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STAATS LEXIKON. Band 6 Volk Zweites Vatikanisches Konzil Abkürzungen Register HERDER. 8. Auflage

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HERDER

S TA AT S

LEXIKON

Band 6

Volk – Zweites Vatikanisches Konzil Abkürzungen

Register

8. Auflage

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ne Gericht wird ausschließlich zur justiziellen Sicherung privater, d. h. nichtstaatlicher Belange tätig. Kon- sequenz: Wegen Klaus Manns Roman „Mephisto“

(1936) durfte unter dem GG (1968) sogar ein gericht- liches Publikationsverbot wegen Verletzung des post- mortalen Persönlichkeitsrechts von Gustaf Gründgens ergehen (BVerfGE 30,173).

cc)Auch bei der Aufschlüsselung des Sammelbegriffs Staat, dessen Z. ausgeschlossen sein soll, sind Differen- zierungen notwendig. Staat ist nicht jeder öffentlich- rechtliche Funktionsträger. Für die politischen →Partei- en kommt dies schon deshalb nicht in Frage, weil sie ungeachtet einer gewissen Staatsnähe privatrechtlich formierte Faktoren der gesellschaftlichen Sphäre sind.

Konsequenz: Parteiausschlüsse von radikalen Autoren scheitern nicht an Art. 5 Abs. 1 S. 3. Auch die öffent- lich-rechtlichen Rundfunkanstalten sind wegen der Staatsfreiheit des Mediums kein Teil der Staatsorganisa- tion. Konsequenz: Die Absetzung einer Sendung durch den Intendanten ist von dessen staatsunabhängiger Pro- grammverantwortung legitimiert. Eine unzulässige Staats-Z. ist das nicht. Noch signifikanter ist die Sonder- stellung von Religionsgesellschaften. Sie sind zwar viel- fach mit dem rätselhaften Ehrentitel einer K.d.ö.R. aus- gestattet (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 5 WRV). Sie erfüllen indes keine Staatsaufgaben; sie sind nicht Teil der Staatsorganisation. Konsequenz: Die Verweigerung der Druckerlaubnis für die Schrift eines Kirchenbediens- teten durch den vorgesetzten →Bischof (sog.esnihil obs- tat, d. h. die Verweigerung des Imprimatur) ist kein Fall einer von Art. 5 Abs. 1 S. 3 untersagten Staats-Z.

b)Nur die staatlicheVorzensur oder Präventiv-Z.ist ausgeschlossen. Die Integrität der Meinungsfreiheit für den Bürger wie für Massenmedien hat Vorrang gegen- über allen präventiven Kontrollmaßnahmen des Staates.

Das gilt auch dann, wenn die beabsichtigte Meinungs- kundgabe inhaltlich nicht mit den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG übereinstimmt, also gegen die allg.en Ge- setze verstößt. Nachträgliche Kontrollsanktionen des Staates bleiben zulässig. Eine vollständige Freistellung von jeder Bindung genießt der zunächst vom präven- tiven Z.-Verbot profitierende Akteur also nicht. Die Kommunikationsgrundrechte sind wie jedes andere Freiheitsrecht in die staatliche Rechtsordnung einge- bunden. Kein Freiheitsrecht ist schrankenlos. Eine um- fassende Sanktionsimmunität der Medien würde gegen die Maxime der privilegienfeindlichen Demokratie des Verfassungsstaates verstoßen.

c)Ob man die nachträgliche („repressive“) Überprü- fung einer Meinungskundgabe und ihre Beanstandung als „Nachzensur“ bezeichnen sollte, ist keine Ge- schmacksfrage. Der Begriff passt nicht. Mit der willkür- lichen Vorgehensweise eines grundrechtsindifferenten Obrigkeitsstaates hat die strikt gesetzlich determinierte nachträgliche Realisierung der Rechtsbindung nichts ge- mein. Kontrollmaßstab ist schließlich allein die Schran- kentrias des Art. 5 Abs. 2 GG (allg.e Gesetze, →Jugend-

und Ehrenschutz [ →Ehre]): Die Durchsetzung der Schranken unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgrund- satz ( →Verhältnismäßigkeit) und der gerichtlichen Nachprüfung. Die wenig verfassungsästhetische Rede von Nachzensur sollte unterbleiben. Rechtsnachteile entstehen dadurch nicht. Das Verbot der Vorzensur bleibt allemal unangetastet. Es wirkt absolut und ist ab- wägungsresistent. Diese Direktive des GG gilt unmittel- bar. Sie bedarf nicht erst einer Umsetzung durch den einfachen Gesetzgeber.

Literatur

H. Bethge: Art. 5, in: M. Sachs (Hg.): GG, Komm.,82019, Rdnr. 129–135d • H. D. Jarass: Art. 5, in: ders./B. Pieroth:

GG, 152018, 192–251 • C. Grabenwarter: Art. 5, in:

T. Maunz/G. Dürig (Hg.): GG, Komm., 2018, Art. 5 GG, 68.

Erg.-Lfg., Stand Januar 2013, Rdnr. 115–119 • C. Gucht: Das Zensurverbot im Gefüge der grundrechtlichen Eingriffskaute-

len, 2000. HERBERT BETHGE

Zentralasien

1. Begriffsentwicklung

Als „Z.“ wird eine Region im Zentrum des eurasischen Kontinents bezeichnet, die keine klar umrissenen natur- räumlich-geografischen Grenzen aufweist und deren Konturen seit dem Aufkommen des Begriffs im frühen 19. Jh. unterschiedlich weit gefasst wurden. Der Begriff Z. selbst wurde von europäischen Forschungsreisenden und Geografen geprägt und war zunächst an Gegeben- heiten der physischen Geografie orientiert. Der Geograf und Chinaforscher Ferdinand Freiherr von Richthofen fasste als Z. die ausgedehnten abflusslosen Räume zwi- schen dem Hochland von Tibet und dem Altai, zwi- schen der Wasserscheide im Pamir und im Tienschan sowie dem Chingan-Gebirge. Neben dieser geogra- fischen Bestimmung des als Z. bezeichneten Raumes, der die Mongolei und Teile Südsibiriens sowie West- chinas, nicht aber Transoxanien, d. h. die Oasenkulturen zwischen Amu- und Syrdarja (in der antiken Geografie:

Oxus und Jaxartes) einschließt, entwickelte sich seit dem 19. Jh. ein Z.-Begriff, der sich an den historisch-po- litischen Entwicklungen orientiert. Vor dem Hinter- grund der russisch-britischen Rivalität um den Zugang zum Indischen Ozean und die daran geknüpfte Kontrol- le des maritimen Handels gewannen die Gebiete östlich des Kaspischen Meeres im 19. Jh. strategische Bedeu- tung für die Europäer. Im britisch-russischen Great Gameum Handelsmonopole und politischen Einfluss kam Afghanistan und den im Norden angrenzenden Gebieten Transoxaniens eine Schlüsselrolle als Transit- raum zu. Diese Konnotation Z.s als eines Raumes an der Peripherie der umliegenden Reiche, der, selbst ohne fes- te Grenzen, den Hegemonialmächten als Korridor zur Erschließung weiterer Räume dient, verdichtete sich zu Beginn des 20. Jh. in derHeartland-Theorie des briti-

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schen Geografen Halford John Mackinder ( →Geopoli- tik). Dieser fasste den von Russland (später der UdSSR) beherrschten Teil des eurasischen Kontinents als strate- gischen Angelpunkt für die Herrschaft über den Globus und seine Ressourcen. Diese geopolitische Konzeption lebt als Folie für die Wahrnehmung Z.s bis heute fort und hat im Zusammenhang mit der chinesischen Ex- pansionspolitik an Aktualität gewonnen.

