Flüchtlingselend am Golf
Sandstürme, kalte Nächte und auch viel zu wenig Toiletten
In der Nähe von Azrak in Jordanien liegt das wohl größte Flüchtlingslager. Dicht an Sanddü- nen geduckt, stehen mehr als 10 000 Zelte im heißen Wüstensand. Alle Fotos: Sepp Spiegl
DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
IE REPORTAGE
M
it jenem für andere Völker anchmal unverständlichen Sinn für Realismus, den die Englän- der aufzubringen in der Lage sind, diskutieren die britischen Medien die Frage der medizinischen Versor- gung der Opfer eines etwaigen Golf- krieges. So warnte kürzlich Angus McGrouther, Londoner Professor für plastische Chirurgie, der in dem achtjährigen Krieg zwischen Irak und Iran Verwundete beider Seiten behandelte: In englischen Kranken- häusern könnten höchstens 150 Pa- tienten mit schweren Verbrennun- gen oder Verwundungen durch che- mische Waffen versorgt werden.Man werde „selektieren" müssen.
Realistisch
Nun haben die Briten ja relativ frische Erfahrungen aus dem Falk- land-Krieg von 1982. Kurz gesagt: Es gibt viel mehr Verbrennungen als in früheren Kriegen. Kameradenhilfe ist höchst wichtig. Und: der Hub- schrauber ist ein riesiger Fortschritt für die Kriegsmedizin. Im Falk- land-Krieg gelang es oft, Soldaten schon eine oder zwei Stunden nach ihrer Verwundung auf dem Lazarett- schiff in ein frisch bezogenes Bett le- gen zu lassen, und der erste Anblick war eine leibhaftige Krankenschwe- ster — ungeheuer wichtig für die Kampfmoral.
Der Hubschrauber kann auch Kisten mit Sanitätsmaterial abwer- fen. Auf den Falkland-Inseln fanden sich Feldärzte gelegentlich im Besitz von beispielsweise 5000 Injektions- nadeln, hatten aber kein Verbands- material (das war irgendwo anders gelandet), oder umgekehrt. Danach begann das große Umpacken; jetzt enthält jede Kiste von allem etwas.
Die Briten haben in Saudi-Ara- bien bereits mindestens ein 400-Bet- ten-Feldlazarett in Betrieb, seit An- fang November ein Lazarettschiff mit Hubschrauber-Plattform. Dazu kommt die Militärbasis Akrotiri auf Zypern. Trotzdem: Das Verteidi- gungsministerium hat geeignete Krankenhäuser in Südengland gebe- ten, Vorsorge zu treffen. gb
T
äglich passieren an der kleinen Grenzstation Ruweischid eini- ge tausend Flüchtlinge per Auto und Bus die Grenze, um sich vom Irak ins nahe Jordanien in Si- cherheit zu bringen. Im ersten Auf- fanglager, 50 Kilometer von der Grenzstation entfernt in der Abu- Hafrah-Wüste, mit dem Namen„Transit 1/28" machen die Flücht- lingsbusse Station. Dort bekommen sie erste ärztliche Versorgung und Lebensmittel. In großen Zelten, vom Deutschen Roten Kreuz errichtet, wohnen rund 50 Flüchtlinge aus Sri Lanka, Bangladesch und den Philip- pinen.
Auch Shaikh Mosharraf-Hos- sein sucht nach einem Zelt für sich und seine Familie. 16 Jahre habe er im Industrieministerium in Kuwait gearbeitet. Als über Nacht die Iraker ins Land eindrangen, mußte er in- nerhalb der nächsten 24 Stunden Kuwait verlassen. „Vier Koffer mit Kleidungsstücken sind alles, was uns geblieben ist", sagt Hossein.
In der Nähe von Azrak liegt das wohl größte Flüchtlingscamp. 45 000
Flüchtlinge warten dort auf den Wei- tertransport nach Amman, um am Königin-Alia-Flugplatz ein Ticket in die Heimat zu ergattern. Sandstür- me, Bisse von Skorpionen und die Kälte der Nacht sind die schlimm- sten Feinde des Camps. „Bei tags- über 40 Grad im Schatten sehnt man sich die Kälte der Nacht herbei, und nachts wünscht man sich die Hitze des Tages zurück", klagt der Hotel- angestellte Jan-E-Alam aus Bangla- desch. Vier Jahre hat er in einem Hotel in Kuwait gearbeitet. Dann ka- men die Iraker und hätten ihm sein Geld, sein Auto und andere Wertsa- chen abgenommen.
Im Durchgangslager Andalus in Amman leben in 400 Zelten bis zu 6000 Flüchtlinge. Stinkende Fäka- lienhaufen und jede Menge Unrat säumen die Wege zwischen den Zel- ten. „Die Hygiene ist unser größtes Problem", berichtet Dr. Jean-Luc Lacquement-Baltzer von der franzö- sischen Hilfsorganisation „M6decins du Mont". So reichten beispielsweise die vorhandenen Toiletten bei wei- tem nicht aus. Jacquement-Baltzer
A-3918 (34) Dt. Ärztebl. 87, Heft 49, 6. Dezember 1990
Die Fotos im Uhrzeigersinn (v. 1.): Wegen der schlechten hygienischen Ver- hältnisse müssen die Zelte im Camp Andalus in Jordanien desinfiziert wer- den. — Die Menschen, die aus dem Durchgangslager abreisen, haben es nicht mehr weit bis zum ersehnten Flughafen. — Rund 50 Personen leben in den großen Zelten im Auffanglager Transit 1/28. — Lange müssen sie auf ihr Essen warten. — Zwischen den Zelten liegt jede Menge Unrat herum.
freut sich jedoch darüber, daß das deutsche Medikamentenhilfswerk
„action medeor" aus Tönisvorst am Niederrhein eine Tonne der nötig- sten Medikamente geschickt hat.
Die Lieferung sei bedarfsgerecht:
Schmerzmittel, Antibiotika, Pillen gegen Magenleiden und Erkältung.
Der französische Arzt versorgt mit seinen Mitarbeitern täglich mehr als 400 Patienten. Die meisten seien nicht krank, sondern von den wo- chenlangen Strapazen erschöpft. Ein Ende des Flüchtlingselends ist nicht abzusehen. In Kuwait und dem Irak warten immer noch mehr als zwei Millionen Flüchtlinge auf ihre Aus- reise. Sepp Spiegl
Dt. Ärztebl. 87, Heft 49, 6. Dezember 1990 (35) A-3919