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B R E N N P U N K T

22 Physik Journal 14 (2015) Nr. 12 © 2015 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

B

ei der Pilzsuche im Wald möchte man den Korb mög- lichst schnell mit leckeren Pilzen füllen. Doch wie sucht man effi- zient nach diesen Köstlichkeiten, wenn man nicht weiß, wo sie wach- sen (Abb. 1)? Diese Frage ist nicht nur für Pilzsucher relevant. Sie spielt auch eine zentrale Rolle, um zu verstehen, wie weiße Blutzellen effizient Erreger neutralisieren, welche Flugzeiten Albatrosse bei der Nahrungssuche hinter sich bringen oder wie sich die Jagd nach U-Booten optimieren lässt [1–3]. Bei der Suche nach einer theoretischen Antwort auf diese Frage ist Marie Chupeau, Olivier Bénichou und Raphaël Voituriez aus Paris nun ein Durchbruch gelungen [4].

Im gesellschaftlichen Bereich ist die Entwicklung effizienter Suchstrategien als „Operations Research“ etabliert, die mathema- tische Optimierung von Organi- sationsproblemen. Beispiele sind die Suche nach Lawinenopfern, Schiffbrüchigen oder Minen. In Bio logie und Ökologie ist „Search Research“ [5] über die letzten zwei Jahrzehnte in den Brennpunkt gerückt. Die neue Disziplin der

„Movement Ecology“ untersucht Strategien der Nahrungssuche – von Insekten in Blumenwiesen über tauchende Fische bis hin zu Affen,

die sich durch den Urwald hangeln [3]. Besonders populär ist dabei die Lévy-Hypothese [1]. Sie besagt, dass für zufällig verteilte, ruhende, wiederauffüllbare Nahrungsquellen geringer Dichte besonders lange Lévy-Flüge die Suchzeit minimie- ren.1) Für eine Hummel, die in einer Wiese nach seltenen Blumen sucht, sind die Fluglängen ℓ idealerweise nach einem Potenzgesetz verteilt:

P(ℓ) ~ ℓ–1–μ mit einem Exponenten 0 < μ < 2.

Vor über sechzig Jahren bewie- sen Gnedenko und Kolmogorow mathematisch, dass solche Lévy- Verteilungen einem zentralen Grenzwertsatz gehorchen [6]. Die- ser verallgemeinert den zentralen Grenzwertsatz für Gauß-Vertei- lungen, der erklärt, warum sich Brownsche Bewegung in einer Viel- zahl physikalischer Phänomene be- obachten lässt. Lévy-Flüge sind ef- fizienter als Brownsche Bewegung, um weit verteilte Nahrungsquellen aufzuspüren. Gauß-Verteilungen fallen für lange Fluglängen schnel- ler ab als Potenzgesetze, was eine kleinere Wahrscheinlichkeit für weite Sprünge bedeutet. Brownsche Bewegung ist dagegen besser ge- eignet bei höherer Dichte der Nah- rungsquellen. Die empirische Über- prüfung der Lévy-Hypothese ist jedoch umstritten. In der Literatur wird nicht nur der experimentelle

Nachweis von Lévy-Verteilungen durch die Analyse bio logischer Da- ten kontrovers diskutiert [7]. Auch deren Interpretation zur Optimie- rung von Suchzeiten ist unklar. Bei einem Affen im Urwald, der nur bestimmte Früchte frisst, bleibt fraglich, ob dessen Lévy-Sprünge durch die Verteilung der dazuge- hörigen Baumart bedingt sind oder ob sie eine evo lutionär adaptierte, genetisch verankerte Überlebens- strategie darstellen [6].

Theoretisch ist die Lévy-Hypo- these bis heute nicht bewiesen.

Ursprünglich war sie durch Com- putersimulationen motiviert [1].

Für bestimmte Zufallsbewegungen lassen sich „Mean First Passage Times“ (MFPT) analytisch ausrech- nen: Diese Zeiten benötigt ein sich zufällig bewegendes Punktteilchen, um zum ersten Mal eine bestimmte Grenze zu überschreiten, was als das Aufspüren einer Nahrungsquel- le zu deuten ist [2, 3]. Die Theorie der MFPT beschreibt allerdings nur, wie schnell etwa eine Hum- mel eine einzige Blume findet. Sie kann nicht erklären, mit welcher Strategie ein Insekt viele oder alle Blumen aufsucht.

Um dieses Problem zu lösen, haben sich die Pariser Theoretiker des mathematischen Konzeptes der

„Cover Time“ bedient, was in etwa

„Überdeckungszeit“ bedeutet. Diese

Abb. 1 Gesucht sind die Standorte aller zufällig verteilten Pilze in einem vorge- gebenen Bereich. Die Zeit, alle Pilze auf-

zuspüren, ist nur dann minimal, wenn die Suchzeit für einen Pilz minimiert wurde.

Extrem gesucht

Die Optimierung von Suchzeiten ist verknüpft mit der Vorhersage extremer Ereignisse.

1) Für die wissenschaft- liche Praxis sind die den Lévy-Flügen verwandten so genannten Lévy Walks realistischer [6].

Abb. 2 Analysiert man verschiedene Zufallsprozesse (farbige Punkte) in unterschiedlichen Dimensionen durch Monte-Carlo- Simulationen, fallen alle Statistiken für die Suche nach Knoten in einem Netzwerk auf dieselbe theoretisch berechnete Master- kurve (durchgezogene Linie).

