as aus unverständlichen Gründen bisher viel zu wenig beachtete Leben des Bewerb- lings entbehrt – fürwahr! – nicht einer gewissen Aufregung. Sie sorgt für ei- ne massive Ausschüttung diverser kreislaufanregender glücks- und un- glückshormonebildender Mediato- ren, die auf wundersame Weise den Selbsterhaltungstrieb stimulieren.
Ungerechterweise wird diesem Lästling oft mit Milde begegnet: Statt es bei der bloßen Absage auf sein un- sinniges Ansinnen, seine von Optimis- mus höchsten Malignitätsgrades zeu- gende Assistenzarzt-Stellenbewer- bung diskret bewenden zu lassen, schont man ihn da beispielsweise noch mit tröstenden Worten wie „diese Entscheidung ist in keinem Falle mit Ihrer beruflichen Qualifikation in Verbindung zu bringen . . .“ und der- gleichen Artigkeiten mehr.
Dabei ach!, welch beneidenswer- tes Vergnügen, Bewerbungsschrei- ben, endlos an der Zahl, liebevoll wie Nikolauspräsente, einer anmutvollen (und kostbaren!) Verpackung einzu- verleiben (vergeht doch somit wenig- stens die unendliche Flut der arbeits- losen Tage!) . . . und, versehen mit Porto à drei DM, dem geheimnisvol- len deutschen Postwesen zu über- antworten (vergeht doch somit wenig- stens die unendliche Flut der Sozial- hilfe!).
Nun, und welch rührende Über- raschung zudem, der Leserzuschriften Siegel zu erbrechen. Jene, pauschal- frankiert und von verblüffend immer demselben Äußeren, lähmen die Neu- gier schon auf Grund ihres verdächtig großen Formates und Gewichtes, dem der einst abgesandten Depeschen nicht unähnlich.
So trifft der Bewerbling da auf huldreiche, mit Beileidsbekundungen verbrämte Worte: „Ich wünsche Ih- nen, daß Sie woanders erfolgreicher sind!“ Gleichwohl bewährt: die Ab- speisung mittels der berüchtigten Massenabfertigungskopien ohne Na- menszug, stolze Erhabenheit aus-
strahlend über jedweden Verdacht, es solle da ein nahes Ende des Tunnels suggeriert werden, durch deplazierte Hoffnungsschimmer etwa.
Die Enttäuschung ist jedesmal aufs neue groß. Mit dem Komparativ des Ganzen habe ich jedoch erstmalig (und womöglich nicht letztmalig?) Bekanntschaft geschlossen, als mich kürzlich aus meinem heimatlichen Rostocker Briefkasten das Schreiben eines bekannten Berliner Lehrkran- kenhauses – in hoffnungerweckender Normalbriefgröße – anblickte. Be- dauerlicherweise entpuppte sich auch dieses lediglich als Ablehnung, wel- cher jedoch noch eine zweite Seite beigestellt war, die – ungleich der er- sten – nicht von hauseigenem kopfbe- druckten Papiere, des weiteren auch
ohne Unterschrift, Siegel oder Datum war und lediglich ein „PS“ folgenden Wortlautes enthielt: „Die Rücksen- dung der Bewerbungsunterlagen der großen Zahl von Kolleginnen und Kollegen, die sich um eine Anstellung in meiner Abteilung bemühen, hat in der Vergangenheit leider erhebliche Summen für Porto und Versandum- schläge verschlungen. Ich muß Sie da- her herzlich um Ihr Verständnis bit- ten, daß dieses Geld angesichts der Ih- nen sicher gut bekannten Finanzlage der Krankenhäuser für andere Aufga- ben dringender benötigt wird. Mein Sekretariat wird Ihnen Ihre Bewer-
bungsunterlagen gegen Zusendung eines frankierten Umschlages inner- halb der nächsten vier Wochen gerne übersenden oder sie Ihnen hier auch persönlich aushändigen. Andernfalls würde ich davon ausgehen, daß Sie die Unterlagen nicht mehr benötigen und diese nach Ablauf von vier Wo- chen dem Recycling zuführen.“
Somit bringt der Bewerbling, den Aushändigungsweg der räumli- chen Entfernung halber scheuend, nochmals drei DM für Porto auf zu- züglich des frankierten Rückum- schlages und des zu dessen Übersen- dung erforderlichen Kuverts (im Glücksfall, so es gelingt, die Versand- tasche auf Normalbriefgröße zu knüllen) 1,10 DM, anderenfalls er- neut drei DM. Mindestens 4,85 DM also. Die betreffende Gesundheits- einrichtung, ohnehin 1,10 DM für den Antwortbrief berappend, hätte noch 1,90 DM aufschlagen können, um die gesamte Mappe zurückzusen- den. Zumal die angeschuldigte Fi- nanzlage des Krankenhauses dann doch noch ein längeres Ferntelefonat zu meiner Aufklärung gestattete. Zu hoffen bleibt, daß zumindest die Paß- bilder und die (holzfreien) beglau- bigten Kopien harterkämpfter Origi- nale sowie die Versandtaschen, For- mat B 4, in der blauen, die Plastik- ordner jedoch in der gelben Wert- stofftonne ihr Leben aushauchen werden. Die vor Verdruß über diese neue Stufe des kalten Krieges gegen eine lästige, wenn auch selbst heran- gezüchtete Spezies in gemeinsamem Protest geleerten Flaschen sind je- denfalls ordnungsgemäß dem Glas- recycling zugeführt worden.
Allerdings haben wir fast den Su- perlativ zu erwähnen vergessen: die Ignoranz, mit der manch andere Be- werbungsschreiben, plötzlich und un- erwartet verschollen, auf geheimnis- vollen Wegen vom rechten abgekom- men und selbstverständlich nie am Ort der Bestimmung eingetroffen, überhaupt keiner Antwort für wert befunden werden. Sabine Herms A-1003
P O L I T I K GLOSSE
Deutsches Ärzteblatt 95,Heft 17, 24. April 1998 (23)
Bewerbungen
Der Weg in die Wertstofftonne
D
Karikatur: Elie Nasser