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Archiv "Das Mariinsky Krankenhaus in St. Petersburg: Medikamente und Essen bitte selber mitbringen" (05.05.2000)

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ie oft habe ich diesem Mann schon gesagt, er soll sich nicht in die pralle Sonne setzen!“ Kopfschüttelnd betrachtet der stellvertretende Chefarzt des Ma- riinsky Krankenhauses, Dr. med. Ge- nowitsch, während der Führung den Patienten mit dem nackten Oberkör- per. Es ist außergewöhnlich heiß an diesem Julinachmittag – über 30 Grad Celsius. Genauso trostlos wie der ein- same Kranke auf der schmutzigen Mauer vor der Augenstation wirken auch die ärmlich gekleideten Arbei- ter, die versuchen, die abgebröckelten Stellen an der Fassade eines Betten- hauses notdürftig zu verputzen. Ei- gentlich könnten sich die Menschen auf dem sechs Hektar großen park- artigen Gelände wohl fühlen, aber der derzeitige Zustand lädt nicht dazu ein.

15 Gebäude stehen auf dem Areal, und alle müssten dringend renoviert werden. „Vielleicht bekommen wir im nächsten Jahr das von der Stadt ver- sprochene Geld, dann kann mit dem Umbau begonnen werden“, hofft Ver- waltungsdirektor und Chefarzt Dr.

med. Oleg V. Emelianov.

Die vierköpfige Delegation des

„Ökumenischen Arbeitskreises St.

Petersburg“, Bonn, besucht im Auf- trag des „Inforums“, Hamburg, das Hospital am Liteiny Prospekt. Der Hamburger Förderkreis für Städte- kontakte in Ost und West finanziert über den „Fonds Theresa“ ein tägli- ches kostenloses Mittagessen in der Kantine des Krankenhauses, das von etwa 60 Bedürftigen, darunter viele Straßenkinder, alte Menschen und ge- ring verdienende Mitarbeiter, in An- spruch genommen wird. Im großräu- migen Büro des Chefarztes dürfen Fragen gestellt werden. Dr. med. Ka-

tharina Lemberg-Lichterfeld aus Bonn kommt schnell ins Fachsimpeln mit ihren russischen Kollegen. Die Über- setzung des Gesprächs übernimmt ei- ne junge Ärztin. 50 Prozent der Ärzte an der städtischen Einrichtung sind Frauen, ist zu erfahren. Zu Sowjetzei- ten sei der Arztberuf für Männer we- nig attraktiv gewesen, weil die Löhne niedriger waren als die eines Bauar- beiters. Mit dem Arztgehalt konnte keine Familie ernährt werden. Auch heute verdienen die Ärzte nicht gera- de viel: rund 1 500 Rubel monatlich (14 Rubel = 1 DM). Krankenschwe- stern arbeiten für etwa 850 Rubel.

Trotz des geringen Lohns spürt der Beobachter beim Rundgang durch die Gebäude und Stationen, dass sich jeder Mitarbeiter, so gut er kann, für das Wohl der Patienten einsetzt. Das Klima unter den Ärzten und Kran- kenschwestern ist augenscheinlich gut.

Das altehrwürdige „Mariinska- ya“ liegt im Zentrum der Fünf-Millio- nen-Stadt St. Petersburg und kann

auf eine bewegte Geschichte zurück- blicken: Zu Beginn des 19. Jahrhun- derts wurde das „Krankenhaus für die Armen“ von Kaiser Alexander I. auf Wunsch seiner Mutter Marija Fedo- rowna nach den damaligen neuesten Erkenntnissen erbaut. Es entstanden Krankenzimmer mit nicht mehr als 15 Betten und sehr breite Korridore. Der große Park diente sowohl der Erho- lung der Patienten als auch dem An- bau von Obst und Gemüse.

Der deutsche Bevölkerungsan- teil in St. Petersburg betrug zu je- ner Zeit etwa neun Prozent. Dies er- klärt auch, warum die ersten Ärzte des Mariinsky Kran- kenhauses neben Schweden vor al- lem aus Deutsch- land stammten. Die Krankenberichte wurden in lateini- scher und die Pa- tientennamen in deutscher Sprache geschrieben. Später kamen immer mehr russische Ärzte an die Klinik.

