A-2664 (12) Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 43, 23. Oktober 1998
S P E K T R U M LESERBRIEFE
nate dauern. Die Amerika- ner sagen, daß sie patholo- gisch werde, wenn sie mehr als einen Monat dauert, per- sönlich scheint mir dieser Zeitpunkt als Definitionskri- terium unglücklich: Ich er- achte die Reaktion als nor- mal, wenn ich wahrnehmen kann, daß die Intensität der Trias-Anteile konsequent mit der Zeit abnimmt. Falls sie zu irgendeinem Zeitpunkt plötzlich wieder zuzunehmen beginnt, haben wir es dann mit der posttraumatischen Belastungsstörungzu tun, ei- ner eindeutig pathologischen Konsequenz von Traumaex- position.
In der Medizin haben wir gelernt, daß natürliche Reak- tionen nicht behandelt wer- den können. Wenn man „sa- lutogenetisch“ und nicht Pa- thologie-orientiert denkt, weiß man, daß man bei natür- lichen Reaktionen Unterstüt- zung geben und die Ressour- cen stärken kann.
In den letzten 15 Jahren hat man zusätzlich, beson- ders in Armee-, Polizei-, und Rettungskreisen die Erfah- rung gemacht, daß (sekun- där) präventive Interventio- nensinnvoll sind. Sie werden heute in den meisten Orten der Welt unter dem Begriff
„psychologisches Debrief- ing“ benützt.
Im psychologischen De- briefing werden in Gruppen die Geschichte des Einsatzes nochmals kognitiv erarbeitet, die Emotionen reaktiviert und in einen Rahmen gestellt und Information über aku- te traumatische Reaktionen und sinnvolle Umgangswei- sen gegeben. Diese Debrief- ingtechnik ist an vielen Orten auch in Deutschland be- kannt, und es ist zu hoffen, daß auch nach Eschede viele Helfer davon Nutzen ziehen konnten. Bei dieser Grup- pe therapeutische Techniken wie EMDR (Eye Movement Desensitisation and Repro- cessing) anzuwenden, auch wenn sie potent, neu und fas- zinierend sind, ist nicht ange- bracht.
Ein relativ kleiner Pro- zentsatz der Helfer wird nicht
genügend Nutzen aus dem Debriefing haben ziehen kön- nen und an einer posttrau- matischen Belastungsstörung zu leiden beginnen oder auch andere Reaktionen auf die traumatische Erfahrung zeigen, wie Depressionen, Psychosomatosen oder star- ke Stimmungsschwankungen.
Für diese Helfer sind nun psy- chotherapeutische Interven- tionen angesagt, und dabei ist EMDR eine hervorragende Technik. Es gibt aber auch andere, ähnliche, aus der Hypnose stammende Techni- ken, und es gibt in vielen Kul- turen Rituale, die sehr Ähnli- ches tun.
Es scheint mir wichtig klarzustellen, daß die akute (traumatische) Reaktion eine normale Reaktion ist und damit keiner Behandlung, hingegen sekundärer Präven- tion bedarf. Die posttrau- matische Behandlungsstörung hingegen ist eine patholo- gische, behandlungswürdige Konsequenz von Traumaex- position.
Dr. med. Gisela Perren Klingler, Institut Psychotrau- ma Schweiz, Postfach 1 89, CH-3930 Visp
Theodor Fontane
Zu dem Feuilleton-Beitrag „Depressi- on und Heilung“ von Dr. med. Johan- nes Wilkes in Heft 38/1998:
Todesfurcht
Herr Wilkes beschreibt die schwere seelische Krise von Theodor Fontane und begründet sehr anschaulich seine Vermutung eines Zu- sammenhangs der Depressi- on mit Fontanes Befürch- tung, nicht älter als sein Vater werden zu können. Den ange- führten Heilfaktoren stimme ich zu, aber halte die Tatsache für entscheidend, daß Theo- dor Fontane den Todestag seines Vaters überlebt hat.
Danach verschwand die da- mit verbundene Todesfurcht, deren Ausdruck die Depres- sion war.
Dr. Hans Abeken, Welser- straße 15, 81373 München