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Archiv "100. Todestag Theodor Fontanes: Depression und Heilung" (18.09.1998)

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„Der Kopf ist mir bestän- dig benommen und will von Anstrengung nichts mehr wis- sen. Die Klapprigkeit bricht herein und das Arbeiten mit Vierteldampfkraft wird Re- gel.“ (9) Mit diesen Worten beschreibt Theodor Fontane (1819 bis 20. September 1898) in einem Brief vom 6. De- zember 1891 seinen Seelen- zustand dem Verleger Wil- helm Hertz. Unter Kenntnis der weiteren Entwicklung des Jahres 1892 kann hier von ersten Prodromi einer vital erlebten Depression gespro- chen werden.

Gefühle der Sinnlosigkeit Von März 1892 an ver- stärkten sich Fontanes Ge- fühle der Sinnlosigkeit und fehlenden geistigen Energie.

„Körperlich geht es noch, aber das ,innen lebt die schaf- fende Gewalt‘ ist für mich lei- der zur Phrase geworden“, beklagt Fontane in einem Brief an August von Heyden (10). Von Federkraft könne keine Rede mehr sein, der Antrieb lasse nach, jeden Abend müsse er sich aufraf- fen, um wenigstens den ge- wohnten Spaziergang machen zu können. Seine Stimmung beschreibt er als resigniert. Er zweifelt an seiner Arbeit, sei- nem Lebenswerk. Weiter zu schreiben erscheint ihm sinn- los. Das Manuskript von „Effi Briest“ bleibt liegen.

Seine Frau und seine Tochter Mete machen sich Sorgen um ihn. Auf ärztliches Anraten fährt die Familie im Mai von Berlin ins Riesenge- birge nach Zillerthal. Luft- veränderung soll die trübe Stimmung heben, dazu soll die Ruhe abseits der Groß- stadt heilend wirken. Aber auch der Klimawechsel bringt

nicht die erhoffte Erleich- terung. Sein Sohn Friederich, der auch zu seinem neuen Verleger wird, versucht, ihm durch positive Rezensionen neuen Lebensmut zu ver- schaffen. Umsonst. „Noch vor ein paar Jahren hätte mich das alles entzückt und

erhoben, jetzt kommt es zu spät“, antwortet ihm sein Va- ter (17).

Der Dichter sucht selbst nach Erklärungen für seinen Zustand und diagnostiziert das Fehlen seiner früher so reichlich vorhandenen Kräf- te. „ . . . tiefe Müdigkeit ist an Stelle davon getreten. Ob ich noch einmal von dieser Mü- digkeit loskomme?“ (13) Im- mer wieder beklagt Fontane diese große Müdigkeit. Dazu und diese mitbedingend lei- det er stärker noch als früher an Schlafstörungen. Oft fin-

det er nur wenige Stunden Schlaf, unterbrochen durch Phasen unruhigen Wachseins.

Seine ohnehin geschwunde- nen Kräfte schwinden weiter, gutgemeinte Aufforderun- gen, sich durch Wiederauf- nahme der Schriftstellerei aus der wachsenden Lethargie zu

befreien, überfordern ihn:

„ . . . Aber alles fordert Kraft, und die habe ich nicht mehr.

Schmiedeberg bedeutet mir einen Platz zum Rückzug aus dem Leben, bis zum Erlöschen“ (14), schreibt er seinem Freund Georg Fried- laender. Todessehnsüchte werden wach.

Von Suizidgedanken er- fahren wir nichts, jedoch ver- liert der Gedanke an den Tod seinen früheren Schrecken.

Der Tod erscheint plötzlich als Helfer, der die ersehnte Ruhe bringen kann. Zwi-

schendurch flackern auch Ge- danken an Besserung auf, diese weichen jedoch schnell den Dunkeltiefen der De- pressionen. „Könnte ich noch eine Freude in meinem Her- zen aufbringen, so wäre mir geholfen; aber leider alles grau in grau, der Trübsinn hat die Oberhand.“ (18)

Ein typischer circadianer Verlauf mit ausgeprägter Morgentiefe läßt sich aus Fontanes Lebenszeugnissen nicht ablesen. Schwer seien vor allem die Stunden vom zweiten Frühstück bis zum Nachmittagskaffee gewesen, schreibt er an einer Stelle (19), also eher die Tagesmitte.

