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Archiv "Krankenversicherung: Endlich riestern" (16.05.2008)

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A1050 Deutsches ÄrzteblattJg. 105Heft 2016. Mai 2008

P O L I T I K

O

bwohl alle Gesundheitsökono- men und parteiübergreifend nahezu alle Gesundheitspolitiker sich einig sind, dass die gesetzliche Krankenversicherung mit dem heutigen System in naher Zukunft nicht mehr finanzierbar ist, wird diese Erkenntnis nicht in nachhaltiges politisches Handeln umgesetzt. Es wird versucht, mit Kostendämpfungsgesetzen die Symptome zu lindern, zu den wirklich notwendigen Reformen sieht sich die Politik nicht in der Lage. Als Hauptargu- ment für dieses verantwortungslose, zutiefst „unpolitische“ Verhalten wird

regelmäßig vorgetragen, dass die notwendigen Veränderungen der Be- völkerung nicht vermittelbar seien und dass man schließlich wiedergewählt werden müsse. Diese Begründung hält einer Überprüfung nicht stand.

Es gibt nämlich einen anderen Teil unseres Sozialsystems, der in einer vergleichbaren Situation war und bei dem die notwendigen grundlegenden Veränderungen der Finanzierung von der Politik gestaltet, von der Bevölkerung akzeptiert und von dieser in ein ver- ändertes Verhalten umgesetzt wurden.

Gemeint ist das Rentensystem: Hier wurde der Bevölkerung klipp und klar erklärt, dass die bisherige Finanzierung nicht ausreichen wird, die Höhe der Renten in Zukunft zu sichern, und dass daher jeder Einzelne aufgerufen sei, ei- nen zusätzlichen Pfeiler seiner Alters- versorgung aufzubauen. Die Menschen haben dies verstanden und – manch- mal zähneknirschend – akzeptiert.

Sechs Millionen Riester-Verträge bele- gen dies. Es ist nicht bekannt, dass die Ehrlichkeit und das Handeln der Politik in der Rentenfrage zur Abstrafung der Politiker geführt hat. Es ist also offen- sichtlich kein ehernes Gesetz der De- mokratie, dass einschneidende Refor- men der Bevölkerung in keinem Fall zu

vermitteln sind. Warum aber geht in der Gesundheitspolitik nicht, was in der Rentenpolitik möglich war?

Verantwortlich dafür sind nicht das böse Volk, nicht nur fehlender Tiefgang der politischen Analyse oder hasenfüßi- ge Politiker, sondern zusätzlich ein we- sentlicher Unterschied zwischen dem Renten- und Gesundheitssystem: Die- ser Unterschied ermöglicht es der Ge- sundheitspolitik, die Wahrheit (noch) zu verdrängen und notwendige Reformen vor sich herzuschieben.

Die Leistungsausweitung im Renten- system, hervorgerufen durch die zu-

nehmende Zahl der zu finanzierenden Rentner, durch immer weniger Be- schäftigte und die längere Lebenszeit der Rentner führt im Umlagesystem sofort und mathematisch zwangsläufig entweder zu drastisch fallenden Renten oder zu einer Erhöhung des Renten- beitrags oder einer Erhöhung des Steuerzuschusses. Alles dies war aus bekannten und nachvollziehbaren Grün- den nicht akzeptabel. Insofern musste man das Rentensystem reformieren und den Menschen die Wahrheit sagen.

Ganz anders ist die entsprechende Situation in unserem Gesundheits- system. Zunächst findet in unserem Gesundheitssystem wegen des er- wünschten medizinischen Fortschritts und der demografischen Entwicklung natürlich ebenfalls eine dauernde Leistungsausweitung statt. Nur führt in diesem System im Gegensatz zum Rentensystem die Leistungsausweitung nicht automatisch und zwangsläufig zu höheren Kassenbeiträgen oder Steuer- zuschüssen. Im Gesundheitssystem besteht die faszinierende Situation, dass die Leistungsausweitung durch die Leistungserbringer – nämlich durch die Krankenhäuser, Vertragsärzte und andere – selbst finanziert wird. Der kommende Gesundheitsfonds ändert

übrigens an dieser Situation überhaupt nichts. Weil die beschriebene Systematik bisher funktionierte, war es für die Politik eben nicht zwingend notwendig, entweder das Leistungsangebot oder die Finanzierung grundlegend zu reformieren. Das genau erklärt, warum im Gesundheitssystem etwas nicht geht, was im Rentensystem ging.

Systemanalytisch betrachtet, kann man das natürlich so lange machen, wie noch Rationalisierungsreserven im System stecken und Krankenhäuser und Ärztinnen und Ärzte willens und in der Lage sind, vermehrte Leistungen für ein kostengedämpftes gleichblei- bendes Gesamthonorar – also für fal- lende Preise pro Einzelleistung – zu er- bringen. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Reserven im System und bei den Leis- tungsanbietern erschöpft sind, kann das System so nicht mehr funktionie- ren. Dann sind ohne grundlegende Re- formen am jetzigen System, genauso wie vormals im Rentensystem, entwe- der massive Leistungseinschränkun- gen, massive Beitragserhöhungen oder erhöhte Steuerzuschüsse notwendig.

Genau vor der Situation stehen wir.

Vielleicht kann man das System noch einige Jahre ausquetschen, aber an der Mathematik und der demografischen Entwicklung wird auch die Politik nicht vorbeikommen. Deswegen ist das Gebot der Stunde: Fangt an zu riestern!

Erklärt der Bevölkerung die Situation.

Erklärt ihr, dass wir unsere im inter- nationalen Vergleich hervorragende medizinische Versorgung in Deutsch- land mit dem schnellen Zugang für jeden zu notwendigen medizinischen Leistungen nur erhalten können, wenn neben der gesetzlichen Krankenver- sicherung jeder einzelne Bürger bereit ist, für sich und seine Gesundheitsver- sorgung zusätzlich vorzusorgen. Mir kann keiner vormachen, dass das, was bei der Rente ging, bei der Gesundheit

nicht gehen soll. I

Priv.-Doz. Dr. med. Stephan Schmitz ist 1. Vorsit- zender des Berufsverbandes der Niedergelasse- nen Hämatologen und Onkologen in Deutsch- land.

KOMMENTAR

Priv.-Doz. Dr. med Stephan Schmitz

KRANKENVERSICHERUNG

Endlich riestern

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