DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
AUSSPRACHE
In der Tat hat die „Welle Aerobic"
in unglaublich kurzer Zeit die deutschen Lande überflutet und alles in den Schatten gestellt, was Sport- und Gesundheitspropagan- da bisher auf diesem Gebiet auf die Beine gestellt haben. „Aero- bic — ) hat selbst die Sportbewe- gung in eine Art Zugzwang ge- bracht, bei dem es im wesent- lichen darum ging, bereits Vor- handenes und Geschehenes in rechte Bahnen zu lenken. Aus- wüchse zu korrigieren und den emotionellen Impetus letztlich für die Beteiligung am regelmäßigen Sporttreiben zu nutzen. Aerobic wird von vielen als Modeverhal- ten, von anderen als neue Sport- form bezeichnet. Ohne dem einen oder dem anderen hierin zu fol- gen, ist es sicher, daß Aerobic sei- ne Beständigkeit erst noch zu be- weisen hat, aber auf der anderen Seite auch einen Weg bietet, be- stimmte Sportarten den Bedürf- nissen der Menschen besser an- zupassen, sie goutabier zu ma- chen.
Aus dieser Sicht sind die Untersu- chungen von Kindermann et al.
gewiß interessant und verdienst- voll, auch wenn sie nur Erwartetes belegen: azyklische, teilweise er- hebliche Belastungen des kardio- vaskulären Apparates und des Metabolismus. Die Belastung un- ter Aerobic ist damit keineswegs ungewöhnlich und entspricht in etwa der Situation bei Kleinfeld- spielen, die allerdings wesentlich schlechter zu beeinflussen ist als etwa der Ablauf der Aerobic- Übungsstunde. Das Bild ist außer- dem unvollständig, da nicht über Verlaufsuntersuchungen berich- tet wird, die allein eine Aussage über positive oder negative adap-
tative Phänomene zulassen, wie sie auch bei nur einstündigem Üben über längere Zeit durchaus eintreten können.
Trotz aller medizinischen Kassan- drarufe und erheblicher Teilneh- merzahlen steht jedenfalls glück- licherweise eines fest: Ernste Zwi- schenfälle oder gar Todesfälle sind zumindest beim Deutschen Sportbund bis heute nicht be- kannt; eine erhebliche Dunkelzif- fer ist angesichts des Schweigens der Presse auch kaum zu vermu- ten. Erfahrungsgemäß finden au- ßerdem Vorgeschädigte schon auf Grund ihrer reduzierten Lei- stungsfähigkeit kaum zu Gruppen mit so vordergründigem Vitalitäts- anspruch. Anfänger und Untrai- nierte regulieren das Tempo im allgemeinen nach Vermögen und finden erst in Phasen geringerer Belastung wieder Anschluß an das Gruppentempo, solange sie noch nicht adaptiert sind. Trotzdem ist Kindermann beizupflichten, wenn er fordert, „daß jeder, der mit Aerobic beginnt, seinen Gesund- heitszustand kennen muß". Das aber gilt für jede sportliche Betäti- gung und nicht in besonderer Weise für Aerobic.
Aerobic ist in erster Linie ein so- ziales Phänomen, sicherlich mit einem physiologischen Hinter- grund, der ärztliches Interesse wert ist. Den Aktiven allerdings dürfte viel stärker die emotionelle Stimulation durch Musik, Klei- dung und die Zielgröße „Äußere Attraktivität" berühren als etwa der Wunsch, durch Aerobic „ge- sünder" zu werden. Er folgt der konzertierten Aktion von Studios, Bekleidungsindustrie, Musikverla- gen und Schallplattenfirmen of-
fenbar begeisterter und leichter als allen wohlgemeinten ärzt- lichen Ratschlägen der Vergan- genheit.
