Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 106⏐⏐Heft 9⏐⏐27. Februar 2009 A405
M E D I E N
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in medizinischer Notfall kann sich für gehörlose Menschen schnell zur Katastrophe entwickeln, denn viele der Betroffenen können sich verbal nicht detailliert aus- drücken, medizinisches Personal hat oft keine Erfahrung im Umgang mit Gehörlosen, und Dolmetscher sind in Notfällen kaum verfügbar. Aber auch in der „normalen“ medizinischen Versorgung – vom Arztbesuch bis zur Teilnahme an Präventionskursen – sind sie benachteiligt. Gleichzeitig liegen nur wenige sozialmedizini- sche Daten zur gesundheitlichen und ärztlichen Versorgung dieser Bevöl- kerungsgruppe vor. Das Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedi- zin der Universität Mainz hat deshalb eine Studie gestartet, um bei den Betroffenen den aktuel- len Versorgungsstand zu er- mitteln und die Situation zu verbessern (www.uni-mainz.de/FB/Medizin/asu).
So gibt es nur wenige Ärz- te, die die Gebärdensprache beherrschen. Gehörlose kön- nen daher zu einem Arzt- besuch einen Dolmetscher mitnehmen, der ihre Hand- zeichen übersetzt – die Krankenkassen übernehmen die Kosten dafür. Ob aller- dings ausreichend qualifizier- te Gebärdensprachendolmet- scher, vor allem in ländlichen Regionen, hierfür zur Verfü- gung stehen, ist fraglich. Zu- dem dürften Barrieren bestehen, diese Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Dieser eingeschränkte Zugang zu den Leistungen der Gesundheitsver- sorgung betrifft in Deutschland eine relativ große Gruppe: Rund 200 000 Menschen sind ertaubt, circa ei- ne Million Menschen hochgradig schwerhörig. Etwa 50 000 Menschen sind ohne Hörvermögen geboren oder bereits vor dem Spracherwerb ertaubt. Bei diesen können Schwie- rigkeiten beim Lesen und Schreiben
vorliegen. Das Bildungsniveau der Betroffenen reicht daher von Akade- mikern bis hin zu Analphabeten. Allen gemeinsam ist die Gebärdensprache.
Vor diesem Hintergrund geht das Institut für Arbeits-, Sozial- und Um- weltmedizin bei seiner Umfrage neue Wege: Um den betroffenen Per- sonenkreis in der eigenen Sprache anzusprechen, werden die Fragen in der Gehörlosensprache gestellt und in einem Gebärdenvideo im Internet ge- zeigt. Die Antworten können direkt am PC angeklickt werden. Die Fra- gen betreffen unter anderem die Er- krankung, die Informationsbeschaf- fung, die Zufriedenheit mit Arzt und Krankenhaus oder Übersetzungshil- fen. Auch Cochlearimplantate (CI)
werden thematisiert. Viele Ärzte mei- nen, dass die Gebärdensprache auf- grund der Zunahme von CI ausster- ben werde – die Gehörlosen beglei- ten diese Entwicklung kritisch.
Die Umfrageteilnehmer sollen mindestens 57 von 79 Fragen beant- worten. Die einzige Voraussetzung ist, dass sie Gebärdensprache spre- chen. Unter www.gl-umfrage.de ist die Internetseite freigeschaltet. Bis zum Sommer 2009 sollen die Ergeb- nisse der Studie vorliegen. KBr
ONLINE-UMFRAGE
Stand der Versorgung von Gehörlosen
Eine Umfrage wendet sich mit Gebärdenvideos im Internet an Betroffene.
Über die Gebärdensprache will man mög- lichst viele Gehörlose für die Studie erreichen.
Foto:laif