Legt man einen aktuellen Diagnoseschlüssel zugrunde, etwa die klinisch-diagnosti- schen Leitlinien der ICD-10, so sind die Kriterien zur Stel- lung der Diagnose „mittelgra- dige depressive Episode“ er- füllt: gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlo- sigkeit und die Verminderung des Antriebs (1).

Versuche zur Behandlung

Fontane verfügte als ge- lernter Apotheker über eine profunde Kenntnis der da- mals verfügbaren Medika- mente und ihrer Wirkungen.

Ihre Möglichkeiten waren ihm vertraut, aber auch ihre Grenzen. Zur Behandlung der Schlafstörungen und der quälenden inneren Unruhe nahm er das damals geläufige Brom ein, dessen Wirkung er wie folgt beschreibt:

„ . . . Brom nämlich drückt herab und stellt eine süße Dösigkeit her.“ (11) Aller- dings verstärkte sich hier- durch auch die Antriebslo- sigkeit, und die lähmende Müdigkeit nahm zu. Ein Ver- such mit Morphium zur Stim- A-2335 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 38, 18. September 1998 (55)

V A R I A FEUILLETON

100. Todestag Theodor Fontanes

epression und eilung

Im Jahr 1892 durchlitt

der damals 72jährige Theodor Fontane eine schwere seelische Krise.

H

Theodor Fontane, Fotografie von J. C. Schar- wächter, Berlin 1889/90 Foto: Theodor-Fontane-Archiv

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mungsaufhellung hätte bei- nahe letale Konsequenzen nach sich gezogen: „Gerade vor 14 Tagen vergiftete ich mich mit Morphium – der Apotheker hatte statt 0,05, die verordnet waren, 0,5 ge- nommen, also das Zehnfa- che – und dieser Zwischen- fall brachte mich sehr herun- ter, . . .“(11)

Auch Fontanes Verhältnis zu Ärzten war durchaus ambivalent und durch seine Erfahrungen als

Apotheker mit- beeinflußt. Er konsultierte eini- ge Ärzte, nahm jedoch die gege- benen Ratschläge oft nicht oder nur widerstrebend an.

Vom Kuraufent- halt im schlesi- schen Zillerthal aus suchte er den bekannten Pro- fessor Hirt in Breslau auf. Die- ser stellte Blut- leere im Gehirn fest und verord- nete eine elektri-

sche Kur. Nach anfänglich be- kundeter Bereitschaft hierzu zögerte Fontane dann aber, zu einer Behandlung erneut nach Breslau zu fahren, und nannte finanzielle Engpässe als Grund dafür.

Der Behandlungsver- such durch Luftveränderung schlug fehl. Mitte September 1892 reiste Fontane mit seiner Frau wieder nach Berlin. Sein Zustand war unverändert schlecht. Somatische Sym- ptome mit Kopfschmerzen und Schwindel stellten sich ein. Fontane entschloß sich doch zur Durchführung einer galvanischen Kur.

Neben diesem techni- schen Therapeutikum wurde Fontane eine bestimmte Diät verschrieben, deren wirksa- me Hauptkomponente wohl aus der verordneten Flasche Rotwein bestand, die er täg- lich zu trinken hatte. Fontane, der beständige Skeptiker und meisterhafte Beherrscher der leisen Ironie, stand auch den ärztlichen Ratschägen, bei al- lem Respekt vor der Medizin,

leicht skeptisch gegenüber.

Die Skepsis verstärkte sich dadurch, daß ihm die ver- schiedenen Ärzte unter- schiedliche und teilweise wi- dersprechende Ratschläge gaben. In tagebuchähnlichen Aufzeichnungen berichtet Fontane dem Freund Georg Friedlaender davon. Ein Doktor Max Nordau aus Pa- ris hätte ihn sofort in Behand- lung genommen, dabei so ziemlich alles in starken Aus-

drücken verwerfend, was der bisherige Arzt angeordnet hatte. „ . . . das, was er mir sagte, schien mir auch Un- sinn. Heiße Bäder mit Kopf- kühlung, immer Kalbfleisch und Hühnerbrust und Hüh- nerbrühe statt Wein. Bisher hieß es, ich müsse jeden Tag eine Flasche Rothwein trin- ken. Kurzum eine jammer- volle Geschichte. Die gal- vanische Kur wird auch ange- zweifelt, was der eine gut fin- det, findet der andre dumm.

