Rämas Heimflug im Ramayana und Raghuvarnsa
Von Walter Rüben, Berlin
Es ist lange bekannt, daß Kälidäsa in seinem Raghuvamäa weitgehend
das Rämäyana des Välmiki nachgeahmt hat. Eine genauere Unter¬
suchung, die das Verhältnis beider Dichtungen, die Art der Abhängigkeit
Kälidäsas von seinem großen Vorbild und zugleich die Art seiner Selb¬
ständigkeit ausreichend klarstellte, fehlt aber noch^. Um diesem wichtigen
Problem des Vergleichs der beiden vielleicht größten Dichter Indiens
näher zu kommen, sei im Folgenden der Giesang, der im Rämäyana und
Raghuvarnsa die Heimkehr Rämas und Sitäs auf dem Götterwagen
Puspaka schildert^, verglichen.
Die philologischen Schwierigkeiten sind dabei bedeutend. Es gibt noch
keine kritische Ausgabe des Rämäyana. Der jüngste Versuch am 1. Ge¬
sang des 1. Buches* indessen zeigt uns, daß die Lage verwickelter ist, als
man bisher annahm. Bisher unterschied man drei* oder bestenfalls vier*
Versionen des Epos, die in Einzeldrucken vorliegen, eine nordwestliche,
eine bengalische und zwei einander sehr ähnliche südindische^. Jetzt aber
kennen wir außerdem Handschriften einer nepalesischen und Maithüi-
Version und müssen von zwei mittelindischen noch drei südindische
unterscheiden (wenn deren Unterschiede auch nieht groß sind), eine
Telugu-, Grantha- und Malayälam-Version, zusammen neun Versionen.
Damit steht es beim Rämäyana ähnlich wie beim Mahäbhärata, nur gUt
den Herausgebern die südliche Version als die im allgemeinen bessere,
während man beim Mahäbhärata an einen Vorzug der kaschmirischen
Version glaubt. Man muß also eme kritische Ausgabe unseres Gesanges
abwarten, kann aber jetzt schon sagen, daß sie, was unser Problem an-
1 Einige Vergleiche finden sich bei Sei Aubobindo, Kalidasa, Pondicherry 1950; ders. Kalidasa (Second Series) ebda. 1954; ders. Vyasa and Välmiki,
ebda. 1956; W. Ruben, Kälidäsa, Berlin 1956.
2 Räm. VI, 104A, 108B, 123C, 126D; Raghuv. XIII.
^ G. H. Bhatt, The Välmlki-Rämäyana, Fasc. 1, Baroda 1956.
* H. Wibtz, Die westliche Bezension des Bämäyana, Bonn 1894.
^ W. Ruben, Studien zur Textgeschichte des Rämäyaria, Stuttgart 1936.
Danach: Raohu Viba, Rämäyana of Välmiki, Fasc. 1, Lahore 1938.
' Nordwestlich: Rämäyaria of Välmiki (in its North-Western Recension), Lahore 1931—47 (im Folgenden als A bezeichnet) ; bengalisch : G. Goeeesio,
Rämäyana, Parigi 1843—57 (= B); südindisch: The Rämäyaria of Välmiki
with the Commentary ( Tilaka) of Räma, Bombay 1888 (= C) ; Sritnad Välmiki
Rämäyana with the commentary of Sri Govindaräja, Bombay 1911—14 (= D).
38 ZDMG 107/3
geht, kaum entscheidend Neues bringen dürfte, wie sich unten zeigen
wird. Die Frage, welche Version Kälidäsa vorgelegen hat, läßt sich an¬
scheinend nach diesem einen sarga nicht beurteilen^.
Weiter ist noch ungeklärt, wie das Verhältnis des Rämäyana der
heutigen Versionen und ihres Archetypus zu seinem traditionellen
Dichter Välmiki ist. Välmiki tritt im I. und VII. Buch des Rämäyana als
der Dichter des Epos auf, indessen wird er auch im II. erwähnt, als
Räma* und später Bharata' durch seine Einsiedelei zum Citraküta-
Berge zogen, aber freilich hier nicht in allen Versionen. Im II. Buch ist
seine Erwähnung also fraglich, das I. und VII. Buch aber gelten seit
Muir, Holtzmann und Jacobi als unecht i". Sie gehören aber zum Arche¬
typus des Epos. Es müßte also einen noch älteren Text als den Arche¬
typus gegeben haben, und gerade den würde man dem Välmiki zu-
schreiben^i. Er könnte, wer weiß wie lange Zeit, mündlich überliefert
worden sein, ehe der Archetypus schriftlich niedergelegt wurde. Für den
Archetypus nimmt eine neuere Schätzung erst das 4. Jhdt. u. Z. an^^, also
etwa die Periode des Kälidäsa. Den Välmiki aber datiert ein Sri Auro-
BiNDO etwa 1000 Jahre früher als Kälidäsai*. Das mag übertrieben sein,
aber man möchte doch Kälidäsa in eine jüngere Periode der indischen
Geschichte setzen als Välmiki — vorausgesetzt, daß es überhaupt einen
Dichter dieses Namens, eine historische Einzelpersönhchkeit als Schöpfer dieses alten Epos gegeben hat".
Was unser Textstück angeht, so hat Välmiki den genialen Gedanken
gehabt, Räma bei seinem Heimflug der Sitä in knappen Worten in etwa
40 epischen Versen (Sloka) in diesem Gesang seine ganze leid- und
kampfvolle Wanderschaft von Ayodhyä bis Lankä berichten zu lassen.
Kälidäsa hat diesen „Auszug" aus den echten Büchern II—VI des alten
' Kähdäsa stimmt überein mit N, s. u. zu Rghv. Vers 2, Abschnitt e,
Vers 48 imd 53 (Anm. 80); mit S, s. ii. zu Abschnitt d, g (Anm. 41 und 58);
mit A, s. u. Anm. 50; mit AD, s. u. zu Vers 61 des Rghv. ; mit D, s. u. Anm. 64.
« Räm. II, 56,16f. C; fehlt in 60,18ff. A = 56,18ff. B.
ä Räm. n, 105,14ab; fehlt in 101, 13f. B und 92,12f. C.
" Ruben 1936 (s. o. Anm. 5) 61.
" Ebda 61ff. über den „Urtext".
W. Kibfel, Rämäyana Bälakända und Puräna, Die Welt des Orients,
Wuppertal 1947, 113ff., msbesondere 127.
" Sri Aurobindo 1950 (s. o. Anm. 1), 10; er setzte Kälidäsa in das 1. Jhdt.
v. u. Z. (ders. Kalidasa 1954,11). L. Renou, Histoire de la Langue Sanskrite,
Lyon-Paris 1956, 102 datiert das Räm. vom 3. Jhdt. v. u. Z. an.
^* Vgl. W. Ruben, Vier Liebestragödien des Rämäyana, ZDMG 100, 1950,
287ff., besonders 351 f. — H. Oldenbebg, Die Literatur des Alten Indiens, Stuttgart und Berlin 1903, 187 und V. Pisani, Storia delle Letterature Antiche
dell'India, Milano 1954, 91 sehen keüien Grund, an der Person Vähnikis zu
zweifeln.
Rämas Heimflug im Rämäyana und Raghuvarnsa 577
Epos sehr abweichend gestaltet. Er, der vorher den bunten Inhalt jener
5 Bücher des Epos mit ihren Tausenden von Versen in einem einzigen
Gesang seines Dichtwerks mit ganzen 104 Versen im gleichen epischen
Versmaß (Sloka) in äußerster Gedrängtheit wiedergegeben hatte, wendete
unmittelbar danach für die etwa 40 Verse des Heimfluges 63 Verse, und
zwar in kunstvollerem Metrum (Indravajrä), auf. Ihn freute also Välmikis dichterischer Einfall des Fluges, aber er veränderte ihn stark, nicht nur in
der Sprache!^, die weit komplizierter, schwieriger ist, und nicht nur im
Metrum, sondern auch in den Einzelheiten des Inhaltes. Diese lassen sich
leicht festlegen; dazu teilt man den Gesang am besten in acht Teile
(a—h), muß aber bedenken, daß auch die Versionen des alten Epos mehr
oder weniger von einander abweichen. So hat A (nordwestliche Version)
die etwa 40 Verse, die allen bisher gedruckten drei oder vier Versionen
gemeinsam sind und daher dem Archetypus zugerechnet werden müssen,
zu 63 Versen, B (die bengalische) zu 47 und C (ebenso wie D, die beiden
hier kaum von einander abweichenden südlichen Versionen) zu 54 Versen
erweitert.
a) Kämpfe in Lankä (aus Räm. VI)
Von den 8 —9 Versen des Archetypus sind einige nur in Trümmern er¬
halten, und zwar in A 1—19, B 1—12 und C 1—15 ab (D 15). Zunächst
"wurde wohl Rävanas Tod berichtet (CD 5), der aber in N (= A 9 und
B 11) an den Schluß verstellt wurde, wobei er freilich in A 5 ab außerdem
an der alten Stelle, wie in S, aber mit einem neuen Halbvers den Anfang
macht. Dann werden die Erschlagungen von Kumbhakarna, Prahasta,
Dhümräksa, Indrajit, Nikumbha, Virüpäksa, Akampana und Vidyujjihva
und in den einzelnen Versionen noch die anderer Feinde erzählt, ohne daß
sich bisher der Archetypus oder die Reihenfolge der Kämpfe im einzelnen
genauer festlegen ließe. In A ist besonders Hanumäns zweimaliges Holen
von Heilkräutern eingefügt (A 11 —12" und 16—19). Den Schluß bildete
offenbar die Totenklage der Mandodäri, der Hauptfrau Rävanas^*.