Aus dieser Situation sollte man lernen und nicht durch einseitig und zu eng ausgelegte Untersu- chungsergebnisse eine Entwick- lung zu kritisieren suchen, die in der Zeit liegt und in ihrem Kern gute Ansätze zeigt, auch wenn Negatives neben Positivem zu verzeichnen ist. Den Erfolg von Aerobic gilt es anzuerkennen und aus dieser Sicht die Medizin posi- tiv ins Spiel zu bringen: durch Be- einflussung der Übungspro- gramme, eindeutige Ausschluß- kriterien und Empfehlungen an Patienten. Das Positive an Aerobic sollte aufgegriffen werden, um weitere Menschen der regelmäßi- gen sportlichen Übung zuzufüh- ren, nicht allein um mehr Gesund- heit, sondern auch Lebensfreude, Erholung und Kommunikation, al- so mehr Lebensinhalt zu geben.
Dozent Dr. med. habil.
F. Beuker Notenau 29 5582 Zell/Mosel
Schlußwort
Der Leserbrief von Beuker kriti- siert in erster Linie die fehlende Darstellung nichtmedizinischer Phänomene, die im Zusammen- hang mit Aerobic aufgetreten bzw. zu beachten sind. Damit wird uns nachträglich bestätigt, daß wir nicht vom Thema „Aerobic aus internistisch-leistungsphysiologi- scher Sicht" abgewichen sind.
Außermedizinische Aspekte sind sicherlich im Zusammenhang mit Aerobic nicht unwichtig, deren Darstellung sollte aber Berufene- ren vorbehalten bleiben. Dem Thema entsprechend waren auch in den beiden einleitenden Absät- zen Problem und Fragestellung klar formuliert worden. Verlaufs- untersuchungen standen auf- grund der Fragestellung nicht zur
*) Aerobic-Gymnastik
Aerobic aus internistisch-
leistungsphysiologischer Sicht
Zu dem Beitrag von Professor Dr. med. Wilfried Kindermann et al.
in Heft 34/1983
Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 8 vom 24. Februar 1984 (83) 527
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
FÜR SIE GELESEN Aerobic
Diskussion, denn der Beitrag be- faßte sich nicht primär mit Adapta- tionen des Organismus durch Aerobic. Über den Vorwurf, daß
„nur Erwartetes belegt" wurde, mag jeder Leser selbst urteilen.
Nicht unwidersprochen kann blei- ben, daß Vorgeschädigte kaum zu Aerobic-Gruppen finden und An- fänger oder Untrainierte „das Tempo regulieren". Ich darf in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen von Krüger (1) ver- weisen, der über Erfahrungen mit Aerobic-Gruppen von über 100 (!) Teilnehmern berichtete, wo ins- besondere Untrainierte und Ältere sich von der Gruppe mitreißen lie- ßen und in einzelnen Fällen vom Arzt gegen ihren Willen aus der Gruppe herausgenommen wer- den mußten.
Eine kritische Analyse von Aerobic muß durchaus nicht der Forderung von Beuker, „die Medizin positiv ins Spiel zu bringen", entgegen- stehen. Das Positive an Aerobic herauszustellen, setzt die Kenntnis des Ausmaßes der Belastung für die einzelnen Teilbereiche des Or- ganismus und die daraus eventuell resultierenden Gefährdungen vor- aus. Wenn wir in unserem Beitrag u. a. geschrieben haben, daß
„Aerobic ... als eine durchaus sinnvolle und ergänzende Form sportlicher Aktivität angesehen werden kann, da neben der Aus- dauer auch die für die körperliche Fitneß wichtigen anderen motori- schen Aktivitäten ... trainiert wer- den", dann ist es wohl letztlich eine sehr persönliche Meinung, von
„einseitig und zu eng ausgelegten Untersuchungsergebnissen" zu sprechen.
Literatur
(1) P. Krüger: Aerobic aus der Sicht des Ver- einsarztes. Vortrag Fortbildungsveranstaltung Sportärzteverband Saar (1983)
Professor Dr. med.
