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Archiv "Fortbildung in Europa: Element der ärztlichen Sorgfaltspflicht" (07.07.1995)

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THEMEN DER ZEIT

anderen einpflanzen. Die „Legalität"

einer Abtreibung erweckt ohnehin immer den Anschein der „illegalen Existenz" des Föten und damit auch der ethischen Berechtigung des Ein- griffes. Das „Widerspruchsrecht" des Föten geht dabei ausgerechnet auf ei- ne Mutter über, die schon dem Tod des Kindes nicht widersprochen, son- dern diesen gefordert hat. Wann wird sie gar noch entlohnt werden? Die Frischzellen der Substantia nigra im Mittelhirn unserer Föten sind zur be- gehrten Delikatesse geworden. Wen kann es da nicht schaudern?

BERICHTE/AUFSÄTZE

Auch die Vernunft, einst Mutter aller Wissenschaften, darf offenbar ih- re Kinder nicht mehr austragen. Ärzte preisen obiges bereits lauthals als

„Unsterblichkeit auf Erden", spre- chen vom „Jungbrunnen im eigenen Haupte" und vom „Brautfest der Hirnsubstanzen" (sic!). Auf ein Frage- zeichen hat man verzichtet. Vielmehr hält man dagegen: In 50 Jahren wird das selbstverständlich sein! — Sklave- rei und Leibeigenschaft, Atombom- ben und Suchtmittel — auch sie fanden zur „Selbstverständlichkeit". Auch unser Entdecken- und Helfenwollen

kann sich zur wahren Besessenheit verselbständigen: „Weiter, weiter!

Schneller, schneller!" Muß man nicht bei unserem frist- und grenzenlosen Vorwärtsstürmen in Forschung und Praxis besorgt fragen: Quo vadis, me- dice? Ein Fortschritt, Fortschritt ohne Frist — doch sei hervorgehoben: Nicht jeder Schritt nach vorne ist zugleich ein Schritt nach oben.

Anschrift des Verfassers:

Dr. Lothar Dinkel Kaiserstraße 12 74072 Heilbronn

Fortbildung in Europa

Element der ärztlichen Sorgfaltspflicht

Horst Dieter Schirmer

Der Arzt ist zur regelmäßigen Fortbildung verpflichtet. Sc) sieht es seine Berufsordnung vor. Das trifft für die mei- sten europäischen Länder zu. Der Beitrag beschäftigt sich zunächst damit, ob es sich dabei um eine berufsethische Pflicht handelt oder ob Fortbildung auch rechtlich obliga- torisch ist. Sodann geht der Verfasser auf die Frage ein, ob die Europäische Gemeinschaft Regelungen für die ärzt-

liche Fortbildung treffen kann, die die Mitgliedstaaten binden könnten. Der Artikel basiert auf einem Referat, das der Verfasser — er ist Justitiar der (deutschen) Bun- desärztekammer — anläßlich des Internationalen Kon- gresses der „Europäischen Akademie für ärztliche Fortbil- dung" (Bericht dazu in Heft 11/1994: „Von der ethischen Pflicht zum formalen Nachweis") in Köln gehalten hat.

S

ich mit der ärztlichen Fortbil- dung im Europa von morgen unter rechtlichen Aspekten zu befassen bedeutet zunächst, sich den rechtlichen Aspekten ärztli- cher Fortbildung allgemein zuwenden zu müssen. Unter rechtlichen Ge- sichtspunkten unterscheiden wir Fort- bildung von Ausbildung und von der Weiterbildung zum Facharzt (Spezia- lisierung). Gleichwohl begleitet Fort- bildung auch Ausbildung und Weiter- bildung zum Facharzt, ist sie doch die kontinuierliche Aktualisierung und Erweiterung der Kenntnisse.

Die Notwendigkeit, daß der Arzt sich fortzubilden habe, prägt schon den berufsrechtlichen Status, den er am Ende seiner Ausbildung erwirbt.

Der Ständige Ausschuß der Ärzte der EG hat dies in der Deklaration von Dublin in der revidierten Fassung von 1993 beschrieben: ". . . The fully qua- lified doctor . . . must have suc-

cessfully undergone the basic, and where appropriate, specialist training necessary for the form of practice in which he engages."

Die erste rechtliche Folgerung daraus lautet: Fortbildungspflicht ist ein Element der Vervollkommnung

.des beruflichen Status, den der Arzt nach Ausbildung oder Spezialisierung erreicht hat. Dieser rechtliche Zusam- menhang folgt auch aus der Verant- wortung des Arztes gegenüber der Gesellschaft.

