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Archiv "Die neutrophilen Granulozyten bei entzündlichen Prozessen" (19.05.1988)

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Die neutrophilen Granulozyten bei entzündlichen Prozessen

Rudolf Gross

1. Übersicht

Seit den grundlegenden Arbeiten von Vik- tor Schilling (ab 1912) wissen wir, daß entzünd- liche Prozesse in der Regel verbunden sind mit Veränderungen der Serumeiweißkörper (Anti- körper, Komplementsystem usw.) und charakte- ristischen Veränderungen der Leukozyten, un- ter denen die neutrophilen Granulozyten (NG, in angelsächsischer Nomenklatur meist als NPL oder NPN = „neutrophilic polymorph nuclear leucocytes" bezeichnet) eine wesentliche Rolle spielen, allein schon wegen ihres Anteils von 55 bis 70 Prozent der gesamten Leukozyten. Schil- ling (7) hatte auch bereits — heute unverändert gültig — den Ablauf einer typischen Infektion ge- kennzeichnet als „neutrophile Kampfphase" —

„monozytäre Überwindungsphase" — „lympho- zytär-eosinophile Heilphase".

Bei chronischen Infekten kann jede der drei Phasen fortbestehen, je nachdem, ob akute (Neutrophilie, alpha1 + alpha2-Dysprotein- ämie), subakute oder remittierende (Monozyto- se, alpha2 + gamma-Dysproteinämie) bezie- hungsweise chronische (Lymphozytose mit oder ohne gamma-Dysproteinämie) den Gesamtorga- nismus betreffen (3). Dabei sind die Pathogeni- tät der Erreger, die Reaktion des Wirts und an- dere Einflußgrößen zu berücksichtigen. Auch kann ein (allein) früh angefertigtes Blutbild zu Fehlurteilen führen, wenn die zirkulierenden oder marginalen neutrophilen Granulozyten durch Chemotaxie schon zum Entzündungs- herd, zum Beispiel einer Pneumonie, gewandert sind, der Proliferationspool im Knochenmark aber noch nicht aktiviert ist oder — gemessen am Verbrauch in der Peripherie — seine Grenzen er- reicht hat.

Virusinfekte lassen häufig die Schillingschen Grundkonstellationen vermissen, ebenso der Typhus (im Unterschied zu den meisten Fällen von Paratyphus!). Um so wichtiger sind in die- sen Fällen die sogenannte Linksverschiebung zu

den unreifen Elementen hin und die „toxische Granulation" (rot- bis blauviolette Granula statt der normalen rotbraunen, dazu Anisomorphie).

Neuere Untersuchungen auf biochemischer oder molekularbiologischer Ebene haben eine feinere Differenzierung und neue Einblicke in die Funk- tion und Zahl der Granulozyten ermöglicht (aus- führliche Literatur unter anderem bei 2, 4, 5).

2. Die neutrophilen. Granula

Eine der wichtigsten Erkenntnisse der letz- ten Jahre ist die Feststellung, daß die Granula der Neutrophilen unter sich nicht identisch sind, daß man vor allem mindestens vier Arten unter- scheiden muß, die besonders an die Gene der Chromosomen 17 und 21 gebunden sind. Ma- lech und Gallin (4) unterscheiden bei den „pri- mären Granula" die größeren und dichteren peroxidasepositiven und die etwas kleineren, peroxidasenegativen mit einem hohen Gehalt an sauren Hydrolasen. Zu den „sekundären Gra- nula" gehören die glykoproteinreichen mit ih- rem hohen Gehalt an Lactoferrin und Vitamin

B12 (die auch als Marker dienen!), zu den „terti- ären Granula" schließlich die noch wenig be- forschten, mit der Sensibilität der NG zusam- menhängenden lactoferrinarmen, an Gelatinase reichen (6). Neu ist auch die Erkenntnis, daß ne- ben den Granulozyten als ganzen in einer Art

„burst" Granula freigesetzt werden und Ab- wehrfunktionen ausüben können. Zu den Zell- funktionen gehören Adhärenz an Mikroorganis- men, Phagozytose, Opsonisation, Verdauung.

3. Morphologisch erkennbare Anomalien

Hereditäre Anomalien sind in der Pappen- heim-Färbung seit langem bekannt und sollen hier nicht näher besprochen werden. Dazu ge-

Dt. Ärztebl. 85, Heft 20, 19. Mai 1988 (57) A-1453

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hört die klinisch bedeutungslose, in etwa jedem tausendsten Blutbild zu erkennende Pelger- Huüt-Kernanomalie. Sie kommt neben heredi- tären Formen, bei denen sie als Marker für Blut- und Knochenmarktransfusionen dient, als

„Pseudo-Pelger" bei aller Art von schweren Knochenmarkschäden vor. Sie darf wegen der Hantelform der Kerne nicht mit einer „Links- verschiebung" verwechselt werden!

