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eintrinken lässt sich lernen. Unter diesem Motto stand das Sym- posium einschließlich Buch- präsentation „Sensi diVini – die Weinprobe findet im Kopf statt“, bei dem Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen die physiologischen und neu- rologischen Vorgänge beim Weintrinken erörterten.Nach Prof. Dr. Ulrich Fi- scher, Neustadt/Weinstraße, fließen bei der Beurteilung ei- nes Weines die objektive Be- schreibung der Qualität, zum Beispiel anhand eines „Wein- Aromarades“, mit dem sich das sensorische Profil eines Weins erfassen lässt, und die subjektive Bewertung des Ge- ruchs- und Geschmackserleb- nisses zusammen. Zusätzlich beeinflusst auch die natürli- che Ausstattung der Sinnesor- gane die Geschmackswahr- nehmung. So könne man die Menschen im Hinblick auf die Wahrnehmung einer be- stimmten Bittersubstanz (6- n-Propylthiouracil) als „Nicht- schmecker“, „Schmecker“ und
„Superschmecker“ einteilen, erläuterte Fischer. „Super- schmecker nehmen
einen bitteren Ge- schmack wahr, der sich den Nicht- schmeckern erst mit der 10 000fachen Menge an Bittersub- stanz erschließt.“
Ursache dafür ist die
Zahl der Geschmacksknospen je Quadratzentimeter auf der Zunge. Daher bevorzugen Su- perschmecker in der Regel eher einen lieblichen Riesling als einen relativ bitteren, trockenen Gewürztraminer.
Auch die Fähigkeit, über den
Speichelfluss bittere und ad- stringente Substanzen bereits im Mund „zu entschärfen“, be- einflusst die Geschmacks- wahrnehmung.
Statt „Feinschmecker“ müss- te es eher „Feinriecher“ hei- ßen, denn der Genuss beim Weintrinken ist eher auf den Geruchs- als den Geschmacks- sinn zurückzuführen. Die Ge- ruchsempfindung stellt sich beim direkten Kontakt zwi- schen flüchtigen Duftstoffen und den Riechsinneszellen in der Nase ein. Ist dieser Zugang blockiert (wenn man sich bei- spielsweise die Nase beim Schlucken zuhält), schmeckt der Wein fad, weil man das Weinaroma nicht mehr rie- chen kann.
Feinriecher statt Feinschmecker
So werden über die Ge- schmacksknospen auf der Zunge lediglich die sauren, süßen und bitteren Noten des Weines wahrgenommen, wo- hingegen die komplexeren Merkmale der Aromen eines Weines – wie etwa Frucht-, Blumen-, Kräuter- komponenten – nur über den Geruch bestimmt werden.
Erst dieses „Bouquet“ ver- leiht dem Wein seine spezifi- schen Charakteristika und macht den Weingenuss aus.
Prof. Dr. Bettina M. Pause, Universität Düsseldorf, wies darauf hin, dass Geruch und Emotion in denselben Ge- hirnarealen (im limbischen System) verarbeitet werden und ähnliche Funktionen ha- ben. Die für die Geruchsver- arbeitung verantwortlichen Gehirnareale sind phylogene- tisch alte Strukturen. Es wer- de vermutet, dass die Regu- lation basaler emotionaler Verhaltensweisen durch die gleichen Strukturen und ähn- lich wie geruchsbezogene Ver- haltensweisen organisiert ist.
Empirisch lässt sich das zum Beispiel daran nachweisen, dass sich Geruchswahrneh- mungen mit emotionalen Be- findlichkeiten und psychi- schen Störungen verändern.
So lässt etwa die olfaktorische Wahrnehmung bei depressi- ven Patienten nach.
Liebhaber guten Essens und Trinkens sind meist da- von überzeugt, dass sich Genuss lernen und durch Er- fahrung steigern lässt. Eine Studie mit der funktionellen Magnetresonanztomographie zur Verkostung von Wein im Gehirn von Sommeliers scheint diese Meinung jetzt auch wissenschaftlich zu be- stätigen. Bei der Untersu- chung, die in der IRCCS-Stif- tung Santa Lucia in Rom durchgeführt wurde, ging es um die Wirkung von Ge- schmacks- und Geruchsreizen auf die Gehirnfunktion trai- nierter und untrainierter Menschen – Sommeliers und nichtprofessionelle Weintrin- ker. „Einerseits sollten dabei die Hirnregionen kartiert werden, die während der Ver- kostung aktiviert werden“, er- läuterte Dr. Gisela Hagberg, IRCCS-Stiftung Santa Lucia.
„Andererseits sollte unter- sucht werden, ob zwischen beiden Personengruppen Un- terschiede im Aktivierungsort und -grad sowie in der -inten- sität bestehen.“ Nach der Stu- die wenden Sommeliers wäh- rend der Weinprobe besonde- re Strategien an, um das kom- plexe Zusammenspiel der be- teiligten primären Sinnesqua- litäten zu entwirren, und re- gen damit höhere kognitive Funktionen an, die mutmaß- lich den Weingenuss intensi- vieren. Heike E. Krüger-Brand V A R I A
Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 9⏐⏐3. März 2006 AA561
Feuilleton
„Sensi diVini – Die Weinprobe findet im Kopf statt“, Hrsg. Jürgen K. Mai, Benigna Mallebrein, Raetia-Verlag, Bozen 2005, 12 Euro (online unter www.3beegroup.com oder bei der Deutschen Weinakademie unter www.deutscheweinakademie.de). Das mit Aquarellen des Künstlers Michael Auth wunderschön bebilderte Buch führt anhand von Fachbeiträgen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Diszipli- nen unterhaltsam und äußerst lehrreich in die Geheimnisse der sinnlichen Wahrnehmung bei der Weinverkostung ein und erläutert die für das Ge- schmackserlebnis relevanten Strukturen und Mechanismen des Gehirns.
Ein weiteres Wein-Symposium findet am 6. Mai 2006 in Würzburg statt
(Infos unter www.koenigundmueller.de). KBr