Für die Herausbildung des Z.-Begriffs in seiner heu- tigen Verwendung ist v. a. die russische Kolonialpolitik ( →Kolonialismus) maßgeblich. Russland hatte seit dem 16. Jh. an seinen südöstlichen Grenzen zwischen dem Kaspischen Meer und dem Altaigebirge eine grob dem 50. Breitengrad folgende Linie von Militärstützpunkten errichtet und brachte im 18. Jh. die in Konföderationen („Horden“) organisierten kasachischen Pastoralnoma- den des Steppengürtels unter seine Herrschaft. Im Zuge der Erschließung neuer Handelswege dehnte Russland im 19. Jh. sein Einflussgebiet auch auf die stärker zen- tralisierten Stadtstaaten des transoxanischen Zwei- stromlandes aus. Zur Bezeichnung dieses Gebiets hatte sich im 19. Jh. der Begriff Turkestanetabliert, nach der persischen Bezeichnung für die mehrheitlich von tür- kischsprechenden Gruppen bewohnten Länder nördlich des Amudarja. Da sich der von ethnisch-linguistischen Kriterien geprägte BegriffTurkestanauch auf chinesische Herrschaftsgebiete erstreckte, wurde zwischen West- bzw. Russisch-Turkestan und Ost- bzw. Chinesisch-Tur- kestan unterschieden. In der administrativen Glie- derung der von der russischen Kolonialmacht be- anspruchten Territorien wurde der BegriffTurkestanbis zur Gründung der UdSSR verwendet, danach jedoch aufgegeben, da er von der politischen Bewegung der Pantürken, die für eine Autonomie Turkestans eintrat, in Anspruch genommen wurde. Stattdessen etablierte sich im russischen Schrifttum die BezeichnungMittel- asien. Sie umfasste die SowjetrepublikenKirgistan, Usbe- kistan, Turkmenistan und Tadschikistan, die zwischen 1924 und 1929 aus dem vormaligen Generalgouver- nement Turkestan hervorgegangen waren. Die Sowjet- republikKasachstan, die aus Teilen des seit 1882 beste- henden Generalgouvernements der Steppe hervor- gegangen war, wurde nicht zu Mittelasien im engeren Sinne gezählt, aber auch nicht zu Z. gerechnet. Unter diesem Begriff wurden vielmehr die Mongolei, Tibet und Westchina (Ost-Turkestan) subsumiert. Im deut- schen und französischen Sprachraum wurde diese Be- griffsverwendung übernommen und bis zur Auflösung der UdSSR (1991) beibehalten. Die englischsprachige Tradition dagegen übernahm diese Begriffsdifferenzie- rung nicht, sondern bezog den Begriff Z. auf alle fünf Sowjetrepubliken – eine Konvention, die sich seit 1991 allg. durchgesetzt hat. Die heutige Begriffsverwendung ist somit eine genuin politische, die sich an staatlichen Grenzen als Grundlage für das Konstrukt einer räum- lichen Einheit der Region orientiert.

2. Geografische und kulturräumliche Besonderheiten Z. erstreckt sich über eine Fläche von knapp 4 Mio. km2, von denen fast zwei Drittel auf Kasachstan entfallen.

Gleichzeitig lebt nur rund 1 % der Weltbevölkerung in diesem Teil der Welt. Dies liegt maßgeblich an den geo- grafischen Besonderheiten der Region. Z. zählt zu den großen Trockenregionen der Welt, in denen Wasser eine knappe und kostbare Ressource darstellt. Darüber hi- naus ist es eine Binnenregion, die keinen Zugang zu den Weltmeeren aufweist und deren Flüsse in Binnen- seen münden oder versanden. Das geografische Profil ist durch ausgedehnte aride und semiaride Tiefland- und Gebirgsregionen bestimmt, die als Wärme- oder Kältewüsten mit spärlicher Vegetation nur einge- schränkte Besiedlung erlauben. Der nördliche Teil der Region zählt zum eurasischen Steppengürtel, der sich von Osteuropa über Kasachstan bis in die Mongolei er- streckt und eine geschlossene Grasdecke bildet, die ex- tensive Weidewirtschaft (Pastoralismus) ermöglicht. Al- pine Weiden finden sich in den niederen und mittleren Lagen der Gebirge und werden für die Fernweidewirt- schaft (Transhumanz) genutzt. Im südlichen Tiefland da- gegen haben sich an den Gebirgsaustritten von Flüssen, die den Hochgebirgsgletschern des Pamir und Tien- schan entspringen und zahlreiche kleinere Flüsse spei- sen, schon früh, d. h. seit dem 3. Jahrtausend v. Chr., Oa- senstädte mit künstlicher Bewässerung und intensiver Landwirtschaft entwickelt, die auch den Anbau von Baumwolle einschloss. Die Koexistenz und gegenseitige Durchdringung von städtischer Oasenwirtschaft und Pastoralismus und die oft konflikthafte Interaktion von Nomaden und Sesshaften spielt in der Gegenwart keine Rolle mehr, hat aber die historische Dynamik in Z. we- sentlich geprägt. Der transkontinentale Fernhandel, der bis zur Entdeckung des Seeweges nach Indien über die durch Z. führenden Routen der sog.en Seidenstraße und der in Nord-Süd-Richtung verlaufenden „Pelzstraße“

führte, war in Z. über komplexe Austauschbeziehungen zwischen den urbanen Zentren der Oasen und den mo- bilen Viehhirten der Steppenzone organisiert.