Bereits ab Mit- te des 19. Jahrhunderts absolvierten junge Ärzte der örtlichen militärmedi- zinischen Akademie, die auch heute noch einen sehr guten Ruf genießt, ih- re Praktika im Mariinsky Kranken- haus. Während des Ersten Weltkrieges fungierte das „Mariinskaya“ als Front- hospital. Neue Abteilungen wurden in den ersten Jahren des Sowjetregimes eingerichtet. 1937 erhielt das Kranken- haus als erstes der Stadt eine Abteilung für Traumatologie. Schwere Zeiten folgten im Zweiten Weltkrieg während der 900-tägigen Belagerung Leningrads (1941 bis 1944). Nicht nur, dass das Krankenhaus bombardiert wurde, sehr viele Mitarbeiter starben an Hunger und Erschöpfung. Die Arbeit wurde jedoch zu keiner Zeit eingestellt. Nach dem Krieg wurden die zerstörten Ge- bäude wieder aufgebaut, 1955 entstand auf dem Krankenhausgelände eine Lehranstalt für Krankenschwestern.

Heute arbeiten mehr als 1 000 Menschen im „Mariinskaya“. Es gibt alle wichtigen medizinischen Abtei- lungen, seit 1999 auch eine Vollapo- A-1202 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 18, 5. Mai 2000

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Das Mariinsky Krankenhaus in St. Petersburg

Medikamente und Essen bitte selber mitbringen

Eine Delegation des „Ökumenischen Arbeitskreises St. Petersburg“ besuchte das altehrwürdige

„Mariinskaya“ und stieß auf bedrückende Zustände.

W

Renovierungsbedürftig: Von der Fassade des Mariinsky Krankenhauses

bröckelt der Putz. Foto: Heine

(2)

theke. 70 Prozent aller Patienten sind Notfälle, lediglich 30 Prozent werden von den „Ambulanzen“ der Stadt ein- gewiesen. Es stehen 1 000 Betten zur Verfügung. Die Patienten sind zu- meist in Vierbettzimmern, aber auch in Acht- und Zehnbettzimmern unter- gebracht, die sehr ärmlich eingerich- tet sind. Gewöhnlich gibt es nur ein Waschbecken je Zimmer. Das Kran- kenhaus erhält pro Patient und Tag zehn Rubel aus der Stadtkasse – dabei würden noch nicht einmal 30 Rubel für eine vernünftige Versorgung aus- reichen, meint Verwaltungsdirektor Emelianov.

Zum Frühstück erhalten die Pati- enten Haferschleim, mittags gibt es ei- ne Suppe sowie eine kleine Mahlzeit und abends eine Kleinigkeit. Da die Nahrungsmittel knapp sind, werden aber auch die Verwandten gebeten, Verpflegung mitzubringen: „Wenn Sie etwas mitbringen möchten, wäre das

gut.“ Medikamente werden in russi- schen Krankenhäusern nur dann ko- stenlos verabreicht, wenn es sich um Notfälle handelt. Bei Überweisungen müssen die Patienten diese selber mit- bringen. Eines der großen Probleme im Mariinsky Krankenhaus ist die Ste-

rilisation der chirurgischen Instru- mente, die oft nur behelfsweise ge- währleistet werden kann. Für die Rei- nigung der Bettwäsche und Hand- tücher stehen lediglich 15 Waschma- schinen älteren Modells zur Verfü- gung. Es fehlt an Medikamenten und an Lösungsmitteln für die Tropfbe- handlung. Bei chirurgischen Eingrif- fen unter einer Stunde erfolgt die Anästhesie durch Lachgas.

In drei Jahren kann das Mariin- sky Krankenhaus sein 200-jähriges Ju- biläum feiern. Aber daran denkt in der augenblicklichen Situation keiner der Verantwortlichen. Nicht nur Ge- bäude und Inneneinrichtungen befin- den sich in einem desolaten Zustand, es fehlt auch an medizinischer Ausrü- stung.

Anschrift der Verfasserin Lilo Heine

Fichtenweg 2, 56077 Koblenz

A-1203 Deutsches Ärzteblatt 97,Heft 18, 5. Mai 2000

T H E M E N D E R Z E I T BLICK INS AUSLAND

Das alte Mariinsky Krankenhaus braucht dringend Hilfe. Wer eine Part- nerschaft mit diesem Krankenhaus eingehen will, wende sich bitte direkt an: Mariinskaya Hospital, Liteiny Prospekt, 56, 191101 St. Petersburg, Russia, Telefon: 0 07/8 12/2 75-74-33, Fax: 0 07/8 12/2 75-73-26, Chefarzt:

Dr. Oleg V. Emelianov. Spenden kön- nen auf das Konto von „Inforum St.