Räma beginnt damit, daß er zu Sitä sagt, Rävana usw. wurden ,, deinet¬
wegen" erschlagen; hat dies Wort bei Nikumbha wiederholt. Damit
ist dieser reichlich grausige erste Teil des Berichtes aus Rämas Helden-
15 Vgl. Renou a. a. O. 101 über die Sprache des Epos, 158 über die des
kävya.
1* D trennt die Verse anders ab und zählt 59 Verse.
" 10, 13ab, 14abA = 9— lOB.
18 15abA — 12abB — 14cdC — 15abD
cd cd — —
ef — löab 15cd
1» 6oA = 6aB.
38*
stolz heraus verständlich gemacht. Die Säuberung der Erde von diesen
Dämonen war übrigens Rämas schicksalhafte, geradezu kosmische Auf¬
gabe.
Kälidäsa hat all diese Kämpfe in seinem Gesang mit keinem Wort er¬
wähnt. Er läßt Räma mit dem folgenden Teil b beginnen.
b) Flug übers Meer (Anfang von Räm. VI und V)
Die vier Verse der südlichen Version^" dürften, da sie auch in der nörd¬
lichen vorkommen, vier Verse des Archetypus bezeugen. Sie schildern in
je einem Vers die Stelle, an der Räma Lankäs Küste betrat und die Nacht
verbrachte^!, die Landbrücke {setu, heute: Adams Bridge), das weite Meer
und den Berg Hiranyanäbha, der sich aus dem Meere erhob, um Hanumän
als Rastpunkt bei seinem Sprung zur Insel zu dienen^^.
N23 fügt u. a. zu Hiranyanäbha noch die Dämonin Surasä^* hinzu und
erwähnt als Anfang dieses Teiles, daß der Ozean, der alte Verwandte^^ der
Dynastie Rämas, ihm beim Überschreiten des Meeres geholfen habe.
VieUeicht hat Kälidäsa die letzte Bemerkung gelesen und sich durch sie
zu seinem zweiten Vers dieses Teiles anregen lassen, in dem Räma auf die
Sage der Sagariden, seiner Ahnen, anspielte, die den Ozean ,, wachsen
ließen" (Vers 3)^*. Aber freüich lag die Verbindung Rämas mit den
Sagariden jedem Hindu nahe, imd Kälidäsa hat in den folgenden Versen
außer diesem noch weitere mythologische Motive, und zwar vishnuitische
verwendet : das Aurva-Feuer im Meer (4)^', Vishnus Schlaf auf dem Meer
(6), die Flucht vieler Berge zu diesem Vishnu, als Indra einst den Bergen
die Flügel abschnitt (7)^8, und die Rettung der Erde durch Vishnu, als sie
2» 15cd—19abC = 16— 19D.
^1 V, 9912A. Dieser und der folgende sarga fehlen in BCD (Wibtz a. a. O. 34 zählt sie als 104f.). Nach VI, 23,13C (14D) bricht Räma sofort auf; dies fehlt
m N. " IV, 61,95ff.A — V, 7,5fr.B — V, l,89ff.C; 95ff.D.
23 29A — 18B. 2* IV, 62,12ff.A — V, 6,2ff.B —V, l,137ff.C (148ff.D).
20A — 13B. Rämas Ahnen sind die Sagariden und Bhägiratha; dessen
Tochter ist Gangä (Räm. I, 40,39A — 45,38B — 44,5CD). Bhägiratha führte
sie dem Ozean zu (W. Kibfel, Das Puräna Pancalaksana, Bonn 1927,
331 Vers. 76). Der Ozean heißt sägara nach Sagara (Räm. I, 40,37cd, 38abA —
45,37B), obgleich er nicht sein Sohn ist. Aber nach Harivamsa I, 14,28 ge¬
währte Näräyana dem Sagara die Gnade, daß der Ozean sein Sohn wurde.
2° Rghv. XIII, 3: parivardhita ; vgl. vivardhita im selben Zusammenhang in
Räm. IV, 61,93A — V, 7,3B — V, 1,87C — 93D. Bhägiratha füllte den Ozean
mit dem Wasser der Gangä.
" Vgl. den vishnuitisohen Stammbaum bei W. Ruben, Krishna, Istambul 1943, 40 f.
Die Legende: Käthaka 36,7 (übers. J. Hebtel, Indische Märchen, Jena
1925, 15) usw. (M. Wintebnitz, Geschichte der indischen Literatur, Leipzig 1909, I, 191).
Rämas Heimflug im Rämäyana und Raghuvarnsa 679
im Meer unterzugehen drohte (8). Dabei ist daraufhinzuweisen, daß im
Rämäyana-Archetjrpus der Berg Hiranyanäbha dem Hanumän seine
Hilfsbereitschaft damit erklärt, daß, als Indra den Bergen die Flügel ab¬
schnitt, Hanumäns Vater, der Wind, ihn gerettet hat, so daß er heil an
diese Stelle des Meeres gelangte^». Auch dieses Mythenmotiv kann Kälidäsa
freilich auch ohne Kenntnis dieser epischen Stelle gewußt haben.
Kälidäsa hat vor diesen mythologischen Versen die Landbrücke im
ersten Vers dieses Teiles erwähnt, die das Meer unter dem fliegenden Paar
in zwei Teüe teüt wie die Milchstraße den Himmel über ihm (2). Er hat
danach in Vers 9 mit viel Freude das Münden der Flüsse in den Ozean als
verliebtes Küssen des Ozeans und seiner vielen Frauen (eben der Flüsse)
ausgemalt. In N war in dem oben bereits herangezogenen ersten Vers
dieses Teües der Ozean als Gatte (oder Herr) der Flüsse bezeichnet
worden. Aber auch dieses ist wieder allgemein hinduistische Auffassung,
und N braucht Kälidäsa hier nicht angeregt zu haben.
Wenn A in seinem Vers 28 die Weite, und Bewegtheit des Meeres und
die Fülle der Seetiere in ihm preist, so hat Kälidäsa in seinen Versen 10—16
dieses noch viel weiter geführt, aber freüich braucht er auch hier nicht
etwa der A-Version zu folgen, er ist Dichter genug, seine Naturliebe ist
bekannt genug dazu. Sehr geschickt weist er schon in Vers 12 auf den
Wind von der Küste her hin, läßt in 15 die ferne Küste sichtbar werden
und in 16 den Küstenwind schon den Blütenstaub auf Sitäs Antlitz
tragen. Man erlebt dadurch fast mit dem Paar, wie es sich der Küste
nähert.
In diesem Vers 16 erklärt Räma der Geliebten, daß der Wind gleich-
sam*** weiß, daß Räma in seiner Ungeduld nicht warten mag, bis Sitä sich
(wohl erst im Palast in Ayodhyä) für ihn schmückt und er seinen Durst
nach ihren Lippen stülen kann, daß der Wind sie deswegen mit Blüten¬
staub pudert. Solch Liebesdrängen Rämas hat Välmiki m. W. im ganzen
Rämäyana nicht dargestellt. Der alte epische Dichter wiederholt in
diesem Teil des Heimfluges nur Rämas Worte, er habe die Landbrücke
Sitäs wegen*! bauen lassen. Schon diese kurze und unsinnliche Andeutung
von Rämas Liebe ist indessen auffallend, widerspricht sie doch den feier¬
lichen kalten Worten, die Räma kurz vor dem Heimflug, nach errungenem
Sieg beim öffentlichen Wiedersehensakt mit Sitä gesprochen hatte: Du
sollst wissen, daß dieser mühevolle Kampf den ich durch die Kraft
meiner Freunde überstanden habe, nicht deinetwegen von mir ver¬
anstaltet worden ist (sondern für die Ehre)*^. — Ein Räma lügt nicht ;
damals sprach er vor, jetzt aber nach dem Feuerordal, in dem Sitäs
" Räm. IV, 61,134f.A — V, 7,43f.B — V, l,118f.C (129f.D).
=0 utprekshä. 23cA — 15cB — 17aCD.
32 VI, 96,16A — 100,13cd, 14abB — 115,150 — 118,15D.
Reinheit öffentlich nachgewiesen wurde. — Die Lage des Paares ist damit
eine andere geworden. — Es ist während Rämas langer Trennung von
Sitä durch den Epiker sehr deutlich gemacht worden, daß er Sitä heiß
liebte**. Aber seine Liebe so einzugestehen, das ziemte sich nicht für den Räma des Välmiki, das dichtete erst Kälidäsa.
