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Viele Menschen haben nach ihrer

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Interdisziplinäre Herausforderung

Long-COVID-Patienten in der schmerzmedizinischen Praxis

Bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 61 COVID-19-Fällen und 11.780 Neuinfektionen pro Tag, wie die Statistik vom 29. September 2021 zeigte, darf es nicht verwundern, dass Patienten mit Long-COVID- Syndromen in schmerzmedizinischen Praxen vorstellig werden. Wer- den die Inzidenzen und Neuinfektionen aus unseren Nachbarländern mitgerechnet, bleibt zu hoffen, dass die Zahlen nicht weiter steigen.

V

iele Menschen haben nach ihrer COVID-19-Infektion mit Spätfol- gen zu kämpfen und nicht wenige vermissen echte Hilfe. So zeigt eine Stu- die in Großbritannien mit einer Million Betroffenen, wie weit verbreitet das Phä- nomen ist. Obwohl es niemand gerne hört, auch 0,2 % der zwölf- bis 16-Jähri- gen sind betroffen. Eine Studie der Uni- versität Köln zeigt, dass selbst bei einem milden Verlauf zwischen 12 und 27 % der Patienten Long-COVID-Symptome entwickeln. Auch nach vier Monaten hätten sie noch Symptome, die sehr be- lastend sein können. Viele dieser Patien- ten wenden sich an schmerzmedizini- sche Praxen [1].

Long-COVID-Patienten leiden oft un- ter Atembeschwerden, Kopfschmerzen, Aufmerksamkeitsdefiziten, Geschmacks- und Geruchsverlust, Depression oder Herzproblemen. Betroffene beschreiben häufig auch plötzlich auftretende Er- schöpfungszustände. Dabei ist erschre- ckend, dass vor allem junge Menschen zwischen 25 und 50 Jahren ohne Vorer- krankungen unter den Folgen von COVID-19 leiden. Dabei sind Frauen doppelt so häufig betroffen wie Männer.

Leider gibt es derzeit keine belastbaren Zahlen über die Anzahl von Menschen mit COVID-19-Spätfolgen. Die WHO schätzt, dass drei Monate nach einer Er- krankung etwa jeder Zehnte noch im- mer Einschränkungen hat [2].

Fast vier Millionen Deutsche infiziert

Seit Beginn der Pandemie haben sich in Deutschland rund 3,7 Millionen Men- schen mit dem Virus angesteckt. Trifft die Schätzung der WHO zu, hätten 370.000 von ihnen noch zwölf Wochen später Probleme.

Studien zufolge entwickeln 13 % der hospitalisierten COVID-19-Patienten eine ernste neurologische Komplikation [3]. Diese ist offenbar für die Prognose von entscheidender Bedeutung.

Aktuelle Daten liefert PD Dr. Matthi- as Wittstock vom Universitätsklinikum Rostock [4]. Er berichtet, dass auch noch acht Wochen nach der Entlassung aus

dem Krankenhaus 25 % der Erkrankten unter Fatigue und mehr als 50 % unter Atemnot leiden, ein Drittel klagt über Husten und 15 % litten unter depressi- ven Symptomen (Tab. 1).

Zusammenfassend hält Wittstock fest, dass sich in der Gesamtschau aller COVID-19-Erkrankungen bei 35 % neurologische Erkrankungen identifi- zieren lassen. Das Auftreten neurologi- scher Symptome ist prognostisch als ungünstig zu werten [4]. Die Fatigue kann dabei so gravierend sein, dass die Betroffenen nicht in den Berufsalltag zurückkehren können. Die Ursachen der Störung sind allerdings bislang nicht genau bekannt [5, 6].

Die Ansteckung mit SARS-CoV-2 er- folgt durch Tröpfcheninfektion. Die In- kubationszeit mit COVID-19-Viren be- trägt durchschnittlich fünf bis sechs Tage. Zwischen Ansteckung und dem Auftreten erster Symptome können aber auch bis zu zwei Wochen vergehen. Ver- einzelt treten erste Symptome schon in- nerhalb von 24 Stunden nach der Anste- ckung auf. Besonders tückisch ist, dass ein Infizierter bereits Tage vor dem Auf- treten erster Symptome und auch noch nach dem Abklingen ansteckend sein kann.