Die Notwendigkeit, sich fortzu- bilden, ist seit jeher unbestritten. Sie wird von Ärzten — wie übrigens auch von anderen Gruppen freier Berufe — als berufsethische Pflicht auch ge- genüber der Gesellschaft angesehen.

Darüber gibt es eine völlig überein- stimmende internationale Auffas- sung.

Die berufsethische Pflicht ist nur Ausdruck des allgemeinen Prinzips,

wonach der Arzt zum Besten des Pati- enten seine ärztliche Kunst zu entfal- ten hat. Dies ist seine rechtliche Pflicht aus dem Behandlungsvertrag.

In der deutschen Muster-Berufsord- nung heißt es beispielsweise: „Der Arzt ist verpflichtet, seinen Beruf ge- wissenhaft auszuüben und dem ihm im Zusammenhang mit dem Beruf entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen."

Zum Niveau und zur Sorgfalt der Versorgung heißt es zum Beispiel in der französischen Berufsordnung: „Le medecin doit toujours elaborer son diagnostic avec le plus grand soin, en y consacrant le temps necessaire, en s'aidant, dans toute la mesure du pos- sible, des m6thodes scientifiques les plus appropriees, et s'il y a lieu en s'en- tourant des concours les plus eclaires."

Die berufsethischen Richtlinien des British Medical Council wieder- um schreiben vor: "The public are A-1910 (28) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 27, 7. Juli 1995

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THEMEN DER ZEIT

entitled to expect that a registered medical practitioner will afford and maintain a good standard of medical care. This includes:

a) conscientious assessment of the history, symptoms and signs of a patient's condition;

b) sufficiently thorough professio- nal attention, examination and, where necessary, diagnostic investigation;

c) competent and considerate professional management;

d) appropriate and prompt action upon evidence suggesting the exis- tence of a condition requiring urgent medical intervention; and

e) readiness, where the circum- stances so warrant, to consult appro- priate professional colleagues."

Berufsethische Aufgabe

Schon diese im Interesse des Pa- tienten stehenden Berufspflichten zur bestmöglichen Behandlung implizie- ren die Notwendigkeit der Fortbil- dung. Folgerichtig sprechen auch na- tionale deontologische Regeln die Fortbildung ausdrücklich an, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, soweit es die rechtliche Verbindlich- keit angeht. Die Ergebnisse des er- sten Europäischen Fortbildungskon- gresses in Paris am 17. März 1990 zei- gen, daß zwei Drittel der Länder der Europäischen Gemeinschaft Fortbil- dung als eine fakultative berufsethi- sche Aufgabe des Arztes und nicht als eine Rechtspflicht ansehen.

In Deutschland bestimmt die Muster-Berufsordnung der Bundes- ärztekammer folgendes: „Der Arzt, der seinen Beruf ausübt, ist verpflich- tet, sich beruflich fortzubilden und sich dabei über die für seine Berufs- ausübung jeweils geltenden Bestim- mungen zu unterrichten."

Die Berufsordnung enthält dar- über hinaus Angaben zu den geeigne- ten Mitteln der Fortbildung und fer- ner die Regelung: „Der Arzt muß ei- ne entsprechende Fortbildung ge- genüber der Ärztekammer in geeig- neter Form nachweisen können."

Die französische Berufsordnung sieht beispielsweise folgendes vor:

„Les medecins ont le devoir d'entre- tenir et de perfectionner leurs con- naiss ances."

AUFSÄTZE

Die Berufsordnung für die Ärzte Spaniens bestimmt dasselbe: „El me- dico esta obligado a procurarse un perfeccionamiento profesional con- stante . ."

Regeln in den Berufsordnungen bilden nur die Rechtsgrundlage, um den Arzt zur Teilnahme an Fortbil-

Weltärztebund

Rancho Mirage 1987 "All physi- cians are committed to lifelong learning."

dungsveranstaltungen zu verpflich- ten, gegebenenfalls auch diese Teil- nahme zu überwachen.

Dieser Aspekt wird bei der Dis- kussion darüber, ob Fortbildung rechtlich obligatorisch oder „fakulta- tiv" — also „nur" eine berufsethische Pflicht — sein soll, häufig übersehen.