Cover Time-Verteilung

10–1

10–2

10–3

10–4

10–5 –2,5

Brownian 3D Persistent 3D Intermittent 3D Lévy flight 3D Lévy walk 3D Lévy walk 2D Erdős-Rényi Theoretical expression Lévy flight 2D Lévy flight 1D Intermittent 2D Intermittent 1D Persistent 2D optimal

reskalierte Full Cover Time (τ – 〈T〉 ln N) / 〈T〉

0 2,5 5 7,5 10 12,5 15 17,5 20

nach [4] nach [4]

Dr. Rainer Klages, MPI für Physik kom- plexer Systeme, Dresden und School of Mathema tical Sci- ences, Queen Mary Univ. London, UK

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B R E N N P U N K T

© 2015 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Physik Journal 14 (2015) Nr. 12 23 Zeit benötigt ein Teilchen, um M

beliebige Knoten in einem aus N Verknüpfungspunkten bestehen- den Netzwerk aufzusuchen. Zur Modellierung eines biologischen Systems werden die M Knoten als Futterquellen identifiziert. Die zufälligen Flüge erfolgen entlang der vordefinierten Verbindungs- linien zwischen den Knoten des vorgegebenen Netzwerkes. Dabei zeigte sich, dass für eine Vielzahl generischer Zufallsbewegungen die Wahrscheinlichkeitsverteilung der Cover Time die universelle Form

P(x) =  __ p! 1 exp (– (p + 1)x – e–x) annimmt, mit p = N – M und x = τ /<T> – ln N für N, M → ∞ (Abb. 2).

Die „Partial Cover Time“ τ = τ (M, N) ist die Zeit, die nötig ist, um M beliebige Knoten des Netz- werkes aufzusuchen, und wird im Fall von M = N, wenn alle Knoten besucht werden, zur „Full Cover Time“. <T> ist der Mittelwert der MFPT zu einem gegebenen Knoten gemittelt über alle Startbedin- gungen. In der Theorie extremer Ereignisse ist diese Verteilung als Gumbel-Verteilung wohlbekannt.

Sie modelliert, mit welcher Wahr- scheinlichkeit z. B. Erdbeben, Sturmfluten oder Börsencrashs stattfinden.

Dieses Resultat lässt sich durch ein einfaches Modell verstehen [8]:

Auf einem Netzwerk aus N Knoten besucht man zufällig einen Knoten mit der Wahrscheinlichkeit 1/N.

Diesen Prozess wiederholt man, bis M beliebige Knoten gefunden sind.

Eine einfache Rechnung liefert, dass für N, M  →  ∞ die Verteilung der partiellen Cover Time τ die obige Gumbel-Verteilung ist, wie für alle anderen in [4] untersuchten Zufallsprozesse. Die Wahrschein- lichkeit, einen der verbliebenen N – M Knoten zu finden, muss für alle letzten Knoten dieselbe sein.

Dieses einfache Argument erklärt, warum die Verteilung der Partial Cover Time in diesem Grenzfall eine universelle Form hat. Sie wird allerdings durch die Statistik der MFPTs bestimmt, was zu einer er- staunlichen Schlussfolgerung führt.

Kennt man die kleinste MFPT für

die Suche nach einer einzelnen Nahrungsquelle, so optimiert man damit gleichzeitig die Suche nach beliebig vielen Nahrungsquellen.

Für den Pilzsucher sind die Kon- sequenzen unerwartet. Nutzt er irgendeine Suchstrategie, kann er die Suchzeit aufgrund der univer- sellen Statistik nicht optimieren, weil die letzten Pilze immer extrem schwer zu finden sind. Kennt der Pilzsucher allerdings die optimale Suchstrategie, um den ersten Pilz zu finden, so kann er darüber die Suche nach allen optimieren. Leider ist die Suche nach der optimalen Strategie für den ersten Pilz ein nichttriviales Problem [2, 3].

Offen bleibt, inwieweit sich diese Theorie auf räumlich kontinuier- liche Dynamiken, die nicht auf Netzwerken stattfinden, übertragen lässt. Im Hinblick auf nahrungs- suchende biologische Organismen stellt sich die Frage, wie robust die- se Resultate sind. Biologisch rele- vante Bedingungen, die nicht durch die Theorie abgedeckt werden, wie z. B. Dynamiken mit „Gedächtnis“, bei denen einzelne Schritte nicht un abhängig vonein ander sind, könnten die Univer salität der Statis- tik zerstören.

Rainer Klages [1] G. Viswanathan, M. da Luz, E. Raposo und H. Stanley, The Physics of Fora- ging, Cambridge University Press, Cambridge (2011)

[2] O. Bénichou, C. Loverdo, M. Moreau und R. Voituriez, Rev. Mod. Phys. 83, 81 (2011) [3] V. Méndez, D. Campos und F. Bartume-

us, Stochastic Foundations in Move- ment Ecology, Springer, Berlin (2014) [4] M. Chupeau, O. Bénichou und

R.Voituriez, Nat. Phys. 11, 844 (2015) [5] M. Shlesinger, Nature 443, 281 (2006) [6] V. Zaburdaev, S. Denisov und J. Klafter,

Rev. Mod. Phys. 87, 483 (2015) [7] M. Buchanan, Nature 453, 714 (2008) [8] E. Barkai, Nat. Phys. 11, 807 (2015)

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