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Bericht und Meinung DER KOMMENTAR
Schweinehirn begünstigt
Der nordrhein-westfälische Ge- sundheitsminister, Professor Friedhelm Farthmann, schlägt Warnungen der Bundesärztekam- mer vor der chirurgischen Implan- tation von Schweinehirn in die Bauchhaut Multiple-Sklerose- Kranker in den Wind.
Auch die Auffassung der Interna- tionalen Vereinigung der Multiple- Sklerose-Gesellschaften (IFMSS), die das von einem Dr. Gojko Jele- sic demnach ministeriell offenbar begünstigte Verfahren für ineffek- tiv und gefährlich hält, beeinflußt seine Entscheidungen nicht.
Ferner scheint es unbedeutend zu sein, daß schon zu Beginn dieser
„Spezial-Tätigkeit" eines Arztes zwei Patienten nach seiner Be- handlung eine Verschlimmerung ihres Leidens mit Lähmungen er- litten und daß ein Patient sogar starb. Denn weitere Zwischenfälle seien nicht aufgetreten, erfährt man über die Tagespresse. Dort wird auch von „strengen" Aufla- gen berichtet und von „Aufsicht des Düsseldorfer Regierungsprä- sidenten". Dieser teilt demnach ebenfalls nicht die Sorgen der Bundesärztekammer um die Mul- tiple-Sklerose-Kranken. Als Be- gründung wird über die Presse verbreitet: „Befürchtete Katastro- phen blieben bislang aus."
Es bleibt aber unklar, wie diese überhaupt festgestellt werden könnten, wenn die „strengen"
Auflagen laut Presse-Bericht vor- nehmlich darin bestehen, daß die Patienten „nach ausdrücklicher Aufklärung über die möglichen Ri- siken schriftlich ihr Einverständnis zu der Behandlung erklärt haben".
Wie wurde dieses Risiko bei der Aufklärung aber definiert, wenn Dr. Jelesic vor der Presse behaup- tet: „Noch nie hat es große Kom- plikationen gegeben"? Was geht hier anderes vor, als daß der be- rüchtigte Strohhalm verkauft wird,
an den sich hilfsbedürftige Patien- ten voll Vertrauen in gegebene Versprechungen klammern, und für den sie jeden Preis zahlen?
Und wie kann man glauben, daß Dr. Jelesic „nur" DM 500,— ver- langt, wenn der Preis nach Jele- sics Kostenrechnung in Wirklich- keit 850,— DM beträgt? Ein selbst- loses „Opfer" des Therapeuten?
Es bleibt auch unklar, wie die
„Aufsicht des Düsseldorfer Regie- rungspräsidenten" aussieht, wenn sich der Arzt beharrlich weigert — so ein Artikel in der Mittelbayeri- schen Zeitung — „über seine Me-
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Rezept
Die ZEIT hat die Kostentreiber im Gesundheitswesen entdeckt: Ein Mitarbeiter, dem es widerfuhr, ei- ne neue Brille zu brauchen, be- richtet, er habe seiner Kranken- kasse Geld sparen und die Brille gleich beim Optiker kaufen wol- len, aber keiner der - braven Hand- werksmeister habe ihm diesen Wunsch erfüllt — der Berichterstat- ter mußte ein ärztliches Rezept ho- len, und so kostete die neue Brille eben zusätzlich noch ein Arztho- norar.
Daß dieser ZEIT-Mitarbeiter sich Gedanken über das Geld macht, ist zwar verdienstlich, aber er hät- te seine eigene Zeitung besser le- sen sollen: Oft genug hat einer seiner Kollegen sich dort schon darüber verbreitet, daß Vorsorge billiger als Heilen sei.
Unser Fazit aber: Es ist erfreulich zu lesen, daß die Optiker heute offenbar regelmäßig die ärztliche Verschreibung fordern, die ja si- cherstellen soll, daß außer der Sehschärfebestimmung auch eine starvorbeugende Netzhautkontrol- le vorgenommen wird, was eine ärztliche Aufgabe ist. Das war noch vor nicht allzulanger Zeit kei- neswegs selbstverständlich! bt
thode und Erfahrungen nachprüf- bare wissenschaftliche Arbeiten zu veröffentlichen", weil er es nicht einsehe, „daß er seine Auf- sätze just bei jenen abliefern soll, die ihn seit Jahren bekämpfen."
Demnach ist der Schutz des Schweinhirn-Therapeuten kom- plett. Aber wer schützt die Patien- ten? Wer beobachtet überhaupt, was aus ihnen wird?
Sollte es nicht zu denken geben, daß es keine Zwischenfälle mehr gibt, daß man jedenfalls nichts mehr darüber erfährt, seitdem die warnende Stimme des Leiters der
„Multiple-Sklerose Informations- und Beratungsstelle" am Zentrum für Neurologische Medizin der Universität Göttingen, Professor Bauer, ministeriell abgeschirmt wurde?
Was wird der Minister zu seiner Rechtfertigung vorbringen kön- nen, wenn sich herausstellt, daß Patienten doch zu Schaden ge- kommen sind, und daß dies nach den Erfahrungen der Immunologie und der Transplantationschirurgie zu erwarten gewesen war? Und was hätte er zu sagen, wenn sich auch noch herausstellen würde, daß die Auflagen für Dr. Jelesics Vorgehen gar nicht angemessen und erst recht nicht „streng" wa- ren? Was ergäbe sich außerdem, wenn die Aufsicht nicht ordnungs- gemäß geführt und womöglich un- terdrückt wurde? Eines ist sicher:
den betroffenen Patienten hilft es dann nicht mehr, wenn auf ihre Kosten die (vermeidbaren) Gefah- ren der Methode demonstriert werden.
Warum dieses Gegeneinander?
Müßte nicht ein verantwortungs- bewußtes Miteinander zum Schutz der Patienten selbstverständlich sein? Der Minister sollte sofort ei- ne Konferenz der Befürworter und Gegner der umstrittenen Methode einberufen — und nicht erst die
„befürchtete Katastrophe" ab- warten.
Prof. Dr. med. Irmgard Oepen, Marburg
DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe A 24 Heft 42 vom 21. Oktober 1983 80. Jahrgang