Fortbildung ist nämlich ein Element der ärztlichen Sorgfalt, welche wie- derum eine Pflicht gegenüber dem Patienten ist. Mit anderen Worten und aus anderer Sicht: Der Arzt ist dem Patienten verantwortlich für eine Behandlung, welche dem Standard entspricht, also den Regeln der ärztli- chen Kunst. Der Arzt hat bei seiner Berufsarbeit von dem anerkannten Fachwissen und den Standards in sei- ner Disziplin auszugehen. Standards bedeuten Dynamik. Sie verpflichten zu einem fortwährenden Sich-Anpas- sen an neue Erkenntnisse und Ein- sichten in Risiken.

Objektive Maßstäbe

Das Recht und die Gerichte, die das Recht anwenden, verlangen vom Arzt, sich an die in seinem Fach ent- wickelten Regeln zu halten. Bemer- kenswerterweise bewirken die medi- zinischen Fachgebiete selbst in ihrer Spezialisierung und Professionalisie- rung eine Steigerung der Kunst- und Sorgfaltsregeln, das heißt, die medizi- nische Wissenschaft selbst schafft im- mer perfektere Sorgfaltsregeln.

Der Arzt schuldet die berufsfach- lich gebotene Sorgfalt, das heißt, der Maßstab für diese erforderliche Sorg- falt richtet sich nach objektiven Krite- rien, nicht nach subjektiven Merkma-

len. Es gilt das Prinzip, daß es auf die im jeweiligen Berufskreis der Allge- meinärzte oder der Fachärzte voraus- gesetzten Fähigkeiten ankommt, die dort zu erwartenden Kenntnisse und Fertigkeiten, nicht auf die persönli- chen Möglichkeiten des einzelnen Arztes. Sorgfalt und Können bemes- sen sich beim Arzt nach den Regeln, die seine Fachgruppe fordert und for- dern muß. Ein Arzt kann sich daher rechtlich nicht mit dem Hinweis entla- sten, er sei schlecht ausgebildet, es fehle ihm die notwendige Erfahrung, er könne den Fortschritten seines Fa- ches nicht ständig oder nur langsam oder teilweise folgen.

Die entscheidende Frage, wel- ches Maß an Sorgfalt und Fachkunde der Arzt aufzubringen hat, muß nach dem Stand der medizinischen Er- kenntnis zur Zeit der Behandlung be- antwortet werden: der Arzt ist nicht unfehlbar; er wird am Wissen zur Zeit seiner Maßnahme gemessen, nicht am Wissen von morgen, aber auch nicht am Wissen von gestern. Die Beweis- last dafür, daß seine Behandlungswei- se zur Zeit der Behandlung dem Stand dieser Erkenntnis (noch) ent- spricht, trägt der Arzt. Es kann mitun- ter schwer sein, festzustellen, was die- sem Stand der Zeit (noch) genügt und was nicht. Der Hinweis auf in der me- dizinischen Praxis übliche Methoden ist nie ein in sich schlüssiger Maßstab dafür, was die Rechtsordnung vom Arzt im konkreten Einzelfall an Sorg- falt verlangt; eine „allgemein verbrei- tete Praxis" mag gerade nicht ausrei- chen, den Standard zu definieren, den das Recht verlangt. Was gestern noch anerkannte Übung war und damit den Regeln ärztlicher Kunst entsprechen mochte, kann schon bald veraltet und sorgfaltswidrig sein.

Mittelbare Pflicht

Aus diesen Regeln haben die Ge- richte bei der Entscheidung über die Frage, ob ein Arzt sorgfältig gehan- delt hat oder nicht, mittelbar die Pflicht zur ärztlichen Fortbildung ab- geleitet. Der Bundesgerichtshof hat mehrfach entschieden, daß das Un- terlassen, „sich über die Erkenntnisse und Erfahrungen der ärztlichen Wis- senschaft" auf dem für die Tätigkeit A-1912 (30) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 27, 7. Juli 1995

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THEMEN DER ZEIT

des Arztes wesentlichen Gebiet pflichtgemäß unterrichtet zu halten, ein vorwerfbares Versäumnis und deshalb einen Sorgfaltsverstoß dar- stellt. Als ein allgemeines Prinzip der auf dem Verschulden des Arztes grün- denden Verantwortlichkeit und Haf- tung gilt diese Regel, soweit ersicht- lich, überall für die Frage, ob ein Arzt die gebotene Sorgfalt angewendet hat oder nicht.