Laut Schätzung des Robert-Koch-Ins- tituts haben 55–85 % der Infizierten spürbare Beschwerden und/oder zeigen erkennbare Anzeichen oder typische Symptomkombinationen einer COVID- 19-Erkrankung. Die übrigen Infizierten sind beschwerdefrei und zeigen keine Symptome, sind also asymptomatisch erkrankt. Sie können dadurch das Virus aber potenziell weiterverbreiten.

Struktur des SARS-CoV-2-Virus Das SARS-CoV-2-Virus ist aus vier Strukturproteinen aufgebaut: S (Spike), M (Membrane), E (Envelope) und N Abb. 1: Struktur eines SARS-CoV-2-Virus

© Olga / stock.adobe.com

Lipid-Doppelschicht

Membranprotein (M) Hüllprotein

(Envelope)

Spikeprotein (S)

Nucleocapsid (N) Hemagglutinin

Esterase (EH)

RNA (virales Genom)

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(Nucleocapsid). Die N-Proteine um- schließen den inneren Bereich und be- inhalten das RNA-Genom. S, M und E bauen gemeinsam die äußere Hülle auf (Abb. 1). Alle Proteine an der Oberfläche sind denkbare Antigene und können für die Entwicklung potenzieller Impfstoffe von größter Bedeutung sein.

Dieses Virus bewirkt eine Systemer- krankung, wobei sich die Endothelzel- len der Arterien entzünden. Die Sauer- stoffversorgung und die Nährstoffver- sorgung der betroffenen Organe ist mas- siv gestört, was Organschäden bedingen kann. Oft heilt diese Erkrankung nicht folgenlos aus, sondern zeigt bei 30 bis 35 % der Betroffenen (keine endgültige Datenlage) einen verlängerten Verlauf.

Anhaltende Beschwerden nach der Er- krankung (Long-COVID) kommen re- lativ häufig vor, sowohl bei anfänglich schwer, als auch bei jungen, gesunden, zu Beginn nur leicht Erkrankten. Die meisten Patienten mit Long-COVID sind relativ jung und haben die Corona- Infektion zu Hause durchgemacht.

Die Infektion mit SARS-CoV-2 kann zu lang anhaltenden chronischen Be- schwerden in vielen Organsystemen führen. Die Erkrankung ist häufig sehr belastend und bietet eine schillernde, vielfältige Symptomatologie, wie die Übersicht in Tab. 2 zeigt.

Wenn Patienten mit diesen Sympto- men Hilfe in schmerzmedizinischen Praxen suchen, besteht zuerst die Not- wendigkeit herauszufinden, ob die Er- krankten tatsächlich eine COVID- 19-Infektion durchlaufen haben. Durch den Nachweis spezifischer Antikörper kann zwischen Immunisierung und Er- krankung unterschieden werden. Die zur Zeit vorhandenen etablierten Anti- körpertests sind in Tab. 3 aufgelistet.

Mehr Studien durch die Pandemie Die COVID-19-Pandemie scheint auch die Produktion wissenschaftlicher Stu- dien beflügelt zu haben. Noch nie gab es so viele Studien wie in dieser Zeit. Leider sind die meisten dieser wissenschaftli- chen Arbeiten sogenannte Preprint-Stu- dien, die in dubiosen Online-Journalen veröffentlicht wurden. Daher ist es schwierig, zwischen ernsthaft evidenz- basierten, wissenschaftlichen Studien und Fake News zu unterscheiden. Doch

bevor wir zur Diagnostik und Therapie eines Long-COVID-Syndroms überge- hen, vorweg einige Fakten, die wissen- schaftlich überprüft sind und nicht zu den Fake News zählen.

Publikation des Robert-Koch-Instituts Ende März bis Anfang April 2021 wur- den insgesamt über 2,8 Millionen COVID-19-Erkrankungen berichtet. Da- bei gab es 385.022 Fälle bei Kindern und Jugendlichen zwischen 019 Jahren. Die

meisten Fälle traten bei den 15- bis 19-Jährigen auf, davon hospitalisiert wurden 1.776 Personen und 25 dieser Patienten mussten intensivmedizinisch versorgt werden.