So erweiterte der späte Dichter die 4 Verse dieses Teiles des Archetj^us zu 14!
c) Die Küste des Festlandes (Anfang von Räm. VI)
Nur ein Vers ist N und S gemeinsam**: Räma zeigt Sitä das Heerlager,
in dem Vibhisana zu ihm stieß*^.
N fügt noch die Stelle am Strande hinzu, an der Räma drei Tage lag,
um den Meeresgott zur Hilfe zu zwingen, ferner einen Berg in Südindien,
und zwar A den Mahendra, von dem Hanumän nach Lankä sprang**,
B aber den Malaya, über den Rämas Heer nach Süden an die Küste zog.
N hat im 1. Vers dieses Teiles weiter auf den Küstenwald mit seinen
Tamäla und Tälabäumen hingewiesen. Einen solchen Küstenwald hatte
Kälidäsa in Vers 15 seinen Räma schon im 2. Teil aus der Ferne Sitä
zeigen lassen*'.
Kälidäsas Räma weist in Vers 17 auf die Schnelligkeit hin, mit der sie
die Küste erreicht haben, läßt in Vers 18 Sitä auf das immer ferner
bleibende Meer zurückblicken und freut sich des Fluges in den restlichen drei von den fünf Versen dieses Teiles.
d) Janasthäna (Mitte von Räm. III) bei Kälidäsa.
An dieser Stelle fügt Kälidäsa vier Verse ein, die bei Välmiki an der
entsprechenden Stelle keine Parallele haben.
Räma stellt fest, daß die Einsiedler, die von der Vernichtung der
Dämonen erfahren haben, wieder in ihre alten Einsiedeleien zurück¬
kehren (22). Er zeigt dann Sitä die Stelle, an der er einen Fußring fand,
der von ihrem Fuße herabgeglitten war (23). Er zeigte ihr die Lianen, die
ihm mit ihren Zweigen winkend wiesen, welchen Weg Sitä entführt
worden war (24), und erzählt Sitä von Gazellen Weibchen, die zu grasen
aufhörten und ihre Blicke nach Süden richteten, damit Räma die Süd¬
richtung einschlüge (25).
S. u. Abschnitt d.
33A — 21B — 19cd, 22abC — 20,23D.
V, 91,lff.A — 89,11T.B — VI, 17,Iff.CD.
V, 95,lff.A — 93,lfT.B — VI, 21,I0ff.CD.
3' Rghv. ist hier wieder ähnlich N.
Hamas Heimflug im Rämäyana imd Raghuvarnsa 581
Im Archetypus des Rämäyana wird im Verlaufe der Handlung erzählt,
wie Sitä einen Fußring verlor, als Rävana sie durch die Luft entführte ;
er zerbrach**, und Räma fand später die Bruchstücke*'. Im Archetypus
wird weiter erzählt, wie Räma damals in seinem Trennungsschmerz die
verschiedensten Bäume des Dschungels nach Sitäs Weg fragte*". — In der
südlichen Version wird endlich geschildert, wie Gazellen, von Räma be¬
fragt, sich erhoben und nach Süden blickten* !.
Kälidäsa hat also auch die Motive dieses Teiles d aus dem Rämäyana
entlehnt ; hat sie ferner bei der Schilderung des Trennungsschmerzes des
Purüravas im IV. Akt seines Dramas ausgesponnen. Er verlegt sie an
unserer Stelle nach Janasthäna, was wörtlich die Menschenwelt, aber im
Epos Südindien zu bezeiclmen scheint, soweit es durch die Dämonen
Rävanas insbesondere seinen Bruder Khara*^ bedroht war. Der Ausdruck
ist etwas ungenau und paßte deswegen wohl dem Dichter. Geographisch
ist es nämlich zu früh, Räma hier schon diese Stellen des Fußringes sehen zu lassen, denn sie lagen weiter nördlich als das Afifenreich Kiskindhä und
der Pampä-See, von dem erst im folgenden Teil die Rede ist und südlich
von der Godävari des Teiles f. Warum Kälidäsa diese Umstellung vor¬
genommen hat, ist noch unerfindlich.
e) Kiskindhä (Räm. IV)
Die drei N und S gemeinsamen Verse des Archetypus** sind in N zu 5,
in S aber zu 18 Versen erweitert worden. S hat nämlich eingeschoben, daß
Räma auf Sitäs Bitte die Frauen der Affen von Kishkindhä einsteigen
und mit nach Ayodhyä nehmen ließ. Sonst spricht Sitä in diesem Gesang
des Heimfluges nicht.
Archetypus: Räma zeigt Sitä Kishkindhä, die Stadt Sugrivas, und
den Rsyamüka-Berg auf dem er mit Sugriva semen Vertrag schloß,
Välin zu töten.
N fügt den Berg Mälyavän hinzu, auf dem Räma die vier Monate der
Regenzeit verbrachte, einsam, ohne Sitä, nur mit Laksmana**.
Kälidäse hat hier in vier Versen nur den Mälyavän geschildert. Dort
hat er seine Tränen, die Wolken haben dort ihr Wasser vergossen (26).
38 III, 58,27A — 58,32B — 52,29C (36D).
3» III, 64,390 (40D). In 69,48ff.A imd 68,45ff.B ist dies anders erzählt.
*" III, 67,10fr.A = 60,llfT.CD. Dies fehlt in 60B.
« III, 64,16fr.C (I6ff.D). Dies fehlt in 69,38ff.A und 68,38ff.B. Entfernt ist III, 78,12B zu vergleichen.
*2 Vgl. Khara in Bghv. XII, 42; s. u. Abschnitt f.
43 _ 24B — 22cd, 23abC — 24D
39cdef — 27 — 38cd, 39ab — 39
40 _ 28 — 39cd, 40ab — 40
** 37 f. A — 25 fB. Vgl. IV, 21A — 27B — 28CD.
Dieses Motiv erinnert an des Dichters Wolkenboten, Vers 3: der ver¬
bannte Yaksa hält trotz seiner Sehnsucht nach der fernen Geliebten
beim Anblick der ersten Wolke der Regenzeit doch die Tränen zurück
(Kommentar: wegen seines erhabenen Charakters), kann sich aber nur
mit Mühe aufrecht halten; auch Glückliche werden ja beim Anblick der
ersten Wolke bewegt, wieviel mehr von der Geliebten Getrennte ? —
Reisende strebten ja im alten Indien, bei Eintritt der Regenzeit wieder daheim zu sein.
Räma litt auf dem Mälyavän gerade unter der Schönheit der Natur,
weil er allein war (27). Nur mit Mühe überstand er das seine Höhle er¬
füllende Donnern (nicht etwa aus Furcht, sondern wegen der Qual der
Trennung), weil er sich erinnerte, wie Sitä ihn früher beim Donnern
furchtsam zitternd umarmt hatte (28).
Während Räma im Archetypus des Heimfluggesanges an dieser Stelle
seine früheren Klagen auf dem Mälyavän nicht berührt und N sie nur
kurz erwähnt hatte, ist im alten Epos während jener Regenzeit aus¬
drücklich wenn auch sehr kurz erwähnt worden, daß Schlaflosigkeit,
Sorge, Tränen und Kummer ihn quälten*^, Laksmana ihn aber mahnte,
sich zusammenzunehmen. Kälidäsa läßt ihn weit eingehender an seine
Leiden denken und sie jetzt vor Sitä ausbreiten.
f) Räma suchte Sitäs Weg (Räm. 15—72 C).
In dreieinhalb Versen schilderte Räma im Archetypus** den See
Pampä, an dem er klagte, an dessen Ufer er die Askethi Sabari traf und
in dessen Umgegend er das Ungeheuer Kabandha erschlug; weiter die
Gegend Janasthäna mit einem großen Baum, auf dem der Geier Jafäyus
hauste, der ,, deinetwegen" von Rävana erschlagen wurde.
Das „deinetwegen" klingt hier beinahe wie ein leiser Vorwurf, büßte
der Geier, der Freund Rämas und Dasarathas doch bei dem Versuch,
Sitä zu retten, sein Leben ein. Ein ernsthafter Vorwurf aber kann hier
ebensowenig von Räma gemeint sein, wie an den oben erwähnten anderen
SteUen dieses Ausdruckes, eher ein gewisses Bedauern.
ND fügen, vermutlich durch das Wort Janasthäna angeregt, hinzu,
daß dort Khara mit seinen 14000 Dämonen von Räma erschlagen
wurde*'. — Der Teil Janasthänas, den Khara mit seinen Dämonen mi-
" IV, 20,9ff.A — 26,8fr.B — 27,31ff.C (SOcdff.D).
" 41A — 29B — 40cd f.C — 41D
42 — 30 — 4Icd f. — 42
43ed,44 — 31cd.32 — 42cd,43 — 43.