Für die Entwicklung Z.s in der Moderne ist eine an- dere naturräumliche Besonderheit bestimmend: der Reichtum an natürlichen Rohstoffen, v. a. fossilen Brennstoffen sowie Mineralien und Metallen, die seit dem 20. Jh. systematisch ausgebeutet werden. Kasachs- tan, Usbekistan und Turkmenistan verfügen über rund 4 bzw. 6 % der global nachgewiesenen und förderbaren Bestände an Erdöl bzw. Erdgas. Für alle drei Länder ist der Export dieser Rohstoffe heute die wichtigste Ein- nahmequelle. Darüber hinaus weisen v. a. Usbekistan und Kasachstan bedeutende Gold- und Uranvorkom- men auf. Bei der Produktion von Natururan steht Kasachstan weltweit an erster Stelle, Usbekistan ist ebenfalls unter den zehn größten Produzenten des Schwermetalls. Da die Staaten der Region infolge der Binnenlage keinen direkten Zugang zu den Weltmärk- ten haben, ist der Export der Rohstoffe aufwändig und

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kostspielig. Die erforderliche Infrastruktur – Pipelines, Überlandstraßen und Schienenwege – wird erst seit Be- ginn des 21. Jh. mit Hilfe ausländischer Investoren sys- tematisch ausgebaut.

3. Vorkoloniale Geschichte

Bis ins 6. Jh. v. Chr. dominierten in Z. Sprecher indo-ira- nischer (sogdischer) Idiome. Die ersten städtischen Siedlungen am Südrand der Region gehen auf solche Gruppen zurück, ebenso wie die Domestikation des Pferdes. Diese Kulturleistung hat nicht nur die Heraus- bildung der großräumig-mobilen Weidewirtschaft als spezialisierter Lebensform ermöglicht, sondern ab dem 1. Jahrtausend v. Chr. auch die Kriegführung revolutio- niert. Das Reiterkriegertum und die damit in Zusam- menhang stehenden technologischen Innovationen (Waffen und Kampftechniken) stellten bis in die Neu- zeit eine Herausforderung für die agrarisch geprägten Reiche an den Rändern Z.s – China, Persien, Russland – dar. Im 8. Jh. leitete die Eroberung Transoxaniens durch die Araber eine Epochenwende ein, indem sie die Grundlage für die Islamisierung der Region legte, der chinesischen Westexpansion für viele Jahrhunderte ein Ende setzte und das Kalifat mit der Hauptstadt Bag- dad zum politischen Bezugspunkt der lokalen Eliten machte. In der Folge etablierten sich islamisierte lokale Dynastien im Zweistromland, darunter die Samaniden, deren Verwaltungsgebiet (mit der Hauptstadt Buchara) auch Teile Irans umfasste. Während der bis 999 dauern- den Herrschaft der Samaniden und in den folgenden vier Jahrhunderten entwickelte sich das Zweistromland zu einem wirtschaftlichen und kulturellen Zentrum der islamischen Welt, von dem bedeutende Impulse für die Entwicklung des islamischen Rechts (hanafitische Rechtsschule), der Philosophie (Avicenna), der Natur- wissenschaften (Abū Nasr Muhammad al-Fārābī, Abu r-Raihan Muhammad ibn Ahmad al-Bīrūnī) und der neupersischen Sprache und Literatur ausgingen. Die Weidegebiete des zentralasiatischen Steppengürtels teil- ten sich türkische Verbände, die im Zuge einer Ost- West-Migration seit dem 10. Jh. in die Region vor- gedrungen waren und für die der Zwischenhandel, über den der Warenverkehr quer durch den eurasischen Kon- tinent organisiert war, eine bedeutende ökonomische Ressource bildete.

Die mongolische Eroberung im 13. Jh. integrierte Z.

in ein Landimperium, das während seiner größten Aus- dehnung in der ersten Hälfte des 13. Jh. von China bis nach Osteuropa und von Anatolien bis zum Indus reich- te. DiePax Mongolicaetablierte nicht nur ein neues Mi- litär-, Verwaltungs- und Rechtssystem, sondern ermög- lichte erstmals auch direkte Kontakte zwischen Europa und dem Fernen Osten. In den nach dem Tod des Reichsgründers (Dschingis Khan) von dessen Nachkom- men regierten Herrschaftsbereichen differenzierten sich jene politischen Entitäten aus, die für die Usbeken und Kasachen der Gegenwart namengebend wurden. Ein

weiteres Mal wurden diese Herrschaftsgebiete im aus- gehenden 14. Jh. unter dem turko-mongolischen War- lord Timur (Tamerlan) zu einem Imperium zusammen- geführt. Samarkand, die Kapitale des Timuridenreichs und andere Städte im heutigen Usbekistan waren archi- tektonisch bis in die Gegenwart von dieser Epoche ge- prägt. Unter Timur und seinen Nachfolgern gewann da- rüber hinaus derSufismusin Z. an Bedeutung, der eine wichtige Rolle bei der Islamisierung der nördlichen Steppengebiete spielte. Die Herrschaft in Transoxanien übernahmen am Ende des 15. Jh. die Usbeken(Özbek) und andere aus der mongolischen Aristokratie hervor- gegangene Dynastien. Im Steppengürtel dominierten die mobilen Stammesverbände der Kasachen, die sich nur temporär zu zentralisierten militärisch-politischen Einheiten (Khanaten) zusammenschlossen und deren Weidegebiete sich im Südosten mit denen der Kirgisen überlappten.

4. Russische und sowjetische Herrschaft Die russische Eroberung Z.s ab dem 18. Jh. bedeutete nach der arabischen Eroberung die zweite große histori- sche Zäsur. In der Folge etablierte sich nicht nur die rus- sische Sprache alslingua francain Z.; die russische Kolo- nisation, v. a. aber die Integration Z.s in die UdSSR beeinflusste Z.s Kultur nachhaltig und legte den Grund- stein für die heutige politische Gliederung der Region und die Herausbildung der modernen Nationalstaaten.

4.1 Zaristische Politik

Die russische Kolonisation begann mit der Eroberung der Steppe und ihrer Eingliederung in die zaristische Territorialverwaltung. Auch Transoxanien („Turkestan“) wurde sukzessive Teil des russischen Herrschafts- bereichs, der Ende des 19. Jh. bis an die Grenze Afgha- nistans reichte. Anders als die Steppengebiete, die direkt der Befehlsgewalt russischer Militärbeamter (General- gouverneure) unterstellt wurden, blieben die zentral re- gierten Oasenstaaten (Khanate, Emirate) des Zwei- stromlandes nominell unabhängig, wurden aber de facto zu russischen Protektoraten. Die zaristische Macht verfolgte in Z. vorwiegend ökonomische Interessen.

