Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 110|
Heft 14|
5. April 2013 A 649 INFORMATIONSINFRASTRUKTURENRohstoff der Zukunft
Für den Umgang mit Massendaten fehlen nachhaltige Strategien.
Nicht das Sammeln, sondern das Nutzbarmachen der Daten ist dabei die große Herausforderung.
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er Daten-Tsunami in der Me- dizin rollt“, erklärte Prof. Dr.med. Otto Rienhoff, Direktor der Abteilung Medizinische Informatik der Universitätsmedizin Göttingen, bei der 5. TMF-Jahrestagung Mitte März in Heidelberg. Im Mittelpunkt der vom TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetz- te medizinische Forschung e.V. aus- gerichteten Veranstaltung stand die Frage, ob die Medizin ausreichend auf „Big Data“ vorbereitet ist und welche Informationsinfrastrukturen hierfür erforderlich sind. Zu Letzte- ren zählen etwa Wissensdatenban- ken, Register, Objektsammlungen, Archive und Bibliotheken.
Die Medizin zählt zu den beson- ders datenintensiven Disziplinen:
Durch die wissenschaftlichen und technologischen Fortschritte zum Beispiel in der Bildverarbeitung oder bei der Genomsequenzierung und die zunehmende Vernetzung der Forschung fallen immer größere Datenmengen an, die verarbeitet werden müssen. Hierfür spielen et-
wa das KKS-Netzwerk (Koordi - nierungszentren für Klinische Stu- dien), Register, zentrale IT-Infra- strukturen und zunehmend auch Biomaterialbanken eine wichtige Rolle. Darauf verwies Prof. Dr. med.
Guido Adler, Leitender Ärztlicher Direktor des Universitätsklinikums Heidelberg. „Biobanken sind strate- gisch wesentlich für die klinische Forschung. Eine Fakultät, die keine Biobank aufbaut, wird in zehn Jah- ren einen Nachteil haben“, betonte Adler. Die Kosten dafür würden je- doch häufig unterschätzt: „Sie sind hoch, nicht nur zu Beginn, sondern auch im Verlauf.“ Hierfür seien eine nachhaltige Finanzierung und Zu- gangsregelungen erforderlich.
Das Thema „Big Data“ wird je- doch derzeit nicht nur innerhalb der Medizin, sondern auch in anderen Wissenschaftsbereichen diskutiert.
Hintergrund ist eine Empfehlung des Wissenschaftsrates vom Juli 2012, in der dieser „eine strategische Wei- terentwicklung des Gesamtsystems der Informationsinfrastrukturen in
Deutschland“ für „dringend erfor- derlich“ erachtet (Kasten). „Infor- mationen haben einen immer größe- ren Wert, und auch der Zugang zu ihnen ist wertvoll“, erläuterte Prof.
Dr. Antje Boetius vom Wissen- schaftsrat. Informationsinfrastruk - turen werden in allen Fächern be - nötigt, sie seien in Form von Archi- ven und Sammlungen faktisch die Wissensbewahrer.
Dabei ist inzwischen nicht mehr vorhersehbar, wozu die Masse an gespeicherten Daten einmal gut sein wird. Beispiel Lebenswissenschaf- ten: Die Menge an biologischer In- formation, die der Forschung zur Auswertung zur Verfügung steht, wächst rasant, ebenso die Leistungs- fähigkeit der Datenspeicher – nach dem Moore’schen Gesetz verdoppelt sich der Speicherplatz von Compu- terchips durch schnittlich alle 20 Mo- nate. Und während die Kosten für Sequenzierung und Datenspeiche- rung kontinuierlich sinken, sind die Kosten, diese Daten zusammenzu- führen, auszuwerten und für die Nut- zung aufzubereiten, ungleich höher und steigen weiter.
Fachübergreifende Strategie erforderlich
Die „Spielregeln“, wie künftig mit Informationsinfrastrukturen umge- gangen werden soll, sind Boetius zufolge unklar. Wer soll über För- derung und Weiterentwicklung der Forschung und Fachkulturen, über die Frage der Daten, der Objekt - bewahrung und des Informations- transfers entscheiden, wer über die Prioritäten angesichts knapper Kas- sen? „Das sind fachübergreifende Fragen“, betonte Boetius. „Strate- gien für die langfristige Sicherung von zentralen Informationsinfra- strukturen fehlen uns.“ Den raschen standortunabhängigen Zugang zu Daten- und Wissensbeständen zu gewährleisten, sei eine öffentliche Aufgabe. Zu lösen sind dabei viel- fältige Probleme, darunter die lang- fristige Sicherung der Daten (Halt- barkeit der Speichermedien), die flexible Anpassung an neue Bedarfe und Methoden (Beispiel: mobiler Zugang), die Finanzierung sowie die internationale Anbindung.
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Heike E. Krüger-Brand Der Wissenschaftsrat empfiehlt eine ausreichen-
de Grundfinanzierung für die wissenschaftliche Informationsinfrastruktur durch Bund und Länder.
Errichtung, Betrieb und Finanzierung müsse dabei über Ländergrenzen hinweg und auch im interna- tionalen Verbund geregelt werden. Zentrale Auf- gabenfelder sind:
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Lizenzierung (Veröffentlichung durch Verlage)●
Hosting/Langzeitarchivierung●
nichttextuelle Materialien (wie Biobanken)●
Retrodigitalisierung/kulturelles Erbe●
virtuelle Forschungsumgebungen (zum Bei- spiel die Frage der Metadaten zu Proben)●
Open Access●
Forschungsdaten und●
Informationskompetenz/Ausbildung.Der Wissenschaftsrat hat ein zweistufiges Koordinierungsmodell vorgeschlagen: einer- seits die stukturbildende Koordinierung der Aufgabenfelder durch fach-, forschungsfeld- und medienbezogene Initiativen, andererseits die Koordinierung des Gesamtprozesses durch einen noch zu etablierenden Rat für Informa- tionsinfrastrukturen als Austauschplattform.
Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz will bis zum Juni 2013 entscheiden, ob es ein solches fachübergreifendes Koordinierungsgre- mium geben soll.
Empfehlungen zur Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Informationsinfrastrukturen in Deutschland bis 2020, Drs. 2359.12, Berlin 13. Juli 2012, www.wissenschaftsrat.de/
download/archiv/2359.12.pdf