45A — 33B, ähnlich ist 44abcdD. Die Zeüe 45efA, die in B keine ParaUele hat, ist nach 8cdA = 8cdB gebildet.
Rämas Heimflug im Rämäyana und Raghuvamia 583
sicher machte, hegt aber erst weiter nördhch, und Khara dürfte erst im
folgenden Teil g, und dort etwa als 3. Punkt erwähnt werden.
Kälidäsa hat hier wiederum die Kämpfe des Ungeheuers und des sich
opfernden Geiers fortgelassen, auch die merkwürdige Sabari, eine
Dienerin des Asketen Mätanga, die aus dem Dschungelstamm der
Öabara stammte**. Er hat nur in drei Versen den Pampä-See besungen,
den Räma tief unter sich, in seine Wälder eingebettet liegen sieht (30).
Der Held denkt daran, wie er damals auf die dort vereinten Cakraväka-
Pärchen mit Sehnsucht blickte, war er doch selber von Sitä weit ge¬
trennt (31). Als er einst weinend eine Liane, die er jetzt wiedererkennt, umarmen wollte, weil sie, geneigt unter der Last ihrer Blütendolden, einer
Erau mit schweren Brüsten glich und ihm die wiedergefundene Sitä zu
sein schien, hielt Laksmana ihn davon ab (32).
Cakraväka gehören nach altindischem Brauch zu einer solchen See¬
schilderung und werden auch im Archetypus beim Pampäsee erwähnt*' ;
insbesondere aber hat A in einem Verspaar Räma seinem Bruder
Laksmana dort einen Cakraväka preisen lassen, der seinem Weibchen
wie ein Schatten folgt und der ihn, Räma, den Toren, klug zurechtweist :
So behütet man sein Weib, während Du es unterlassen hast !^ Daraus ist
freilich kaum zu schließen, daß der Interpolator von A diese Stelle
Kälidäsas habe überbieten wollen oder daß Kälidäsa dieses in A gelesen
habe. Ein Cakraväkapärchen, das nach indischer Dichterfiktion nur tags
vereint, nachts aber getrennt lebt, mit Räma und Sitä zu vergleichen,
lag nahe.
Die Szene mit Laksmana und der Liane hat Kälidäsa nicht im Rämä¬
yana gefunden ; sie klingt wieder an Purüravas an, der im IV. Akt von
Kälidäsas Drama eine Liane in seinem Liebeswahn für die verlorene und
gesuchte Urvasi hielt, umarmte und märchenhaft belohnt wurde, da
Urvasi tatsächlich in diese Liane verwandelt worden war und jetzt ent¬
zaubert wurde.
g) Sitäs Entführung (Räm. III, 5 — 15 C).
Etwas weiter erblickt Räma die Laubhütte, aus der Rävana Sitä be¬
trügerisch entführte, dann die Godävari mit der Einsiedelei des Agastya
■und schließlich die Einsiedelei des Sarabhahga, in der Räma damals auf
seiner Wanderung mit Sitä und Laksmana den Götterkönig Indra traf.
*' Über die Öabari vgl. W. Ruben, Über die ethische Idealgestalt des Räma, Studia Indologica, Festschrift Kirfel, Bonn 1955, 292f.
" III, 82,36A — 79,27B — IV, 1,65CD
48 — 40 — 98.
III, 82,52f.A.
Diese drei Verse, die je einen Ort kennzeichnen, dürften dem Archetypus gehören^!.
N hat einen Vers über Sürpanakhä eingefügt^^, D einen Halbvers über
Sutiksna^, A noch einen Halbvers über den Prasravana-Berg^, der aber
kein anderer ist als der bereits oben behandelte Mälyavän, hier also fehl
am Platze ist.
Kälidäsa hat statt der drei ganze vierzehn Verse. Er beginnt mit der
Grodävari, deren Wasservögel gleichsam Sitä entgegenfliegen (33), und
fährt mit Pancavati fort, jenem Dschungelstück, in dem Sitä junge
Mangobäumchen mit Wasser aus ihrem Kruge begoß (34), wie Kälidäsa
es ähnlich von Sakuntalä in seinem Drama schilderte.
Dort hat Räma, wie er sich jetzt freudig erinnert, einst, von der Jagd
an der Godävari zurückgekehrt, heimlich^* im Walde sein Haupt in
Sitäs Schoß gelegt und ist eingeschlafen (35). — Eine solche Szene findet
sich wiederum im Rämäyana dort nicht, wo Räma mit Sitä und Laksmana
einen Winter in einer Laubhütte in Paficavati verbringt^*. Kälidäsa hatte
aber im vorhergehenden Gesang des Raghuvarnsa XII, 2 Iff. eine einer
Szene des Rämäyana ähnliche Szene wiedergegeben; Räma schlummerte
einst am Citraküta^' im Schatten eines Baumes mit dem Haupte in Sitäs
Schoß ein, und eine freche Krähe zerkratzte Sitäs Brust, bis Räma sie mit
seinem Pfeile traf. Diese Fassung paßt am besten zu der südlichen Version,
in der Räma, nach einem Bade ermüdet, in dieser Lage ruhte^*, während
in der nördlichen Version damals Sitä umgekehrt auf Rämas Schoß
ruhte^'. Kälidäsa hat also dieses Motiv vom Citraküta in Pancavati
wiederholt, wo die Laubhütte stand, aus der Sitä dann entführt wurde.
Den Winter in Paficavati zu verbringen, war den Dschungelwanderern
von Agastya geraten worden.
Weiter zeigte Räma Sitä die Einsiedelei des Agastya, der bloß durch
ein Zusammenziehen seiner Brauen Nahusa aus seinem Indra-Amt
stürzte (36). Nahusa war einst nach epischer Sage an Indras Stelle König
im Himmel, war aber übermütig despotisch gegen die Weisen und wurde
von Agastya durch einen Fluch"" aus dem Himmel gestürzt.
" 46A — 34B — 44cd, 45abC — 45D
48ab, 49ab — 36 — 45cd, 46ab — 46
49cdef — 37 — 46cd, 47ab — 48.
62 47A — 35B. 53 47j)^ vgi_ unten zu Rghv. Vers 41. " 48cdA.
" heimlich vor Laksmana. ^« III, 20f A — 21f.B — ISf.CD.
" S. u. Abschnitt h.
V, 38,140: samupävisah (Tilaka: samupävisto 'bhüh). Aber D ib.: sa7n-
upävisam (nur einige Manuscripto wie C).
V, 35,13A — 36,33B. Der Schlaf fehlt in der Parallele: II, 109,40ff.A — 105,38ff.B — prak?. nach 95, Vers 39ff.C (38ff.D).
" Mbh. XIII, 100,24; xn, 342,51; V, 17,13£f.
Rämas Heimflug im Rämäyana und RaghuvarnSa 685
Das Rämäyana erwähnt diesen Mythos bei Agastyas Einsiedelei nicht.
Agastyas Opferfeuerrauch erreicht Räma, und er fühlt sich dadurch
von aller Leidenschaft geläutert und leicht*^ geworden (37).
Räma weist Sitä danach den See der ,, Fünf Apsarasen" des Einsiedlers
Sätakarni, der von Ferne wie eine Mondscheibe zwischen Wolken er¬
scheint (38). Er, der mit den Gazellen nur von Gras lebte, wurde durch
Indra von fünf Apsarasen verführt (39)*^. Von ihm in seinem Unter¬
wasserschloß dringt die Musik seiner Trommel und seines Giesanges bis zu
Rämas Gefährt und läßt seine oberen Räume widerhallen (40).
Im Rämäyana heißt dieser Musiker Mändakarni oder Mändakarni**,
und diese beiden Namensformen tauchen auch hier und da in Hand¬
schriften Kälidäsas auf.
Weiter zeigt Räma Sitä den Einsiedler Sutiksna**, der zwischen vier
Feuern Askese treibt, während die Sonne auf ihn herabbrennt (41). Ihn
zu verführen genügten die von Indra veranlaßten verlockenden Gesten
der Götterhetären samt dem Lachen, den Blicken und dem leichten Hin¬
weis auf ihren Gürtel nicht (42). Er, der als Asket mit ständig erhobenen
Armen dasteht, grüßt mich mit dem rechten Arm (? 43)*^. Er nimmt meine
Verneigung, da er stets schweigt, nur mit einer leisen Bewegung'* seines
Kopfes entgegen und richtet seinen Blick wieder auf die Sonne, die jetzt
nicht mehr von unserem Luftgefährt verdeckt wird (44).
Im Archetypus des Rämäyana wird dieser Waldeinsiedler nur kurz
als ,, einer mit schrecklicher Askese" charakterisiert*'; alles andere hat
Kälidäsa wohl erfimden, insbesondere seinen Gegensatz zu dem vorher
behandelten Verführten. Die starre Haltung, das Schweigen und den
ständig die Sonne verfolgenden Blick kann man heute noch an indischen
Asketen beobachten**. Wie Sutiksna hier, so sitzt Pärvati in Kumära¬
sambhava V, 20 zwischen fünf Feuern und kasteit sich.