Petersburg“, Vereinsbank Hamburg, Konto 3 215 530, BLZ 200 300 00, Stichwort: Mariinsky/Medikamenten- fonds, überwiesen werden. Weitere Informationen werden unter Telefon:

0 40/ 81 34 34 oder 02 61/6 43 43 erteilt.

Die Arbeit der Hilfsorganisation Care Deutschland e.V., die seit zehn Jahren ein gutes Dutzend kinderonkologische Zentren in Russland und Kasachstan unterstützt, war erfolg- reich. Konnten Anfang der 90er-Jahre fünf bis zehn Prozent der erkrankten Kinder geheilt werden, so sind es heute 60 bis 70 Prozent. Darauf hat Willi Erl, Vorsitzender von Care Deutschland, in Berlin hingewiesen. Dort veranstaltete die Hilfsorganisation Mitte April ein deutsch-russisches Ärzte- Symposium zu aktuellen Problemen der Kinderonkologie und -hämatologie mit rund 70 Teilnehmern.

Die Arbeit in den Zentren wird derzeit noch mit Hilfe von 138 Millionen DM finanziert, die Bundesbürger 1990 spende- ten. Sie folgten einem Aufruf „Helft Russland“ von Care, ZDF und „Stern“. Mit Hilfe der Spendengelder wurden 600 000 Care-Pakete verteilt und mehr als 200 Krankenhäuser mit Hilfslieferungen versorgt. Außerdem übernahmen 20 „Dento- mobile“ die zahnärztliche Grundversorgung auf dem Land.

Als eigentlicher Erfolg gilt aber die Einrichtung und Un- terstützung von 13 kinderonkologischen Zentren und einem kinderorthopädischen Reha-Zentrum. Dr. Valentin Gerein, Leiter der Sektion der Pädiatrischen Hämatologie/Onkologie der Klinik für Knochenmarktransplantation und Hämatolo- gie/Onkologie in Idar-Oberstein, berichtete, 1991 sei erkun- det worden, in welchen Regionen und Kliniken man am sinn-

vollsten kinderonkologische Zentren einrichten sollte. Sie wurden 1992 modernisiert und entsprechend ausgestattet.

Dann flogen je zwei Ärztinnen und Ärzte zur Fortbildung nach Deutschland. Um den Erfahrungsaustausch und die Qualifikation dauerhaft zu fördern, organisiert Care regel- mäßig deutsch-russische Seminare und Kongresse.

In den dreizehn Zentren mit 675 Betten werden heute doppelt so viele Kinder behandelt wie in deutschen kinderon- kologischen Spezialabteilungen. Die Kapazität liegt bei 40 bis 80 Betten je Station. Für jährlich rund 1 200 an Krebs er- krankte Kinder finanziert Care die benötigten Medikamente und Geräte, unterstützt die Fortbildung der Ärzte und des medizinischen Personals und fördert Elterninitiativen. Im vergangenen Jahr hat die russische Regierung angekündigt, die Arbeit der onkologischen Zentren durch weitere 38 klei- nere Häuser unterstützen zu lassen.

Weil für eine Fortsetzung der Arbeit in den Zentren den- noch Geld fehlt, benötigt Care Spenden. Die Organisation zögert jedoch mit offiziellen Kampagnen, weil sie befürchtet, dass die Bundesbürger derzeit nur ungern für Russland spen- den. Die Ärzte baten während des Symposiums jedoch ein- dringlich darum, ihre Arbeit weiter zu unterstützen (Care Deutschland, Konto 44 0 40, Sparkasse Bonn, BLZ 380 500 00, Stichwort „Kinderkrebshilfe Russland“). Rie

Hilfe für Orthopädie

Care hat mithilfe der Spenden von 1990 auch ein kinder- orthopädisches Reha-Zentrum in Dedenewo bei Moskau er- richtet und ausgestattet. Seit der Eröffnung Anfang 1994 wur- den mehr als 21 000 Kinder behandelt. Care finanziert noch Beratungs- und Fortbildungsmaßnahmen. Aber auch dafür fehlt allmählich Geld. Informationen zum Reha-Zentrum:

www.care.de/projekte/6gesruss.htm, Stichwort für Spenden:

„Dedenewo“. Rie

Care Deutschland

Positive Bilanz der Aktion

„Helft Russland“

Die Bundesbürger spendeten 1990

rund 140 Millionen DM. Geholfen

wird damit auch krebskranken Kindern.

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