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Archiv "Versicherungsmedizin: Grundlagen und Praxis im Überblick" (07.03.1991)

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Versicherungsmedizin:

Grundlagen und Praxis im Überblick

Hermann Maletz Horst Linker

Versicherungsmedizin gehört nicht zur ärztlichen Ausbildung. Gleich- wohl kommen viele Arzte, insbesondere viele niedergelassene Arzte, in ihrer Berufspraxis damit sehr oft in Berührung, insbesondere bei der Begutachtung im Auftrage und auf Anfrage (privater) Kranken- und Lebensversicherungen. Der Ausschuß für Arztefragen und Versiche- rungsmedizin des Verbandes der Lebensversicherungsunternehmen hat mit Blick vor allem auf die niedergelassenen Ärzte erarbeitet, was Versicherungsmedizin für den praktizierenden Arzt bedeutet. Der Bei trag entstand im Einvernehmen mit diesem Ausschuß. Die Autoren wie der Ausschuß erhoffen sich davon nicht zuletzt auch, mit (niedergelas- senen) Ärzten ins Gespräch zu kommen. NJ DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Die Versicherungsmedizin ist ein medizinisches Spezialgebiet, das zutreffend als Prognosemedizin be- zeichnet wird. Ihre wichtigsten An- wendungsfelder sind die (priva- te) Kranken-, vor allem aber die Lebensversicherung. Insbesondere beim Abschluß eines Lebensversi- cherungsvertrages müssen alle er- heblichen Gefahrenumstände, die für die Risikoübernahme von Bedeu- tung sind, dem Versicherungsunter- nehmen angezeigt werden, damit dieses das Risiko richtig einschätzen kann.

Denn die Lebensversicherung als Individualversicherung kennt kei- ne Annahmeverpflichtung für den Versicherer, aber auch keinen Ab- schlußzwang für den Nachfrager.

Aufgabe der Risikoprüfung ist unter anderem, dafür zu sorgen, daß keine

„Antiselektion" stattfindet. Diese kann dadurch entstehen, daß sich eher kranke als gesunde Personen versichern lassen möchten.

Im Gegensatz zur Sozialversi- cherung mit ihrer Normierung der Versicherungsleistung kennzeichnet die Privatversicherung außerdem die individuell gestaltete Versicherungs-

leistung. Der Beitrag wird risikoge- recht kalkuliert und bleibt während der gesamten Vertragsdauer über oft mehrere Jahrzehnte in seiner Höhe unverändert. Dagegen muß in der Sozialversicherung ein einkommens- abhängiger Beitrag mit persönlich nicht beeinflußbarer Steigerungsrate gezahlt werden.

Versicherungs-

medizinische Grundlagen

Für die Berurteilung eines Risi- kos aus der Sicht des Lebensversi- cherungsunternehmens sind im we- sentlichen zwei Gesichtspunkte von Bedeutung:

Die subjektiven Umstände, die der Versicherte und die anderen, am Vertrag beteiligten Personen be- einflussen können. Diese Faktoren sind die Lebensführung, das Gefah- renbewußtsein, das gesundheitsge- rechte Verhalten und nicht zuletzt der Versuch der ungerechtfertigten Erlangung von Versicherungsschutz und Versicherungsleistung.

Die objektiven Umstände des Risikos, die vom Verhalten der am

Vertrag beteiligten Personen unab- hängig sind. Dazu zählen das Ge- schlecht, das Alter und der Beruf des Versicherten sowie die Normalsterb- lichkeit. Auch der Gesundheitszu- stand des Versicherten gehört weit- gehend zu den sogenannten objekti- ven Umständen des Risikos. Aufgabe der Versicherungsmedizin ist es, den Gesundheitszustand auf die Versi- cherbarkeit hin zu beurteilen.

Das medizinische Risiko richtet sich nach dem individuellen Gesund- heitszustand und der Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe. Unter einer Risikogruppe versteht man eine möglichst große Zahl von Personen gleicher Merkmale wie Alter, Ge- schlecht, Beruf, vergangene Krank- heiten und augenblicklicher Gesund- heitszustand.

