweise wären höchstwillkommen!) - im Corpus der Gähiliya-

Poesie keine positive, admirative Äußerung über das Arabische (allerdings auch nicht über andere Sprachen).

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Wovon wir uns jedoch einige Hinweise erhoffen dürfen, ist der Korantext, der ja auch sonst nicht selten direkte oder indirekte Rückschlüsse auf vorislamische Verhält¬

nisse (zumindest in Westarabien) ermöghcht. Überprüfen wir also, was dieser Text zu

den Arabem und ihrer Sprache zu sagen hat.

Im Koran erscheint die Wurzel '-r-b (abgesehen von den paradiesischen 'urub-

Frauen in 56/37, die hier fembleiben können) nur in den beiden Lexemen al-a'räb (10

Okkurrenzen) und 'arabi (11 Okkurrenzen).* Was al-a'räb anbelangt, so sind damit

bekanntlich nicht die Araber schlechthin (die im Koran nirgendwo genannt werden),

sondem die in der gegebenen aktuellen Situation eine Rolle spielenden Beduinen¬

stämme gemeint, und über diese hat der Text so gut wie ausschließlich Negatives und

Abfälhges zu sagen.

Im einzelnen lassen sich die Aussagen übex al-a'räb (alle in medinensischen Suren)

wie folgt paraphrasieren: 9/90 : bringen Entschuldigungen vor, wollen Dispense

erhalten; 9/97-99 (drei Okkurrenzen) : ungläubig, heuchlerisch, ignorant ... wollen nicht materiell kontribuieren ... manche freilich auch gläubig und zum Spenden bereit;

9/101 : unter ihnen gibt es Heuchler; 9/120 : sollen bei Untemehmungen nicht abseits

stehen; 33/20 : bilden Zuflucht für Kampfunwilhge; 48/11 : heuchlerisch, bringen

unaufrichtige Entschuldigungen vor; 48/16 : werden aufgefordert zu kämpfen und

sollen nicht wie zuvor abseits stehen; 49/14 : sind unaufrichtig, nur Lippenbekenner.

Natürlich dürfen diese Aussagen, die ja direkten Bezug auf bestimmte pohtische

Vorgänge bzw. Haltungen bestimmter Einzelgmppen während der Offenbamngszeit

nehmen, nicht generalisiert werden. Dennoch ist als bemerkenswert festzuhalten, daß

die in etymologisch-derivativem Sinne der 'Arabiya zugeordneten Personen so gut wie

nur mit negativer Konnotation erwähnt werden.

Das Lexem 'arabi erscheint im Koran stets indeterminiert als Attribut zu lisän

(16/103, 26/195, 46/12; an den beiden ersteren Stellen gefolgt vom weiteren Attribut mubin), qur'än (12/2, 20/113, 39/28 [hier noch gefolgt von gayr di 'iwag], 41/3, 42/7, 43/3) und hukm (13/37) sowie einmal als Prädikat in einer nicht ganz eindeutigen' Passage (41/44: a'^ami wa-'arabl). Jedenfalls dient 'arabi ausschheßlich zur Charak¬

terisiemng von sprachlichen Phänomenen, bedeutet also "arabischsprachig". Die Konnotation an den betreffenden Stellen ist durchweg die von Klarheit, Eindeutigkeit, UnmißverständUchkeit (im Gegensatz zu Ambiguität oder Obskurität).

Aber - und dieser Aspekt erscheint uns von besonderer Bedeutung - klar und

unschwer verständhch zu sein, ist nicht unbedingt gerade etwas, das besonders ehr¬

furchtgebietend oder faszinierend wirkt. Deshalb sei hier zur Diskussion gestellt, daß der berühmte und oft zitierte Ausdmck lisän 'arabi mubin "klarverständhche arabische

' Eine sehr ausführhehe Sichtung der gesamten arabischen Lexik zur Wurzel '-r-b (insbesondere in der Nationallexikographie, aber auch aus anderen Quellen) bietet neuerdings Elie Kallas: Arabes ou arabophones? OM n. s. 11 [72] (1992), S. 203-228.

' Dazu sowie auch zur Phrase Usän 'arabi mubin hat sich zuletzt WOLFDIETRICH FISCHER geäußert in einem (u. W. noch unpublizierten) Vortrag "Lisän 'arabi mubin", gehalten in Erlangen am 30. Juni 1995.

(6)

Sprache" (vgl. oben) mit jenem emotionalen Werte besetzt aufzufassen ist, wie er z. B.

in unserem "auf gut Deutsch" oder im enghschen "in piain English" vorliegt, daß also

auf funktionale bzw. kommunikative Meriten einer nach allgemeiner Einschätzung

eher prestigearmen Sprache gepocht wird, die - wenn eine solche Anthropomor¬

phisierung gestattet ist - unverzagt und ohne falsche Scham oder Minderwertigkeits¬

komplex auftreten solle. Dem ließe sich gut an die Seite stellen ein Ausdruck wie

yassamähu bi-lisänika (19/97,44/58), der deklariert, daß arabischsprachige Formulie¬

rung den Text einfach, leicht, bequem macht - was aber wiederum schwerlich als

Reflex einer besonderen Ehrfurcht oder eines dominierenden Prestige aufzufassen sein wird.