Schließlich zeigt Räma Sitä die Einsiedelei des Sarabhahga, der nach
langem Opferleben seinen eigenen Leib im Feuer opferte (45). Jetzt noch
steht seine Gabe für die Gäste unter den Bäumen, die gleichsam seine
trefflichen Söhne sind. Sie vertreiben ja mit ihrem Schatten die Weg¬
müdigkeit und sind reich an Früchten (46).
Vgl. laghimä in Yogasütra III, 45.
^2 Vgl. Arjuna und die fünf Apsarasen bei Pancatlrtha in Südindien im
Mbh. 1, 216 f. ;zit. Kathäsaritsägara 33,28. Diese erinnern wieder an Hanumäns
Abenteuer Räm. VI, 82B.
«3 Mändakarni : III, 11,110 (12D mit v. 1. Mändukarni); Mändakarni:
15, IIB mid zwei Mss. von D. Aber Madakarni in 12,11A.
S. o. Anm. 53 :D. Vgl. PW s. v. prädhvam.
6« kampa. " ugratapas: III, 8,12A — 11,10B — 7,13CD.
«8 Vgl. den Asketen auf Abb. 93 bei H. Tichy, Zum heiligsten Berg der
Welt, Wien 1937. Ich sah ihn 1937 bei Risikesh, er starrte stets in die Sonne.
Nach dem Rämäyana woUte gerade Indra Sarabhahga m den Himmel
holen, als Räma mit Sitä und Laksmana zu ihm kam. Der Asket verwies
Räma an Sutiksna und verbrannte sich dann selber. Andere Asketen
kamen und baten Räma um Schutz gegen Dämonen*'. So kam Räma zu
Sutiksna zum Pampäsee und zum See der fünf Apsarasen.
Während also das Rämäyana in diesem Teil in drei Versen zwei Ein¬
siedeleien streift, hat Kälidäsa in vierzehn Versen fünf Einsiedeleien liebevoll ausgemalt.
h) die letzte Strecke des Fluges (aus Räm. II)
Die acht Verse des Archetypus scheinen in CD ziemlich wörtlich er¬
halten zu sein imd sind in B zu 10, in A zu 14 Versen erweitert. Erwähnt
wird die Einsiedelei des Atri, daim die Stelle, wo Räma den bösen
Virädha erschlug. Dann wird erst die fromme Asketin erwähnt, die nach
dem Kommentar Anasüyä, Atris Frau, sein soll. A hat ihren Halbvers
durch einen zweiten, der eben diesen Namen nennt, ergänzt und den
ganzen Vers vor Virädha gestellt. Weiter gelangt Räma zum Berg
Citraküta,, wo ihn einst sein Bruder Bharata besuchte. Weiter fliegt Räma
mit Sitä zur Yamunä und zur Einsiedelei des Bharadväja, dann zur
Gangä und nach Srhgaverapura, der Stadt Guhas. Der Flug endet in
Ayodhyä.
A und B fügen bei Anasüyä einen Halbvers hmzu, daß sie Sitä emen
Schmuck schenkte, fügen vor™ oder nach'^ dem Citraküta einen Vers über
die Mandäkini ein, an der Räma für seinen Vater das Totenopfer dar¬
brachte, und nach Srngaverapura emen Vers über den Ingudi-Baum, an
dem Räma mit Sitä und Laksmana nach Überschreiten der Bhäglrathi
(= Ganges) eine Nacht verbrachte'^.
A alleine fügt zu Bharata noch einen Vers über Vasisfha, Vämadeva
und Kaäyapa und alle Städter hinzu'*, und fügt vor Bharadväjas Ein¬
siedelei noch einen Halbvers über Välmikis Einsiedelei ein'*. Bei Srhga-
verapura merkt A in einem Halbvers an, daß Räma dort mit Sumantra
die zweite Nacht verbracht habe'^. A und D schieben vor Ayodhyä einen
Vers über die Sarayü ein, deren Ufer mit Opferpfälilen bekränzt sind'*.
D fügt zum Ganges noch einen Halbvers über seine erblühten Wälder
an".
Kälidäsa hat statt der acht Verse des Archetypus fünfzehn. Er unter¬
läßt es wieder, den Kampf, diesmal gegen Virädha, zu erwähnen, ver-
" III, 6f.A — 9f.B — Sf.CD. '» 53A.
" 42B. " 59A — 45B. '^ 55A. '* 56cdA.
" 58cdA. — Räma verabschiedet Sumantra erst in II, 56,12A — 52,12B —
52,80CD, also nach jener Nacht.
'8 60A — 56D. " 54cdD, nach 60cdA — 56cdD gebildet.
Rämas Heimflug im Rämäyana und RaghuvamSa 587
stellt falschlich Atri und beginnt sofort mit dem Citraküta, den Räma
einem Stier vergleicht (47). Bei ihm sieht er die Mandäkini (48). Hier er¬
iimert er Sitä aber nicht an sein Totenopfer, sondern daran, daß er einmal
von einem Tamälabaum, den er dort jetzt wiedererkemit, einen Schoß
nahm und Sitä als Schmuck ans Ohr heftete (49). Da die Mandäkini nur
in N vorkommt, könnte Kälidäsa hier dessen Version benutzt haben ; dies
ist aber wieder durchaus nicht sicher: N kann hier den Text des Arche¬
typus bewahrt, oder Kälidäsa kann selbständig den Fluß eingefügt haben.
Jetzt erst erblickt Räma die Einsiedelei Atris, dessen Asketenmacht sich u. a. darin zeigt, daß dort die Bäume Früchte ohne Blüten tragen (50).
Damit dessen Asketen baden können, hat Anasüyä die Gangä, die einen
Kranz um das Diadem Sivas bildet und deren Lotuse von den sieben Rsi
gepflückt werden, dorthin geleitet (51). — Atris Einsiedelei liegt im
ßämäyana zwischen dem CitrakOfa und dem Platz des Virädha, also
nicht an der Gangä. Bei Kälidäsa wird die Gangä zwei Verse nach Atris
Einsiedelei behandelt, demnach hat er vielleicht über die geographische Lage dieser Einsiedelei eine etwas andere Vorstellmig als Välmiki gehabt.
Woher er diese Anasüyä-Sage kannte, ist ebenfalls noch nicht geklärt.
Ob sie im Zusammenhang der Mjrthen der Gangä, wie sie vom Himmel auf
Sivas Haupt und dami erst auf die Erde herabfiel, zu suchen ist, erscheint vorerst fraglich'*. Sie sieht eher nach einer Lokalsage aus.
In der Einsiedelei stehen Bäume bewegungslos wie Asketen (52)". An¬
schließend hat Kälidäsa einen Punkt eingeführt, der im Rämäyana an
dieser Stelle des Heimfiuges nicht erwähnt war: Räma weist auf den
Feigenbaum hin, den man den Schwarzen nennt, den Sitä einstmals an¬
flehte, und der jetzt mit seinen Früchten leuchtend dasteht (53) — Im
Archetypus des Rämäyana heißt es, daß Bharadväja die drei Dschungel¬
wanderer aus seiner Einsiedelei über die Yamunä schickte, wo sie diesen
Feigenbaum, den sogenannten Schwarzen, treffen würden; ihn sollte*"
Sitä um Erfolg anflehen. Sie taten so. — Der Baum prangt jetzt mit
seinen Früchten; Sitäs Flehen und ihr Baumkult haben Räma Erfolg
gebracht. — Kälidäsa hat das alte Epos bis in solche recht unbedeutenden
Einzelheiten hinein gekannt und seine Kenntnis deutlich gemacht.
Räma schildert weiter die Gangä unterhalb ihres Zusammenflusses mit
der Yamunä in vier zusammenhängenden Versen. Er vergleicht die
Oangä (wegen ihres hellen Wassers) mit einer Perlenkette, in welche die
Yamunä, die (mit ihrem dunklen Wasser) Saphiren gleicht, eingedrungen
ist, oder mit einem Kranz weißer Lotuse, in die dunkelblaue eingeflochten
" In der Sage der Sagariden (s. o. Anm. 25) fehlt dies.
" S. o. Rghv. Vers 46: Bäume wie Söhne des Asketen.
8» II, 59,5f.A — 56,5f.B — In 55,6f CD fehlt „iti" nach syäma. Mallinätha zitiert II, 55,24D, ähnlich C, anders als 59,15ff.A und 55,15ff.B.
sind, oder mit dem Leib Sivas, der einen Schmuck schwarzer Schlangen
trägt, aber zugleich mit weißer Asche gefärbt ist, usw. (54—57). Räma
preist dann die Stelle der Vereinigung der beiden Ströme, wo die dort
Badenden, selbst weim sie kein erlösendes Wissen besitzen, geläutert
werden, so daß sie keine Wiedergeburt zu erleben brauchen (58).