Zum einen ging es darum, die handels- und militärstra- tegisch wichtige Region für den russischen Markt zu er- schließen, zum anderen um die Nutzung Z.s als Liefe- rant von Baumwolle, deren Kultivierung ab dem ausgehenden 19. Jh. durch die Einführung für die indus- trielle Produktion geeigneter amerikanischer Sorten sys- tematisch ausgeweitet wurde. Rohbaumwolle aus Z. ver- sorgte die russische Textilindustrie zu Beginn des ersten Weltkrieges mit der Hälfte des Gesamtbedarfes. Der Transport des Rohstoffs nach Russland wurde durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes ermöglicht, das Ende des 19. Jh. Taschkent und dasFerganataleinschloss und zur Gründung industrieller Betriebe führte. Die Expan- sion der Baumwollwirtschaft und die damit einher- gehende Integration Z.s in die imperiale Ökonomie des

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Russischen Reiches veränderten das Wirtschaftsleben in Z. nachhaltig. Sie führten in den Oasen des Ferganatals zu einer Verdrängung des Getreideanbaus und zu einer Abhängigkeit von russischen Importen. Der massenhaf- te, von St. Petersburg ermutigte Zustrom russischer Siedler und (während des Ersten Weltkriegs) von Kriegsflüchtlingen zog die Erschließung immer neuer Anbaugebiete durch den Ausbau der künstlichen Be- wässerung und die Enteignung von Land und Weide- gründen nach sich. Dies führte zu sozialen Konflikten mit den Einheimischen und wiederholten Revolten ge- gen die zaristischen Machthaber, die sich häuften, als Russland begann, die Bevölkerung der Kolonien zum Erhalt kriegsnotwendiger Infrastruktur heranzuziehen.

V. a. das Jahr 1916 war von Gewalt geprägt, die zu einem Exodus Hunderttausender Zentralasiaten nach Afgha- nistan, Persien und China führte.

4.2 Sowjetische Herrschaft

Nachdem im Oktober 1917 die Bolschewiki in Tasch- kent die Macht übernommen hatten, riefen muslimische Reformer im Ferganatal eineProvisorische Regierung des Autonomen Turkestanaus, die jedoch schon im Frühjahr 1918 von der Roten Armee niedergeschlagen wurde. In den Folgejahren festigten die Bolschewiki ihre Herr- schaft in Z. durch die systematische Einbindung lokaler Kader in die Verwaltungsstrukturen (Indigenisierung) und die Nutzung nationalistischer Rhetorik zur Mobili- sierung der Bevölkerung für die Politik der neuen Machthaber. Die administrative Neugliederung der Re- gion nach linguistischen und (vielfach konstruierten) ethnischen Gesichtspunkten mündete zwischen 1924 und 1929 in die Gründung der fünf zentralasiatischen Sowjetrepubliken, deren territoriale Delimitation weit- gehend den heutigen Grenzen entspricht.

Die Etablierung der Sowjetmacht und die damit ein- hergehende →Modernisierung und ökonomische Er- schließung des zentralasiatischen Hinterlands waren von →Terror und Chaos überschattet. Die Einführung der neuen Ordnung begann 1926 mit der Zerschlagung der traditionellen Bildungsstrukturen. Die höheren isla- mischen Lehranstalten (Medressen) wurden geschlossen, Moscheen zerstört oder umfunktioniert, das religiöse Personal in die Verbannung geschickt oder ermordet und damit eine jahrhundertealte Tradition der Erzeu- gung und Weitergabe von Wissen zerstört. Stattdessen wurden ein säkulares Schulwesen nach russischem Vor- bild aufgebaut und (in den 1930ern) angepasste kyril- lische Alphabete für die zuvor in persischen Lettern ge- schriebenen und im Zuge der Indigenisierung zu Nationalsprachen erhobenen Idiome Z.s eingeführt.

Einen zentralen Angriffspunkt der Kulturrevolution bil- deten gewohnheitsrechtlich verankerte Praktiken wie Zwangsverheiratung und Polygamie sowie die traditio- nelle Geschlechtertrennung und die daran geknüpfte weibliche Körperverhüllung. Um die religiösen und tra- ditionalen Bindungen durch das Bekenntnis zur Ideo-

logie der KPdSU zu ersetzen, wurden wie überall in der UdSSR die Künste (v. a. das Theater), neuartige Rituale und nicht zuletzt die Wissenschaften genutzt. Auch Städteplanung und Architektur dienten als Mittel der Formung eines neuen Typs von Gesellschaft. Dadurch veränderten sich die Städte Z.s nachhaltig. Dennoch ge- lang es nicht, die neue →Ideologie vollständig in Z. zu verankern. Zum einen beruhte die Politik der Indigeni- sierung auf klar definierten nationalen →Identitäten, die im Zuge der Konstruktion von Nationalhistorien, Nationalsprachen und Nationalkulturen geschaffen wurden und die die Konservierung vorsowjetischer kul- tureller →Traditionen begünstigten; zum anderen wurde während des Zweiten Weltkrieges die Religionspolitik modifiziert und mit der Einrichtung einerGeistlichen Verwaltung der Muslime in Zentralasien und Kasachstan eine Struktur geschaffen, die religiöse Aktivität in einem kontrollierten Rahmen ermöglichte. Muslimische Ritu- alpraxis und damit verbundene Verhaltensnormen wur- den so in den privaten Raum abgedrängt, jedoch ihres intellektuellen Fundaments weitgehend beraubt.

Als „rückständig“ galt auch der Nomadismus, dessen Mobilität die Grundlagen moderner Staatlichkeit in- frage stellt. Die Kollektivierung der Landwirtschaft, die eine rasche Industrialisierung ermöglichen und die da- für nötigen Ressourcen bereitstellen sollte, und die da- mit verbundene Sesshaftmachung der kirgisischen und kasachischen Nomaden führten unter letzteren Ende 1932/33 zu einer Hungersnot sowie zu einer neuerli- chen Fluchtbewegung nach China. Die Kasachen wur- den in diesen Jahren um etwa die Hälfte auf rund zwei Mio. Menschen dezimiert und das Titularvolk zu einer Minderheit in der Republik, der Massendeportationen und Zwangsumsiedlungen (u. a. der Wolgadeutschen) während des Zweiten Weltkriegs ein multiethnisches Gepräge verliehen. Nach dem Krieg begann man die ka- sachische Steppe im Zuge der Neulandgewinnung für den Getreideanbau und zur Gewinnung energiewirt- schaftlicher Rohstoffe (u. a. Erdöl, Steinkohle) zu er- schließen und zu industrialisieren. In den südlichen Re- publiken (Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan) setzten die Sowjets auf die Ausweitung der künstlichen Bewässerung zur maximalen Ausweitung des Baum- wollanbaus. Der Bau von großangelegten Bewässe- rungsprojekten (Kanäle, Staudämme), der von wieder- kehrenden Politikwechseln begleitet war, ermöglichte schließlich die industrielle Produktion von Baumwolle, die im Wesentlichen auf Zwangsarbeit beruhte. Die in immer ausgedehnteren Monokulturen angebaute cash cropwurde nicht vor Ort verarbeitet, sondern in den eu- ropäischen Teil der UdSSR exportiert. Die südlichen Republiken blieben daher agrarisch geprägt. Im Aus- tausch für die Lieferung von Rohstoffen unterstützte Moskau die Republiken Z.s durch Subventionen und Steuererleichterungen. Vor Ort wurden die Ressourcen- ströme durch informelle Netzwerke innerhalb des Staats- und Parteiapparats kontrolliert, die dadurch sta-

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bile Machtstrukturen aufbauen konnten. Dies gilt bes.

für die Zeit nach 1960. Die unter Nikita Sergejewitsch Chruschtschow in Z. eingesetzten Parteichefs behielten ihre Ämter bis in die Ära Michail Sergejewitsch Gorba- tschows, dessen Antikorruptionskampagnen im Zuge der Perestroika in Z. nationalistischen Stimmungen ( →Nationalismus) Auftrieb gaben.