Daraus ergibt sich eine weitere rechtliche Schlußfolgerung: Heute schon ist Fortbildung eine Rechts- pflicht, auch wenn in den deontologi- schen Regeln sie dem Arzt nur als eine fakultative Aufgabe oder als „morali- sche Pflicht" angetragen sein mag. Die Rechtspflicht folgt aus der Verant- wortlichkeit des Arztes aus dem Be- handlungsvertrag für den Patienten.

Es ist deshalb erforderlich, daß die Ärzteschaft diese aus ihrer Verant- wortlichkeit gegenüber den Patienten folgende Rechtspflicht auch generell in den Berufsordnungen anerkennt.

Die Anforderungen, die in die- sem Zusammenhang an den Arzt bei der Fortbildung gestellt werden, sind dabei mit Recht hoch. Sie sind um so höher, je umfangreicher Fortbil- dungsmaßnahmen auf dem maßgebli- chen Feld der medizinischen Praxis angeboten werden.

Fortbildung selbst gestalten

Die weitere Folgerung daraus ist:

Wenn den Arzt eine individuelle Rechtspflicht zur Fortbildung ver- pflichtet, so ist es auch in die Verant- wortung der Ärzteschaft gelegt, Fort- bildungsmaßnahmen zu institutiona- lisieren. Die für die Berufspflichten verantwortlichen Organisationen in Deutschland, also die Landesärzte- kammern und Einrichtungen mit kammerähnlichen Aufgaben, haben

—dazu beizutragen, daß der ein- zelne Arzt diese Berufspflicht auch realisiert,

—durch Angebote zur Fortbil- dung, welche bestimmten Grundan- forderungen entsprechen, zu unter- stützen.

Soweit ersichtlich, entspricht auch dies weitgehend der Überzeu- gung der Ärzteschaft in Europa.

AUFSÄTZE

Daraus läßt sich auch das Recht ableiten, die Fortbildung autonom durch die Ärzteschaft selbst zu gestal- ten. In Deutschland sprechen wir inso- weit von ärztlicher Selbstverwaltung.

Es wäre wichtig, dieses Grundprinzip auch im Rahmen der Europäischen Union generell zu verankern, wenn nicht wenigstens zu respektieren.

Aus der Verantwortung der Ärz- tekammern, für die rechtliche Organi- sation der Fortbildung der Ärzte zu sorgen, folgt zugleich das Recht, Fort- bildungsmaßnahmen selbst zu eva- luieren, auch in der Form, daß Fort- bildungsveranstaltungen zertifiziert werden.

Unter rechtlichen Gesichtspunk- ten ist auch die Frage von Bedeutung,

Weltärztebund

Malta 1991 "Education through- out a physician's lifetime should be incorporated as a moral responsibility in an inter- national code of ethics for all physicians."

nämlich ob und gegebenenfalls wie, insbesondere mit welchen Mitteln, die Erfüllung der Fortbildungspflicht durchgesetzt werden kann. Eine ein- deutige Antwort dazu gibt es nicht, weil es einen einzigen Lösungsweg dazu nicht gibt. Dennoch lassen sich einige rechtliche Thesen aufstellen.

Die berufliche Unabhängigkeit des Arztes begründet auch sein Recht, den Umfang seiner persönlichen Fort- bildung zu bestimmen und die geeig- neten Fortbildungsmittel selbst zu wählen. Denn dazu gehört auch die Pflicht (und das Recht), sich auch in Fachpublikationen und Fachbüchern zu unterrichten oder in speziellen Maßnahmen fortzubilden, eine Pflicht, die dem Arzt niemand — auch nicht die Ärztekammer — abnehmen kann.

2 Schon im Hinblick auf die haf- tungsrechtliche Verantwortung des Arztes, welche die Pflicht zur Fortbil- dung im speziellen Tätigkeitsfeld um- faßt, und zwar zur Fortbildung mit al- len geeigneten Maßnahmen, er- scheint es rechtlich nicht zulässig, den Arzt zu verpflichten, bestimmte Fort- bildungsmaßnahmen wahrzunehmen.

Dies würde einen Eingriff auch zu-

gleich in seine Berufsausübungsfrei- heit darstellen, welche im Kern einschließt, daß der Arzt die mit sei- nem Beruf verbundene Verantwor- tung, sich auf der Höhe des Wissens seines Fachgebiets zu halten, im Um- fang selbst bestimmt und die dazu notwendigen Mittel selbst wählt.

