A 1612 Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 108|
Heft 30|
29. Juli 2011NOVELLIERUNG DER EU-RICHTLINIE FÜR ARZNEIMITTELFORSCHUNG
Ethikkommissionen fürchten Einschnitte
Kritische Anmerkungen bei der Sommertagung des Arbeitskreises zur angestrebten Harmonisierung der klinischen Prüfung von Arzneimitteln
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as Thema Europa zog sich wie ein roter Faden durch die diesjährige Sommertagung des Ar- beitskreises medizinischer Ethik- Kommissionen Ende Juni in Berlin.Ob der Prozess der Harmonisierung eher als Gefahr für den Bestand der Ethikkommissionen zu betrachten ist, bedarf sorgfältiger Prüfung.
Diese Auffassung vertritt jedenfalls der Vorsitzende des Arbeitskreises, Prof. Dr. med. Elmar Doppelfeld, Köln. So solle zwar nach dem Vor- schlag für eine Revision der Richt- linie 2001/20/EG das nach natio - nalem Recht etablierte System der Beratung durch Ethikkommissio- nen im Grundsatz unangetastet blei- ben. Es gebe aber deutliche Bestre- bungen, die Zuständigkeit der Ethikkommissionen etwa nach dem Beispiel der Verhältnisse in Groß- britannien oder in Frankreich einzu- schränken und ihnen die Beurtei- lung der wissenschaftlichen Quali- tät und der rechtlichen Zulässigkeit von Projekten zu entziehen. „Hier- gegen müssen wir uns mit allem Nachdruck wenden“, betonte Dop- pelfeld. Es könne nicht angehen, dass eine Ethikkommission bei der Beurteilung eines Forschungsvor- habens an Atteste über die rechtli- che Zulässigkeit und die wissen- schaftliche Qualität gebunden sei, die andere Gremien erteilt hätten.
Unterschiedliche Versorgungssysteme
Dass es zahlreiche Schwierigkeiten für die Harmonisierung der Ar- beitsweisen der Ethikkommissio- nen in der Europäischen Union ge- be, bestätigte auch Prof. Dr. med.
Joerg Hasford, München. So beste- he ein Problem darin, dass es hoch- gradig unterschiedliche historische
Erfahrungen, kulturelle Einstellun- gen und gewachsene Abläufe im Bereich der medizinischen For- schung und innerhalb der Ethik- kommissionen gebe. Unterschied- lich seien auch die Versorgungssys- teme und -standards sowie die rechtlichen Regelungen, beispiels- weise im Bereich der Versicherung und der Patientenaufklärung. Has- ford geht jedoch trotz aller Proble- me davon aus, dass eine weitere Harmonisierung der Verfahrensab- läufe bei klinischen Prüfungen un- ausweichlich sei.
Doppelfeld bedauerte es, dass es auf der Ebene der Europäischen Union keine länderübergreifende Vertretung der nationalen Ethik- kommissionen als Partner der EU- Kommission, der pharmazeutischen Industrie und der Wissenschaftsver- bände gebe. Ein erster, von der Eu- ropäischen Kommission finanzier- ter Versuch, ein solches Netzwerk nationaler Repräsentationen von Ethikkommissionen einzurichten, sei gescheitert. Die Kommission habe das auf zwei Jahre befristete Projekt dann neu ausgeschrieben und um die Jahreswende 2010/2011 dem Deutschen Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften in Bonn den Zuschlag erteilt. Die ersten Beratungen des Projekts EU- RECNET seien im Februar aufge- nommen worden. „Die Europäische Kommission hat es leider abge- lehnt, den Arbeitskreis medizini- scher Ethik-Kommissionen, immer- hin eines der ältesten Netze natio- naler Ethikkommissionen, als Teil- nehmer des Projektes anzuerken- nen, da er kein eingetragener Verein ist.“ Wenn der Arbeitskreis bei der anstehenden Änderung der Satzung die Umwandlung in einen eingetra-
genen Verein beschließe, solle nachträglich die Aufnahme in das EU-Projekt beantragt werden.
Über Probleme, die die Harmo- nisierungsbestrebungen auf EU- Ebene den Patienten bereiten, be- richtete Jan Geißler, Erster Vor - sitzender des Patientennetzwerks LeukaNET. Seiner Ansicht nach sind die Clinical Trial Directives 2001/20/EC und 2005/28/EC, die eigentlich die Sicherheit und Rech- te der Patienten und Probanden so- wie die Harmonisierung in Europa verbessern sollten, ein „Fehlschlag aus Patientenperspektive“. Geißler:
„Wir sehen einen großen Rückgang der Anzahl der Studien, und wir se- hen auch einen starken Rückgang der teilnehmenden Studienzen- tren.“ Geißler bedauert außerdem den zunehmenden Trend zur Ver- drängung der akademischen For- schung zugunsten der Industriestu- dien. Dadurch würden auch die – gerade in Deutschland sehr gut ar- beitenden – Forschungskompetenz- netzwerke behindert.
„Hochqualifiziertes Ethikvotum“
Geißler plädiert deshalb unter ande- rem dafür, statt sich auf Zulas- sungsstudien zu fokussieren, die akademische Forschung wieder zu stärken. „Wir fordern ein hochqua- lifiziertes Ethikvotum und Englisch als Sprache für die multinationalen Studien.“ Er spricht sich auch für eine Aufnahme von Patienten in die Ethikkommissionen aus: „Die Pa- tientengruppen und Patientenver- treter sind kompetente Partner.“
Das war jedoch auf der Sommer- tagung nicht ganz unumstritten. So meinte Doppelfeld: „Es stellt sich die Frage, ob der Patientenvertreter selbst Patient gewesen sein muss oder ob auch ein Geschäftsführer eines Patientenverbandes die Ver- tretung übernehmen kann.“ Für Pa- tientenvertreter in einer Ethikkom- mission gelte die gleiche Forderung wie für alle Mitglieder: Interesse und Bereitschaft, sich mit allen vor- gelegten Projekten unabhängig von der jeweiligen Krankheit intensiv zu beschäftigen und zu einer Mei- nungsbildung beizutragen. ■ Gisela Klinkhammer