Im Archetypus des Rämäyana gelangen die drei Wanderer bei der
Einsiedelei des Bharadväja an diese Stelle des Zusammenflusses, nach
Prayäga, ohne daß der alte Epiker über die besondere Schönheit oder
Heiligkeit dieses Platzes ein Wort verlöre*'.
Bei Kälidäsa erblickt Räma danach die Stadt des Nishada-Häuptlings
und erinnert sich daran, wie er dort sein Diadem ablegte, sich Bast als
Gewand umband, und wie Sumantra weinte: „0 Kaikeyi, Deine Wün¬
sche haben Frucht getragen!" (59). — Im Archetypus des alten Epos ist
diese Szene etwas anders. Nur das Anlegen der Bastgewänder, die für die
Einsiedler üblich waren, wird dort erwähnt*^, aber lange vorher haben
nach demselben Archetypus Räma und Laksmana bereits beim Abschied
von ihrem königlichen Vater Bastgewänder angelegt**. Vom Ablegen des
Diadems ist im Archetypus m. W. gar nicht die Rede; man könnte
meinen, daß Räma bereits beim Fasten in der Nacht vor der ihm be¬
stimmten Krönung solchen Schmuck von sich getan habe. — Beim Ab¬
schied von Räma klagte Sumantra, der treue Wagenlenker im Archetypus
zwar von Herzen und wollte Räma in den Wald begleiten, aber die
Worte, die Kälidäsa ihm in den Mund legt, finden sich dort nicht. Sie
ähneln inhaltlich eher denen, die Räma selber klagend in der folgenden
Nacht an Laksmana richtet : Sicherlich schläft jetzt der König Dasaratha schlecht, Kaikeyi aber, deren Wünsche erfüllt sind, darf zufrieden sein**.
Kälidäsas Räma besingt zum Schluß mit vier Versen die Sarayü, die,
wie er nach „autoritativem Wort" versichert, aus dem Mänasarovar-See
entspringt, wie der InteUekt {buddhi) aus dem Unoffenbaren {avyakta)
(60), die ihre Wasser an Ayodhyä vorbeiführt, während an ihren Ufern
Opferpfosten eingegraben sind (61), die Räma als die gemeinsame Amme
aller Bewohner*^ des nördlichen Kosala verehrt (62), die wie Rämas Mutter
vom König Dasaratha getrennt ist und ihn, den fernen Räma, mit ihren
kühlen Wellenhänden gleichsam umarmt (63).
In diesen Versen erinnern nur die Opferpfähle an A und D ; der Dichter
hat die allgemein bekannte, und doch in diesem Gedicht gelehrt wirkende
Säriikhya-Vorstellung vom Intellekt, der aus der Urmaterie entsteht,
" II, 58,5ff.A — 54,5ff. B — 54,5ff.CD.
*2 II, 56,2A — 52,2B — 52,680 (67D).
II, 40,4ff.A — 37,4fr.B — 37,4ff.CD.
8* II, 57,7odf.A — 53,8B — 53,6CD.
*5 Oder aller Herrscher der Kosala (Mallmätha).
Rämas Heimflug im Rämäyana und Raghuvarnsa Ö89
etwas äußerlich zur beinahe richtigen Angabe seiner Autorität (vielleicht
frommer und gelehrter Pilger), die Sarayü entspringe dem Mänasarovar-
See**, hinzugefügt. Drückt der Vergleich des Flusses mit der Amme auch
heimatliche Liebe aus, der letzte Vers mit der Umarmung des Fernen*'
durch die WeUen, ist nicht recht verständlich.
Ergebnisse :
Faßt man die angeführten Einzelheiten zusammen, so ist deutlich,
daß Kälidäsa das Rämäyana benutzt hat, und zwar verwendet er Motive
die manchmal nur in N oder S, nur in A oder in A und D vorkommen ;**
er hat also vielleicht noch einen Text benutzt, der dem Archetypus sehr
nahe stand und noch nicht zu einer der heutigen Versionen entwickelt
war*'.
Kälidäsa hat alles Kämpferische fortgelassen, sowohl die Kämpfe von
Teü a in Lankä, die bei Välmiki eine beträchtliche Rolle spielen, wie die
in f (Kabandha, Jatäyus) und h (Virädha). Damit hat Kälidäsa etwas
mehr als ein Viertel des Alten gestrichen imd den Charakter des Gesanges
wesentlich geändert.
Bei Välmiki ist Räma der Held, der seiner wiedergewonnenen Sitä sein
Kämpferleben in Erinnerung bringt und mit systematischer Ordnung die
Hauptereignisse der letzten vierzehn Jahre wiederholt.
Der Räma Kälidäsas aber spricht nicht von seinen Heldentaten, nicht
von denen seiner Freunde und Helfer, nicht von Sugriva und Välüi und
ihrem Streit, in den Räma eingreifen mußte, nicht von Sitäs Entführung
durch Rävana, und nicht von Rävanas Schwester Sürpanakhä, die von
Räma, Laksmana, aber auch von Sitä durch ihr Lachen (wie es Kälidäsa
in Rghv. XII, 36 f. über den Archetypus hinaus neuernd schilderte) be¬
leidigt wurde ; er läßt auch Virädha aus, der Sitä schon vor Rävana ein¬
mal geraubt hatte. Välmiki hatte Räma zu Sitä sagen lassen, daß diese
Kämpfe ,, deinetwegen" ausgekämpft wurden, worin ein gewisses Be¬
dauern neben einer Art Liebesgeständnis lag. Kälidäsa aber hat alles
fortgelassen, was Sitä irgendwie beschweren könnte, denn eine Frau wie
sie konnte für Kälidäsas Empfinden nicht stolz sein, daß ihretwegen solch
Vgl. Abb. 110 bei Tichy a. a. O. Die Sarayü ist die heutige Gogra; ihr
Oberlauf heißt Karnali und entspringt etwas südlich des Sees (vgl. O. H. K.
Spate, India and Pakistan, London 19S4, Fig. 68 und S. 398). Heute wandern
Pilger zum Kailäs, die von Abnora kommen, in ihrer dritten Woche vier Tage
an der Karnali entlang, haben dann nur noch in einem Tagesmarsch von
8 Meilen den Gurlapaß vor dem See zu überwinden. Kälidäsa selber dürfte
kaum so gewandert sein, könnte aber von Pilgern gehört haben.
^' Mallinätha: düravasantam : prosyägacchantam ity arthah: Umarmung
des aus der Perne Ankommenden. g o Anm. 7. ^9 g ^ Anm. 12.
Blutvergießen notwendig war, und auch mit Virädha, Sürpanakhä und
Rävana verband sie nach Kälidäsa nur bedrückende Erinnerungen.
Kälidäsa hat also seinen Räma ganz anders auf Sitä Rücksicht nehmen
lassen als Välmiki. Der Hofdichter der Guptazeit hat zweifellos mit
vollem Bewußtsein in dieser Weise das alte Epos verändert, er hat es ver¬
bessern wollen. Er verfügt über ganz andere psychologische Möglich¬
keiten als der alte Epiker, er gehört einer späteren, reiferen Stufe der
Entwicklung der indischen Gesellschaft an.
Dasselbe zeigt sich auch darin, daß Kälidäsa mit feiner Freude und
großem suggestiven Können die Elusion des Fliegens im Leser lebendig
werden läßt. Der Dichter dürfte von einem Berge gesehen und mit Genuß
erlebt haben, wie ein Wolkenschatten über die Landschaft dahinzieht,
sonst hätte er Sutiksna nicht mit so knappen Worten schildern können,
dessen ständiger Blick auf die Sonne einen kurzen Augenblick durch
Rämas fliegendes Gefährt unterbrochen war (44). Ähnliches gilt für den
See Pancäpsaras, der von oben betrachtet, zwischen seinen Ufernwäldern
wie der Mond zwischen Wolken hervorlugt (38). Beim Anflug der süd¬
indischen Küste hat der Hofdichter das schnelle Fliegen des glücklichen
Paares betont (17ff.) und den Rauch vom Opferfeuer des Agastya (37)
ebenso wie die Musik des Verführten aus dem Pancäpsaras-See (40) zu
den Fliegenden in ihrer Höhe emporsteigen lassen. Die Musik erfüllt
dabei die Kuppel des fliegenden Gefährts, das wir uns wohl in der Form
der heute noch üblichen Götterwagen zu denken haben, und Sitä streckt
einmal ihre Hand aus seinem Fenster und berührt die Wolken (21).
Välmiki kam gar nicht auf den Gedanlcen, die Luftreise bis in solche
Einzelheiten zu schildern; er verband auch keine Naturschilderung mit
dem Erlebnis des fliegenden, sich liebenden Paares. Erst der späte Hof¬
dichter erging sich in der Beschreibung des Meeres oder ließ Räma Sitä
von seinen Tränen beim Beginn der Regenzeit am Mälyavän erzählen (26).
Er hat denn auch in seinem Wolkenboten das Motiv der Luftreise noch
einmal behandelt, im einzelnen freilich ganz anders (s. u.).
