• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Interview mit Prof. Dr. Hans Lilie, Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer: „Wir müssen mit tief greifenden Veränderungen rechnen“" (21.12.2009)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Interview mit Prof. Dr. Hans Lilie, Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer: „Wir müssen mit tief greifenden Veränderungen rechnen“" (21.12.2009)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

„Wir müssen mit tief greifenden Veränderungen rechnen“

Prof. Dr. Hans Lilie erklärt, warum eine EU-Richtlinie die deutsche Transplantationsmedizin verändern wird und wie man Kliniken dazu bringt, sich für die Organspende zu engagieren.

Herr Professor Lilie, seit mehr als zehn Jahren gilt inzwischen das Transplantationsgesetz. Hat es sich nach Ihrer Ansicht bewährt?

Lilie: Es gibt einige Grundstruktu- ren, die nicht noch einmal diskutiert werden müssen. So muss die Organ- spende als unentgeltliches, altruisti- sches Geben von Organen organi- siert bleiben. Wir haben den Organ- handel in Deutschland erfolgreich ausgesperrt. Sehr wichtig ist, dass wir die Organspende und die Organ- zuteilung an unterschiedliche Insti- tutionen gegeben haben. Auf diese Weise wird die Organspende nie- mals personenbezogen organisiert, sondern bleibt immer anonym und objektiv. Der größte Vorteil der deut- schen Transplantationsmedizin ge- genüber staatlich geregelten Syste- men ist jedoch, dass sich das ganze Verfahren am Patienten orientiert und von der ärztlichen Selbstverwal- tung getragen wird. Eine Verstaatli- chung der Transplantationsmedizin, die ja teilweise gefordert wird, wür- de zu einer Behäbigkeit des Systems führen, und das wäre gerade für Pa- tienten von größtem Nachteil.

Sehen Sie beim Transplantationsgesetz Novellierungsbedarf?

Lilie: Ja, da gibt es eine ganze Rei- he von Aspekten. Dazu muss man aber sagen, dass wir sicherlich sehr stark von der EU vorbestimmt wer- den, wenn die neue Richtlinie zur Transplantationsmedizin im Jahr 2010 kommt. Wenn ich aber etwas gestalten könnte, dann wäre das in erster Linie der Bereich der Zuver- lässigkeit des Systems. Das heißt,

die bestehenden Widersprüche müssten aufgelöst werden.

Welche Widersprüche sind das?

Lilie: Die sehe ich bei den Kriterien Dringlichkeit und Erfolgsaussicht:

Je höher die Dringlichkeit ist, desto kränker ist der Mensch, der das Or- gan bekommen soll, aber desto schlechter sind auch seine Erfolgs- aussichten. Hier besteht ein Wider- spruch, der schwer zu überbrücken

ist. An dem Punkt sehe ich einen Änderungsbedarf.

Wie könnte man diesen Widerspruch auflösen?

Lilie: Man muss schauen, wie man die Kriterien bes- ser gegeneinander abwä- gen kann. Möglicherweise findet man konkretere Re- gelungen. Wir wissen mo-

mentan zu wenig über die Erfolgs- aussichten, weil viele transplantier- te Patienten nicht aus einer Hand, zum Beispiel einem Transplantati- onszentrum, nachbehandelt werden.

Wenn wir die Erfolgsaussicht wirk- lich als Kriterium haben wollen, brauchen wir jedoch die Verläufe.

Eins der großen Probleme also ist die Beschaffung von zuverlässigen Daten über den Verlauf der Gesun- dung des Patienten nach der Trans- plantation. Wenn man die hat, könnte man das Kriterium der Er- folgsaussicht besser konkretisieren.

Wer könnte diese Daten beschaffen?

Lilie: Das ist die große Frage. Sie könnten zentral bei Eurotransplant gesammelt werden oder bei der Deutschen Stiftung Organtrans- plantation oder bei den Transplanta- tionszentren. Das ist eine Frage, die man diskutieren muss. Daran arbei- ten wir auch gegenwärtig vor dem Hintergrund der bestehenden Ge- setzeslage. Änderungsbedarf würde ich übrigens auch bei der Ständigen Kommission Organtransplantation sehen, die die Richtlinien entwi- ckelt. Ihre Arbeit sollte etwas stär- ker formalisiert werden. Der Ge- setzgeber hat wenig zur Richtlini- enerstellung geregelt, und es wäre mir ein Anliegen, wenn die Ständi- ge Kommission Organtransplantati- on die Transparenz der Tätigkeit stärken könnte. Sie sollte zum Bei- spiel – ähnlich wie der Gesetzgeber bei Gesetzesvorlagen – Richtlinien- entwürfe publizieren, damit die in- teressierte Öffentlichkeit zeitnahe Informationsmöglichkeiten hat.

