Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 39⏐⏐29. September 2006 A2513
P O L I T I K
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aran, dass sich aus dem Arbeitsentwurf für die Ge- sundheitsreform noch etwas wirk- lich Sinnvolles entwickeln kann, glaubt Dr. med. Wolfgang Wesiack nicht mehr. Er hoffe jetzt, nach der Verschiebung der Reform um drei Monate, dass die Politik den Mut habe, sich aus der Sackgasse heraus- zumanövrieren, den Reset-Knopf zu drücken und wieder in den Dia- log einzutreten, sagte der Präsident des Berufsverbandes Deutscher In- ternisten (BDI) Mitte September vor Journalisten in Wiesbaden.„Der Reformentwurf atmet den Geist der sozialistischen Ideologie von Ulla Schmidt und weiten Teilen der SPD“, so Wesiack. Der BDI wende sich gegen jede Form der Staatsmedizin, gegen die geplante Verbürokratisierung von Arzt und Patient, gegen eine Bevormundung des Bürgers und ein unterfinanzier- tes Honorarsystem. „Es soll zwar ei- ne Gebührenordnung in Euro und Cent geben, aber die Budgetierung wird unter anderem Etikett fortge- setzt“, kritisierte der BDI-Präsident.
Den Reformentwürfen der Bundes- regierung fehle ein klares Konzept, um die chronische Unterfinanzie- rung des Gesundheitssystems zu be- enden.
Diese Gründe hatten den BDI veranlasst, den vierten nationalen Protesttag der Ärzte am 22. Sep- tember in Berlin zu unterstützen (siehe Bericht in diesem Heft). Mit der Losung „Freiheit statt Sozialis- mus“ wolle man der Politik ver- deutlichen, dass die Ärzteschaft nicht bereit sei, den mit den Eck- punkten eingeschlagenen Weg in die Staatsmedizin mitzugehen, hat- te BDI-Präsident Wesiack im Vor- feld erklärt. Er rief die Ärztinnen und Ärzte gleichzeitig zur Ge- schlossenheit auf – trotz unter- schiedlicher Standpunk- te in Einzelfragen. Diese vertritt auch der Interni- stenverband. So distan- zierte sich der BDI-Vor- stand, dem neben We- siack dessen Stellvertre- ter Dr. med. Wolf von Römer und Prof. Dr.
med. Malte Ludwig an- gehören, von Forderun- gen der Ärzteorganisa- tionen Medi und Freie Ärzteschaft nach einer flächendeckenden Ein- führung der Kostener- stattung und einem Ausstieg aus dem System der gesetzlichen Kran- kenversicherung (GKV). „Aus un- serer Sicht ist das Sachleistungs- system die bessere Alternative“, sagte BDI-Präsident Wesiack. Ein Kostenerstattungssystem erhöhe den Verwaltungsaufwand für den Arzt und übertrage ihm das volle Zah- lungsrisiko. Stattdessen plädierte er dafür, Patienten und Ärzten ein Wahlrecht für die Kostenerstattung einzuräumen. Den EBM 2000plus hält er darüber hinaus als Rah- menmodell für die ärztlichen Ho- norare für durchaus geeignet. Ein- zige Bedingung: Der dieser be- triebswirtschaftlichen Kalkulation zugrunde liegende Punktwert von
5,11 Cent müsse gewährleistet sein.
„Da fehlen uns zurzeit rund sieben Milliarden Euro“, betonte Wesiack.
Zugleich warnte der BDI-Präsi- dent vor den Folgen eines Ausstiegs aus dem GKV-System. Ein solcher wäre wirtschaftlich nur von weni- gen Ärzten zu verkraften. Zahlen des Statistischen Bundesamtes be- legten, dass niedergelassene Ärz- tinnen und Ärzte im Durchschnitt 85 Prozent ihres Umsatzes aus der GKV erzielen. In Ostdeutschland, wo es kaum Privatpatienten gebe, liege der Anteil bei fast 100 Pro- zent. „Wenn jemand aus dem Sys- tem aussteigen will, soll er das tun“, so der BDI-Präsident. „Doch eine Revolution wird es in Deutsch- land nicht geben.“ Es sei außerdem naiv zu glauben, die ärztlichen Be- rufsverbände könnten bei einem Ausstieg aus dem System von heute auf morgen die Aufgaben der Kas- senärztlichen Vereinigungen (KVen) übernehmen, erklärte BDI-Vize von Römer. Er betonte insbesonde- re die Rolle der KVen als Interes- senvertreter der Ärzte gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen.
„Ärzte als Bittsteller der Kassen kann niemand wollen“, betonte von Römer. Wenn die Körperschaften jedoch weiter geschwächt würden, werde sich der Internistenverband vorbereiten, eventuelle Lücken zu füllen.
Obwohl BDI-Vize Ludwig ein- räumte, die Berufsverbände hätten unter der Großen Koalition an ge- sundheitspolitischem Einfluss ver- loren, blickt der Verband verhalten optimistisch in die Zukunft. Die Ärzteproteste tragen nach Ansicht ihrer Mitinitiatoren erste Früchte:
Demnächst stehen Gespräche der Ärztevertreter im Bundeskanzler- amt und im Bundesgesundheitsmi-
nisterium an. I
Heike Korzilius
INTERNISTEN
Bekenntnis zur Sachleistung
Der Berufsverband Deutscher Internisten übt deutliche Kritik an der geplanten Gesundheitsreform. Einen Ausstieg aus dem GKV-System lehnt er jedoch ab.
Foto:privat
Foto:BDI
„Eine Revolution wird es in Deutschland nicht geben“:Wolfgang Wesiack, Wolf von Römer und Malte Ludwig (von links) gehen davon aus, dass sich nur wenige Ärzte einen Systemausstieg leisten können.
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