Demgemäß sei hier auch vorgeschlagen, die bekannte Stelle wa-law nazzalnähu

'alä ba'di l-a'^amina / fa-qarä'ahü 'alayhim mä känü bihi mu'minina (26/198f.) so

aufzufassen, daß zu paraphrasieren ist: "Selbst dann, wenn Wir den Koran in einer

anderen Sprache geoffenbart hätten, hätten die verstockten Ungläubigen nicht daran

geglaubt." Dies imphziert jedoch, daß jene andere Sprache eher Glauben bewirkt hätte.

Der Koran enthält nicht nur den (soweit uns absehbar) ältesten Beleg ftu- die Sprach¬

bezeichnung lisän 'arabi, er erscheint auch im Bereiche von Sprache und Sprachlich¬

keit von einem mutigen Selbstbewußtsein zu zeugen, das gegen etabherte Werte antritt

Demgemäß wäre auch anzunehmen, daß das koranische Antonym zu 'arabi, das

viermal okkurrierende Lexem a'§ami, ausgesprochen pejorativ-derogatorischen

Affektgehalt besitzt, wie er der Grundbedeutung der involvierten Wurzel

("herumkauen") ja entsprechen müßte.

Daß das siebente Jatu-hundert, an dessen Ende das arabische Weltreich und Arabisch als eine der großen Weltsprachen voll etabliert sind, eine Steigerung in dem (wie man

heute wohl sagt) kollektiven Selbstwertgefühl der Araber mit sich gebracht hat, ist

zwar bloß spekulativ, aber doch kaum implausibel. Dies läßt sich sicherlich vom

Auftritt des Islam und von der Verkündigung des Koran mit ihren Ansprüchen auf

religiöse Weltgeltung nicht trennen. Was allerdings hier Ursache, was Wirkung war,

das muß dahingestellt bleiben.

Wenn dem in der Tat so gewesen sein sollte, dann ist zu fragen, ob in der traditio¬

nell behaupteten kulturellen Omnipräsenz und Dominanz der Dichtung und ihres

Mediums, der 'Arabiya, nicht ein späteres Konstrukt, nämhch äne Rückprojektion aus

islamischer Zeit zu erblicken ist.

Um auf die einleitenden Worte zurückzukommen: Die hier zusammengestellten

Sachverhalte scheinen uns eine Interpretation zuzulassen, die sich von der traditionel¬

len Sicht der Dinge nicht unwesentlich unterscheidet. Eine stringente Theorie ist dies natürhch nicht und könnte auch nie als solche intendiert werden. Was hier vorgeschla¬

gen wird, ist letztlich nicht mehr, als unsere Quellen neu durchzumustern mit einem Auge auf der Möghchkeit (wohlgemerkt: bloß der Möglichkeit), daß in der arabischen

Welt die Wasserscheide des siebenten Jahrhunderts auch eine Wasserscheide in der

Reflexion auf die Sprache bedeutet hat.

(7)

Von Otto Jastrow, Erlangen

Anfang der 30er Jahre unseres Jahrhunderts entdeckten sowjetische Wissenschaftler in

der Umgebung von Buchara in Uzbekistan eine Anzahl von arabischen Dialekten, die

schon bald Gegenstand intensiver Feldforschung wurden. Man hatte alsbald erkannt,

daß die Bedeutung dieser Sprachinseln weit über die schlichte Tatsache hinausging,

daß sie das einzige Vorkommen von Arabisch auf dem Territorium der Sowjetunion

darstellten. In den Worten von G. TSERETELI:

'The discovery in Central Asia of Arabic dialeets formerly unknown may be considered an important event in Arabic dialectology and in Semitic comparative-historical lin¬

guistics. Henceforth no review of Arabic dialects will be able to do without referring to these Arabic dialects in CenUal Asia."'

Zur Begründung weist der Autor darauf hin, daß sich diese Dialekte viele Jahrhunderte

lang ohne jeden Kontakt zum Hocharabischen oder zu anderen arabischen Dialekten

entwickelten, zugleich jedoch dem starken Einfluß zweier benachbarter Sprachen,

nämlich des iranischen Tadschikisch und des türkischen Uzbekisch, unterlagen. Aus

diesem Grunde habe das Uzbekistan-Arabische zum einen vieles Altertümliche be¬

wahrt, zum andem jedoch unter dem Einfluß der beiden Kontaktsprachen einen in¬

nerhalb der neuarabischen Dialekte sehr ungewöhnlichen Typ ausgebildet. Während

Tsereteli somit zwei wichtige Motive für die Beschäftigung mit dem Uzbeki¬

stan-Arabischen anführt, eine typologische und eine sprachgeschichtlich-dialektologi¬

sche Fragestellung, überwiegt in der späteren, insgesamt nicht sehr ausgedehnten wissenschaftlichen Diskussion eindeutig die typologische Fragestellung. Die Autoren sehen im Uzbekistan-Arabischen eine ziemhch exotische Sprachform, einen arabischen

Dialekt, der sich unter dem Einfluß von Tadschikisch und Uzbekisch fast bis zur

Unkenntüchkeit verändert hat. Ihrem Eifer, alles mit dem Einfluß der Kontaktsprachen zu erklären, fallen sogar genuin arabische Elemente zum Opfer.^ Viel weniger Interesse gilt der Frage, wie die arabische Komponente des Uzbekistan-Arabischen beschaffen

ist und welche Schlüsse sich daraus für seine dialektologische Einordnung sowie für

die Geschichte des Arabischen ziehen lassen. Der vorliegende Aufsatz setzt sich mit

diesem letzteren, bislang eher vemachlässigten Aspekt auseinander.

' Tsereteli 1954, S. 22.

- Vgl. hierzu J ASTRO w 1997.

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