Posttraumatische Belastungsstörung Prof. Martin Teufel, LVR Klinikum Es- sen, berichtet, dass in der Zeit von April 2020 bis März 2021 COVID-Patienten einen bis zu 65 % höheren psychischen Disstress angaben, eine bis 45 % höhere Tab. 1: Übersicht der Häufigkeiten einzelner assoziierter neurologischer

Erkrankungen

Krankheitsbild/ Syndrom/Symptom Häufigkeit (%)

Anosmie 86

Dysgeusie 82

Kopfschmerz 6–10

Fatigue Kasuistisch

Enzephalitis 6

Vaskulitis < 1

Akute demyelinisierende Enzephalomyelitis (ADEM) Kasuistisch

lschämischer Schlaganfall 4,6–46

lntrazerebrale Blutung 0,25–7,9

Sinusvenenthrombosen Kasuistisch, Fallserien

Enzephalopathien 7,0–13

Posteriores reversibles Enzephalopathiesyndrom (PRES) Kasuistisch

Guillain-Barré-Syndrom Kasuistisch

Hyper-CKämie 11

Quelle: Dr. med. Matthias Wittstock, Rostock

Abb. 2: Verlauf der Long-COVID-Erkrankung Short COVID

Long COVID

12 Wochen 3 Wochen

Erste Symptome Infektion

Post acute COVID Chronic COVID

© Dr.F.Holbe, Neuburg/Wismar

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generalisierte Angst, 60 % ausgeprägte Coronafurcht und bis zu 15 % vermehr- te Depressivität. Dass die Depression ab dem zweiten Lockdown (November 2020) sogar noch zunahm, ist nach Ein- schätzung von Professor Teufel einem zunehmenden Erschöpfungszustand zu- zuschreiben.

Auch international gehe man von einer 30 %igen Depressionsrate aus.

Besonderen Schaden haben 25 % der schwerkranken, intensivpflichtigen CO- VID-Patienten erlitten. Trotz körperli- cher Genesung traten bei ihnen durch- schnittlich ab 100 Tagen nach erfolgrei-

cher Behandlung Symptome einer post- traumatischen Belastungsstörung (PTBS) auf. Plötzlich überfällt die Patienten ein Gefühl von Hilflosigkeit, Ausgeliefert- sein, Kontrollverlust.

Kardiale Auffälligkeiten

Eine MRT-Studie der Universitätsklinik Frankfurt am Main untersuchte Patien- ten zwei Monate nach Infektionsbeginn.

Viele der Studienteilnehmer hatten zu diesem Zeitpunkt kardiale Auffälligkei- ten im MRT [7].

In einer kürzlich im European Heart Journal publizierten Analyse weisen

schwer erkrankte COVID-Patienten zwei Monate nach der Infektion im Ver- gleich zu gesunden Kontrollpersonen Veränderungen im MRT auf [8]. Bei einer Autopsiestudie in Hamburg stellte sich bei Patienten, die mit einer COVID- 19-Infektion verstorben waren, zwar he- raus, dass das Virus in mehr als einem Drittel der Fälle im Herzen nachweisbar war. Eine Myokarditis im Sinne einer Einwanderung inflammatorischer Zel- len habe sich aber in keinem Fall nach- weisen lassen.

Vier bis sechs Monate nach überstan- dener SARS-CoV-2-Infektion gaben 70 % der Patienten an, noch immer Be- schwerden zu haben. Hier wurde vor al- lem Fatigue und Luftnot angegeben.

Weil die Ursache dieser Beschwerden auch eine Herzinsuffizienz sein könnte, erfolgte eine kardiologische Diagnostik.

Bei 7,4 % der Patienten wurde zum Zeit- punkt der Nachuntersuchung ein erhöh- tes NT pro BNP gefunden. Es ist aber nicht klar, ob die Werte nicht schon vor der Infektion erhöht waren. Prof. Dirk Westermann, Universitäres Herz-und Gefäßzentrum, UKE Hamburg, geht deshalb davon aus, dass Long-COVID keine spezifische Manifestation des Her- zens zeigt, räumt aber ein, dass was er heute berichtet in ein paar Wochen wie- der veraltet sein könnte.