© Rechtlich zulässig wäre es da- her nur, allgemein die Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen nachweisen zu lassen, wobei dem Arzt als Grund- lage für den Nachweis die Wahl unter mehreren Fortbildungsangeboten ein- geräumt werden müßte. Diese Fortbil- dungsangebote können auf solche An- gebote beschränkt sein, welche zertifi- ziert oder evaluiert sind. Auch dürften Rechtsgründe nicht entgegenstehen, wenn die Nachweispflicht an die Vor- aussetzung einer regelmäßigen Fort- bildung gebunden wird.

Sanktionen zweifelhaft

® Kommt der Arzt seiner Fort- bildungspflicht nicht nach, stellt sich die Frage nach der adäquaten Sankti- on. Folgende Sanktionsebenen kön- nen unterschieden werden:

a) Eine mittelbare Sanktion liegt auf der Hand: Die Erhöhung des Haf- tungsrisikos bei Unterlassen der Fort- bildungspflicht. Wenn und soweit Fortbildung eine Berufspflicht ist — wie beispielsweise in Deutschland —, könnte die Verletzung dieser Fortbil- dungspflicht disziplinarische Maß- nahmen zur Folge haben, mit anderen Worten, es wäre zu prüfen, ob gegen den Arzt berufsaufsichtliche Maß- nahmen ergriffen werden. Die Zweckmäßigkeit solcher Regelungen ist indessen höchst zweifelhaft.

b) Geeignet wären eher Regelun- gen, welche dem Arzt, der einer Fort- bildungspflicht genügt, gestattet, dar- aus einen Nutzen zu ziehen, sei es im Hinblick auf die Vergütung seiner ärztlichen Leistungen, oder sei es im Hinblick auf die Möglichkeit, be- stimmte Fortbildungsmaßnahmen ge- genüber seinen Patienten in unauf- dringlicher Weise anzukündigen.

O Fortbildung steht im Zusam- menhang mit Qualitätssicherung. Ein besonderer Weg, Fortbildung in spe- ziellen Tätigkeitsfeldern verbindlich zu machen, ist ihre Integration in kon- Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 27, 7. Juli 1995 (31) A-1913

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THEMEN DER ZEIT

krete Qualitätssicherungsmaßnah- men. Für spezielle Methoden der Un- tersuchung und der Behandlung könnten regelmäßige Fortbildungs- maßnahmen, welche auf den Erwerb der dazu erforderlichen Kenntnisse und Erfahrungen und ihrer Aktuali- sierung gerichtet sind, vorgeschrieben werden. Hier wäre es auch zulässig, die Befugnis zur weiteren Aus- führung solcher ärztlicher Maßnah- men von dem konkreten Nachweis darauf bezogener Fortbildungsmaß- nahmen abhängig zu macht („Reli- zensierung").

© Es ist erforderlich, daß die Ärz- teschaft selbst solche Konzepte ent- wickelt. Es ist bekannt — in Deutsch- land wird dies teilweise praktiziert —, daß ansonsten mittelbar Fortbildungs- maßnahmen besonderer Art erzwun- gen werden, und zwar durch die ge- setzliche Krankenversicherung, wel- che die Vergütung bestimmter Lei- stungen davon abhängig macht, daß Fortbildungsmaßnahmen spezifischer Art absolviert worden sind.

Koordination erforderlich

In den bisherigen Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft zum Europäischen Arztrecht finden sich keine Regelungen zur ärztlichen Fort- bildung. Basisregelung des Europäi- schen Arztrechts ist nunmehr die Richtlinie 93/16/EWG vom 5. April 1993 zur Erleichterung der Freizügig- keit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome, Prü- fungszeugnisse und sonstigen Befähi- gungsnachweise. In dieser Richtlinie ist das Europäische Arztrecht, wie es bisher in den Einzelrichtlinien 75/362/EWG und 75/363/EWG jeweils vom 16. Juni 1975 und in der Richtli- nie über die spezifische Ausbildung in der Allgemeinmedizin, der Richtlinie 86/457/EWG vom 15. September 1986, entwickelt worden war, kodifi- ziert worden. Diese europäischen Re- gelungen sind seit 1. Januar 1994 auch für die Vertragsstaaten des Europäi- schen Wirtschaftsraumes (EWR) ver- bindlich. Bekanntlich enthält diese Richtlinie keine Anforderungen an den Inhalt der Ausbildung im einzel- nen und an den Inhalt der Weiterbil- dung zum Facharzt im einzelnen,

AUFSÄTZE

ebensowenig Bestimmungen zur Fort- bildung.