INTERVIEW

mit Prof. Dr. Hans Lilie, Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer

Seit April 1992 ist Hans Lilie Gründungsprofessor für Strafrecht, Strafpro- zessrecht, Rechtsverglei- chung und Medizinrecht an der Martin-Luther-Uni- versität Halle-Wittenberg.

Seit 2001 ist er Mitglied der Gr0ßen Strafrechts- kommission des Deut- schen Richterbundes.

Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 106

|

Heft 51–52 A 2537

P O L I T I K

(2)

A 2538 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 106

|

Heft 51–52

|

21. Dezember 2009 Sehen Sie noch weiteren internen

Änderungsbedarf?

Lilie: Sicherlich kann man bei der Arbeit der Prüfungs- und Überwa- chungskommission vieles konkreti- sieren. Wir haben zwar zwei Kom- missionen, die die Deutsche Stif- tung Organtransplantation und Eu- rotransplant kontrollieren. Wir bräuchten hier aber eigentlich ähn- lich der Strafprozessordnung klar geregelte konkretere Eingriffsrech- te, auch gegenüber den sonstigen Beteiligten. Bei möglichen Verstö- ßen müssten wir auch auf der be- rufsrechtlichen Seite die Möglich- keit haben, konsequent zu ermitteln und die Sachverhalte zu klären.

Gibt es einen speziellen Anlass für diese Forderung?

Lilie: Es gab immer wieder Ver- dachtsfälle. Die Überwachungs- und Prüfungskommission muss aber nicht nur im Einzelfall, sondern auch aus präventiven Gründen ermitteln können. So sieht die Ärzteschaft, dass Verstöße gegen das Recht der Transplantationsmedizin nachhaltig untersucht werden und Fehlverhal- ten auch sanktioniert wird.

Und wie sollte man sanktionieren?

Lilie: Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man könnte nach- denken, ob der Katalog der strafbe- wehrten Verfehlungen an einigen Punkten erweitert wird. Wenn etwa absichtliche Verstöße gegen Alloka- tionsrichtlinien vorliegen, könnte man erwägen, Bußgelder oder Stra- fen zu verhängen. Aber da ich selbst von Hause aus Strafrechtler bin, glaube ich nicht so sehr, dass Stra- fen viel bewirken, sondern dass die präventiven Maßnahmen und ein

engmaschiges Kontrollsystem das Entscheidende sind.

Eine Möglichkeit wäre also eine Kommis - sion, die für mehr Transparenz sorgt . . . Lilie: Insbesondere eine, die mehr Eingriffsmöglichkeiten hat und vor der zu erscheinen die Ärzte und Ärz- tinnen verpflichtet wären. Natürlich hätten sie dann die Möglichkeit zu schweigen, das ist zwingend.

Ein großes Problem ist immer noch der Mangel an Organen. In Deutschland gilt bei der Organspende die erweiterte Zustimmungslösung. Wie stehen Sie zu einer Widerspruchslösung?

Lilie: Der Deutsche Ärztetag hat in Münster 2007 die Frage ausführlich diskutiert und hat sich sehr zurück- haltend geäußert. Ich glaube, dass es letztlich dahinstehen kann, ob wir eine Widerspruchslösung oder eine erweiterte Zustimmungslösung als Regelungsmodell unserer Arbeit zugrunde legen. Viel entscheiden- der ist eine gute Koordination der Organspende in den entsprechen- den Kliniken.

Gibt es in deutschen Kliniken bereits die Inhouse-Koordination?

Lilie: Zurzeit ist die Deutsche Stif- tung Organtransplantation dabei, die- se versuchsweise aufzubauen. Man erhofft sich dadurch eine deutliche Steigerung bei der Organspende.

Spanien hat eine sehr hohe Organ - spenderate. Das Geheimnis ist aber wohl nicht die Widerspruchslösung . . .?

Lilie: Nein, das entscheidende Merkmal Spaniens ist – anders als bei uns – ein staatlich organisiertes Gesundheitssystem, das eine gut bezahlte Inhouse-Koordination ein-

gerichtet hat. Sie ist dort eine res- pektierte Tätigkeit und nicht ir- gendein Nebenamt, für das man im Klinikalltag gar keine Zeit hat.

Noch ein anderer Punkt: Die Lebend- spende wird ja in Deutschland restriktiv gehandhabt. Sehen Sie da Änderungsbedarf?