5. Zentralasien seit 1991 5.1 Politik

Als sich nach dem gescheiterten Putsch gegen M. S.

Gorbatschow im August 1991 das Ende der UdSSR ab- zeichnete, erklärten die zentralasiatischen Republiken ihre Unabhängigkeit. Noch im selben Jahr wurden in Kirgistan, Kasachstan und Usbekistan, 1992 auch in Turkmenistan, formale Präsidentschaftswahlen durch- geführt, die die bisherigen Parteivorsitzenden bzw. (seit 1990) Präsidenten der Unionsrepubliken im Amt be- stätigten. In Tadschikistan, wo in den 1980er Jahren sä- kulare Intellektuelle und religiös-konservative Kräfte politisch erstarkt waren, mündete der Machtkampf zwi- schen der nunVereinigten Tadschikischen Oppositionund den Postkommunisten in einen →Bürgerkrieg, der erst 1997 beendet wurde und auch hier einem Vertreter des ehemaligen kommunistischen Lagers ins Präsidenten- amt verhalf. Die in den fünf Republiken zwischen 1992 und 1995 verabschiedeten Verfassungen bekennen sich zu Säkularismus, Rechtsstaatlichkeit ( →Rechtsstaat) und

→Gewaltenteilung sowie zu Parteienpluralismus und freien →Wahlen. Doch räumen sie den Präsidenten um- fängliche Kontroll- und Leitungsbefugnisse für alle staatlichen Funktionen ein. Durch diese unumschränkte Machtfülle der zentralen Führungsinstanz wird das Prinzip der Gewaltenteilungad absurdumgeführt. Eine unabhängige Gerichtsbarkeit existiert nirgendwo, die Parlamente fungieren als ausführende Organe zur Um- setzung von Vorgaben der Exekutive.

Während sich in Kirgistan und Kasachstan anfänglich parteipolitischer Wettbewerb entfalten konnte, bestan- den solche Spielräume in Usbekistan und Turkmenistan nicht. Dort war von Anfang an nur eine Partei zuge- lassen, in Usbekistan wurden oppositionelle Gruppie- rungen, darunter auch islamistische Akteure ( →Islamis- mus), ab 1992 ausgeschaltet und verlagerten ihre Aktivitäten ins Ausland. Dort radikalisierte sich die isla- mistische Opposition und verübte wiederholt Anschläge in Usbekistan, zuletzt 2004. Allein in Tadschikistan konnte sich infolge des Friedensabkommens von 1997 eine echte Oppositionspartei, diePartei der Islamischen Wiedergeburt, bis 2015 legal betätigen. Ab Mitte der 1990er Jahre festigen die amtierenden Präsidenten in den zentralasiatischen Republiken ihre Macht, indem sie Referenden durchführen ließen, die es ihnen ermög- lichen, sich beliebig oft zur Wiederwahl zu stellen. Poli- tische Freiheiten wurden immer weiter beschnitten und oppositionelle Kräfte an den Rand gedrängt oder ver- boten. Auf diese Weise haben sich in ganz Z. konsoli-

dierte autoritäre Systeme herausgebildet, die sich ledig- lich graduell unterscheiden. Dass die in Usbekistan seit 2016 umgesetzten Reformen eine Trendumkehr einlei- ten, ist unwahrscheinlich. In Kirgistan wurde die Festi- gung des Autoritarismus 2005 durch eine Revolte unter- brochen, die zum Sturz des Präsidenten führte; doch setzte dessen Nachfolger den autoritären Kurs mit umso größerer Härte fort. Eine weitere Revolte führte 2010 zu einem neuerlichen Regierungswechsel und zu einer Ver- fassungsänderung. Als einziges Land in Z. ist Kirgistan seither eine parlamentarische Republik ( →Parlament, Parlamentarismus), in der kompetitive Wahlen durch- geführt werden. Doch auch hier ist der Staatsapparat weitgehend unter der Kontrolle der jeweils regierenden Partei und informeller Netzwerke in deren Umfeld.

5.2 Wirtschaft, Ökologie

Die politischen Ökonomien der Staaten Z.s sind maß- geblich von der Rohstoffausstattung geprägt. In den res- sourcenreichen Staaten Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan verdankt sich die Wirtschaftsleistung im Wesentlichen der rohstoffbasierten Produktion und den aus dem Export fossiler und mineralischer sowie land- wirtschaftlicher Ressourcen gewonnenen Einkünften. In Kasachstan und Usbekistan kontrollieren oligarchisch strukturierte →Eliten die strategischen Sektoren der Wirtschaft, in Turkmenistan (und Tadschikistan) ist es die führende Familie. Wichtigster Abnehmer der Roh- stoffe ist mittlerweile China. Chinesische Staatsunter- nehmen investierten seit der Jahrtausendwende massiv in den Bau von Pipelines, die den heimischen Markt mit Erdöl und Erdgas aus Z. beliefern; in Tadschikistan hat sich China die Schürfrechte im Gold- und Silberbergbau gesichert. Mit Ausnahme Kasachstans und Kirgistans haben die zentralasiatischen Staaten nach dem Zerfall der UdSSR wesentliche Elemente der Planwirtschaft

( →Zentralverwaltungswirtschaft) beibehalten. Auch in

Kasachstan, das bereits in den 1990er Jahren zu libera- len Wirtschaftsreformen überging, wurde ausländisches Investitionskapital überwiegend in die Exploration von Erdölfeldern und mineralischen Ressourcen gesteckt.

Die Diversifizierung der Wirtschaft wurde dem gegen- über vernachlässigt, so dass die Wirtschaft stark an den Ölpreis gebunden bleibt und entspr. krisenanfällig ist.