Dennoch stünde es der Europäi- schen Gemeinschaft zu, zur Sicherung einer qualitativen Konvergenz der ge- genseitig anerkannten Ausbildungen und Facharztausbildungen auch vor- zuschreiben, daß Fortbildungsmaß- nahmen unternommen werden müß- ten. Ich verweise insbesondere auch auf Art. 57 Abs. 3 des EU-Vertrages, welcher Richtlinien zur Koordinie- rung der Bedingungen der Berufs- ausübung des Arztes zuläßt.

Ständiger Ausschuß der Ärzte der EG

Funchal 1993 "Continuing Medi- cal Education is an ethical duty and individual responsibility of every practising doctor through- out his professional life."

Eine weitere Ausarbeitung der jeweils nationalen Regelungen über Fortbildung, die zum Beispiel in rechtlich sanktionierte Systeme von autorisierten Fortbildungsnachwei- sen oder gar von Zertifizierungen, Wiederholungsprüfungen oder Reli- zensierungen für die ärztliche Tätig- keit führen, würde die Frage aufwer- fen, ob es sich hier um koordinie- rungsbedürftige Bedingungen der Be- rufsausübung oder ob es sich um

„sonstige Befähigungsnachweise" i. S.

des Art. 57 EUV handelt.

Gleichwohl würde sich die Frage stellen, ob nicht im Hinblick auf das Gebot der Subsidiarität, welches den Kompetenzen der Europäischen Uni- on Schranken setzt, es den Mitglied- staaten und der in den Mitgliedstaa- ten damit betrauten Ärztekammern überlassen sein muß, jeweils in ihrem Rahmen Fortbildung zu organisieren.

Das in Art. 3b des Vertrages eingefüg- te Gebot lautet: „Die Gemeinschaft wird innerhalb der Grenzen der ihr in diesem Vertrag zugewiesenen Befug- nisse und gesetzten Ziele tätig. In den Bereichen, die nicht in ihre aus- schließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Sub- sidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezo- genen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend er-

reicht werden können und daher we- gen ihres Umfangs oder ihrer Wir- kung besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können. Die Maß- nahmen der Gemeinschaft gehen nicht über das für die Erreichung der Ziele dieses Vertrages erforderliche Maß hinaus."

Bei Anwendung dieser Regel auf den Problembereich der Fortbildung erweist es sich wohl, daß auf europäi- scher Ebene entsprechende Regelun- gen nicht getroffen werden müssen, ja daß es auch rechtlich nicht zulässig wäre, die Fortbildung im Rahmen des Europäischen Gemeinschaftsrechts zu harmonisieren.

Dennoch ist Fortbildung ein „eu- ropäisches Thema". Dies beweist, daß der Beratende Ausschuß für ärztliche Ausbildung bei der EG-Kommission sich schon seit Jahren mit der Fortbil- dung befaßt und demnächst wohl eine Entschließung fassen will.

Im Hinblick auf die grundlegende Überzeugung der europäischen Ärz- teschaft vom Wert der Fortbildung könnten aber im Sinne von Empfeh- lungen durch die europäische Ärzte- schaft selbst Verhaltenskodizes ent- wickelt werden, wie dies auch die eu- ropäische Ärzteschaft im Hinblick auf die ethischen Grundsätze und neuer- dings für bestimmte spezielle Fragen, wie beispielsweise die Ankündigung der ärztlichen Praxis und die Tätigkeit von Ärzten in Gesellschaften unter- nommen hat. Solche Verhaltenskodi- zes für die ärztliche Fortbildung, wie sie beispielsweise mit Hilfe der Eu- ropäischen Akademie für ärztliche Fortbildung durch den Ständigen Ausschuß der Europäischen Ärzte in einen formellen Rahmen gebracht werden könnten, wären Ausdruck der Autonomie der europäischen Ärzte- schaft, insbesondere ihres Anspruchs, ärztliche Fortbildung autonom in ihren Grundsätzen und Umrissen de- finieren zu können.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärzteb11995; 92: A-1910-1914 [Heft 27]

Anschrift des Verfassers:

RA Horst Dieter Schirmer Herbert-Lewin-Straße 3 50931 Köln

A-1914 (32) Deutsches Ärzteblatt 92, Heft 27, 7. Juli 1995

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