Lungenschäden nach COVID-19

Vier Monate nach schwerer COVID- 19-Erkrankung ist die Sauerstoffaufnah-

me der Lunge im Durchschnitt um ein Fünftel gegenüber dem erwarteten Wert einer gesunden Person vermindert.

Neben der Schädigung des Lungengewe- bes, die auch auf Folgen einer schweren Pneumonie zurückgeführt werden kann, zeigt das CT-Bild auch eine mögliche Be- teiligung der kleinen Atemwege, die nach COVID-19 ein ziemlich charakte- ristisches Bild ergeben [9].

Schädigungen im Gehirn

Prof. Serena Spudich, Newheaven, USA, berichtete bei der virtuellen Konferenz der amerikanischen Neurologen-Gesell- schaft (AAN), dass 60 % der Post- COVID-Patienten, die untersucht wur- den, kognitive Beeinträchtigungen hat- ten und rund die Hälfte über neuromus- kuläre Beschwerden klagten. Ein Drittel Tab. 2: Symptomatologie bei COVID-19

Atemwegsbeschwerden Atemlosigkeit und Husten

Herz-Kreislauf-Symptome Brustschmerzen, thorakales Engegefühl und Herzklopfen Generalisierte Symptome Fatigue, Fieber und Schmerzen

Neurologische Symptome Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, periphere Neuro pathiesymptome, Schwindel und Delir (in der älteren Population)

Magen-Darm-Symptome Appetitlosigkeit, Übelkeit und Durchfall Muskuloskelettale Symptome Gelenk- und Muskelschmerzen Psychiatrische Symptome Depressionen und Ängste

HNO-Symptome Tinitus, Otalgien, Halsentzündungen, Schwindel, Geruchs- und/oder Geschmacksverlust

Dermatologische Symptome Akrale erythematose Schwellungen, vesikulare Eruptionen, urtikarielle Läsionen, makulopapulare Eruptionen und Livedo oder Nekrose

Quelle: Dr. Fabian Holbe, Neuburg/Wismar

Tab. 3: Kennwerte von etablierten Antikörpertests gegen SARS-CoV-2 mit Sensivitäten > 95 % und Spezifitäten > 99 % (Auswahl)

lgG-Antikörper

gegen Test Positiv bei

Genesenen Positiv bei

Geimpften Positiv bei Geimpften und Genesenen

Spike-51 Roche Elecsys® Ja Ja Ja

Spike-51 Bio Merieux Ja Ja Ja

Spike-51 Siemens Ja Ja Ja

Spike-Trimer Diasorin Liaison® Ja Ja Ja

Spike 51 Euroimmun Ja Ja Ja

Nucleocapsid Roche Elecsys® Ja Nein Ja

Nucleocapsid Euroimmun Ja Nein Ja

Nucleocapsid Abbott Ja Nein Ja

Quelle: Prof. Dr. Emil Reisinger, Rostock

(4)

litt unter starken Kopfschmerzen, 10 % hatten eine anhaltende Anosmie, eben- so viele Schlafprobleme. Das häufigste neuropsychiatrisches Symptom war

„Nebel im Hirn“ (Brain Fog), darüber klagten 60 % der untersuchten Patienten, 50 % hatten Gedächtnisprobleme, 30 % stellten Sprachschwierigkeiten fest. Das Symptommaximum wurde meist in den ersten vier bis acht Wochen nach der In- fektion beobachtet, die Beschwerden gingen dann über sechs Monate nur langsam bis gar nicht zurück. Lediglich die Anosmieprävalenz sank deutlich. Es konnte keine direkte virale Schädigung der Nervenzellen gesehen werden. Das Virus schädigt außerdem das Gefäßen- dothel und die Blut-Hirn-Schranke.

In Autopsiebefunden wurde ein deut- licher Fibrogenaustritt aus kleinen Hirn- gefäßen beobachtet. Die Wissenschaftler fanden zudem perivaskuläre Makropha- gen um solche Gefäße, aber kein Virus im Gehirn.