Usbekistan, das seit 2017 seine →Wirtschaftspolitik neu ausrichtet und sich marktwirtschaftlichen Reformen öff- net, sucht mit Hilfe in- und ausländischer Investoren eine diversifizierte Wirtschaftsstruktur aufzubauen und, ebenso wie Kasachstan, den Anteil der industriel- len Produktion am Export zu stärken. Die ressourcen- armen Staaten Kirgistan und Tadschikistan sind seit der Auflösung der UdSSR weitgehend von ausländischen Unterstützungsleistungen abhängig: Diese tragen zur staatlichen Stabilisierung bei, bedeuten aber eine enor- me Auslandsverschuldung. Der wichtigste Kreditor ist China. In Tadschikistan machten die Auslandsschulden Anfang 2019 fast 40 % des BIP aus, etwa die Hälfte da-

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von schuldet das Land China. Die Erzeugung und der Export von Elektrizität aus Wasserkraft haben aller- dings seit der Jahrtausendwende in beiden Ländern zu- genommen; die Mittel für die Bereitstellung der dafür nötigen Infrastruktur kommen v. a. von russischen, aber auch von westlichen Gebern sowie Entwicklungsban- ken. Mit Ausnahme Kasachstans ist die Wirtschaft in Z. nach wie vor stark agrarisch geprägt. In Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan wird ein hoher Anteil am BIP durch die saisonale Arbeitsmigration (v. a. in Russ- land) erwirtschaftet; bes. in Tadschikistan besteht eine ausgeprägte Abhängigkeit von den Rücküberweisungen der Gastarbeiter. Große Bedeutung für die wirtschaftli- che Modernisierung wird überall der →Digitalisierung beigemessen. China ist dabei neben Russland der wich- tigste Investor und Kooperationspartner. In Kasachstan, Usbekistan und Kirgistan soll künftig verstärkt in den Ausbau erneuerbarer Energien investiert werden. Zu den Kooperationspartnern zählt dabei auch die →EU, die diesen Sektor in den einschlägigen Regionalstrate- gien stark gewichtet.

Die Entwicklung vonGreen Energyist für Z. nicht zu- letzt vor dem Hintergrund der ökologischen Problema- tik relevant. Die groß angelegte Erschließung der hydro- energetischen Ressourcen während der Sowjetzeit und die Exploration der fossilen und mineralischen Energie- träger, darunter der Kohle- und Uranbergbau, haben enorme Folgeschäden hinterlassen. Die für die großflä- chige Kultivierung von Baumwolle erforderliche inten- sive Bewässerung hat v. a. in den südlichen Republiken zur Austrocknung von Flüssen und zur Versalzung von Böden geführt, die zudem durch den Einsatz von Pesti- ziden und Düngemitteln verseucht wurden. Wasser hat sich dadurch in den ariden Regionen zusätzlich ver- knappt. Sichtbarste Folge des ökologischen Raubbaus ist die Austrocknung des Aralsees. Maßnahmen zu Ret- tung des Sees sind bisher an der unzureichenden Ko- operation der Anrainer gescheitert.

5.3 Sozialstrukturelle Indikatoren

Die Bevölkerung Z.s ist seit 1991 um fast 25 Mio. auf knapp 74,5 Mio. Einwohner gestiegen, fast die Hälfte davon siedelt in Städten. Bei einem jährlichen Durch- schnittswachstum um 1,8 % werden 2050 über 100 Mio.

Menschen in Z. leben. Für das Wachstum sind neben der gestiegenen Lebenserwartung hohe Geburtenraten in Tadschikistan und Usbekistan verantwortlich; nur in Kasachstan stagnieren die Zahlen. Rund 30 % der Be- völkerung sind jünger als 15 Jahre, das Durchschnitts- alter beträgt 27,6 Jahre. Der Lebensstandard hat, nach einem anfänglichen Einbruch in der ersten Dekade nach der Unabhängigkeit, kontinuierlich zugenommen, v. a.

seit 2000 haben sich die Bedingungen, gemessen an den Indikatoren des HDI, stark verbessert. Beim Pro- Kopf-Einkommen liegt Z. aber deutlich hinter Russland und der Ukraine. Ausgeprägte Ungleichheiten bestehen bei der Verteilung des Reichtums und der gesellschaftli-

chen Teilhabe ( →Partizipation). Mit Ausnahme Ka- sachstans ist die Arbeitslosigkeit, v. a. unter Jugend- lichen, hoch; ein großer Teil der Bevölkerung ist prekär beschäftigt, vielfach als Saisonarbeiter im Ausland. Mit Ausnahme Kasachstans bestehen gravierende Defizite im Bildungswesen, v. a. in Turkmenistan, Tadschikistan und Kirgistan. Das Gesundheitssystem ist überall unter- finanziert, vielfach fehlt es an qualifiziertem Personal.

5.4 Identitätspolitik

Die Verfassungen der Staaten Z.s bekennen sich grund- sätzlich zum Prinzip einer staatsbürgerlichen Identi- fikation. Gleichzeitig ist das historische und kulturelle Selbstverständnis der zentralasiatischen Staaten maß- geblich durch die von den Sowjets vorgenommene Auf- teilung der Region in nationale Republiken und die damit einhergehende Kompilation von National- geschichten nach ethno-kulturellen Kriterien geprägt.

Historische Persönlichkeiten aus vorsowjetischen Epo- chen, die auf dem Gebiet der heutigen Nationalstaaten wirkten, wurden zu Gründungs- und Symbolfiguren der modernen Staaten stilisiert, deren Nationalkulturen durch die jeweilige Titularmehrheit repräsentiert sind (die Kasachen haben diesen Status erst 1999 aufgrund der Abwanderung von Russen und Ukrainern seit 1991 und der Rückholung von Kasachen aus China erlangt).

Dadurch werden Identitätsbildungen anhand sub-staat- licher, ethnischer und linguistischer Kriterien in den multinational zusammengesetzten Staaten festgeschrie- ben. Konflikte, etwa um die Nutzung von Land und Wasser, entladen sich deshalb oft in inter-ethnischer Ge- walt ( →Ethnische Konflikte), v. a. in den dicht besiedel- ten Gebieten und Grenzregionen des Ferganatals.

Gleichzeitig ist das Verhältnis zur russischen Kolonial- zeit und zur sowjetischen Epoche durchwegs ambiva- lent. Zwar wurden Gedächtnisorte umgewidmet und sowjetische Toponyme durch solche aus der jeweiligen Nationalkultur ersetzt, doch eine kritische Aufarbeitung der russischen und sowjetischen Fremdherrschaft und der an ihrer Ausübung beteiligten und mit ihr identifi- zierten indigenen Kader ist bisher ausgeblieben.

Eine höchste ambivalente Rolle spielt der →Islamim Selbstverständnis der zentralasiatischen Staaten, deren Bevölkerungen mehrheitlich sunnitische Muslime sind.