Möglichkeiten des Ausgleichs erhöhter Risiken

Maßstab für ein erhöhtes versi- cherungsmedizinisches Risiko ist die sogenannte Übersterblichkeit. Die statistische Grundlage zur Bemes- sung der Sterblichkeit von gesunden Personen ist heute die 1986 aktuali- sierte und für Männer und Frauen getrennt errechnete Sterbetafel. An ihr bemißt sich die Übersterblichkeit von nichtgesunden Personen. Die Übersterblichkeit wird üblicherweise in Prozent der Normalsterblichkeit angegeben.

Das gruppenspezifisch erhöhte Risiko wird mit Hilfe sogenannter Einschätzungshandbücher beurteilt.

Diese Handbücher beruhen auf den umfangreichen Statistiken zahlrei- cher Versicherungsunternehmen.

Die Statistiken haben versicherungs- medizinische und versicherungsma- thematische Leitsätze zur Gundlage und werden laufend aktualisiert.

Zum Ausgleich eines erhöhten Risikos stehen mehrere Möglichkei- ten zur Verfügung. Sie reichen vom Risikozuschlag über die Staffelung der Versicherungsleistung und die Begrenzung der Versicherungslauf- zeit bis hin zur Ablehnung des Ver- trages wegen Unversicherbarkeit. Im Fall einer sogenannten 1/3-Staffelung zum Beispiel wird bei Tod im ersten Dt. Ärztebl. 88, Heft 10, 7. März 1991 (33) A-733

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Versicherungsjahr nur 1/3 der Versi- cherungssumme, im zweiten Jahr werden 2/3 und erst ab dem dritten Jahr wird die volle Summe ausgezahlt.

Bei der Berufsunfähigkeits-Versiche- rung besteht ferner die Möglichkeit des Ausschlusses eines bestimmten Risikos vom Versicherungsschutz bei im übrigen voller Deckung.

Versicherungs- medizinische Praxis

Milk Jedes Versicherungsunterneh- men unterhält eine Fachabteilung für die Risikoprüfung. Für die medi- zinische Risikoprüfung steht in der Regel ein Versicherungsmediziner, Gesellschaftsarzt genannt, zur Ver- fügung. Dieser ist entweder hauptbe- ruflich für das Unternehmen tätig oder berät den Versicherer nebenbe- ruflich.

Ausgangspunkt jeder Risikoprü- fung ist der einzelne Antrag auf Ver- sicherungsschutz. Dabei unterwirft sich der Antragsteller der sogenann- ten vorvertraglichen Anzeigepflicht, die im Versicherungsvertragsgesetz verankert ist. Diese verpflichtet ihn zu einer nach bestem Wissen und Gewissen wahrheitsgemäßen Anga- be der Gesundheitsverhältnisse der zu versichernden Person. Letztere ist meist der Antragsteller selbst.

Nach Auswertung dieser Eigen- angaben kann bei nichtvorhandenen oder unerheblichen risikoerhöhen- den Gegebenheiten der Versiche- rungsvertrag zum Normalbeitrag ab- geschlossen werden. Lassen dagegen die Eigenangaben eine erheblich ri- sikoerhöhende Gesundheitssituation vermuten, werden alle erreichbaren medizinischen Befunde herangezo- gen. Der Gesellschaftsarzt wertet sie aus und ordnet den Antragsteller ei- ner Risikogruppe zu, zum Beispiel den Fettstoffwechselkranken oder den Diabetikern.

Ergebnis:

Langzeitprognose

WIE Bei unvollständigen Befunden, die keine zuverlässige Zuordnung gestatten, veranlaßt der Gesell-

schaftsarzt eine ärztliche Untersu- chung der zu versichernden Person auf Kosten des Versicherers. Eine solche Untersuchung erfolgt auch immer, wenn die Versicherungssum- me höher als 250 000 DM ist. Mit Hilfe der Untersuchungsergebnisse erstellt der Gesellschaftsarzt eine Langzeitprognose, deren Gültigkeit mitunter mehrere Jahrzehnte abdek- ken muß und nach Vertragsabschluß nicht mehr geändert werden kann.