Weiterhin stellten die Neurologen der Yale-Universität erhöhte Werte von Ent- zündungsmarkern im Liquor von COVID-Patienten fest, aber keine Mar- ker bei nicht infizierten Patienten. Au- ßerdem gelang es einer Arbeitsgruppe bei 41 Patienten mit persistierenden Symptomen drei Monate nach der Infek- tion im FDG-PET in bestimmten Hir- narealen einen Hypometabolismus nachzuweisen. Dieser korrelierte deut- lich mit der Art und Ausprägung der Symptome, die Forscher fanden die Ver- änderungen also in Arealen, die nach der Entstehung der Symptome beteiligt sein könnten. Weiter entdeckten die For- scher einen neuartigen Autoantikörper und gehen von einer Autoimmunreak- tion aus.

Nephrologische Schäden

Nierenschäden sind bei stationären COVID-19-Patienten eher die Regel als die Ausnahme. Zumindest in einem uni- versitären Kontext hätten rund zwei Drittel aller stationär aufgenommenen COVID-19-Patienten einen auffälligen Urinstatus, und bei rund einem Drittel sei davon auszugehen, dass nach sechs Monaten noch ein chronischer Nieren- schaden vorliege, schätzt Prof. Oliver Gross, Universitätsmedizin Göttingen.

Diese Nierenschäden sind zumindest

teilweise unmittelbar dem Virus ge- schuldet. SARS-COV-2 sei zwar kein Killervirus für die Nieren, sagte Prof.

Tobias Huber, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Der Hauptschädi- gungsmechanismus seien die schweren Krankheitsverläufe mit ihren inflamm- atorischen und kardiovaskulären Kom- plikationen.

Superspreader-Events

Zweifelos werden beim Husten und Nie- sen massenhaft potenziell virusbelastete Partikel in die Umgebung geschleudert.

Doch beides stellt keineswegs die be- deutsamste Quelle für eine SARS-CoV- 2-Infektion dar, schreiben Dr. Valentyn Stadnytskyi und Kollegen von den Nati- onal Institutes of Health in Bethesda [10].

Beim Reden im Innenraum gibt es kei- nen sicheren Abstand. Die größte Ge- fahr geht vom Sprechen in geschlosse- nen Räumen aus – sofern keine Masken getragen werden. Zwar ähneln sich Grö- ße und Anzahl der in die Luft abgegebe- nen Tröpfchen, doch dauert eine Unter- haltung in der Regel wesentlich länger als ein Hustenstoß. Das beim Reden frei- gesetzte Aerosol verharrt minutenlang im Raum und verbreitet sich mit dem Luftstrom. Bei unzureichender Lüftung kommt es außerdem schnell zu einer Akkumulation der infektiösen Partikel, wodurch sich das Ansteckungsrisiko be- trächtlich erhöht. Das erregerreiche Ae- rosol kann in Innenräumen lange per- sistieren und sich erheblich anreichern.

Die Halbwertszeit für das Überleben von SARS-CoV-2 liegt in feuchter Luft bei etwa einer Stunde. Für eine Ansteckung braucht man nur eine erstaunlich gerin- ge Dosis von SARS-CoV-2. Mutations- analysen haben ergeben, dass die Inha- lation eines einzigen Virions genügt, um die Erkrankung auszulösen.

Eine große Rolle spielen sogenannte Superspreader, also einzelne Infizierte, die zahlreiche weitere Fälle verursachen und für einen Großteil der COVID- 19-Ausbrüche verantwortlich sind, wie

bei einer Konferenz in den USA.

Das Singen in Chor und Kirche birgt ebenfalls eine hohe Übertragungsgefahr, selbst auf größere Distanz. Der Grund dafür: die bei der Tonerzeugung vibrie- renden Stimmbänder, von denen sich

massiv virusbeladene Tröpfchen ablösen.

Sie bilden in der Luft ein gefährliches Aerosol, das bis hinunter in die Lunge gelangt. Das größte Risiko ist aber wahr- scheinlich lautes Sprechen, beispielswei- se in Restaurants und Bars, die deshalb zu Epizentren vieler Superspreader- Events wurden.