Die kulturellen Leistungen muslimischer Gelehrter des Mittelalters gelten als bedeutender Teil des historischen Erbes, doch der gelebte Islam der Gegenwart stellt für die Regierungen in Z. ein Problem dar. Seit 1991 er- starkten überall Akteure, die muslimischen Ordnungs- und Wertvorstellungen stärkere, auch politische Gel- tung verschaffen wollen. Das Spektrum dieser Akteure reicht von pazifistischen Missionsgesellschaften bis hin zu radikalen, international vernetzten dschihadistischen Gruppen. Gleichzeitig wächst in der Bevölkerung ein Bedürfnis nach religiöser Orientierung. Die staatliche Religionspolitik sucht der Herausforderungen durch gezieltes Monitoring der religiösen Landschaft zu be-

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gegnen und einen staatskonformen Islamdiskurs durch- zusetzen, ohne jedoch das Feld vollständig kontrollieren zu können.

6. Zentralasien in der internationalen Politik 6.1 USA und Europa

Z. rückte erst nach 1991 in den Fokus der internatio- nalen Politik. Dies war zum einen durch die reichen Rohstoffreserven bedingt, an deren Ausbeutung sich zahlreiche ausländische Konzerne beteiligen. Auch mit- telständische Unternehmen aus Europa, den USA und dem Nahen Osten entdeckten Z. als Produktionsstand- ort und Absatzmarkt. Zum anderen war den Westmäch- ten nach dem Ende der UdSSR daran gelegen, Z. in die euro-atlantische Welt einzubinden und einer demokra- tischen Entwicklung den Weg zu bereiten. Große Be- deutung kommt dabei der →OSZE zu, der die zentral- asiatischen Republiken als Nachfolgestaaten der UdSSR seit der Überführung der KSZE in die OSZE im Jahr 1995 ebenfalls angehören. Als wichtigstes Instrument der Demokratieförderung gelten die Wahlbeobachtun- gen desOffice for Democratic Institutions and Human Rightsder OSZE. Mit Beginn des in Afghanistan geführ- ten Krieges der USA gegen dieal-Qāida(ab Oktober 2001) rückte Z. auch sicherheitspolitisch ins Blickfeld des Westens. Militärbasen in Kirgistan und Usbekistan waren in die Versorgungslogistik der von der →NATO gestellten Unterstützungstruppe ISAF integriert, von strategischer Bedeutung war (und ist) aufgrund seiner langen Grenze mit Afghanistan auch Tadschikistan.

Der Bedeutungszuwachs von Z. für Europa mündete 2007 in einer Z.-Strategie der EU (neu aufgelegt 2019), die seit 1999 Partnerschafts- und Kooperationsabkom- men mit den Staaten Z.s unterhält. Die Stoßrichtung ist v. a. eine ökonomische, die Abkommen beinhalten aber auch eine politische (Förderung von Rechtsstaatlichkeit

und →Zivilgesellschaft als Elemente demokratischer

Entwicklung) und neuerdings auch eine klimapolitische Dimension (Green Energy). Das westliche Engagement kam den Staaten Z.s ökonomisch wie politisch zugute und bestärkte sie in ihrer „multivektoralen“ →Außenpoli- tik, die auf eine strategische Balance abzielt, möglichst große Spielräume offenhält und ein breites Spektrum von Partnerschaften ermöglicht.

6.2 Russland und China

Diese außenpolitische Haltung resultiert nicht zuletzt aus der strategischen Bedeutung, die Z. für Russland und China besitzt. Für beide Regionalmächte steht da- bei der Zugang zu Rohstoffen, Märkten und Handels- wegen im Vordergrund. Russland, das neben China der wichtigste Wirtschaftsakteur in der Region ist, be- ansprucht seit Wladimir Wladimirowitsch Putins Machtübernahme 2000 eine privilegierte Position in Z.

Dies bezieht sich neben der wirtschaftlichen Zusam- menarbeit v. a. auf die Militär- und →Sicherheitspolitik (Nutzung von Militärbasen in Kirgistan und Tadschikis-

tan), schließt aber auch innenpolitische Aspekte ein, die russische Interessen berühren. Eine bedeutende Funk- tion kommt dabei den von Russland ins Leben gerufe- nen Regionalorganisationen zu, die v. a. der Wahrung des russischen Einflusses dienen. Die traditionelle Be- deutung Russlands wird zunehmend durch China infra- ge gestellt, das seine Beziehungen mit den zentralasiati- schen Staaten unter dem konzeptionellen Dach der 2013 ins Leben gerufenen „neuen Seidenstraße“ (Belt and Road Initiative)erheblich ausgebaut hat. In diesem Kon- zept fungiert Z. als strategischer Korridor nach Europa und Westasien, aber auch als Absatzmarkt für chinesi- sches Kapital sowie Waren und Arbeitskräfte. Auch chi- nesische Investitionen in die digitalen Infrastrukturen und die Implementierung von Überwachungstechnolo- gien aus China festigen die Bindungen zwischen Z. und China, das dort auch politisch zunehmend selbst- bewusst auftritt.

6.3 Regionale Zusammenarbeit und Bündnisse Die regionale Kooperation ist maßgeblich durch die Ein- bindung in von Russland dominierte multilaterale For- mate bestimmt. Während die →GUS im Zuge der politi- schen Fragmentierung des postsowjetischen Raumes an Gestaltungskraft verloren hat, ist die 2002 gegründete Organisation des Vertrags über Kollektive Sicherheit (OVKS) weiterhin das wichtigste Format für die militär- und sicherheitspolitische Zusammenarbeit Russlands mit den zentralasiatischen Mitgliedstaaten Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan (sowie Armenien und Weißrussland). Kasachstan und Kirgistan sind (neben Armenien und Weißrussland) auch in die 2015 gegrün- dete →EWU eingebunden. Usbekistan, das zeitweise der OVKS angehörte, hat die Organisation 2012 verlas- sen, ist jedoch der EWU 2020 als Beobachter beigetre- ten. Turkmenistan, das 1995 seine permanente →Neu- tralität in der Verfassung festgeschrieben hat, gehört keiner dieser Regionalorganisationen an. Im Gegensatz zu seinen zentralasiatischen Nachbarn ist Turkmenistan auch kein Mitglied der SCO (gegr. 1996 bzw. 2001), die den wohl wichtigsten Mechanismus zur Wahrung eines strategischen Gleichgewichts zwischen China und Russ- land auf dem eurasischen Kontinent darstellt.

Bis vor kurzem war die regionale Zusammenarbeit der Staaten Z.s von ausgeprägten Interessensgegensät- zen überschattet. Diese betrafen v. a. umstrittene Grenz- verläufe und die Nutzung der Wasserressourcen durch die Ober- und Unterlieger der großen Ströme Amudarja und Syrdarja, die für die Stromerzeugung bzw. Land- wirtschaft der einzelnen Staaten von vitaler Relevanz sind. Zudem begünstigten die der Region von externen Akteuren zugeschriebene Relevanz und das damit ver- bundene monetäre Engagement in Z. unilaterale und konfrontative Politikstile. Anreize zu einer verstärkten regionalen Zusammenarbeit, gar zur Gründung eines genuin zentralasiatischen Kooperationsformats, wurden nicht zuletzt durch die Einbindungspolitik Russlands

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unterminiert. Mit dem Politikwechsel in Usbekistan 2016 und den von Taschkent ausgehenden außenpoliti- schen Initiativen ist jedoch ein Prozess in Gang gekom- men, der eine problemlösungsorientierte regionale Zu- sammenarbeit in Z. in den Bereich des Möglichen rückt.