W. Kindermann
Lehrstuhl und Abteilung Sport- und Leistungsmedizin Universität des Saarlandes 6600 Saarbrücken
Pulmonale 0 2-Toxizität:
Durch Hyperoxie induzier- te frühe, reversible Ver- änderung der Alveolar- struktur beim Menschen
Zur Untersuchung der frühen Ver- änderungen im unteren Respira- tionstrakt bei Personen, die zeit- weise einer normalerweise als ge- fahrlos erachteten Hyperoxie aus- gesetzt sind, wurde bei 4 Gesun- den eine bronchoalveolare Lava- ge vor und unmittelbar nach 16,7
± 1,1 Stunden einer O 2 Beatmung mit mehr als 95 Prozent Sauer- stoff durchgeführt. Die Hyperoxie erzeugte ein signifikantes alveo- lar-kapillares „Leck", das durch erhöhtes Plasmaalbumin und Transferrin in der Spülflüssigkeit nachgewiesen wurde. Diese 'Ver- änderungen waren reversibel, wie die Wiederholungsspülung bei 4 Personen zwei Wochen nach der Sauerstoffgabe zeigte.
Hyperoxie über durchschnittlich 17 Stunden veränderte die Ge- samtzahl oder Art entzündungs- hemmender und immuner Effek- torzellen, wie die Lavage zeigte, in der Lunge nicht (P > 0,05 bei al- len Vergleichen).
Alveolare Makrophagen von Per- sonen, die einer Hyperoxie ausge- setzt sind, setzten jedoch erhöhte Mengen Fibronektin (P < 0,05) so- wie größere Mengen eines von den Alveolarmakrophagen abge- leiteten Wachstumsfaktors für Fibroblasten (P < 0,01) frei, Me- diatoren, die bei der Regulation der Fibroblasten-Rekrutierung und -Proliferation in der Alveolar- wand eine Rolle spielen.
Die Autoren folgern, obwohl eini- ge der Auswirkungen der Exposi- tion mit mehr als 95 Prozent Sau- erstoff bis zu 17 Stunden reversi- bel sind, daß die Hyperoxie — selbst für diesen kurzen Zeitraum
— die strukturellen oder funktio- nellen Barrieren, die normaler- weise das alveolar-kapillare
„Leck" verhindern, reduziert und
Prozesse induziert, die in einer Fibrose der Alveolarwand gipfeln
können. Dpe
Davis, W. B.; Rennard, S. I., et al.: Pulmonary Oxygen Toxicity — Early Reversible Changes in Human Alveolar Structures Induced by Hyper- oxia, The New England Journal of Medicine 309 (1983) 878-883, Dr. R. G. Crystal, Bldg. 10, Rm. 6D-20, National Institutes of Health, Be- thesda, MD 20205, USA
Todesursachen nach Nierentransplantation
Von September 1974 bis August 1979 wurde bei 209 Patienten in Denver eine erste Nierentrans- plantation vorgenommen.
Im Nachsorgezeitraum von 2,5 bis 7,5 Jahren starben 54 Patienten (26 Prozent). Infektion war die Haupttodesursache während des gesamten Untersuchungszeit- raums (22 Patienten, d. h. 41 Pro- zent der 54 Todesfälle). In erster Linie endeten Pneumonien letal.
Weitere Todesursachen waren Kreislaufversagen bei 11 Patien- ten (20 Prozent), Suizid bei 8 Pa- tienten (15 Prozent), gastrointesti- nale Störungen bei 7 Patienten (13 Prozent), Malignome bei 2 Pa- tienten (4 Prozent) und diverse Ur- sachen bei 4 Patienten (7 Pro- zent). 26 (48 Prozent) der 54 To- desfälle ereigneten sich mehr als 1 Jahr nach der ersten Transplan- tation, 12 dieser 26 Patienten wa- ren bereits wieder chronisch Hä- modialyse-abhängig.
Nach Ansicht der Autoren müssen Patienten und Ärzte zur Minimie- rung der Letalität nach der Trans- plantation wachsam sein gegen- über den wachsenden Risiken, denen die Patienten ausgesetzt sind, einschließlich der Risiken ei- nes plötzlichen Todes durch In- fektion, Myokardinfarkt, Lungen- embolie, Suizid oder GI-Trakt-Per- foration. Dpe
Washer, C. F.; Schröter, G. P. J., et al.: Causes of Death After Kidney Transplantation, JAMA 250 (1983) 49-54, Dr. R. Weil, Box C-304, Uni- versity of Colorado Health Sciences Center, 4200 E Ninth Ave, Denver, CO 80262. USA
528 (84) Heft 8 vom 24. Februar 1984 81. Jahrgang Ausgabe A