Lilie: Der Gesetzgeber hat bei der Lebendspende das Subsidiaritäts- modell für vorzugswürdig gehalten.

Das heißt, eine Lebendspende ist nur dann zulässig, wenn zum Zeit- punkt der Transplantation kein Or- gan von einem verstorbenen Organ- spender zur Verfügung steht. Der Hintergrund ist, dass Organspende bei Lebenden immer das Risiko ei- ner Gesundheitsschädigung nach sich zieht und deshalb zurückhal- tender praktiziert werden soll. Die Zahlen zeigen jedoch heute, dass Schädigungen von Organspendern die Ausnahme geblieben sind. Die Transplantationsergebnisse nach ei- ner Nierenlebendspende sind auf je- den Fall besser, weil man eine ex- trem kurze Ischämiezeit hat und den Empfänger zum verhältnismä- ßig besten Zeitpunkt transplantie- ren kann. Ein Problem ist jedoch, dass die gesetzlichen Regelungen zum Spenderschutz sehr unterent- wickelt sind. Der Spender hat mo- mentan die Beweislast im Fall von Folgeerkrankungen. Und dieser Be- weis ist faktisch nicht zu führen.

Hier brauchen wir eine umfassende Absicherung des Lebendspenders.

Was halten Sie von einer Spenderpool- lösung, wie sie die FDP in den letzten Jahren häufiger vorgeschlagen hat?

Lilie: Von ärztlicher Seite höre ich, dass von solch einer Poollö-

Konsequent er- mitteln: Strafrecht- ler Lilie fordert konkretere Ein- griffsrechte für die Prüfungs- und Überwachungs - kommission.

Fotos: Anja Jungnickel

Bereits zum zwei- ten Mal veranstaltet die Bundesärztekam- mer ein Symposium zu dem Thema „Organspende und -transplantation in Deutschland“. Statt- finden wird es vom 26. bis 27. Januar 2010 in Berlin, Infos:

0 30/40 05 64 62.

P O L I T I K

(3)

A 2540 Deutsches Ärzteblatt

|

Jg. 106

|

Heft 51–52

|

21. Dezember 2009 sung bei der Lebendspende nicht

viel zu erwarten ist. Es ist natürlich abzuwarten, wie sich das Gesund- heitsministerium zu diesen Fragen positionieren wird. Aber ich glau- be, dieses Spenderpoolsystem ist ein theoretisches Modell, das in der Praxis kaum zu einer Steige- rung der Organspende führen wird.

Einen wesentlich positiveren Aspekt könnte die Erhöhung der Kostenerstattung zu postmortalen Spenden für die Krankenhäuser haben, über die gegenwärtig ver- handelt wird.

Es gibt immer wieder Kritik, dass Krankenhäuser mit Intensivstationen ihrer Pflicht nicht nachkommen, den Hirntod eines potenziellen Spenders an die Koordinierungsstelle zu melden.

Wie kann die Mitarbeit von Kranken- häusern verbessert werden?

Lilie: Zum einen muss man drin- gend die finanzielle Entschädigung für die Krankenhäuser erhöhen.

Denn man darf nicht übersehen, dass kurzfristige Organtransplanta- tionen den täglichen Arbeitsablauf in einer Klinik nicht unerheblich beeinträchtigen und deutliche Kos- tenfaktoren sind. Zum Beispiel müssen häufig Operationspläne umgestellt werden, wenn in der Nacht ein Organ gespendet oder transplantiert wurde. Wichtig ist auch die bereits erwähnte Inhouse- Koordination.

Halten Sie Sanktionen bei ausbleibender Mitarbeit für sinnvoll?

Lilie: Zurzeit wird darüber disku- tiert, den betreffenden Krankenhäu- sern die Weiterbildungsbefugnis zu entziehen. Ich glaube nicht, dass Sanktionen die Kliniken dazu brin- gen, sich des Themas Organspende intensiver anzunehmen und sich dort zu engagieren. Ich glaube, mit positiven Anreizen kann man viel mehr für die wartenden Patienten erreichen.

Sie haben viele Vorschläge gemacht, wie man das Transplantationsgesetz erweitern könnte. Wie wahrscheinlich ist eine Änderung des Gesetzes in nächster Zeit?

Lilie: Noch vor zwei Jahren hätte ich gesagt, der Gesetzgeber wird

das so schnell nicht anfassen. Nun aber werden wir unter der spani- schen EU-Ratspräsidentschaft eine Richtlinie zur Sicherheit der Transplantationsmedizin noch im ersten Halbjahr 2010 bekommen.