Symptomkomplex COVID-19

Bei der Perzeption der vielen Fakten über COVID-19 werden Sie vermutlich erahnt haben, dass es sich bei der COVID-19-Erkrankung um einen Sym- ptomenkomplex handelt, der einzig durch die multilokale Gefäßendothel.

schä digung/-entzündung durch SARS- CoV-2 in vielen Organen entstanden ist.

Nach Prof. Andreas Zeiher, Universi- tätsklinikum Frankfurt am Main, am- tierender DGK-Präsident, handelt es sich um ein Potpourri unterschiedlicher Syndrome. Prof. Zeiher schlägt vor, von einem Post-COVID-Syndrom zu spre- chen. Dem pflichtet auch Prof. Dirk Westermann, Universitäres Herz- und Gefäßzentrum vom UKE Hamburg bei:

„Ich glaube, dass es dieses noch präziser und besser ausdrückt.“ Diese Erkennt- nisse führen uns in der schmerzmedizi- nischen Praxis unmittelbar zur interdis- ziplinären Abklärung.

Diagnostische Maßnahmen

Wir müssen neurologische Defizite mit Einschränkung der Aktivitäten des täg- lichen Lebens (nach dem Barthel Index inkl. neuropsychologischer Defizite) ab- klären, etwa Polyneuropathien, Läh- mungen der Gliedmaßen, Taubheitsge- fühl und Parästhesien, ebenso aber auch schwere kognitive Störungen, zum Bei- spiel Konzentrationsschwächen oder Gedächtnisverlust, oder aber Gehirn- schädigungen wie etwa Schlaganfälle.

Bei Luftnot ist die Abklärung einer eventuellen Schwächung des Atemappa- rates dringend notwendig. Auch eine kardiologische Abklärung ist erforder- lich, weil Herzrhythmusstörungen und Stauungsherzinsuffizienz auch zur Dys- pnoe führen können. Weiterhin müssen muskuloskelettale Beschwerden und Einschränkungen in den Aktivitäten des täglichen Lebens abgeklärt werden.

Auch eine umfassende psychologische sowie psychiatrische Abklärung ist an-

(5)

gezeigt, um Angststörungen, Belas- tungsstörungen und andere psychische Erkrankungen zu finden. Eine interdis- ziplinäre, multimodale sowie individu- elle Diagnostik ist unumgänglich.

Therapeutisches Vorgehen

Therapeutisch bedarf es einer Atem- therapie, Training von Bewegungsabläu- fen, Kraft-und Konditionsaufbau, Sport- therapie und Belastungstraining, der Be- handlung von Wortfindungs- und Sprachplanungsstörungen sowie der Therapie kognitiver Einschränkung.

Der Long-COVID-Patient braucht ne- ben der Empathie der Schmerzmedizin auch Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie aus der Hand von erfahrenen Therapeuten, die disziplinübergreifend arbeiten. Je nachdem, ob beispielsweise die pulmonalen, kardialen oder neuro- logischen Schädigungen führend sind, ist eine entsprechende intensive Thera- pie im jeweiligen Segment notwendig.

Die KBV hat uns hier nicht allein ge- lassen und den Post-COVID-Zustand unter U 09.9 nach der ICD-Klassifizie- rung eingeführt. Die Schmerztherapeu- ten können demnach bei Langzeitfolgen einer COVID-19-Infektion Physio- oder Ergotherapie verordnen, ohne dass das Heilmittelbudget belastet wird. Dafür wird die Indikation U 09.9, Post- COVID-Zustand, ohne nähere Bezeich- nungen codiert.

Laut Mitteilung der KBV müssen Ärzte nicht die orientierende Behand-

lungsmenge, die im Heilmittelkatalog des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) aufgeführt ist, berücksichtigen.

Diese Änderung gilt seit dem 1. Juli 2021.

Physiotherapie

Akute Störungen der Atmung (mög- liche Maßnahmen sind laut Heilmit- telkatalog Krankengymnastik und Inhalation)

Wirbelsäulenerkrankungen (hier kann die Teilnahme an einer Krankengym- nastik-Gruppe oder eine manuelle The- rapie verordnet werden)

Ergotherapie

SB1: Erkrankungen der Wirbelsäule, Gelenke und Extremitäten (mit moto- risch funktionellen Schädigungen):

Die Ärzte können eine motorisch- funktionelle Behandlung verordnen.