Ich habe mich nun drin erge- ben, es ist alles das reine Lot- to.“ (20)

Ursachen und Auslöser

Ein unmittelbar auslösen- des Ereignis für diese immer- hin sich über einen Zeitraum von fast acht Monaten hinzie- hende depressive Episode läßt sich nicht nachweisen.

Weder in den Briefen noch in den Tagebuchaufzeichnun- gen finden sich Hinweise dafür. Vieles spricht für eine

Symptomatik im Sinne des Konzeptes einer endogenen Depression. Ein von Fontane wenig thematisiertes, aber um so tiefer empfundenes Todeserlebnis lag schon lan- ge Zeit zurück. Im Septem- ber 1887, also fünf Jahre zu- vor, war sein ältester Sohn Georg, erst 36jährig, an einer Blinddarmentzündung ver- storben.

Erwähnenswert ist, daß es auch schon im Herbst 1879 zu einer tiefen seelischen Er- schöpfung ge- kommen war, mit

„tiefster Depres- sion“ (3), ein wei- terer Hinweis auf das Vorliegen ei- ner rezidivieren- den depressiven Störung im Sinne einer endogenen Depression.

Interessant sind die Erklärungen des Dichters sel- ber, welcher nach Gründen für das anhaltende Stim- mungstief sucht.

Fontane, der es in meisterli- cher Weise verstand, seine Romanfiguren psychologisch zu zeichnen und ihre Hand- lungsmotivation zu begrün- den, nennt das Gefühl wach- sender Vereinsamung als einen möglichen Auslöser.

Neben der Vereinsamung scheint für Fontane ein wei- terer Faktor bedeutend. Es ist das Sterbealter seines Vaters. Louis Henri Fonta- ne, hugenottischer Abstam- mung, war Apotheker gewe- sen. Zu ihm hatte sein Sohn Theodor stets ein besonderes Verhältnis gehabt. Louis Henri Fontane starb im Ok- tober 1867 im Alter von 72 Jahren. Theodor Fontane glaubte seit langem fest dar- an, nicht älter als sein Vater werden zu können und im gleichen Alter, also mit 72 Jahren, sterben zu müssen.

Nun war gerade dieses Le- bensjahr angebrochen, als sich bei ihm die Depressio- nen einstellten. Die Sympto- me dieser Erkrankung inter- pretierte der Dichter wieder-

um als erste Anzeichen eines nahen Todes, wodurch sich seine These, im gleichen Al- ter sterben zu müssen wie sein Vater, zu einer fixen Idee steigerte: (5)

Immer enger, leise, leise Ziehen sich die Lebenskreise, Schwindet hin,

was prahlt und prunkt, Schwindet Hoffen, Hassen, Lieben, Und ist nichts in Sicht geblieben

Als der letzte dunkle Punkt.

Die Heilung

Acht Monate schon litt Theodor Fontane an seiner Krankheit, alle bisherigen Heilungsversuche hatten kei- ne Besserung gebracht. Im Gegenteil, noch Anfang Ok- tober notierte er in seinem Tagebuch: „Heute, nach einer schlaflosen Nacht, geht es mir ganz schlecht. Das Elektrisie- ren regt mich mehr auf, als es mich beruhigt. Der Kraft-Re- servefonds wird immer klei- ner. Mein Leben ist sehr qual- voll.“ (22) Doch bereits am Ende des gleichen Monats, vier Wochen später, besserte sich die Stimmung, und Fon- tane bekam wieder Vertrauen in seine Wiederherstellung.

Es scheint ihm, so schrieb er Julius Rodenberg am 30. Ok- tober, als sei ihm noch eine Frist gegönnt. Und als sicher- stes Zeichen seiner beginnen- den Genesung begann er wie- der zu schreiben.

Wie ging das vor sich? Was hatte sich ereignet? Friede- rich Fontane gibt Auskunft.