Bei anderen autosomal-rezessiven, seltene- ren Anomalien wie der von Alder und Reilly und der von Chediak und Steinbrinck (näheres bei 3) sollen zum Teil Entwicklungen zu Panzy- topenien oder zu Leukosen beobachtet worden sein. Von den Wirkungen der neutrophilen Gra- nulozyten als ganzes ist schließlich zu trennen die Ausstoßung von enzymhaltigen Granula.

4. Biochemisch

nachgewiesene Anomalien

Beruhten (trotz zum Teil nachfolgender bio- chemischer Untersuchungen) die in den Lehrbü- chern aufgeführten Anomalien vorzugsweise auf Veränderungen in der panoptischen Färbung nach Pappenheim, so ist neuerdings eine große Zahl von Arbeiten erschienen, die Anomalien in der Zusammensetzung der Granula nachweisen und zum Teil bestimmten Chromosomen zuordnen konnten. Dazu gehören vor allem:

O Störungen der Adhärenz (CR3 oder IC3b), das heißt ein Mangel an Rezeptoren für den Schlüsselfaktor C3b des Komplementsystems (bei- de Aktivierungswege!). Dieser Rezeptor scheint eine Rolle zu spielen in der Adhärenz und Phago- zytose mit den Fc-Fraktionen des Immunglobulins IgG und in der Bindung von Bakterien an T-Lym- phozyten. Es handelt sich um einen relativ selte- nen, autosomal-rezessiv vererbten Defekt der neu- trophilen Granulozyten und der Monozyten sowie Lymphozyten. Neigung zu entzündlichen Reaktio- nen im Kopf-Hals-Bereich ist beschrieben (Litera- tur bei 4). Bezeichnenderweise ist bei dieser Stö- rung die Zahl der Neutrophilen erhöht, weil sich kein „marginaler Pool" ausbildet (4).

• Störungen im oxydativen Stoffwechsel:

Offenbar liegt hier eine Gruppe verschiedener De- fekte vor, die zu einer Aktivierung des Zellstoff- wechsels führen und deren gemeinsames klinisches Merkmal das Auftreten chronischer granulomatö- ser Entzündungen ist.

• Peroxidase-Mangel:

Mangel an Myeloperoxydase (in den neutrophilen Granulozyten und in den Monozyten) ist relativ häufig. Er soll bei Homozygoten 1:4000, bei Hete-

rozygoten 1:2000 erreichen. Die bisher bekannten klinischen Auswirkungen sind gering, offenbar durch Kompensationsmechanismen (Ausnahme:

Pilzinfektionen).

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Mangel an anderen Neutrophilen-Kompo- nenten:

Hauptmerkmal dieser inhomogenen Gruppe im Rahmen der oxydativen Kaskade mit autoso- mal-rezessivem Erbgang sind wiederum chronisch granulomatöse Entzündungen, eine antibakterielle und antimykotische Abwehrschwäche, besonders in den frühen Phasen einer Infektion.

5. Neutrophile und Entzündungen

Während ein morphologisch oder bioche- misch nachgewiesener Defekt in den neutrophi- len Granulozyten die Anfälligkeit gegenüber In- fektionen erhöht, können NG ihrerseits eine chronische Entzündung unterhalten oder begün- stigen — sei es im Rahmen einer Autoimmuner- krankung, sei es als Folge von Gefäßverschlüs- sen oder Stoffwechselerkrankungen. Malech und Gallin (2, 4, dort Literatur) zählen dazu:

Herzinfarkte (!), das akute respiratorische Syn- drom des Erwachsenen, Emphyseme, Asthma bronchiale, Verbrennungsschäden mit Hämoly- se , Neoplasmen mit sekundärer Entzündung, Gicht, rheumatoide Arthritis, Immunvaskulitis, Glomerulonephritis, Colitis ulcerosa, Dermatiti- den mit Neutrophilie.

Für die Prognostik aller dieser Leiden lohnt es sich somit, die neutrophilen Granulozyten quantitativ (selbst durchgemustertes Blutbild!) und — soweit möglich — qualitativ biochemisch zu verfolgen.

Literatur (Auswahl)

1. Bumett, D.; Hill, S. L.; Chambra, A.; Stockley, R. A.: Neu- trophils from subjects with chronic extracellular Proteolysis.

Lancet II (1987) 1043

2. Gallin, J.: I: Neutrophil specific Granulocyte Deficiency. Ann.

Rev. Med. 36 (1985) 263

3. Gross, R., in: Gross, Schölmerich, Gerok: Lehrbuch der Inne- ren Medizin, 7. Auflage, Stuttgart, Schattauer, 1987 4. Malech, H. L.; Gallin, J.: I: Neutrophils in human disease.

New Engl. J. Med. 317 (1987) 687 (ausführliche Literatur) 5. Movat, H. Z.: The inflammatory reaction. Amsterdam, Else-

vier, 1985

6. Murphy, P.: The Neutrophil. New York, Plenum Medical Book Bibliography, 1976

7. Schilling, V.: Das Blutbild. Jena, Fischer, 1943

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med. Dr. med. h. c. Rudolf Gross Herbert-Lewin-Straße 5

5000 Köln 41 A-1456 (60) Dt. Ärztebl. 85, Heft 20, 19. Mai 1988

Referenzen

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