PS2: neurotische, Belastungs-, soma- toforme und Persönlichkeitsstörun- gen: Hier listet der Katalog psy- chisch-funktionelle Behandlungen auf.

PS3: Wahnhafte und affektive Stö- rungen/Abhängigkeitserkrankungen:

Mögliche Maßnahmen sind psy- chisch-funktionelle Behandlungen oder Hirnleistungstraining.

Eine interdisziplinäre Herausforderung

Auch die Deutsche gesetzliche Unfall- versicherung hat COVID-19 als Berufs- krankheit und Arbeitsunfall anerkannt.

Allerdings darf nicht verhohlen werden, dass die Hürden für die Anerkennung von Long-COVID als Berufserkran- kung hoch sind.

Für uns in der schmerzmedizini- schen Praxis bedeutet die Long-CO- VID-Erkrankung eine besondere inter- disziplinäre Herausforderung, um zu klären, welche Art von Störungen vor- liegen, und dann entsprechende Thera- pien einleiten zu können. Zum Glück sind durch die KBV und den G-BA die Wege bereitet worden, um ohne Budge- tierungen der Heilmittel therapieren zu können. Es gibt also keinen Grund, Physiotherapie, Ergotherapie und Lo- gopädie aus finanzieller Sicht nicht durchzuführen.

Wer in seiner schmerzmedizinischen Praxis eine interdisziplinäre Diagnos- tik und anschließend eine multimoda- le, der Diagnostik entsprechende The- rapie nicht durchführen kann, dem rate ich umgehend für seine Patienten eine COVID-19-Rehabilitation einzuleiten.

So finden sich zum Beispiel im Internet ohne Schwierigkeiten entsprechende Reha-Einrichtungen.

Dr. med. Heinrich Binsfeld Algesiologe DGS

Facharzt für Anästhesiologie und Innere Medizin

Notfallmedizin, Umweltmedizin, Spezielle Schmerztherapie Kirchplatz 7

48317 Drensteinfurt

E-Mail: info@pg-kirchplatz.de

Literatur

1. www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuarti- ges_Coronavirus/Fallzahlen.html 2. www.who.int/emergencies/diseases/novel-

%C2%ADcoronavirus-2019

3. Frontera JA et al. A prospective study of neurologie disorders in hospitalized COVID- 19-patients in New York City. Neurology 2021;96:e575-86

4. Wittstock Martin et al. Neurologische Manifestationen der COVID-19-Erkrankung.

Ärzteblatt Mecklenburg-Vorpommern 2021;6:215-9

5. Helms J et al. Neurologic features in severe SARS-CoV-2-infection. NEJM

2020;382:2268-70

6. Liotta EM et al. Frequent neurologic manifestations and encephalopathy- associated morbidity in Covid-19 patients.

Ann Clin Transl Neurol 2020;7:2221-30 7. Puntman VO et al. Outcomes of cardio-

vascular magnetic resonance imaging in patients recently recovered from

Coronavirus Disease 2019 (COVID-19). JAMA Cardiol 2020;5:1265-73

8. European Heart Journal 2021; online 18.  Februar

9. Guler SA et al. Pulmonary function and radiological features 4 months after COVID-19: first results from the national prospective observational Swiss COVID-19 lung study. Eur Respir 2021;57:2003690 10. Stadnytskyi V et al. Breathing, speaking,

coughing or sneezing: What drives trans- mission of SARS-CoV-2? J Intern Med 2021;290:1010-27

Erratum

Historie und neue Erkenntnisse Erratum zu: Das schmerzhafte Iliosakralgelenk

Dr. med. Markus Schneider Erratum zu: Schmerzmedizin 2021;37(4):31-35

In der Online-Version dieses Fortbil- dungsartikels war unter „Literatur als Zusatzmaterial“ versehentlich eine fal- sche PDF-Datei verknüpft. Wir bitten dies zu entschuldigen. Die korrekte Literatur zum Artikel ist inzwischen hinterlegt.

Die Online-Version des Originalartikels ist zu finden unter:

https://doi.org/10.1007/s00940-021-3134-1

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