Bislang sehen alle Entwürfe dieser Richtlinie vor, dass staatliche Ein- richtungen die Organisation der Organspende und -transplantation durchführen sollen. Es steht zu be- fürchten, dass der bisherige Vor- rang der Selbstverwaltungsgre- mien der Ärzteschaft mit ihrer ho- hen Sachkunde und ausgeprägten Flexibilität Einschränkungen hin- nehmen muss. Ich befürchte, dass sich unser gut etabliertes System den europäischen Entwicklungen anpassen muss. Bei der Umsetzung der EU-Geweberichtlinie in deut- sches Recht haben wir schon ein- mal auf belastende Art und Weise erfahren, wie ein in Deutschland gut funktionierendes System für einige Zeit praktisch eingebrochen ist. Hinzu kommt, dass wir in Eu- ropa einen Mittelweg suchen müs- sen zwischen Ländern mit etablier- ten Strukturen, wie etwa der Bun- desrepublik Deutschland, und an- deren EU-Staaten, bei denen die Transplantationsmedizin erst am Anfang der Entwicklung steht.

Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass Deutschland seine Strukturen bewahren kann?

Lilie: Nach den Erfahrungen mit der Umsetzung der Geweberichtli-

nie befürchte ich, dass mit tief greifenden Veränderungen gerech- net werden muss.

Eine große Mehrheit der Deutschen befürwortet die Organspende. Dennoch besitzen nur wenige einen Organspende- ausweis. Wie kann man das ändern?

Lilie: Der Spenderausweis ist ein wichtiges Medium, um die Spende- bereitschaft zu dokumentieren. Für die Transplantationsmedizin ist es nach meiner Meinung aber viel wichtiger, dass die Angehörigen wissen, was ein Verstorbener zu Lebzeiten über seine Einstellung zur Organspende gesagt hat. Außer- dem glaube ich, dass eine Kombi- nation aus Spenderausweis und Pa- tientenverfügung sehr sinnvoll ist.

Wenn Ärztinnen und Ärzte zum Beispiel zu dem Thema Patienten- verfügung befragt werden, könnten sie auch auf die große Bedeutung der Organspende hinweisen. In die- sem Punkt haben Ärzte einen gro- ßen Spielraum, um sich zu engagie- ren. Auch die Presse hat hier mei- nes Erachtens eine hohe Verantwor- tung. Denn die Medien neigen da- zu, vor allem über negative Aspekte im Bereich der Organspende zu be- richten. Das führt dann häufig dazu, dass weniger Organe gespendet werden. Die Organspende ist und bleibt also eine Gemeinschaftsauf- gabe, die alle in der Gesellschaft

angeht. ■

Das Interview führten Falk Osterloh und Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann

Ich glaube nicht, dass Sanktionen die Kliniken dazu bringen, sich des Themas Organspende intensiver anzunehmen.

Mit positiven Anreizen kann man viel mehr erreichen.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

• danach Zeitraum zur Vorbereitung der einzelnen Vorträge und Rücksprache mit dem Betreuer, für Probevorträge im Bekanntenkreis, für Korrekturlesen,.. Je nach

• danach Zeitraum zur Vorbereitung der einzelnen Vorträge und Rücksprache mit dem Betreuer, für Probevorträge im Bekanntenkreis, für Korrekturlesen,.8. Je nach

Gleichzeitig werden die Transplanta- tionszentren im § 10 TPG verpflichtet, nach Maßgabe der Vorschriften des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches Maßnahmen zur

Die wiederum haben ganz un- terschiedliche Regelungen getrof- fen: Mal schreiben sie vor, dass Spender und Empfänger vor der Kommission persönlich anzuhören sind, mal darf rein

Notes sur Je hetre du Caucas (Fagus orientalis). 1936 Einfluß der Durchforstungsart auf Baumhöhe, Astreinheit, Schirmfläche und Kroneninhalt in gleichaltrigen

1991 wurde Hans-Egbert Schröder zum Ärztlichen Direktor der Medizi- nischen Akademie „Carl Gustav Carus“ Dresden berufen und hat auch dort uneigennützige Grün- dungsarbeit ge

Christa Wachsmuth wies in ihrem Beitrag darauf hin, dass die Mitarbeiter der DSO, Region Ost (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen), 146 Krankenhäuser mit

Bernd-Rüdiger Kern, Lehrstuhl für bürgerliches Recht, Rechtsgeschichte und Arztrecht an der Universität Leipzig, zeigte den juristischen Rahmen für die Lebendspende nach