Statt der epischen Kämpfe hat der späte Hofdichter vielmehr Räma
hier und da seine Liebeserinnerungen hervorheben lassen. Er dichtet von
dem Blütenzweig an der Mandäkini, den er der Geliebten ins Ohr steckte
(49), wie er an der Godävari selig in ihrem Schoß entschlummerte (35), wie
ihn die Cakraväkapärchen des Pampä-Sees sehnsuchtsvoll stimmten (31)
und er dort den Aäokabaum umarmen wollte (32), und er fügte aus dem
III. Buch des Rämäyana ein, wie die Pflanzen und Tiere ihm den Süd weg
Sitäs wiesen (e), ein Motiv das er ähnlich im Drama des Purüravas ver¬
wendete. Kälidäsa, der reife Dichter der Liebe, hat aber auch den Ozean
und seine Frauen, die Flüsse, in frohem Spiel der Lippen geschildert (9)
und hat Räma seiner Sitä ziemlich zu Anfang des Fluges, noch über dem
Rämas Heimflug im Rämäyana und Raghuvarnsa 591
Meere, seine Ungeduld, seinen Durst auf ihre Lippen, andeutend gestehen
lassen (16). Solche Töne hat Välmiki in seinem Epos anzuschlagen ver¬
mieden.
Wenn Kälidäsa anmerkt, wie Räma in unmäßigem Liebeskummer von
seinem Bruder Laksmana zurechtgewiesen wird (32), so hat er das frei¬
lich aus dem alten Epos entnehmen können (s. o. zu e). Während seiner
Trennung von Sitä hat der Epiker ja Rämas haltlosen Liebesschmerz
breit ausgemalt. Aber bei der Schilderung des Zusammenlebens dieses
erhabenen Ehepaares hat er in Bezug auf die Liebe große Zurückhaltung
gezeigt. Nicht Liebe bringt z. B. Räma dazu, sich um Sitä zu bewerben,
sondern der Einsiedler Visvamitra führt Räma zu ihrem Vater Janaka,
damit Räma dessen Wunder bogen sähe'", und erst Janaka verbindet Sitä
mit dem Bogen.
Ein Gesang im alten Epos'i; der das Ehepaar auffallend verliebt
schildert, ist im Süden nicht in allen Handschriften überliefert und von
den südindischen Kommentatoren nicht mitbehandelt worden, also
vielleicht aus dem Norden erst in jüngerer Zeit in einige Handschriften
des Südens eingedrungen und deswegen kaum dem Archetypus zuzu¬
rechnen. Er enthält die Begebenheit mit der frechen Krähe (s. o.), die
anscheinend ursprünglich nur im V. Buch von Sitä selber erzählt worden
war, im Norden dann ausführlicher behandelt und zu diesem Gresang des
II. Buches ausgeweitet wurde, und dann erst ein wenig nach Südindien
eindrang.
Dabei ist der Geschichte der Krähe vorausgeschickt, wie Räma und
Sitä ganz zu Anfang ihrer Dschungelwanderung am Citraküfa durch die
Wälder schweifen, sich im schwellenden Grase niedersetzen, während
Räma die Schönheit des Waldes besingt. Sitä setzt sich auf seinen Schoß,
und, indem sie sich auf ihm hin- und herwendet, macht sie Räma Freude-
Räma zeichnet ihr mit Arsenikstaub einen Fleck auf die Stirn und steckt
Blüten in ihre Locken. Wie sie weiterwandern, erschrickt Sitä vor einem
Affen, schmiegt sich an Räma, der sie liebevoll umarmt, und Sitä lacht,
als der Affe von Räma verscheucht ist, darüber, daß sie ihren Stirnfleck
auf Rämas Brust abgedrückt hat. Sie wandern weiter und schmücken sich
gegenseitig mit Blüten. — Selbst hier ist aber nicht von Küssen die Rede.
Der Abstand von Kälidäsas Dichtweise ist mit Händen zu greifen.
Schwieriger ist eine Erklärung dieses Unterschiedes. Dazu ist fest¬
zustellen, daß sinnliche Liebesschilderungen in den altindischen Epen
überhaupt vermieden wurden. Wie Rämas Liebe zu Sitä, so wird auch
die Yudhisthiras zu Draupadi und Krsnas zu Rukmini usw. mit aUer
Keuschheit besungen. Selbst die Liebe Krsnas zu den Hirtinnen wird im
alten Epos nur als Tanz in Mondnächten dargestellt, und die glühende
»» I, 29A — 34B — 31CD. »i II, 109A — 105B — prak§. nach 95CD.
39 ZDMQ 107/3
Liebe einer Rädhä ist erst -wesentlieh später zu dem alten Tanz hinzu¬
gekommen. Auch Motive wie die, daß Krsna badenden Hirtinnen die
Kleider raubte und Brahmanenfrauen verführte, sind jung (begegnen
uns erst im Bhägavatapuräna)'^.
Ein geradezu verlottertes Liebesleben hat Välmiki indessen bei Sugriva
geschildert, wie dieser König der Affen in seinem Frauenhaus sich an der
Liebe seiner beiden Frauen Rumä und Tärä freut und darüber seine
Pflichten Räma gegenüber vergißt'*. Der epische Dichter hat aber trotz
allem ausgesprochenen Tadeln die Ausschweifungen dieses Affenkönigs
nicht im einzelnen dargestellt — ganz anders als Kälidäsa es im letzten
Gesang des RaghuvarnSa bei dem Lüstling Agnivarna getan hat.
Tärä entschuldigt dann Sugriva mit dem Hinweis auf ViSvämitra,
den die himmlische Hetäre Menakä zehn Jahre lang seiner Askese ent¬
fremdete'*. Aber auch bei dieser Geschichte hat Välmiki auf erotische
Einzelheiten verzichtet. Ebenso da, wo er erzählt, wie der Asketenknabe
RsyaSrhga von Hetären verführt wurde'^.
Man stelle auch gegeneinander, wie das Mahäbhärata und Kälidäsa
Sakuntalä schildern: das Epos streift ihre Liebe im Walde ganz kurz,
während der Dramatiker daraus zarte und leidenschaftliche Liebesszenen macht'*.
Es ist also nicht nur so, daß Välmiki als dichterische Persönlichkeit eine andere Art des Dichtens hat als Kälidäsa. Välmikis Art ist vielmehr
allgemein episch. Und obgleich wir andere schöne Literatur aus dem
Indien der Zeit der Epen nicht besitzen (oder darf man die harmlosen
Liebesschilderungen eines Udayana in buddhistischen Texten dazu
heranziehen ?") können wir annehmen, daß diese Art überhaupt alt¬
indisch war'*.
Derbheiten rgvedischer Lieder wie in dem Dialog des Purüravas imd
der Urvasi usw. gehören einer weit älteren Periode" an und sind in ihrer
Art wiederum ganz anders als die Erotik bei Kälidäsa. Man wird demnach
eines Tages bei einer Geschichte der indischen Literatur, wenn man das
Problem der Behandlung der Liebet"" untersucht, sorgfältig auf die
Periodisierung der altindischen Geschichte eingehen müssen. Dann wird
sich herausstellen, daß auch Kälidäsa nicht etwa als Persönlichkeit
alleine steht, sondern daß er zumindest in ASvaghosa mit seinem Sunda-
'2 Ruben (s. o. Anm. 27) lOOff.: rösa-Tanz; 98: badende Hirtinnen; 99:
Frauen der Brahmanen ; 267: Rädhä.
^3 Ruben (s. o. Anm. 14) 309f.
»* Ebda 311. 95 I, 8A — 9B — lOCD.
Vgl. W. Pobzig, Liebesgeschichten (Die wichtigsten Erzählungen des
Mahäbhärata I), Leipzig 1923.
" Vgl. H. Oldenbebg a. a. O. 117ff. Ebda. 193. »' Ebda. 51ff.
Dabei sind Probleme der Tragik, des dharma usw. mitzubehandeln.
Rämas Heimflug im Rämäyana imd Raghuvamäa 593
rananda-Gedicht einen berühmten Vorgänger hatte mid daß er in un¬
gefähr die Periode des Kämasütra gehört. Dann wird man aber auch die
Plastik mit heranziehen und die steif und feierhch dastehenden Ehepaare
aus den Jahrhunderten v. u. Z. den Plastiken und Wandmalereien von
Ajanta usw. mit ihrer oft blühenden Sinnlichkeit gegenüberstellen.
Man wird zu dem Schluß kommen, daß es nicht nur ein Fortschritt der
Dichtkunst war, der bei Kälidäsa ein größeres Können als bei Välmiki
zeigt (s. o.). Man wird eine andere Einstellung der Menschen der ver¬
schiedenen Perioden, d. h. der verschiedenen Stufen der gesellschaftlichen Entwicklung Indiens aufdecken^"!. Die Dichter nährten bei ihren Hörern,
im altindischen Volk, verschiedene Ideale. Välmiki hätte bei seinem
Räma, dieser Idealgestalt des altertümlichen Herrschers, der stets sein
Wort hält, stets beherrscht ist und seine warme Liebe zu Sitä hintanstellt,
wenn es sich um sein Reich, um den Rufseiner Dynastie handelt, niemals
heiße Sinnlichkeit und zuchtloses Betragen geschildert. Kälidäsa aber
hat sogar seinen Gott Siva, den er gläubig verehrte, als heißen, leiden¬
schaftlichen Liebhaber seiner Pärvati dargestellt'"^, wieviel eher einen
Räma, diesen Gotthelden der Vishnuiten, während Kälidäsa Sivait war.