Der Hausarzt Doktor Del- haes hatte sich eingeschaltet und mit dem Kranken ein lan- ges Gespräch geführt. Dessen Inhalt gibt uns Friederich Fontane wie folgt wieder:

„Sie sind ja gar nicht krank!

Ihnen fehlt nur die gewohnte Arbeit! Und wenn Sie sagen:

Ich habe ein Brett vorm Kopf, die Puste ist mir ausgegangen, mit der Romanschreiberei ist es vorbei!, nun, dann sage ich Ihnen: wenn Sie wieder ge- sund werden wollen, dann schreiben Sie eben was an- deres, zum Beispiel Ihre Lebenserinnerungen. Fangen A-2336 (56) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 38, 18. September 1998

V A R I A FEUILLETON

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Sie gleich morgen mit der Kinderzeit an! . . .“ (6)

Und in der Tat, Fontane griff wieder zur Feder, und in nur etwa 14 Tagen entstanden die ersten vier Kapitel seiner Memoiren: „ . . . Ich wählte ,meine Kinderjahre‘ und darf sagen, mich an diesem Buch wieder gesund geschrieben zu haben.“ (7)

Dem Freund Georg Fried- laender beschreibt er in ei- nem Brief vom 7. November anschaulich die eingetretene Besserung: „Was mich an- geht, so besteht die ganze Dif- ferenz darin, daß ich im Som- mer viele viele Male nicht ei- ne Stunde geschlafen habe und daß ich jetzt in der ange- nehmen Lage bin, wieder acht Stunden oder in beson- ders glücklichen Nächten auch noch eine mehr schlafen zu können. So habe ich denn auch wieder die Kraft heiter

zu sein und mich der Heiter- keit andrer freuen zu kön- nen.“ (23)

Bilder aus der Kindheit

Nun kann mit der gleichen Skepsis, die Fontane selber so oft an den Tag legte, behaup- tet werden, nach achtmonati- ger Dauer sei ein spontanes Abklingen einer phasischen Depression durchaus wahr- scheinlich, und die wiederein- tretende Schaffenskraft sei le- diglich Symptom der Hei- lung, nicht jedoch deren Ur- sache. Dieses Argument kann nicht ohne weiteres widerlegt werden, jedoch spricht nicht nur Fontanes subjektives Empfinden, sich an den „Kin- derjahren“ wieder gesund ge- schrieben zu haben, dagegen.

Liest man die „Kinderjahre“, insbesondere die frühen Ka-

pitel, so wird deutlich, wie die zuletzt so dunklen Gedanken an den verstorbenen Vater, dessen Todesdatum ihm so große Angst eingejagt hatte, den positiven Vaterbildern der frühen Kindheit weichen.

Fontane befreit sich von der düsteren Zwangsvorstellung, sein eigenes Leben sei durch das Todesalter seines Vaters determiniert. Das lebendige Erinnern läßt die frühkindli- chen Bilder wieder aufstrah- len und heilsam werden. In vielen psychotherapeutischen Prozessen spielt ein aktives Erinnern an die frühe Kind- heit eine wesentliche Rolle.

In tiefenpsychologisch fun- dierten Verfahren ist es der zentrale Aspekt überhaupt.

Vielleicht ist – ähnlich wie bei Fontane – ein Teil der Hei- lungserfolge schon in der Ak- tivation vertrauter Bilder aus der Kindheit begründet. Ins-

besondere bei älteren Patien- ten – aber nicht nur bei diesen – kann eine Ermunterung zum Aufschreiben von Me- moiren aus der Kinderzeit ei- ne zusätzliche Hilfe in seeli- schen Krisen bedeuten.

Von weiteren depressiven Episoden blieb Theodor Fon- tane bis zu seinem Lebens- ende 1898 verschont. Der Dichter fand zur alten Schaf- fenskraft zurück, vollendete

„Effi Briest“ und schrieb sei- ne Spätwerke, die „Poggen- puhls“ und den „Stechlin“.

Literaturverzeichnis beim Verfasser

Anschrift des Verfassers Dr. med. Johannes Wilkes Kinder- und

Jugendpsychiatrie Universität Erlangen Schwabachanlage 10 91054 Erlangen

A-2337 Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 38, 18. September 1998 (57)

V A R I A FEUILLETON

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