Dabei weicht die Langzeitprognose des Versicherungsmediziners mitun- ter erheblich von der des Klinikers oder behandelnden Arztes ab. Dies liegt an der späteren Unveränderbar- keit der Prognose des Versiche- rungsmediziners, wohingegen der behandelnde Arzt seine Prognose und Therapie an den jeweiligen ak- tuellen Krankheitsverlauf anpassen kann.

Der Versicherungsmediziner als neutraler und faktenorientierter Gutachter betrachtet primär die Übersterblichkeit eines ihm unbe- kannten Menschen auf der Basis von Gruppenbeobachtungen, die auf Zeiträumen von durchschnittlich 15 bis 30 Jahren und auf einem bis in die Hunderttausende gehenden Kol- lektiv beruhen.

Kooperation zwischen Versicherungsmedizin und klinischer Medizin

Ärzte unterliegen einer beson- deren standesrechtlichen Schweige- pflicht. Sie dürfen nichts weiterge- ben, was sie in ihrer Eigenschaft als Arzt erfahren. Der Versicherungs- mediziner ist aber auf eine umfas- sende und möglichst lückenlose In- formation durch den betreuenden Arzt, in der Regel den Hausarzt, an- gewiesen. Deshalb gibt die zu versi- chernde Person gegenüber dem Le- bensversicherungsunternehmen eine Erklärung über die Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht ab.

Diese Schweigepflicht-Entbindungs- klausel ist Bestandteil des Versiche- rungsantrages. Sie wird durch eine Einwilligungsklausel nach dem Bun- desdatenschutzgesetz ergänzt, die Zweck, Art und Umfang etwaiger

Datenübermittlung genau und ver- ständlich beschreibt.

Der ärztlichen Schweigepflicht steht das ebenfalls rechtlich ab- gesicherte Versicherungsgeheimnis gleichwertig gegenüber. Damit ist si- chergestellt, daß die Informationen, die der betreuende Arzt dem Versi- cherer mitteilt, ebenso vertraulich be- handelt werden und es auch bleiben.

Fragenkatalog

In den allermeisten Fällen be- gnügt sich der Versicherungsmedizi- ner mit der Beantwortung eines stan- dardisierten Fragenkatalogs, dem so- genannten ärztlichen Bericht. Dieser sollte Anamnese, klinische und me- dizinisch-technische Befunde, The- rapie, Mitarbeit des Patienten, sta- tionäre Aufenthalte sowie den jewei- ligen Verlauf der Krankheit knapp, aber erschöpfend darstellen. Dabei ersparen Befundberichte, wie Arzt- briefe, Konsiliarberichte, Laborbe- funde und EKG-Kurven, eine aus- führliche Beschreibung. Die Schilde- rung von Bagatellerkrankungen wie Infekte der oberen Luftwege, des Magen-/Darmtraktes oder einfacher Verletzungen ohne funktionsbeein- trächtigende Folgen ist nicht nötig.

Angaben über einen Abusus oder gar eine Sucht, über die Mitbehand- lung durch Kollegen sowie über Re- habilitations- und sonstige Kuren so- wie über Anschlußheilbehandlungen sind für die versicherungsmedizini- sche Einschätzung dagegen wieder wichtig.

Der versicherungsmedizinisch tätige Arzt ist daher auf die Koope- ration der forschenden und prakti- zierenden Kollegen angewiesen. Der beständige, vertrauensvolle fachliche Kontakt mit ihnen ist für den Versi- cherungsmediziner eine „Conditio sine qua non".

Anschrift der Verfasser:

Dr. med. Hermann Maletz Prof. Dr. med. Horst Linker Ausschuß für Ärztefragen und Versicherungsmedizin des Verbandes der Lebensversiche- rungs-Unternehmen e. V.

Eduard-Pflüger-Straße 55 W-5300 Bonn 1

A-734 (34) Dt. Ärztebl. 88, Heft 10, 7. März 1991

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