Literatur

A. Schmitz: Die Transformation Usbekistans: SWP-Studie 13 (2020) • M. Russell: The EU’s new Central Asia Strategy • P. Sartori: Of Saints, Shrines, and Tractors. Untangling the Meaning of Islam in Soviet Central Asia, in: JIS 30/3 (2019), 367–405 • J. Reeves: China’s Silk Road Economic Belt Initia- tive. Network and Influence Formation in Central Asia, in:

JCC 27/112 (2018), 502–518 • C. Teichmann: Macht der Un- ordnung. Stalins Herrschaft in Zentralasien 1920–1950, 2016

• R. Kindler: Stalins Nomaden. Herrschaft und Hunger in Ka- sachstan, 2014 • S. N. Cummings: Understanding Central Asia. Politics and Contested Transformations, 2012 • J. Paul:

Neue Fischer Weltgeschichte, Bd. 10, 2012 • M. Sapper/

V. Weichsel/A. Huterer (Hg.): Machtmosaik Zentralasien, Osteuropa 8–9 (2007) • J. Stadelbauer: Mittelasien – Zentral- asien. Raumbegriffe zwischen wissenschaftlicher Strukturie- rung und politischer Konstruktion, in: PGM 147/5 (2003),

58–63. ANDREA SCHMITZ

Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)

Das ZdK ist ein Zusammenschluss von Männern und Frauen aus katholischen Laienorganisationen und -rä- ten sowie Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft und Wissenschaft in Deutschland. Als eingetragener →Ver- ein vertritt es die Anliegen der Katholiken in allen ge- sellschaftlichen, staatlichen und kirchlichen Angelegen- heiten. Die Vorbereitung und Durchführung der zweijährlich stattfindenden →Deutschen Katholikenta- ge sind sichtbarer Ausdruck dieses Gestaltungswillens.

Als höchstes Organ des ZdK fasst die Vollversammlung aus gewähltem Präsidium und Delegierten ( →katho- lischer Organisationen und Verbände, von Laienräten der Diözesen, katholischen Einrichtungen und geist- lichen Gemeinschaften sowie berufenen Einzelpersön- lichkeiten) seine Beschlüsse in eigener Verantwortung und unabhängig von anderen Gremien. Diese werden von einem Generalsekretär gemeinsam mit dem in Bonn (demnächst Berlin) ansässigen Generalsekretariat umgesetzt.

Die Deutsche Bischofskonferenz anerkennt das ZdK als dem Dekret des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Apostolat der Laien (Apostolicam Actuositatem 26) entspr.es Organ, das die Kräfte des Laienapostolats ko- ordiniert und die apostolische Tätigkeit der Kirche för- dert (Statut § 1, Abs. 2). Ein von der Bischofskonferenz aus ihren Reihen bestellter Geistlicher Assistent berät das ZdK in geistlichen und theologischen Fragen. Die Gemeinsame Konferenz von je zehn Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz und des ZdK dient (seit

1976) der regelmäßigen Konsultation beider und ist ein ernstzunehmender Ort innerkirchlicher sowie kirchen- politischer Meinungs- und Willensbildung.

In Geschichte und Gestalt des ZdK spiegeln sich Selbstverständnis des →Katholizismus bzw. Aufgaben des Laienapostolats als Teil politischen, gesellschaft- lichen und kirchlichen Wandels in Deutschland seit dem 19. Jh. wider. Die Anfänge gehen auf die von deut- schen Katholiken getragene Petitionsbewegung zurück, die 1848/49 die Freiheit der Kirche von staatlicher He- gemonie einforderte. Die 1848 gewährte Vereins- und

→Versammlungsfreiheit führte dazu, dass die Struktu- ren eines deutschlandweit organisierten Katholizismus auf der Grundlage weltlichen Vereinsrechts entstanden und rasch anwuchsen. Dessen gesetzliche Beschränkun- gen nach 1850 erforderten, die alljährlichen, später unter dem Namen Deutsche Katholikentage bekannt werdenden Generalversammlungen (GV) entspr. an- zupassen (1848: GV des katholischen Vereins Deutsch- lands, 1858: GV der katholischen Vereine Deutschlands, 1872: GV der Katholiken Deutschlands).

Dem 1868 errichteten ZdK (Central-Komitee der katho- lischen Vereine Deutschlands) fiel die Doppelaufgabe zu, das Potential der auf den GV vertretenen Einzelvereine durch straffere Koordination zu bündeln und ohne Ver- stoß gegen die politisch restriktive Vereinsgesetzgebung zu mobilisieren. Unter dem Eindruck von Reichsgrün- dung und einsetzendem →Kulturkampf übernahm seit 1872 anstelle des ZdK ein Commissär der Generalver- sammlung die Verantwortung für Organisation und Durchführung der alljährlichen Zusammenkünfte. Die- se kommissariatsgebundene Gestalt, welche die Be- handlung kirchenpolitischer Grundfragen ermöglichte, blieb weit über die Kulturkampfjahre hinaus bestehen und wurde erst 1898 durch die Wiedereinsetzung eines ZdK (Central-Komitee für die Generalversammmlung der Katholiken Deutschlands) abgelöst.

Einflussreiche katholische Adlige bestimmten die von außerordentlich großer Loyalität gegenüber →Papst und Kirche getragene Arbeit des Kommissariats bzw.

des ZdK. Namentlich die Fürsten zu Löwenstein-Wert- heim-Rosenberg übten in drei aufeinanderfolgenden Generationen (1868–1898: Karl-Heinrich, 1920–1948:

Aloys, 1948–1968: Karl) das Ehrenamt des ZdK-Prä- sidenten aus. Seit 1906 stand ihnen zusätzlich ein Geist- licher als Generalsekretär zur Seite (1906–1921: Adolf Donders, 1921–1927: Gustav Raps, 1927–1947: Theo- dor Legge, 1947–1952: Franz Hengsbach, anschließend als Geistlicher Assistent).

An der Schnittstelle zum politischen Katholizismus der Zentrumspartei ( →Zentrum) bewegte sich das ZdK permanent in einem Spannungsfeld zwischen reichswei- ter Institutionalisierung des vielgestaltigen Vereins- und Verbandskatholizismus einerseits und der auf Pfarrei und Diözese ausgerichteten Zuständigkeit der →Bischö- fe andererseits. Nach dem europaweiten Zusammen- bruch der alten Herrschaftsordnung stellte sich die

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