Er hat auch Purüravas und Dushyanta, altmythologische Gestalten, im
Unterschied zu ihren epischen Darstellungen als menschlich-allzumensch¬
lich verliebt auf die Bühne gebracht. Er hat den historischen König
Agnimitra in seinem Drama ebenso wie den mythologischen Agnivarna in
seinem Kunstepos als ausgesprochene Schürzenjäger behandelt. Mag in
Kälidäsas Zeit auch das alte Ideal des selbstbeherrschten Herrschers, wie
es uns Kautalya und Välmiki etwa schildern, noch in manchen Kreisen
und sozusagen amtlich in Geltung gewesen sein'"*, daneben konnte ein
großer Hofdichter wie Kälidäsa es wagen, die menschlichen Schwächen
von großen Gestalten, von Königen und mythologischen Helden wie
Räma'"*, widerzuspiegeln, ohne deswegen als Ketzer und Aufsässiger zu
gelten. Ein solcher Realismus, der im Epos fehlt, war unter neuen ge¬
sellschaftlichen Bedingungen, die wir leider noch nicht im einzelnen
schildern können, zum Durchbruch gelangt. Es war nicht nur das Genie
eines Kälidäsa, Aivaghosa usw. sondern, es war auch ihr Milieu, das die
zu solcher Kühnheit befähigte. Der Räma Kälidäsas spricht etwa wie em
sehr gebildeter Höfling der Guptazeit, der Räma Välmikis wohl eher so,
wie zur Zeit der Nanda-Maurya'"^ ein Mann aus dem Volke sich seinen
Välmikis Text dürfte weit älter als der Archetypus sein.
^»2 Gegen Räm. I, 33,7A — 38,7B — 36,60 (6cd, 7ab D).
über Atithi als solch Ideal vgl. Rüben (s. Anm. 1) 50f.
10* Vgl. ebda. 49.
Vgl. L. Renou a. a. O. 163: Gupta, kävya; 101: Kern des Mbh. im
3.—2. Jhdt. V. u. Z.; 102: Räm. seit 3. Jhdt. v. u. Z.
39*
Herren vorstellen sollte. Wie man dabei die Reste der uns verlorenen
Liebesgeschichten der Brhatkathä und die Liebeslyrik eines Häla ein¬
beziehen wird, ist im einzelnen noch zu klären.
Als Gegenstück zur Liebe ist die Frömmigkeit Kälidäsas hervor¬
zuheben'"*. Er hat (besonders in g) die Einsiedeleien weit breiter ausgemalt
als Välmiki. Da bei ihm die Affenstadt ausgefallen ist, erhält der Leser
den Eindruck, daß der Süden Indiens zu Rämas Zeiten aus ungeheuren
Dschungeln bestand, in denen sich nur hier und da Einsiedeleien be¬
fanden, die durch Rävanas Dämonen bedrängt, durch Rämas Sieg wieder
zu friedlicher Ruhe gebracht waren. Und Rämas Ehrfurcht vor den Wald¬
einsiedlern soll den Leser in dieselbe fromme Haltung, offenbar in Käli¬
däsas Haltung versetzen.
Zu Kälidäsas Frömmigkeit aber gehört es auch, wenn er im Unterschied
zu Välmiki in diesen Gesang eine ganze Reihe mythologischer Motive
einflicht, insbesondere bei der Schilderung des Meeres (b), bei Agastya
(36), bei Anasüyä 51) und dem Ganges (57). Dabei ist auffällig, daß nur
die letzte Stelle seinen Gott Siva erwähnt, während die anderen mehr
oder weniger deutlich vishnuitisch anmuten, insbesondere die in b.
Dabei vergessen Räma, Sitä und auch wohl Kälidäsa, daß Räma selber
Vishnu ist. Kälidäsa, der im Kumärasambhava einen schönen Hymnus
auf Vishnu gedichtet hat, hat Räma die Größe und Veränderlichkeit des
Meeres dadurch den Lesern eindringlich machen lassen, daß er sie zwingt,
mit dem Meere zugleich den großen Gott Vishnu vor ihrem geistigen
Auge zu sehen.
Wir kennen die zeitliche Abfolge der Werke Kälidäsas noch nicht. Die
bereits oben gestreifte Ähnlichkeit und der Unterschied dieses Heim¬
fluges Rämas und des Wolkenboten aber sind zum Schluß kurz zu be¬
trachten. Auch der Yaksa des Meghadüta schüdert die Luftreise der
Wolke eindringlich und mit voUendeter Schönheit im Metrum Mandä-
kräntä, das noch schwieriger zu handhaben ist als das unseres Gesanges.
Aber die Reise geht nicht über südliches Dschungelland mit vereinzelten
Einsiedeleien altmythologischer Asketen, sondern über Nordindien, etwa
der Zeit des Dichters, und die ihm wohlvertrauten Städte wie VidiSä und
Ujjayini werden liebevoll geschildert. Statt der Asketen aber erklärt der
Liebeskranke Yak§a der Wolke, was für Freude sie immer wieder beim
Anblick der schönen Frauen auf der Erde haben whd, sei es daß sie im
Schweiß ihres Antlitzes Blumen sammeln, daß sie den Regen begrüßen
oder sich vor dem Donner fürchten, handele es sich um Hetären oder
übermenschliche Frauen jenseits des Himalaya.
10« Ygj . Religion des Mönchs und der Bajadere ist bezeichnend für Indien
(Ruben [a. Anm. 1] Anm. 71 nach K. Mabx).
Das P'ai-hang-System
in der chinesischen Personennamengebung
Von Wolfgang Bauer, München
Die chinesische Namengebung gehört zu den Gebieten der Sinologie,
die bisher von der europäischen Forschung fast gänzlich außer Acht ge¬
lassen worden sind. Zwar %vurden gelegentlich mehr oder weniger am
Rande liegende Einzelerscheinungen imtersuchtgrundlegende Bildungs¬
gesetze von weittragenderer Bedeutung jedoch bisher noch nicht heraus¬
gearbeitet. Dabei ist es an sich nicht unwahrscheinlich, daß gerade im
chinesischen Sprachraum manche einzig dastehenden Erscheinungen ge¬
funden werden können, bedingt einerseits durch die Eigentümlichkeit der
Sprache, der durch die mangelnde Flexion viele Bildungsmöglichkeiten
fehlen, anderseits durch den „synthetischen" Charakter der Schrift, der
"wiederum eine Reihe von Variationsarten zuläßt, die in anderen Schrift¬
systemen undenkbar sind.
Solch eine Eigentümlichkeit, die weiteste Verbreitung erfahren hat, ist
der Brauch, die Personennamen^ von Brüdern, Vettern, oder überhaupt
Angehörigen derselben Generation, mit einem gleichen Bestandteil oder
mehreren, miteinander in Beziehung stehenden, zu bilden. Diese Er¬
scheinung, im Chinesischen „P'ai-hang" genannt, hat, rein für sich be¬
trachtet, gewisse ParaUelen in anderen Sprachkreisen. So ist bekanntlich
in der Namengebung vieler Völker, wie etwa der russischen, der Vater¬
name allen Brüdern gemeinsam, und in der altgermanischen werden die
Namen der Kinder oft aus den BestandteUen der der Eltern gebUdet, so
daß z. B. die Kinder vonHUdebrand und Gerthüd: Hildegur, HUdethrud,
Brandger, Brandthrüd u. ä. heißen; bisweUen vererbt sich auch ein
Namensglied über ganze Generationen hinweg aus ,,dem Bewußtsein
für die Bedeutung der Sippe" und ,,dem Wunsch, das Neugeborenen
dieser möglichst fest einzugliedern*." Derlei Bräuche wurden aber in
Europa niemals bewußt zu einem komplizierteren System ausgebaut "wie
es in China tatsächlich der Fall war.
1 So etwa die Zusammenhänge zwischen dem Auftreten von Tiemamen im
persönlichen Namen und dem Zyklustier des Geburtsjahres des Namens¬
trägers in zwei scharfsinnigen Studien von P.-A. Boodbebg (Tlie. Chrono-
grammatio Use of Animal Cycle Terms in Proper Names, HJAS Bd. 4 (1939),
273—75, und Chinese Zoographic Names as Chronograms, HJAS Bd. 5 (1940),
128—36). 2 Ming (Haupteigenname) oder Tzu (Mannesname).
* M. Keil, Altisländische Namenwahl, Leipzig 1931, p. 106.